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Mel´s Mikrokosmos

Das innere Kind

Hallo Mikrokosmonauten: Peter Pan wäre stolz!

Ich bin transinfantil. Ein Kind gefangen im Körper einer erwachsenen Frau. Und ich habe Angst. Ich fürchte, dass ich niemals Fuß fassen werde in einer Welt voller fester Strukturen und Regeln und ich glaube nicht, dass ich jemals die Erwartungen erfüllen werde, die man an mich hat. Der Welpenschutz ist bei mir längst vorbei. Um ehrlich zu sein, schon seit etwa 20 Jahren. Und in der Erwachsenenwelt heißt es nun mal: Funktionieren oder Untergehen. So schlimm ist es nicht? Ich finde doch!

Ich stehe im Klamottenladen an der Kasse und warte auf die alles entscheidende Frage, die da lautet, ob ich eine Tüte dazu möchte oder nicht. Ungeachtet der Tatsache, dass ich der Umwelt zuliebe gerne alles in meine eigene Tasche stopfen würde, aber jedes Mal feststelle, dass ich mal wieder zu viel gekauft habe und das alles  nicht rein passt, achte ich einzig und allein auf ein einzelnes Detail. Nämlich, ob die Verkäuferin mich duzt oder siezt. Es ist jedes Mal das Gleiche. Gebannt warte ich, die Spannung steigt und dann heißt es wie so oft: „Möchten SIE noch eine Tragetasche dazu?“. Meint sie wirklich mich? Ich drehe mich auch dieses Mal fragend um, weil ich hoffe, dass sie die Kundin hinter mir meint. Aber da steht niemand. Ich weiß, dass sie zuvor zweifelte. In der Vergangenheit ist es nicht selten passiert, dass Verkäuferinnen mehrmals zwischen Du und Sie switchen mussten, weil sie unsicher waren, was richtig und angemessen für mich ist. Es fühlt sich schrecklich befremdlich an und mich ergreift so ein Gefühl, das wahrscheinlich nur Menschen haben, die einfach nur verloren sind. Aber ich darf mir nichts vormachen. Ich befinde mich in einer nahezu undefinierbaren Altersspanne.

Bin ich immer noch Du oder siezt du mich schon?

Ich ertappe mich dabei, wie ich etwas schnippisch bejahe. Zur Tüte, nicht zum Alter. Warum hat sie mir nicht gleich eine alte Schachtel als Packmittel angeboten? Und auch dieses Mal trete ich nach draußen und atme tief durch. Und nehme mir vor, jetzt endlich zu meinem Alter zu stehen. Mich von der Illusion zu verabschieden, man würde mich auf 23 schätzen. Eine Gruppe Jungs auf ihren Skateboards düst an mir vorbei. Und obwohl ich wunderschöne Vans zu einem Surfer-Top trage und mir mein blondes Haar verwegen ins Gesicht weht: Sie beachten mich nicht! Wenn überhaupt gibt ihnen ihr Gehirn lediglich die Info: „Objekt: Alte Frau in jugendlichen Klamotten. Status: Erledigt.“. Ich muss endlich erwachsen werden, verdammt!

Peter-Pan-Syndrom

Ursprünglich einzig für Männer definiert, kann das Peter-Pan-Syndrom inzwischen auf alle Geschlechter zutreffen und beschreibt ein Zustand des Nicht-Erwachsen-werden-wollens. Kindliche Verhaltensmuster prägen das Leben bis hin zur kompletten Identitätskrise. Symptomatisch ist unter anderem Realitätsverlust im alltäglichen Verhalten und der Denkweise. Wie bei mir. Dabei versuche ich ja, als erwachsene Frau durchzugehen. Aber selbst die Produktionsfirma von „K11-Die Kommissare“ sagt, ich käme für die Rolle einer 40jährigen Mutter nicht in Frage, weil es irgendwie nicht passt. Ich könnte sie spielen, aber tief in meinem Inneren wäre es nicht glaubwürdig. Allerdings verneinten sie vehement, als ich vorschlug, stattdessen die Tochter zu spielen. Als Rolle einer 19jährigen müsste die Maske ihr komplettes Equipment an mein Gesicht hergeben. Und wieder einmal wird mir schmerzlich bewusst, dass ich irgendwo zwischen Jung und Alt hänge und offensichtlich nirgends zugehörig bin. Ich bin ehrlich: Frauen in meinem Alter, bis auf wenige Ausnahmen, beschäftigen sich mit vollkommen anderen Dingen als ich. Die meisten von ihnen sind verheiratet, haben Familie oder schlagen sich mit Scheidung und Gütertrennung herum. Sie backen und kochen gerne und können sich um einen kompletten Haushalt kümmern.  Nicht wenige plagen jedoch die ersten Wehwehchen, es geht alles nicht mehr so leicht von der Hand und die Interessen fokussieren sich in vielen Fällen auf die kleineren oder größeren Kinder und wann die Oma mal aufpassen kann, damit sie ein bisschen „Me-Time“ genießen können. Mich wiederum interessiert der neueste Gossip im Büro, meine nächste Reise und ob ich dort ein SUP oder ein Surfbrett nehme. Ich plane mit meinem 20jährigen Arbeitskollegen einen Tattoo-Termin und verschlafe hier und da einfach mal ein Wochenende. Schlichtweg weil ich es kann! Ich bin abgesehen von meiner Paranoia und meinem Heuschnupfen auch völlig gesund. Ich kann weder backen noch putzen, aber ich schäme mich nicht dafür, weil ich nicht das Gefühl habe, dass ich das irgendwie können muss. Aber ich darf mir nichts vormachen, denn Frauen in den Zwanzigern betrachten mich wohl mehr als Mutter und weniger als Freundin. Oder zumindest als „ältere“ Frau, die hoffentlich ein bisschen cool ist. Ich würde auch keine gute Freundin für sie abgeben, denn auch hier würde das mit den Interessen wahrscheinlich nicht so ganz passen. Außerdem käme ich mir neben ihnen tatsächlich wie die alte Schachtel vor. Surfer-Top hin oder her. Eine sehr junge Kollegin meinte neulich: „Du wirst mit 60 immer noch cool sein, in der Welt herumreisen und Wein trinken.“ Immerhin tröstlich. Es drängt sich mir dennoch eine  Vermutung auf:

Könnte ich in einer Art Midlife-Crisis stecken?

Ich will jünger wirken als ich tatsächlich bin. Das ist Fakt. Aber macht mich das schon zu einer Frau in eben jener Krise? Denn dass ich zum Frühstück gerne Esspapier snacke und völlig fasziniert von Barbie bin, war schon immer so. Dass ich lieber Trampolin springe statt Pflanzen umzutopfen. Und dass man mir mit einem Tag im Europa-Park eine größere Freude machen kann, als mit einem Sushi-Kochkurs. Und das kam ja nicht erst in den letzten fünf Jahren. Ebenso mein Hang zu eher jugendlichen Klamotten und Entscheidungen, die eine Frau meines Alters nie treffen würde. Wenn ich hohe Schuhe und Business-Klamotten trage, fühle ich mich wie in einer Verkleidung und es schnürt mir regelrecht die Luft ab. Und typische Erwachsenen-Gespräche über Geldanlagen, Versicherungen und Immobilien sind mir ein Graus. Hört sich für mich ohnehin an, wie eine fremde Sprache. Wer mich kennt, weiß, dass das Thema Alter mich seit jeher beschäftigt. Ich habe mich schon mit 30 „zu alt“ gefühlt und trauerte früheren Tagen nach. So geht es mir heute immer noch. Und ich bin sicher, dass ich in zehn Jahren wieder hier sitze und mir die Zeit zurückwünsche, in der ich mich jetzt gerade befinde. Wann fange ich endlich an, mich hier und jetzt mit meinem Alter zu arrangieren und mich trotzdem jung zu fühlen? Oder tue ich das etwa schon? Ein bisschen vielleicht. Denn ungeachtet der Tatsache, dass ich kopfmäßig ziemlich kindisch bleiben werde, will ich ja faktisch nicht wirklich wieder Teenager sein, geschweige denn von Jungspunden auf ihren Skateboards angebaggert werden. Das will ich hier ausdrücklich klarstellen. Denn eigentlich stehe ich auf Ältere.

Lieber Schaukel statt Schaukelstuhl

Kind bleiben und die Welt als großes Abenteuer sehen! Das ist meine Devise und das bleibt auch so. Letztendlich bin ich auch vielleicht gar nicht die Einzige, der es gerade so geht. Neulich habe ich mich mit einer alten Bekannten zum Joggen getroffen und obwohl sie im Gegensatz zu mir ein Kind hat und putzen und kochen kann, stellte ich erstaunlich viele Gemeinsamkeiten fest.

Am Ende teilen wir doch alle das gleiche Schicksal: Wir sind Kinder und Teenager im Körper erwachsener Menschen. Und wann immer und wo immer Konflikte, Selbstzweifel und emotionale Situationen entstehen, meldet sich lediglich unser inneres Kind zu Wort, das gehört werden will. Also hört, was es euch sagen will. Alles andere können wir eh nicht ändern.

Und Peter Pan ist es wahrscheinlich egal, ob man ihn Siezt oder Duzt.

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