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Mel´s Mikrokosmos

Fräulein Hartmann und der Worst Case

Hallo Mikrokosmonauten: So schlimm wird es schon nicht werden

Es ist immer das Gleiche: Die Zeit vor einem unangenehmen Termin ist für mich unerträglich. Es ist wie früher in der Schule vor Mathearbeiten oder – noch schlimmer- bevor ich meine Note erfuhr. In der Regel war letzteres für mich unangenehmer. Mein Lehrer hatte die Angewohnheit, die Leute immer einzeln aufzurufen, die sich dann ihre Arbeit vorne am Pult abholen mussten. Die besten waren zuerst dran und je mehr Leute er aufrief, desto tiefer verkrochen sich diejenigen, die noch nicht genannt worden waren. Ich war oft einer der letzten Namen, der aufgerufen wurde. „…und das Fräulein Hartmann“, höre ich ihn heute noch sagen. Und ich stand auf, und ging meinen Gang nach Canossa. Mit zitternden Knien einen Schritt nach dem anderen, wie in Zeitlupe. Eine Tortur!

Heute fühle ich mich noch genauso. Vor Arztterminen, vor unangenehmen Gesprächen, vor Sachen, die ich verbockt habe und wieder gerade biegen muss. Dieses Gefühl ist unschön und lässt mich zuweilen nachts nicht schlafen. Dabei sind meine Sorgen meist unbegründet. Also Sorgen machen sollte ich mir über manche Dinge ja schon, besonders dann, wenn ich mich selbst hinein geritten habe. Und das passiert eben auch des Öfteren. Und der Spruch: „Statt Sorgen sollte man sich besser Nudeln machen!“, geht auch eben auch nur dann, wenn man weiß, dass man morgen nicht gehängt wird! Und oft heißt es in meinem Leben dann halt:

Das Fräulein Hartmann hat Angst!

Eine Frau, die bei einem Zahnarzt-Termin regelmäßig eine „Sch***egal-Pille“ gratis dazu bekommt, sollte es zuweilen nicht zu bunt treiben. Ist aber schwierig. Denn es soll ja nicht langweilig werden. Nichts desto trotz komme ich nicht drum herum, mich zu fragen:

„Wieso gehe ich so oft vom Schlimmsten aus?“

Ich kann  beruhigt sein, denn fast niemand kann sich davon freisprechen, unbewusst und oft völlig unbegründet das „Worst case Szenario“ vor dem geistigen Auge zu sehen. Sowohl im Privatleben als auch im Beruf neigt man dazu, grundsätzlich vom Schlimmsten auszugehen. Ein Schutzmechanismus, der jedoch mehr Schaden anrichtet, als Nutzen bringt. Dennoch verfällt man immer wieder in altbekannte Denkmuster, geht vom Schlimmsten aus und fühlt sich in diesem Verhalten auch noch bestätigt. Dabei bin ich doch gar kein Teilzeit-Pessimist! Und trotzdem habe ich unverzüglich ein mulmiges Gefühl, wenn mich mein Chef fragt, ob ich mal gerade zwei Minuten hätte oder mein Freund mir sagt, er hätte gerade keine Zeit, mit mir zu telefonieren. Warum zum Teufel verursachen solche Szenarien bei mir Herzklopfen? Denn bis zu diesem Punkt ist ja noch gar nix passiert. Was, wenn der Chef einfach nur ein Lob aussprechen möchte? Und der Freund tatsächlich im Stress ist? Stattdessen gehe ich erstmal vom Schlimmsten aus, um mich offensichtlich zu schützen. Wird meine schlimmste Befürchtung nämlich wahr, bin ich vorbereitet. Darüber hinaus wirkt ein: „Ich hab’s doch gewusst.“, mindestens genauso so tröstend wie eine Flasche Wein. Oder zwei.

Das Schlimmste kommt. Aber es bleibt zum Glück die Ausnahme.

Ich habe neulich in der Schlange vor der Achterbahn meinen Puls gemessen. Er war hoch. Sehr hoch. Mein Herz hämmerte in meiner Brust und ich bildete mir ein, jemand schnürt mir die Luft ab. Es war unerträglich, ich malte mir die schlimmsten Szenarien aus. Der Gurt öffnet sich während der Fahrt, oder wir bleiben stecken, oder ich bekomme im Looping einen Schlaganfall. Im Sitz selbst starb ich dann tausend Tode, um schlussendlich hinterher völlig aufgedreht und glücklich wieder auszusteigen. Hatte es Spaß gemacht? Verdammt, ja! Und wie jedes Mal konnte ich absolut nicht begreifen, wozu ich mir vorher diese Gedanken gemacht hatte.

A negative mind will never give you a positive life

Einatmen. Ausatmen. Ich muss es mir immer wieder laut vorsagen, damit ich es nicht vergesse. Stress ist Gift. Und sich im Vorfeld bei einer Sache eben diesen zu machen, ist nicht nur psychisch sondern auch physisch anstrengend. Es gibt diverse unangenehme Dinge, die für mich dieses Jahr noch anstehen und die mich teilweise so dermaßen stressen, dass ich Ausschlag bekomme. Dabei sollte ich mir vor Augen führen, dass ich jedes Mal, wenn ich vom Schlimmsten ausgehe, automatisch an mir und meinen Fähigkeiten zweifle. Und irgendwie finde ich mich ja doch ganz okay, halbwegs talentiert und ein wenig taff, wenngleich ich manchmal Scheiße baue.

Stolpern ja, Fallen nein

Fräulein Hartmann ist manchmal wieder zehn Jahre alt und findet sich in dieser Klasse wieder, in der gerade die Mathearbeiten ausgeteilt werden. Sie wird aufgerufen und läuft nach vorne zum Pult. Ihre Knie zittern, sie wirkt verloren, sie nimmt mit klopfendem Herzen ihre Arbeit an sich. Und es ist… gerade nich so ne‘ Vier! Sie stolpert zurück, aber sie fällt nicht. Nicht dieses Mal. Was ein Glück!

Am Ende ist es doch so: Unangenehmes kann man nicht umgehen. Man muss da durch, ob man will oder nicht. Mir wird schon wieder schlecht, wenn ich an meinen nächsten Zahnarzttermin denke. Aber dieses Mal versuche ich es mal ganz anders. Ich atme ein und aus. Ich mache mich ganz groß und gehe da rein. Ich werde keinerlei Gedanken an mögliche Schreckens-Szenarien hegen. Ja, ich werde stark sein, denn ich bin überzeugt, dass es so schlimm nicht werden kann! Nicht wird!

„Und wenn doch?“, winselt dieses kleine Stimmchen in mir.

„Dann gibt es Nudeln mit Sch***egal-Pillen!“

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