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Quergedacht: Höchste Zeit für einen schwulen James Bond

Keine Angst, der britische Geheimagent ihrer Majestät ist nicht Schwerpunkt unsere Interviews mit der saarländischen Gesundheitsministerin Monika Bachmann. Viel wichtiger sind die Fortschritte des Landesaktionsplans gegen Homo- und Transfeindlichkeit und die Abkehr von institutionalisierter Diskriminierung wie dem faktischen Blutspendeverbot für schwule und bisexuelle Männer.

 

L!VE: In Ihrem Landesaktionsplan „Vielfalt sexueller und geschlechtlicher Identität akzeptieren – gegen Homo- und Transfeindlichkeit“ definieren Sie konkrete Handlungsziele und Maßnahmenplanungen. Was hat Sie zu diesem Aktionsplan bewogen und warum ist er nötig? 

Monika Bachmann: Gerade für homosexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen war ihre Lebensrealität über viele Jahrzehnte durch Diskriminierung verbunden mit teils schwersten Entbehrungen geprägt. Und völlige Gleichstellung und Diskriminierungsfreiheit ist auch heute leider noch nicht gegeben. Deshalb haben sich die Regierungsparteien unter dem Titel „Gleichstellung verwirklichen“ in ihrem Koalitionsvertrag im Jahr 2017 darauf verständigt, zur Verwirklichung faktischer Gleichstellung und Diskriminierungsfreiheit einen Landesaktionsplan vorzulegen.
Unter Federführung meines Hauses und im Rahmen eines breit angelegten Beteiligungsprozesses wurde dieser Aktionsplan in der Folge erstellt. In der zu diesem Zweck eingerichteten Interministeriellen Arbeitsgruppe wirkten die zuständigen Ressorts sowie LSBTI-Verbände wie der Lesben- und Schwulenverband Saar und das Antidiskriminierungsforum Saar mit.

 

L!VE: Wo stehen wir Ihres Erachtens mit den Maßnahmen? Welche Handlungsziele sind erreicht, was gilt es noch zu erreichen? Inwiefern hat die anhaltende – so zuvor nicht absehbare – Pandemiesituation die Umsetzung von Maßnahmen und Zielerreichungen behindert?

Für ein Resümee ist es noch zu früh, denn der Landesaktionsplan wurde nach der Behandlung im Ministerrat am 28. Oktober 2020 der Öffentlichkeit vorgestellt. Einige der aufgeführten Maßnahmen wurden zwar bereits zu einem früheren Zeitpunkt begonnen, die neu entwickelten Maßnahmen befinden sich aber noch in der Planungs- oder einer ersten Umsetzungsphase. Mein Haus wird die Interministerielle Arbeitsgruppe nach der Sommerpause wieder einberufen und sich mit dem Umsetzungsstand befassen. Zudem werden die Themenfelder behandelt, die im aktuellen Landesaktionsplan noch nicht bearbeitet werden konnten. Dies betrifft unter anderem die Handlungsfelder Alter/Pflege, Familie und Sport.“

 

L!VE: Wo besteht Ihrer Meinung nach am meisten Handlungsbedarf?

Ich möchte keine Priorisierung über alle Handlungsfelder hinweg vornehmen – hierfür sind natürlich die jeweils zuständigen Ressorts verantwortlich. Für mein Haus kann ich sagen, dass dem Bereich „Gesundheit“ sicherlich eine besondere Bedeutung zukommt. Es ist der Corona-Pandemie geschuldet, dass die Entwicklung und Initiierung einiger der aufgeführten Maßnahmen noch nicht in die Wege geleitet werden konnten.

 

L!VE: Wie sehen Sie die globale Entwicklung. Machen wir Fortschritte oder eher Rückschritte, angesichts der Entwicklungen in Ungarn oder Polen?

Ich sehe vor allem die großen und zahlreichen Fortschritte. Natürlich sind Entwicklungen wie in Polen, wo sich zunehmend mehr Kommunen als „LSBTI-freie Zonen“ deklarieren, höchst besorgniserregend. Wir müssen uns auf allen Ebenen dafür einsetzen, diese Menschenrechtsverletzungen zu thematisieren. Wir sollten uns aber auch ansehen, was in den letzten Jahren erreicht wurde in Sachen Gleichstellung und Antidiskriminierung. Wenn wir uns beispielsweise vergegenwärtigen, dass die gleichgeschlechtliche Ehe eingeführt wurde, dann ist das ein Meilenstein der Gleichstellung.

 

L!VE: In Ihrem Landesaktionsplan erklären Sie, dass LSBTI / LGBTQ spezifischen Risikofaktoren und erhöhten Krankheitsgefährdungen ausgesetzt sind. Warum?

Es ist ja nicht verwunderlich, dass fortgesetzte Diskriminierungserfahrungen Gefühle von Ausgegrenztsein, Minderwertigkeitsgefühle und Angst auslösen können.
Auch hier wird augenfällig, wie wichtig es ist, LSBTI – wie allen Menschen, die vermeintlich oder tatsächlich „anders“ sind – mit Respekt und Wertschätzung zu begegnen.

 

L!VE: Werden diese Faktoren in Zeiten der notwendigen Corona-bedingten Einschränkungen für LGBTQ ihres Erachtens noch verstärkt?

Einerseits wird von LSBTI-Verbänden auf große Belastungen hingewiesen, die aufgrund der Kontaktbeschränkungen entstehen. Denn viele LSBTI haben keinen oder wenig Kontakt zur Herkunftsfamilie und haben sich stattdessen in der LSBT-Community einen engen Frauendeskreis aufgebaut, nehmen häufiger an Veranstaltungen in deren geschützten Räumen teil. Mit der zeitweiligen Konzentration der Kontaktmöglichkeiten auf die Familie und der Schließung von Gastronomie und Veranstaltungsräumen gestaltet sich für sie das soziale Leben besonders schwierig.
Andererseits leben auch viele Menschen, die nicht zur Gruppe der LSBTI gehören, in Einzelhaushalten und empfinden den Lock-Down möglicherweise schwerer als Menschen, die mit Partnerin oder Partner oder aber der Familie zusammenleben. Auf Bundesebene wird zudem davon berichtet, dass Beratungs- und Selbsthilfeangebote extrem eingeschränkt seien. Das kann ich für das Saarland nicht bestätigen! Ich bin dankbar, dass die Beratungsstelle des LSVD während der gesamten bisherigen Pandemiephase ihre Beratungstätigkeit beibehalten hat und telefonisch und unter strenger Einhaltung der Bestimmungen auch in Einzelberatungen vor Ort tätig war. Auch die zahlreichen Gruppen kamen per Videoschalten zusammen.

 

L!VE: Gibt es Anlaufstellen, an die sich Betroffene wenden können?

Hier ist insbesondere die soeben bereits erwähnte LSBTI-Beratungsstelle des LSVD Saar zu nennen. Sie befindet sich in der Mainzerstraße 44 in Saarbrückenund ist über 0681 398833 und info@lsvd-saar.de erreichbar. Weitere Anlauf- und Beratungsstellen sowie Informationsquellen finden sich im Landesaktionsplan. Wir haben viel Wert darauf gelegt, nicht nur geplante Maßnahmen darzulegen, sondern diese um eine umfangreiche und vielfältige Zusammenstellung unterschiedlichster Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner sowie Infoportale zu ergänzen.

 

L!VE: Eine Tatsache, die von der LGBTQ-Community als eines der offenkundigsten Merkmale noch immer existierender institutionalisierter Diskriminierung gesehen wird, ist das faktische Blutspendeverbot für schwule und bisexuelle Männer…

Ja, die jetzige Regelung, die vorsieht, dass „Männer, die Sex mit Männern haben“ erst nach einer 12-monatigen sexuellen Enthaltsamkeit zur Blutspende zugelassen werden, kommt einem faktischen Blutspendeverbot gleich und stellt eine sachlich nicht gerechtfertigte Ausnahmeregelung dar. Das ist Diskriminierung. Ich habe deshalb aus tiefer Überzeugung einen Antrag der CDU- und SPD-Fraktion des saarländischen Landtags im August 2020 unterstützt, der sich in dieser Weise positioniert. Eine besondere Freude war es mir, dass der Antrag einstimmig und ohne Enthaltung beschlossen wurde.
Im Oktober 2020 habe ich einen Antrag bei der Gesundheitsministerkonferenz eingebracht, der ebenfalls die diskriminierungsfreie Blutspende betraf. Bedauerlicherweise hat die Bundesärztekammer ihre Einschätzung bislang nicht revidiert.

 

L!VE: Wie stehen Sie zu der aktuellen Forderung den Artikel 3 des Grundgesetzes um die „sexuelle Identität“ zu ergänzen?

Die saarländische Landesregierung befürwortet eine Ergänzung des Artikels 3 des Grundgesetzes um eine explizite Benennung von geschlechtlicher Identität als verfassungsrechtlich geschütztem Gut.
Ich teile allerdings auch die Auffassung, dass zur Erreichung eines solchen Ziels die Menschen in der Diskussion „mitgenommen“ werden müssen. Ich bin aber zuversichtlich, dass dies gelingen wird.
So wie wir im Saarland bereits im Jahr 2011 unsere Verfassung in Artikel 12 um den Schutz der sexuellen Identität ergänzt haben.

 

L!VE: Warum sollten sich Arbeitgeber, Behörden und Institutionen aller Größen und Branchen an der Umsetzung des Landesaktionsplans pro aktiv beteiligen?

Genau wie die gesamte Gesellschaft profitieren auch all ihre Segmente ebenso wie die Individuen von Vielfalt und Toleranz. Dies gilt natürlich auch für Betriebe und Behörden.
Die Akzeptanz von Vielfalt und der Respekt von Anderen macht Menschen offener und freier. Sie befördern den Zusammenhalt, wecken Kreativität und stärken Lösungskompetenz. Sie verbessern das Betriebsklima und erhöhen Arbeitszufriedenheit und -motivation.

 

L!VE: Wann ist die Welt reif für eine erste transsexuelle Verteidigungsministerin, einen schwulen James Bond und eine lesbische Integrationsbeauftragte des Bundes?

Ich finde, wir sind auf einem sehr guten Weg. Wenn wir diesen weiter voranschreiten und uns dabei mit Fairness und Respekt in einer offenen Diskussion ohne Unterstellungen begegnen, dann werden wir es in absehbarer Zeit erreichen, dass die Vielfalt sexueller und geschlechtlicher Identität gesamtgesellschaftlich anerkannt und ganz selbstverständlich akzeptiert wird.

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