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Gehen wir heim?

Man braucht kein Hellseher zu sein oder mit einer Bibel unter dem Kopfkissen zu schlafen, um zu wissen, dass der Tag kommen wird, an dem die Menschheit vor ihrem Ende steht. Nie war das klarer als gerade jetzt. Nach fast zwei Jahren Pandemie wissen wir, dass unsere größten Probleme darin bestehen, nicht genug Toilettenpapier in der Lieblingsfarbe auf Vorrat zu haben und Sangria alleine aus Gläsern trinken zu müssen statt in Gruppen aus Eimern. Zählten wir Deutsche einst zu den schlausten Köpfen überhaupt, als wir Buchdruck, Automobil und Weltkrieg erfanden, schaffen wir es heute nicht einmal mehr ein Stück Stoff richtig über Mund und Nase zu tragen. Hätten wir alle doch gerade nur halb so viel Vertrauen in die Wissenschaft wie in Tupperware…

Obwohl wir uns bereits vor Corona am liebsten unser Essen beim Lieferservice, unsere Klamotten bei Amazon und unsere Freunde bei Instagram besorgt haben, fühlen wir uns nun eingeschränkt, da wir nicht mehr ohne Weiteres in die Restaurants, Kaufhäuser und Clubs dürfen, in denen wir eh schon seit Jahren nicht mehr waren. Weil es uns zu umständlich war, es für unseren realen Anblick keinen schönenden Weichfilter gab oder wir eine Hose hätten tragen müssen. Es ist so, als würden Nichtraucher sich plötzlich beschweren, dass sie im Linienbus nicht mehr rauchen dürfen. Obwohl sie noch nie eine Zigarette im Mund hatten, geschweige denn jemals mit dem ÖPNV gefahren sind. Wir sind derzeit alle so schnell erregt. Leider eben nur nicht auf die gute Art und Weise…

Viele Menschen haben es derzeit wirklich nicht leicht. Krankenhaus- und Pflegepersonal zum Beispiel oder Pärchen, die zur gleichen Zeit im Home-Office arbeiten. Und Gymnasiallehrer, die alles besser wissen, aber nichts ändern können und damit wie Oppositionspolitiker sind. Mit dem Unterschied, dass sie Cordhosen und Outdoor-Jacken tragen statt Anzüge und Sakkos und nicht wie Motten das Scheinwerferlicht der Presse suchen. Und ja, es gibt auch Menschen, die mit der Pandemie gute Geschäfte machen. Das ist nicht anders als mit Kriegen und Drogen. Des einen Leid ist des anderen Freud. Und mit Berufen während Corona ist es eben wie mit Tinder: Es gibt Gewinner und Verlierer. Ob man den Richtigen erwischt hat, lässt sich erst sagen, wenn man sich nichts eingefangen hat…

Einst war ich der Meinung, dass entweder ein Meteorit oder vielleicht sogar Außerirdische, zumindest aber der altbewährte Kalte Krieg der Menschheit irgendwann zum Verhängnis würde. Mittlerweile ist absehbar, dass es wohl eher unsere eigene Dummheit sein wird, niedergeschrieben unter obskuren Synonymen in sozialen Netzwerken, die uns zu den Fossilien von morgen macht. Plankton aus längst vergangenen Zeiten schaffte es, nach ein paar hundert Millionen Jahren Erdöl zu werden und damit wertvoll für nachfolgende Lebewesen zu sein. Man darf gespannt sein, welchen Dienst wir einmal denjenigen erweisen können, die nach uns diesen Planeten bevölkern. Außer, dass sie dank uns an Stränden Smartphones finden werden wie wir heute Muscheln…

Als Alexander Flemming im Jahr 1928 unverhofft in Schimmel das Penicillin entdeckte, konnte er sich glücklich schätzen, dass es noch keine Telegram-Gruppen gab, die wetterten, dass das alles Volksverdummung und eine Weltverschwörung sei und vegane Detox-Ernährung viel besser gegen Infektionen wirken würde als zusammengemischter Laborkram in Spritzen. Flemming kam damals zugute, dass er sich nicht andauernd via Twitter und in Sonntagabend-Talkshows gegen vermeintliche Besserwisser rechtfertigen musste, die ihre Expertise damit begründen, dass ihnen auch schon einmal etwas verschimmelt sei. Er hatte vor allem aber das Glück, dass der Zweite Weltkrieg ausbrach, was sich im Nachhinein als ziemlich gute Feld(lazarett)studie erwies…

So wie wir uns heute fragen, ob das Huhn oder das Ei zuerst da waren, wird sich irgendwann irgendwer auf Erden einmal fragen, was im 21. Jahrhundert wohl zuerst war: Klimawandel, Pandemie oder Netflix und was davon letztendlich der Menschheit den Garaus gemacht hat, weil es das Leben für immer veränderte. Gut möglich, dass man sich dann auch auf den menschlichen Egoismus als Grund einigt, der die Entscheidungen bei allen dreien bestimmt. Egal ob es schlussendlich das Klima sein wird, das die letzte Balkonpflanze auf dem Gewissen hat, die Serienauswahl, die die letzte Beziehung auf dem Gewissen hat, oder die Pandemie, die einen selbst auf dem Gewissen hat. Trotz oder wegen der Impfungen oder der Tatsache, dass man fünfzig Kippen am Tag raucht…

Ist der Tag X einmal gekommen, wird Schrecken und Angst hereinbrechen und unvorstellbares Leid uns alle erfüllen. Das sagen zumindest namhafte Religionen und Verschwörungstheorien. Überall wird es lodern und brennen. Schreckliche Klänge werden uns durch Mark und Bein gehen und uns quälen, bis wir das Ende herbeisehnen. Damit dürfte das Ende der Welt nicht viel anders ablaufen als das Ende eines jeden Jahres, wenn man Weihnachten im Kreise der Familie verbringt. Mit dem Unterschied, dass das Höllenfeuer weniger heimelig sein dürfte als das Kaminfeuer und es dann, wenn wir alle in der Hölle in siedendem Fett garen, kein Problem mehr darstellen sollte, wenn einem beim Silvester-Fondue versehentlich etwas auf die Tischdecke tropft…

Insgeheim hoffen wir bei der Pandemie wie beim Klimawandel und bei Netflix auf ein unerwartetes Happyend. Dann wird es letztendlich doch vielleicht die bombige Idee von jemandem sein, auf einen roten Knopf zu drücken, die uns allen ein jähes Ende bereitet. Sicher ist nur, dass dann, wenn sich die Erde zu einem roten Riesen aufbläht und danach zu weißer Asche zerfällt wie damals Opa bei der Feuerbestattung, die Zeit vorüber ist, sich Gedanken über einen neuen Bausparvertrag zu machen. Stand heute bleibt nur noch wenig Zeit. Wir sollten uns daher mit den wirklich wichtigen Fragen beschäftigen. Und diese sind nicht, warum man bei TikTok keine Videos im Querformat machen kann, Zitroneneis nicht gelb ist und der Paketbote immer dann klingelt, wenn man unter der Dusche steht…

Ein zeitgenössischer deutscher Philosoph hat einmal gesagt: „Was machen wir jetzt? Hören wir auf? Gehen wir heim? Was ist los gerade?“. Entweder wir versuchen in diesen Zeiten, uns auf das zu besinnen, was dazu geführt hat, dass wir die Bäume verlassen und den aufrechten Gang erlernt haben und wir nutzen unseren angeblichen Verstand dazu, um ruhig und vernünftig zu agieren. Oder wir ziehen grölend in Fackelzügen durch die Städte und klettern danach auf allen Vieren zurück auf die Bäume. Sobald es unsere Lungenfunktion nach der Intensivstation wieder zulässt. Dort warten wir dann bis diejenigen, die als nächstes vom Baum herabsteigen, es besser machen als wir. Eichhörnchen sind sehr intelligent. Gehen wir heim? … gruenetomaten@live-magazin.de.

Patrik Wolf

P.S. Ob wir Menschen für die Lebewesen, die nach uns die Erde regieren, auch einmal so kultig sein werden wie Dinosaurier für uns?

Gesicht des Monats: Klaus Kosok

Der Aufreger der letzten Wochen war zweifelsohne die Baustelle an der A620 und dem Ostspangenkreisel, die seit September für jede Menge Behinderungen, Stau und Verkehrschaos in Saarbrücken sorgt. Unser Gesicht des Monats ist genauso ohne Zweifel jener Mann, der die damit verbundenen Pleiten, Pech und Pannen irgendwie erklären und schönreden musste: Klaus Kosok. Der arme Mann ist nämlich der Pressesprecher der Außenstelle Neunkirchen der Autobahn GmbH des Bundes, die seit Anfang 2021 für die 240 Kilometer Autobahn im Saarland verantwortlich ist. Getreu des guten, alten Mottos „zuerst hat man kein Glück und dann kommt auch noch Pech dazu“ musste unser Gesicht des Monats jetzt auch noch verkünden, dass uns die Baustelle noch bis Mitte Dezember erhalten bleiben wird, da es Probleme mit der Beschaffung der nötigen Schilder gibt. Nur warum nicht einfach eine in Sulzbach ansässige Firma gefragt wurde, die jene Schilder sofort hätte herstellen und liefern können, darüber hat er leider nichts verraten.

Clubzone Dezember 2021

Tja, Anfang November war die Welt noch in Ordnung und die wiedergewonnene Partyfreiheit eskalierte allerorten so richtig mit Anlauf. Aber schon nach zwei Wochenenden war klar, alles halb so wild! Die Tests waren wir alle wohl sowieso noch gewohnt, findige Veranstalter boten die Tests sogar an Ort und Stelle an und so konnte nach dem ersten Schrecken und einmal tief durchatmen die Feierei munter weiter gehen. Das hatte auch nix mit Verantwortungslosigkeit zu tun, denn die 2G+ Regel ist nachvollziehbar eine praktikable Lösung! Während also lediglich am ersten Geltungstag der neuen Maßgaben in manchen Locations ein kurzer Rückgang festzustellen war, ging es schon an den beiden letzten Novemberwochenenden wieder gewohnt steil zur Sache. Also auf geht’s ins Getümmel …

   Und was ist der perfekte Start einer langen Partynacht? Richtig, stilvoll mit ein paar Cocktails oder einem guten Glas Wein vorglühen. Das ging in den letzten Wochen wohl nirgend besser als in der ROSENBAR in der Dudweilerstraße. Die hat jetzt natürlich auch längst wieder richtig geöffnet und hat sich zur Idealen Startrampe für geselliges Eskalieren entwickelt. Das bleibt dann auch nicht immer ohne Folgen auf so manchen Musikunterhalter. Wie Mitte November durch die Gerüchteküche bekannt wurde, hat der einst vom FISH her bestens bekannte DJ MOH hier außerhalb der regulären Öffnungszeiten eine spektakuläre Trainingssession hingelegt, die nicht unbemerkt blieb, da er durch die Fenster auch von außen beobachtet werden konnte. Kurz und gut, der gute Mann gab alles und „spielte“ sich am Tresen so richtig in Ekstase. Und wenn ihm im ja leeren Laden die Visuals zu seinem Set fehlten, griff er tatsächlich auf die Nebelmaschuine zurück. Moment mal, eine Nebelmaschine in der ROSENBAR? Genau das war das eingentlich Besondere an seinem Einsatz, denn kurzerhand hatte er die Kaffeemaschine zweckentfremdet und mittels derer Dampfdüsen für Clubfeeling gesorgt! Sah von außen absolut hinreißend aus. Sobald wir das versprochene Bildmaterial bekommen haben, werden wir es nachreichen …

   Jede Menge so richtig echter Nebelmaschinen gab es natürlich auch wieder bei der Ü30 PARTY in der ALTE SCHMELZ in St. Ingbert. Bei ihrer Wiedereröffnung stellte die Kultpart mit Leichtigkeit unter Beweis, das sich auch unter 2G+ Bedingungen richtig steil gehen lässt. Ü30 Partys gibt es viele an der Saar. Kleine, große, gute und weniger gute! Die Ü30 PARTY in St. Ingbert setzt inzwischen wirklich neue Maßstäbe an denen sich die anderen messen lassen müssen. Nicht nur weil, sie wohl mittlerweile die größte außerhalb von Saarbrücken ist, sondern insbesondere, weil die Macher sich nicht auf ihren Lorbeeren ausgeruht haben. Das wurde nach dem Neustart im November mit gleich zwei Ausnahmefeiern unter Beweis gestellt, der WELCOME BACK Party und der TECHNO CLASSICS, und egal ob die Urgesteine Foggy und Higheffect am Start waren oder Gäste wie DJ Pi und DJ Senad. Auf dem zweiten Floor zeigten einstweilen DJ Günni und DJ McFly souverän mit aktuellen Charthits vom Allerfeinsten bis hin zu Klassikern was eine Harke ist. Ohne jede Frage ist und bleibt diese Ü30 PARTY eine echte Bereicherung für den saarländischen Partykalender und wir können uns wohl alle schon darauf freuen, was uns bei künftigen Ausgaben erwartet. Aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen waren aber bereits Gerüchte zu vernehmen, dass schon mit Hochdruck für Dezember an der NIGHT OF THE DJS gearbeitet wird. Na ja, wir werden ja sehen.

   Noch länger ist die Geschichte der KUFA als Partylocation – und die feiert jetzt ihr massives Comeback! Den Startschuss gab die HALLOWEEN Party in den legendären Räumen an der Dudweiler Landstraße und die war gleich ein echter Hammer. Pickepackevoll und fast alle Gäste sind im Kostüm steil gegangen. Dafür sorgte schon am Eingang die achtköpfige Crew vom Little Horror Club, die in ihren grandiosen Zombie-Outfits manche Gäste so gekonnt erschreckten, dass hier und da die Tränen flossen. Zu Glück das ganze nur ein Riesenspass! Musikalisch gab DJ Higheffect gewohnt souverän den Ton an, wobei ein anderer DJ im fast die Show stahl. Den der TikTok Star D. Cline, noch besser bekannt als der „DJ im Badementel“ servierte satte Electrobeats, dass es nur so eine Pracht war. Superstarke Wiederauferstehung eines der besten Feierorte im Saarland. Bitte mehr davon!

   Und wenn wir schon bei Traditionslocations darf natürlich nicht das EGO fehlen. Der Laden in der geschichtsträchtigte Location hat sich innerhalb kürzester Zeit und quasi aus dem Nichts zum absoluten Hotspot von Saarbrücken gemausert. Nach der Pandemiepause wagte das EGO als erste Laden in Saarbrücken den Neustart – und der ging richtig nach vorne! Keine geringere als SIDO, SAMRA und APACHE 207 feierten mit dort und wie… Das ging mal richtig durch die Decke. Kein Wunder, dass die Schlangen vorm Eingang bis (fast) zum Bahnhof reichten. Ob das überhaupt noch zu toppen ist, wird sich erst nach unserem Redaktionsschluss zeigen, wenn die große Geburtstagssause zum kleinen EGO JUBILÄUM steigt, bei der mit Sicherheit wieder ein paar prominente Gesichter aus der RAP Szene zu Gast sein werden…

   Mindestens genauso gut war vom Re-Start weg die Stimmung bei der AFTER WORK PARTY im  APARTMENT. Statt Tequila für alle gab’s beste Beats von DJ Kasimir und Hausherr DJ Thomas. Jeden Donnerstag wurden auf dem auf dem Mainfloor und in der Lounge die schönen Seiten des Feierabends zelebriert und mit einer Mischung aus allerlei Tanzbarem für die richtige Stimmung gesorgt. Damit hat das APARTMENT auch donnerstags nahtlos an vorpandemische Zeiten anschließen können. Kein Wunder also, dass zu vorgerückter Stunde Ende des Monats, selbst wenn parallel am Markt das unsägliche Primeurfest begangen wurde, im ersten Stock zwischen Bahnhofstraße und Rabbi-Rülf-Platz, an einer neuen Donnerstags-Legende gestrickt wird, aber das dürfte zumindest Kasimir ja sehr bekannt vorkommen.

   Schon im zweiten Monat in Folge hat das  THE LOFT am Fuße des Eschbergs mit der SOULNIGHT von Elmar Federkeil begeistern könnnen. Dieses Mal wurde die Stammcombo durch die Schwestern Donielle und Noreda Graves ergänzt, die den Laden voll im Griff hatten. Ganz so einfach war das nicht, da es just der Samstag war als die 2G+ Regelung erstmals befolgt werden mussten und ein paar Stammgäste wohl noch mit den neuen Maßnahmen fremdelten. Die SOULNIGHT, immerhin die einzige monatliche Livemusik Show im Saarland, zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass hier mitnichten Konservenmusik zu Gehör gebracht wird, sondern eben eine hochkarätig besetzte Band live für den handgemachten Sound verantwortlich ist. Diese Band aus exzellenten Musikern, immer wieder verstärkt von tollen Gastkünstlern, ist für den Kultstatus der SOULNIGHT verantwortlich. Bandleader Elmar Federkeil verfügt immerhin über allerbeste Beziehungen zu internationalen Sängern und Sängerinnen So blieben auch dieses Mal bei dieser Ausnahmefeierlichkeit wirklich keine Wünsche offen und das THE LOFT bestätigte wieder mal seinen Ruf als exzellente Live-Music Location.

   Zum Zeitpunkt, als diese Zeilen entstehen, kann keiner mit Sicherheit sagen, unter welchen Bedingungen wir die letzten Wochen des Jahres feiern können. Dabei wartet mit Silvester die zweitgrößte Party des Jahres darauf, amtlich gefeiert zu werden. Und bevor jetzt jemand fragt, was denn dann die größte Party des Jahres sein soll, verweisen wir nur auf das alljährliche GLORIA PALAST Geburtstagsrevival zu Weihnachten – und lassen weitere Erklärungen und Augenzeugenberichte nächsten Monat, äh .. nächstes Jahr folgen!

Frohes Neues und take care!

Der krönende Abschluss

Hallo Mikrokosmonauten: Wir brauchen mehr Goldmomente!

Es war definitiv zu viel Jahr für so wenig Monate! Dabei dachte ich immer, dass das Fahrwasser des Lebens mit der Zeit ruhiger wird. Wird es bestimmt auch. Bei anderen. Bei mir bleibt die See rau und unbeständig. Und da ich sämtliche Metaphern mit Meer, Matrosen und Schiffen liebe, setze ich noch eins drauf: Ich bekam auch 2021 hier und da ordentlich eins gegen den Bug. Aber wisst ihr, was erstaunlich ist?

Ich sinke nie!

Meine Mutter sagt ja immer, dass ich das Talent besitze, mich ständig – meist selbstverschuldet – in einen Abgrund zu stürzen. Aber am Ende würde ich mich immer wieder heraus kämpfen, auch wenn ich zuweilen verbrannte Erde hinterlasse. Oder in „Seemansgarnisch“ übersetzt: „Auch Seeleute fallen mal ins Wasser!“. Und sowieso verliert auch mal das beste Schiff den Anker. Aber besser den Anker, als das ganze Schiff!

Dieses Jahr war geprägt von bahnbrechenden Ideen, wirren Slalom-Kursen, aber auch von wunderschönen Erlebnissen, einigen Lachern und starken Momenten. Und trotzdem frage ich mich auch dieses Jahr, warum denn immer irgendwas sein muss? Hier ein bisschen zu viel Drama, da ein bisschen zu viel Knatsch und gelegentlich verbrennt man sich die Zunge. Ich meine, wir hatten und haben noch immer Corona. Einige Zeit konnten wir ja noch nicht mal irgendwo hin, wo potenzielle Gefahren lauern könnten. Trotzdem begab ich mich in mehrere. Aber:

Ich habe 2021 überlebt!

Zwar geht ein weiteres Jahr zu Ende, in dem ich keine Millionärin geworden bin und noch immer „ledig“ in diversen Formularen ankreuzen muss, jedoch konnte ich mal wieder feststellen, dass das Schicksal es immer gut mit mir meint. Rückblickend glaube ich sogar, dass das Drehbuch, welches für mich geschrieben wurde, eine abenteuerliche Reise für mich vorgesehen hat, die Super Mario World ähnelt. Wann immer ich irgendwo runter falle, startet das Spiel einfach neu. Wie dem auch sei habe ich in diesem Jahr wieder gemerkt, dass es bestimmte Menschen gibt, die an deiner Seite gehen müssen, sonst hat man einfach verloren. Abgesehen von der Familie sind das ein guter Partner, der mit deinen Plänen & Entscheidungen zwar nicht immer konform gehen muss, aber loyal zu dir steht. Dann natürlich ein, zwei Freunde, die im Optimalfall gleichzeitig auch noch Arbeitskollegen sind und mindestens einen Arzt, einen Anwalt und einen guten Psychotherapeuten.

Ein Skipper säuft nie ohne Grund

Aber selbst wenn genau diese Menschen in deinem Leben sind, fühlt man sich als Kapitän eines imaginären Kahns regelmäßig dazu berufen, zu Getränken zu greifen, die den Geist beflügeln. Und wenngleich ich es in all den Jahren zuvor hasste, wenn Glühwein an der Weihnachtsstiefel-Tasse abperlt und wie eine Art Haftkleber die Finger an ebendiesem Gefäß festkittet, so kann ich es dieses Jahr kaum erwarten, endlich wieder einen Weihnachtsmarkt zu besuchen und vom köstlichen Klebewein zu kosten! Ja, ich mag sogar andere Menschen treffen. Für einen Misanthrop wie mich grenzt diese Haltung an ein Wunder! Ohnehin war ich 2021 wieder viel gesellschaftlicher als in den Jahren zuvor. Ich wollte ständig unterwegs sein, reisen, erleben, kommunizieren und mit anderen Menschen Pläne schmieden. Ein paar davon waren sogar richtig gut, obwohl der angedachte Oberkörperfrei-Jahreskalender, in dem diverse Kollegen Model stehen jetzt doch nur ein normaler Kalender geworden ist, in dem ebendiese in witzigen Posen abgelichtet wurden. Ich konnte einfach zu wenige Kollegen für Pin-up begeistern. Der umgekehrte Fall kam da schon besser an, aber dafür gibt es bekanntlich ja Jungbäuerinnen-Kalender oder den Playboy.

Wie jedes Jahr stimmt mich ein Jahresende aber immer wieder nachdenklich und ich frage mich: Was bleibt am Ende außer ein bisschen Glitzer, das von den Zweigen des Weihnachtsbaumes hinab rieselt, während man darunter erleichtert zusammen bricht, weil die Feiertage endlich vorbei sind?

Die Antwort ist klar: Es bleibt so einiges und wiederum wird großartiges passieren! Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber ob es jetzt die Vorweihnachtszeit, die Feiertage oder Silvester ist: Keine Zeit lässt mich mehr über Vergangenes nachdenken. Vor allem denke ich an vergangene Weihnachtsfeste, an Silvesterpartys und stelle immer wieder fest, dass einige grandios waren. Und eines haben die Jahreswechsel ohnehin immer gemeinsam: Sie waren und sind immer etwas Besonderes. Erfüllt von Hoffnung auf einen neuen Start, ein erneutes Beginnen unter einem anderen Stern und die Erwartung Großartiges zu erleben.

Lass es einfach zu!

Und damit meine ich nicht die letzte Packung Lebkuchen, die man sich gegen Ende des Jahres noch auf die Hüften futtern möchte. Nein, vielmehr geht es um diese unglaublich lang gehegten Pläne, die uns rund um den Jahreswechsel beschäftigen. Ach, was habe ich schon für unglaublich präzise Pläne geschmiedet, Details und Eckpfeiler festgelegt und dann kam es doch ganz anders. Und ich? Ich kam irgendwie dennoch an. Ernsthaft, je älter ich werde und je lockerer ich mit mir und meinen Lebenszielen umgehe, umso entspannter kann ich auf meine vergangene, oft ausgesprochen unruhig verlaufende Glückskurve zurückblicken und finde dort tatsächlich auch phänomenale Highlights. Daher ist nun mein Blick für Herz- und Goldmomente geschulter und ich erkenne sie auch zweifelsfrei im Hier und Jetzt.

Und ist der See zu Ende, dann fahren wir ne‘ Wende

Es ist doch so: Mein Ziel ist das Finden! Jeder Leichtmatrose würde das Gleiche sagen. Gefunden habe ich bis jetzt zwar nur mein grandioses Silvester-Outfit, aber immerhin ein guter Anfang! Ein guter Anfang ist auch, dass wir 2021 bestanden haben. Nicht überstanden, sondern bestanden. Herzlichen Glückwunsch! Nun liegt es daran, dem kommenden Jahr freudig und voller Spannung entgegenzublicken. Und immer daran denken: Es wird so schön, spannend, explosiv, abenteuerlich und toll werden, wie wir es zulassen!  

In diesem Sinne Merry Christmas, Cheers, Ahoi, Leinen los und Happy new year, yeah!

Oh Du Fröhliche

Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende heißt es immer. Dass beides sich nicht ausschließen muss, zeigt das zweite Pandemiejahr, das sich langsam seinem Ende neigt und in dem die meisten von uns nun völlig ihr Zeitgefühl verloren haben. War Montag sonst immer der Tag, an dem man sich nach einem erlebnisreichen Wochenende eine Dusche und frische Klamotten gönnte, mangelt es nach anderthalb Jahren weitgehendem Home-Office völlig am Gefühl, wann es wieder Zeit für Körperhygiene und neue Unterwäsche ist. Hätte man sich früher dafür geschämt, den ganzen Tag im Schlafanzug zuhause zu sitzen, erscheint es einem mittlerweile absolut normal, selbigen nicht einmal mehr zum Einkaufen auszuziehen. Mit Mund-Nasen-Schutz erkennt einen ja eh niemand…

Als wäre Corona alleine nicht schon genug, um einem die Laune zu vermiesen, fiel in diesem Jahr auch noch der Sommer ins Wasser. Was bedeutete, dass nicht einmal mehr die Zeit im Home-Office auf dem heimischen Balkon Spaß machte. Statt Sonne wie auf Mallorca gab es Regen wie auf Island und ein Wetter, das einem nicht nur das Autodach, sondern vor allem auch die Laune verhagelte. Der verregnete Herbst begann gefühlt direkt nach dem verregneten Winter, in den er auch jetzt wieder übergegangen ist. Das hat jedem von uns ein weiteres Jahr Zeit verschafft, sich der Illusion hinzugeben, dass man die Corona-Kilos bis zum nächsten Sommer wieder von den Hüften bekommt. Leidtragende des zweiten Pandemiejahrs waren vor allem die Kinder und die eigenen Leberwerte…

Irgendwie hatte man bis vor Kurzem noch die kindlich-naive Hoffnung, dass das mit dem Virus bald ein Ende hat und der Sommer 2021 doch noch kommen wird. Plötzlich ist es Dezember und die Inzidenzen steigen schneller als der Pegel der Ahr im letzten Juli; mit ähnlich verheerenden Auswirkungen. Meine Eltern meinten immer, es sei normal, dass Zeit mit zunehmendem Alter schneller vergeht. Das habe Vorteile, da so der im Alter Ü60 nur noch quartalsmäßige Beischlaf als genauso häufig empfunden würde wie früher der tägliche Sex Ü20, man jedoch weniger oft die Bettlaken wechseln müsse. Wegen des veränderten Zeitempfindens gälte bei älteren Menschen daher jeder Sex noch als Quickie, der kürzer dauert als zwei Folgen „Richterin Barbara Salesch“…

Pandemie, Klimawandel und das Fernseh-Comeback von „Wetten-Dass“ und „TV-Total“ im selben Jahr, das hätte man früher sogar für einen Weltuntergangs-Blockbuster aus Hollywood für zu viel erachtet. Im Gegensatz zum Ende der Pandemie braucht man jedoch zumindest was das Ende des Jahres angeht, keine bösen Überraschungen zu erwarten. Auch mit 2021 wird am 31.12. Schluss sein. Es ist ja nicht so, dass der Kalender dieses Jahr einen Monat mehr oder weniger hätte oder ein Jahreswechsel nach dem Dezember außergewöhnlich wäre. Dennoch blicken die meisten von uns in diesen Wochen immer wieder ungläubig auf den Kalender, um die Tage zu zählen, die noch bleiben, bis alles von vorne beginnt, von dem man gerade froh war, es hinter sich zu haben…

Wieder am Anfang des Teufelskreises. Steuererklärung, Zahnarzttermin, Familienbesuche, alles was man gerade abgearbeitet hatte, steht plötzlich wieder an. Eben noch ein voller Kalender mit Erledigtem, plötzlich wieder ein leerer Kalender mit zu Erledigendem. Wenigstens als Ausrede fürs Aufschieben ist so eine Pandemie gut. Sie macht einen jedoch reizbarer und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass man beim nächsten Suchen von Quittungen für die Steuer, bei der nächsten Zahnarztspritze, die nur etwas pieksen soll, und bei der nächsten Frage von Tante Elfriede, ob man nicht doch noch ein Stück Torte möchte, mit Bürotacker, Speichelsauger oder Kuchenschaufel bewaffnet einen Amoklauf abliefert, der es noch vor Corona in die 20 Uhr-Nachrichten schafft….

Ob das neue Jahr besser wird als das alte? Spoiler-Alarm! Nein. Bestenfalls aber anders. Meinem Gefühl nach war es erst kürzlich, dass ich mich wunderte, dass das Jahr schon wieder halb vorüber ist und es die ersten Lebkuchen gibt. Dabei war das vor einem halben Jahr. Nun werden bereits Silvesterfeuerwerk und erste Faschingskostüme angekündigt. Da ist es nicht mehr weit bis Ostern, Halloween und Weihnachten 2022. Ob bis dahin dann alles wieder „normal“ sein wird? Essen wir sicherheitshalber mal alle unsere Teller leer. Die Zeit rast so, dass ich den Sonnenschirm auf dem Balkon im Winter schon gar nicht mehr einklappe und den Weihnachtsbaum das ganze Jahr in der Wohnung stehen lasse, was dank Plastiktanne deutlich einfacher ist als früher mit echtem Baum…

Die Zeit vergeht Jahr um Jahr schneller als zuvor und vor allem schneller als man Sachen in den Keller räumen und von dort wieder heraufholen kann. Zumal man nicht mehr weiß, ob man Dank des Klimawandels Badesachen nun im Juli oder im Dezember braucht oder Dank Corona das ganze Jahr im Schrank lassen kann. Kaum hat man unten seine Winterschuhe zugebunden, muss man oben schon wieder einen Sonnenhut aufsetzen. Da ist es doch nicht verwunderlich, wenn man irgendwann in kurzer Hose und Flipflops vor der Tür im Schnee steht, nur weil man noch schnell seine Mund-Nasen-Maske gesucht hat. Einzig die Zeit, die man braucht, um in einem Baumarkt einen Mitarbeiter aus der richtigen Abteilung zu finden, scheint sich zu weigern, im Zeitraffer ablaufen zu wollen…

Irgendwie will ich mich nicht damit abfinden, dass ein Jahr im Kalender mittlerweile schneller vergeht als früher eine Woche in den Ferien. Und vor allem, dass dieses Jahr wie das vorangegangene Jahr wenig Schönes zu bieten hatte, sieht man einmal vom niedrigeren Wasser- und Wäscheverbrauch aus den genannten Gründen ab. Es bleiben keine vier Wochen mehr, die guten Vorsätze für das laufende Jahr, die man die letzten elf Monate erfolgreich vor sich hergeschoben hat, umzusetzen. Denn dann muss man sich bereits wieder neue vornehmen. Für gewöhnlich breche ich den ersten Vorsatz schon am Neujahrsmorgen nach zu viel Sekt in einen Vorgarten. Ich hoffe inständig, dass das dann nicht das einzige Erlebnis in 2022 sein wird, auf das ich dann später zurückblicke…

Bald ist also wieder Silvester. Es wird geknallt, danach gibt es Feuerwerk und die Uhr steht wieder auf Null. Gerade 365 Tage hinter uns, nun wieder 365 Tage vor uns. Man ist dort, wo man genau ein Jahr zuvor schon war. Nur eben schwerer auf der Waage, leichter auf der Bank und deutlich desillusionierter, was die Hoffnung angeht, dass das Abklingen der Pandemie schnell und der Verfall des eigenen Körpers langsam vorangeht. Schon jetzt trifft einen nicht selten der Schlag, wenn Menschen, die man seit gut anderthalb Jahren entweder nicht oder nur mit Maske gesehen hat, einem plötzlich mit nacktem Gesicht gegenüberstehen. Wie schnell aus einst süßen Fältchen bittere Runsen werden, wenn einem 18 Monate lang ständig der eigene Atem ins Gesicht weht…

Doch jetzt kommt erst einmal noch die Weihnachtszeit. Eine Gottesgeißel, die uns seit zweitausend Jahren heimsucht. War es als Kind die ungeduldige Erwartung, dass am Heiligabend das Glöckchen klingelt und das Christkind kommt, ist es als Erwachsener nun die ungeduldige Erwartung am Heiligmorgen, dass die Türglocke klingelt und es der Paketfahrer ist. Der Rentierschlitten vom Nordpol ist zum Kleinbus von DHL geworden. Als wäre Corona schon nicht schlimm genug. Oh Du Fröhliche… gruenetomaten@live-magazin.de.

Patrik Wolf

P. S. Meine Stimmung an Weihnachten ist wie eine Waschmaschine. Beide sind meist im Keller.

Ministerpräsident mit Mission

Covid scheint alle anderen wichtigen Themen in den Hintergrund zu drängen. Dabei gibt es auch abseits der Pandemie Problemstellungen, die nicht aus den Augen verloren werden dürfen. Diesen Monat trifft unser Autor Marc Kirch den saarländischen Ministerpräsidenten Tobias Hans in der Staatskanzlei des Saarlandes. Im Perspektivwechsel Gespräch tauschen sich beide über das Thema Vielfalt, Gleichberechtigung und aktuelle Entwicklungen aus.

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L!VE: Der Landesaktionsplan „Vielfalt sexueller und geschlechtlicher Identität akzeptieren – gegen Homo- und Transfeindlichkeit“ definiert Handlungsziele und Maßnahmenplanungen unter Federführung des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Familie. Frau Ministerin Bachmann hat eine interministerielle Arbeitsgruppe zum Statusabgleich und zur Umsetzung der definierten Maßnahmen angekündigt. Gibt es die Arbeitsgruppe schon oder wie ist der aktuelle Status? 

Tobias Hans: Gerade die an der Arbeitsgruppe beteiligten Ministerien sind auch die durch die Pandemie am stärksten belasteten. Daher ist es den Corona-Umständen geschuldet, dass dies noch nicht stattgefunden hat. Wir gehen allerdings davon aus, dass das noch in diesem Jahr erfolgen wird. Dazu wurden die im Landesaktionsplan behandelten Felder bereits ergänzt um die Themen Pflege und Sport. Hierzu hat der LSVD (Lesben- und Schwulenverband) bereits ergänzend zugeliefert und Vorstellungen eingebracht. Die Verzögerungen sind natürlich bedauerlich, aber angesichts der Umstände auch nachvollziehbar. Wichtig und positiv ist aber, dass durch die zwischenzeitlichen Ergänzungen, der Landesaktionsplan auch noch ein bisschen besser wird. Ich bin hier sehr zuversichtlich, dass diese interministerielle Arbeitsgruppe noch in diesem Jahr zusammenfinden kann. Das hat mir Frau Ministerin Bachmann auch zugesagt. 

L!VE: In unserem letzten Interview sagten Sie „Vielfalt wertschätzen und sie als Bereicherung des Lebens sehen – das ist das übergeordnete Ziel des Landesaktionsplans und auch der Arbeitsgruppe. Ist das auch Teil Ihrer neuen Initiative „Mission Saarland“? Was hat es damit konkret auf sich? 

T.H.: Die Mission Saarland ist eine Initiative die ich nicht als Ministerpräsident gestartet habe, sondern als Tobias Hans. Hierbei werde ich auch unterstützt von vielen Mitstreitern aus meiner Partei der CDU. Und ja, „Vielfalt wertschätzen“ spielt auch dabei eine Rolle, weil ich auch konkret wissen will, wo den Saarländerinnen und Saarländern wirklich der „Schuh drückt“. Dabei sammele ich auch Ideen, wie sich unser Land weiterentwickeln kann. Die Botschaft ist, jede Meinung und jede Idee werden gehört. Ich werde diese in meinem Team zusammen auch alle auswerten und schauen, wie wir das in konkrete Politik münzen können. Denn mein Ziel ist es, das Saarland voranzubringen und daran will ich die Bürgerinnen und Bürger beteiligen. Die ersten Rückmeldungen zeigen mir, dass das Thema Vielfalt hier eine große Rolle spielt. Da bin ich wirklich froh und lade alle ein mitzumachen bei der Mission Saarland.

Vielfalt fördern

L!VE: Im Kontext „Vielfalt fördern“: Sind Sie auch persönlich Befürworter der „Ehe für alle“? 

T.H.: Ja, absolut! Ich finde das gut, dass es die Ehe für alle gibt. Denn mir ist es auch wichtig in meiner Politik nicht auszugrenzen, sondern ganz im Gegenteil. Wenn zwei Menschen Verantwortung füreinander übernehmen, etwa für ein Kind, das da ist in der Lebenssituationen Alleinerziehender, in eingetragenen Lebenspartnerschaften, in Patchwork-Familien oder eben auch in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften und Ehen. All das sind solche Wertegemeinschaften in denen Verantwortung füreinander übernommen wird. Deshalb unterstütze ich das von ganzem Herzen. 

L!VE: Ein durchaus heikles Thema ist in diesem Zusammenhang die Erweiterung zu Artikel 3 des Grundgesetzes um die „sexuelle und geschlechtliche Identität“. Bei der letzten Abstimmung im Bundesrat diesen Gesetzesentwurf in den Bundestag einzubringen, enthielt sich das Saarland. Das obwohl der saarländische Landtag zuvor einstimmig, also ohne Gegenstimme, beschloss, sich für eine Erweiterung des Artikel 3 um den Begriff „sexuelle Identität“ einzusetzen. Das hat viele Irritationen ausgelöst, insbesondere der LSVD zeigte sich hier enttäuscht und schockiert. Wie stehen Sie persönlich dazu? Sind Sie Befürworter die „sexuelle und geschlechtliche Identität“ durch die Erweiterung unter den Schutz des Grundgesetzes zu stellen? 

T.H.: Wir haben das ja nicht ohne Grund in die saarländische Landesverfassung aufgenommen, weil wir der Meinung waren, dass das ein wichtiges Signal und Botschaft ist. Gleichzeitig muss man natürlich mit Verfassungsänderungen – mit der Änderung des Grundgesetzes auf bundespolitischer Ebene – auch sehr vorsichtig umgehen. Das bedarf einer breit angelegten Diskussion. Uns war es ja im Saarland tatsächlich gelungen, das so breit aufzustellen, dass der gesamte saarländische Landtag das unterstützen konnte. Das ist mir auch weiterhin wichtig. Wir brauchen hier einen Prozess, eine Diskussion, die am Ende dahinführt, dass eine Verfassungsänderung auch in aller Breite mitgetragen wird. Das war bei der von Ihnen angesprochenen Initiative so nicht der Fall. Da gab es in Einzelpunkten noch Diskussionsbedarf und manchmal sind solche Bundesratsinitiativen dann auch Schnellschüsse. Ich glaube das ist ein so wichtiges Thema und eine Veränderung der Verfassung eine breiter angelegte Diskussion braucht. Da wird sich das Saarland auch nicht verschließen, denn – wie Sie eben zu Recht gesagt haben – wir haben bereits vorgelegt und wenn das in diese Richtung debattiert wird, sind wir da sicher auch dabei.  

L!VE: Sie haben erklärt: „Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der kein Mensch aufgrund der sexuellen Identität benachteiligt oder gar ausgegrenzt wird.“ Am 27. März sind Landtagswahlen im Saarland mit Ihnen als Spitzenkandidat der CDU. Wie würden Sie persönlich in einer weiteren Legislaturperiode als Ministerpräsident diesen Wunsch fördern? 

T.H.: Erstmal ist es mir wichtig, die Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen. Wenn ich nach deren Entscheid die Landesregierung nochmal anführen darf, dann werde ich auch einen breit angelegten Dialogprozess starten, weil Bürgerbeteiligung nicht nur vor Wahlen wichtig ist, sondern auch danach. Wir werden dann auch dafür sorgen, dass der Zusammenhalt im Saarland erhalten werden kann. Dieser Zusammenhalt kann nur erhalten bleiben, wenn wir darauf Wert legen, dass Vielfalt und Gleichberechtigung gegeben werden. Das ist mir ein wichtiges Anliegen hier alle mitzunehmen, um auch in Zukunft unseren Zusammenhalt in Vielfalt zu erhalten.  

Mission Saarland

L!VE: Leider ist es immer noch nicht so, dass man im Arbeitsumfeld uni sono selbstverständlich zu seiner Homosexualität steht. Im Spitzensport ist das sogar in manchen Sportarten gar nicht der Fall. Im deutschen Profifußball beispielsweise gibt es bei den Männern innerhalb der ersten drei Ligen bis heute keinen aktiven Fußballspieler, der homosexuell ist. Rein statistisch ist es ausgeschlossen, dass es keinen homosexuellen Spitzenfußballer in den Bundesligen gibt. Jüngst hat sich der Australier Josh Cavallo weltweit als erster aktiver Erstligaprofi öffentlich als homosexuell „geoutet“. Wenn Josh Cavallo nun in den australischen WM-Kader berufen wird, reist er zur Weltmeisterschaft nach Katar, wo Homosexualität strafrechtlich verfolgt und mit bis zu 5 Jahren Haft sowie Peitschenschlägen geahndet wird. Welche Gedanken gehen Ihnen angesichts all dieser Fakten durch den Kopf? 

T.H.: Also, ich habe das „Coming-out“-Video von Josh Cavallo selbst gesehen und ich muss sagen, ich ziehe meinen Hut vor ihm – davor, dass er bereit war ein solches Zeichen zu setzen. Denn wie Sie sagen, kann es ja in den weltweiten Spitzenligen dieser Sportart nicht nur einen aktiven Profi geben, der homosexuell ist. Deswegen hatte ich da auch sehr gemischte Gefühle. Wie gehen wir damit um, dass es in unserer westlichen Welt eine Heldentat ist, wenn man sich als schwuler Mann outet und gleichzeitig Sorge haben muss, dass wenn man im Ausland unterwegs ist – egal ob das Katar ist oder ob das beispielsweise Polen ist, wo es auch LGBTQ-freie Zonen gibt – Opfer von Repressionen wird. Das ist etwas, das uns alle umtreiben muss. Durch den genauen Blick, den die Weltöffentlichkeit nun angesichts der stattfindenden Weltmeisterschaft auf ein Land wie Katar hat, erhoffe ich mir etwas. Nämlich, dass dadurch erstmal verhindert wird, dass Josh Cavallo oder anderen Strafen zuteilwerden, ohne dass sie Unrecht getan haben. Darüber hinaus, dass ein eindeutiges Signal an diese Staaten gesendet wird: „was ihr hier tut, ist nicht rechtens! Was ihr hier macht, ist nicht gut! Was ihr hier macht,  grenzt aus! Und die Gemeinschaft der freien Staaten und die Bürgerinnen und Bürger dieser Länder wollen das nicht!“ Ich glaube, dass so etwas ein Stück weit helfen kann. Und wir müssen als Politik, wenn wir Freiheit und Menschenrechte verteidigen wollen, auch immer nochmal anprangern, wo diese missachtet werden. Das bedeutet nicht, dass wir Polen stigmatisieren, aufgrund deren Erlasse im Land. Im Gegenteil, wir müssen wir die Freundschaft aufrechterhalten. Das ist ganz wichtig! Wir müssen den Staatsführungen dieser Länder ein deutliches Signal senden, dass das gegen unseren Wertekanon verstößt und wer sich so verhält, auch keine Freibriefe bei allen anderen Dingen hat. Da müssen wir ein starkes Signal senden. 

L!VE: Haben Sie auch eine Empfehlung an die Bürgerinnen und Bürger – auch zum Beispiel im Rahmen Ihrer Initiative „Mission Saarland“ – wie sie persönlich in ihrem Arbeitsumfeld, sportlichen bzw. Vereins-Umfeld mit diesen Themen umgehen sollten, um die gelebte Selbstverständlichkeit und Akzeptanz von Vielfalt pro aktiv zu fördern? 

T.H.: Ich glaube es fängt schon beim Umgang miteinander an. Dass wir zum Beispiel darauf achten, wie wir miteinander reden oder auch wie wir in kleinen Grüppchen miteinander sprechen. Dass wir dabei nicht stigmatisieren und dass es ein „no go“ ist, wenn man Witze macht über Homosexualität, wenn man abschätzig ist und wenn man „schwul“ als Schimpfwort verwendet, was leider immer noch auf Schulhöfen und manchen Sportplätzen der Fall ist. Das geht gar nicht! Macht das nicht! Und das muss man allen Bürgerinnen und Bürgern sagen und bewusst machen, dass sie damit gesellschaftlich einen Rahmen der Enge setzen. Dann werden dem Vorbild von Josh Cavallo keine weiteren folgen, auch nicht im kleinen Dorfverein und selbstverständlich sagen „Hey Leute, ich liebe als Mann einen Mann“ oder im Frauenfußball „ich liebe eine Frau“. In allen Gesellschaftsbereichen gibt es unterschiedliche Lebens- und Liebensweisen und da müssen wir alle gemeinsam einen Geist der Offenheit zeigen. Und wo, wenn nicht im Saarland? Denn ich glaube genau das ist im Saarland auch besonders ausgeprägt: dass wir tolerant sind, dass wir offenherzig sind und dass wir alle mitnehmen können. Und das ist meine Hoffnung, dass das auch deutlich wird. Aus den Zuschriften, die ich bisher bereits aus der Mission Saarland erhalten habe, merke ich auch, dass das für Viele auch ein Thema ist. Die Saarländerinnen und Saarländer wollen dieses offene kleine Völkchen sein in Deutschland. Vielleicht gelingt es uns ja, mit dieser Einstellung erneut das Credo zu beweisen: „Großes entsteht im Kleinen“! 

Der Macher: Boris Röder, das Saarland und die Bundesliga

Zum Glück gibt es Menschen, von deren Engagement und Einsatz in Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport wir alle profitieren. Jenen Glücksfällen fürs Gemeinwohl ist diese Rubrik gewidmet, die künftig solche Personen würdigen wird und vielleicht auch ein Stück weit zur Nachahmung anregen will. Den Anfang macht Boris Röder, unter anderem Präsident der Saarland Hurricanes und darüber hinaus einer derjenigen, die den Sport in unserer Region prägen und voranbringen.

Eigentlich wollte der gebürtige Freiburger Boris Röder nur zum Feiern mit Freunden zu einem der legendären Raves in der Frankfurter Music-Hall. Ein anschließender Zwischenstopp bei der nicht minder kultigen Space-Party unweit des heutigen Osthafens, führte ihn erstmals nach Saarbrücken. Das ist jetzt fast 29 Jahre her und aus dem Raver wurde längst eine der interessantesten Persönlichkeiten, nicht nur in der saarländischen Geschäftswelt. Nach Studium von Sport und BWL stellte Röder sein Talent als Diplom-Betriebswirt in die Dienste von Ursapharm Arzneimittel, wo er mittlerweile die Position des Leiters der Unternehmenskommunikation einnimmt. Doch neben dieser Funktion in einem der wichtigsten saarländischen Unternehmen, galt sein Engagement schon immer der Welt des Sports. Seine eigene aktive Zeit als Fußballer liegt zwar etwas länger zurück, aber als Funktionär hat er gleich in mehreren Sportarten, von Triathlon und Badminton über Handball bis Darts seine Spuren hinterlassen. Er trat als Pressesprecher der SV Elversberg in Erscheinung, war Vorstand Marketing im Rennclub und ist seit August 2020 Präsident der Saarland Hurricanes. Dabei ging und geht es ihm immer um wesentlich mehr, als nur darum Sponsorengelder zu verteilen. Jedes Mal bringt er auch sich und seine Expertise mit ein. Beleg für dieses Engagement waren auch die Bestrebungen, ihn in einer schwierigen Phase des Landessportverbands Saar für dessen Spitze zu gewinnen. Aber auch da sprach er eine klare Sprache.

L!VE: Die Tatsache, dass das Unternehmen, aus dem Du kommst, nicht in irgendwelche Raster oder politische Zwänge eingebunden ist, ist sicher Voraussetzung für Deinen Einsatz?

Boris Röder: Wichtig ist, unabhängig zu denken und entscheiden zu können. Wenn es eine klitzekleine Kritik am Saarland gibt, dann dass hier viele Entscheidungen nicht aus Qualitätsgründen getroffen werden, sondern eher darin begründet liegen, wessen Steigbügel zu halten ist. Das betrachte ich auch durchaus als Herausforderung, dementsprechend zu handeln. Ich habe eine Meinung und ich sage meine Meinung. Dass ich als möglicher LSVS-Präsident ins Spiel gebracht worden bin, hat mich zwar sehr geehrt, aber das wäre absurd für mich gewesen. Der Sportverband ist eine Institution, die enormen Zwängen aus vielen Richtungen unterliegt. Das wäre dann so ziemlich das Gegenteil davon gewesen, kleine unabhängige Projekte zu entwickeln, was mir eigentlich am meisten Spaß macht. Ich bin in der glücklichen Lage, in einem Unternehmen arbeiten zu dürfen, das bekanntermaßen mit einer sportbegeisterten Geschäftsführung besetzt ist und das Sport für sich auch als Kommunikationsmittel entdeckt hat. Sport ist ein sehr emotionales Thema, über das man eben vielerlei Dinge transportieren kann und eben auch ein bisschen was zurück geben kann an die Scholle, wo man herkommt, wo der unternehmerische Erfolg erzielt wird. Das ist schon etwas Besonderes.

L!VE: Du verstehst Dich also nicht nur als Geldbote für die Bandenwerbung?

B.R.: Es gibt natürlich auch rein werbliche Maßnahmen, was bei uns im Haus ganz klar der FC Bayern ist. Das ist Sponsoring und da ist natürlich mit Teilhabe an der Entwicklung nicht viel möglich. Andere Projekte, wo man wirklich was bewegen kann und gemeinsam den Erfolg erreicht, sind auch für mich richtig spannend. Das hat in meiner Zeit angefangen mit Jan Frodeno und unserer Unterstützung saarländischer Triathleten. Das Thema Speerwurf rund um Boris Obergföll, erst seine aktive Karriere und nun die herausragende Zeit als Bundestrainer. Da kamen dann vielerlei kleinere Projekte hinzu und rückblickend darf man sagen, da hat doch einiges funktioniert. Es ist immer ein Unterschied zwischen einer gekauften Werbefläche und einer aktiven Teilhabe an der Entwicklung. Außerdem ist mir schon bewusst, dass für mich aufgrund meines beruflichen Hintergrunds zwar manche Türen einfacher aufgehen, aber man muss ja immer noch durchgehen. Ich nehme mir dann auch raus, ein bisschen mitzureden und ich glaube auch, dass sich das mittlerweile ziemlich viele gerne anhören. Der Erfolg spricht ja für sich.

L!VE: Als Du letztes Jahr Präsident der Canes wurdest, warst Du vorher schon mehrere Jahr im Aufsichtsrat. Was gab den Ausschlag Dich noch mehr einzubringen?

B.R.: Man kann nicht immer nur die Klappe aufreißen, mit dem Finger auf dieses und jenes zeigen und sich dann aber, wenn es um die Wurst geht, aus dem Staub machen. Was sich seitdem getan hat ist schon irre, fast surreal. Ende Februar waren wir noch Zweitligist ohne irgendwelche allzu großen Perspektiven – und dann sind wir am grünen Tisch wegen eines durch die Euro-League frei gewordenen Spots in die höchste deutsche Spielklasse hochgerutscht. Dass wir dort dann bestehen konnten, verdanken wir der Kompetenz, die wir in unseren Reihen haben, wie speziell unseren Sportvorstand, den ehemaligen Nationalspieler und Europameister Dr. Paul Motzki oder Finanzvorstand und Geschäftsführer Football-Urgestein Hans Hennrich. Das war für mich auch eine Grundbedingung den Präsidentenposten zu übernehmen, diese beiden hochkompetenten Mitstreiter an meiner Seite zu haben. Die machen einen Top-Job und unter die Final Four zu kommen, steht einfach für eine herausragende Saison, trotz eines vergleichsmäßig schmalen Budgets. Dann schließlich von einem Team mit einem ganz großen Namen und einem Millionen-Etat geschlagen zu werden, war dann auch kein Beinbruch.

L!VE: Bei solchem Einsatz zusätzlich zur Beanspruchung durch Deinen Job im Management der Ursapharm, bleibt da noch Privatleben?

B.R.: Ach… Meine Söhne brauchen altersbedingt nicht mehr so viel Aufmerksamkeit. Der Älteste ist schon ausgezogen, von daher passt das. Mit kleinen Kindern würde das nicht gehen. Ich habe halt einfach Spaß daran, Dinge zu bewegen und etwas zu gestalten. Man hört mir zu und allein das ist schon herausragend (lacht). Schon früher, zu meiner aktiven Zeit, war Mannschaftssport mein Ding und in der Gemeinschaft was zu erreichen. Mein Engagement ist ja gerade keine Röder-One-Man-Show, denn nur als Team funktioniert es. Ich schaffe es manchmal, mich in verschiedene Positionen reinzudenken und so andere Standpunkte auszuleuchten. Das hilft mir ein klares Bild zu kriegen und eine fokussierte Diskussion zu führen, wo die Reise dann hingehen soll. Mir ist auch durchaus bewusst, dass es jetzt mit den Canes nicht automatisch so weiterlaufen wird wie dieses Jahr. Wir müssen sicher hier und da nachbessern.

L!VE: Und der sportliche Erfolg ist dann das Sahnehäubchen auf der Kirsche?

B.R.: Wenn dann so ein Ding herauskommt, wie das Viertelfinale gegen Köln, ja sicher! Vor dem Spiel bis Du noch unsicher, ob wir alles richtig gemacht hast, ob wir den nötigen Aufwand betrieben haben und, und, und… Dann stehst Du da mit deinen Leuten, alle total angespannt und dann ist das Spiel ist zu Ende und wir haben gewonnen. Die Gänsehaut, dieses Gefühl, das war sensationell. Das sind die Dinge, weswegen man sowas macht im Sport.

L!VE: Und wenn bei alledem doch mal versehentlich freie Zeit übrigbleibt, dann gründet man halt einen eigenen Golfclub und wird dessen Sportwart?

B.R.: „Na ja, beim Golf verletzt man sich halt weniger als beim Fußball. Den Golf Club Saar Lorraine haben wir tatsächlich 2019, noch kurz vor Corona, in Saargemünd selbst gegründet und sogar innerhalb kürzester Zeit vom deutschen Golfverband die komplette Spielberechtigung bekommen. Das ist ein spannendes Thema, auch weil da die europäische Idee umgesetzt wird. Halt ein deutscher Club in Frankreich, mit deutschen und französischen Mitgliedern und in Deutschland spielberechtigt. Wir haben jetzt schon zwei große Turniere dort veranstaltet. Das läuft bei mir tatsächlich so ein bisschen nebenher. Unterm Strich bedeutet das am Wochenende, wenn ich nicht auf einer Sportveranstaltung bin, dann bin ich auf dem Golfplatz.

L!VE: Mal Hand aufs Herz, für eine eventuelle Zeit nach den Canes, hast Du doch bestimmt schon die nächste Sportart im Visier?

B.R.: Das würde ich nicht ausschließen, aber darüber will ich jetzt nicht nachdenken. Ich habe mit den Canes noch Großes vor. Ich bin zwar nicht wirklich eitel, aber ich muss schon sagen, dass das auch mir einen kleinen Schub gegeben hat, zu wissen, Du bist im Präsidium eines Vereins, der um die deutsche Meisterschaft mitgespielt hat. Das ist schon was anderes, als irgendwo in der vierten, fünften, sechsten Liga rumzuwurschteln, bei allem Respekt. Auf der anderen Seite habe ich mir während so mancher Zoom-Verbandssitzung schon gedacht, wow, hier geht’s es tatsächlich um Bundesliga-Sport, aber das Niveau, auf dem der Verband hier kämpft hat schon sehr, sehr viel von Landesliga. Da können wir noch richtig viel machen und die Canes auch so noch ganz weit nach vorne bringen. Es ist ja nicht nur das Sportliche, sondern zum Beispiel auch die enorme Anerkennung von Mannschaften, die bei uns zu Gast waren, wie alles bei uns gehandelt wird. Natürlich spielt da auch unser tolles Stadion eine Rolle, aber eben auch wie wir uns selber darstellen, zum Beispiel über unseren eigenen Stream. Das ist schon wirklich ein echtes Brett! Da haben wir einfach vor ein paar Jahren angefangen, unsere Spiele selbst zu produzieren und haben mittlerweile mit Achim Schmolke, einem positiv Verrücktem aus dem Verein, ein Niveau erreicht, das fast schon Champions League würdig ist. Das ist halt toll, wenn man sieht wie man durch kleine Maßnahmen und viel persönlichen Einsatz mehr erreichen kann, als andere Vereine, die versuchen alles mit Geld zuzukleistern. Auch in der Beziehung gibt es einen sportlichen Wettbewerb. Früher hat man als Sportler auf dem Feld gekämpft, heute misst man sich als Funktionär hinter den Kulissen – und das macht mindestens genauso viel Spaß!

L!VE: Vom Standortnachteil für das Saarland also erstmal keine Spur?

B.R.: Standortnachteil ist zu viel gesagt. Wir haben unsere Schwierigkeiten im Saarland. Medial könnte einiges besser laufen. Aber ich fände es toll, wenn man sich im Saarland mehr zutrauen und nicht nur in den alten, eingefahrenen Schienen denken würde, wie Sport und Sportförderung zu funktionieren haben. Sondern, wenn man den richtigen Leuten genau zuhört, sich ein detailliertes Bild der Gegebenheiten macht und dann ganz gezielt fördert. Das ist dann meistens besser als irgendwie nur in größeren Sportarten mit Gewalt etwas zu versuchen. Das ist der Punkt, wo ich sage, dass wir im Saarland vielleicht noch zu viel verschwenden. Denn oft geht es gar nicht um den einzelnen Sport oder Sportler, sondern viel mehr um Hintergründe und Befindlichkeiten. Es gibt unheimlich viel Potential im Saarland, aber oft trauen sich das die entscheidenden Leute nicht zu. Da sollten wir ansetzen!

Clubzone November 2021

   Fast hätte ja keiner mehr dran geglaubt, aber jetzt hieß es dann doch endlich: Willkommen zurück im Nachtleben, in Clubs und Diskotheken, auf Tanzflächen und vor Bühnen, kurz gesagt: in der Clubzone! Was sich da seit dem ersten Oktoberwochenende in Sachen Feierei und Party getan hat, hätte in dem Außmaß wohl so schnell niemand erwartet. Besonders zur Premiere erschien es mehr als nötig, dass die Stadtreinigung besonders im Epizentrum zwischen SOHO, BLAU und APARTMENT extra nächtliche Sonderschichten einlegen musste, um die Hinterlassenschaften der Feier-Massen zu beseitigen, die sich so manches Partyhighlight nochmal durch den Kopf gehen liessen. Nur allzu gerne würden wir hier jetzt noch über die zahlreichen Ausrutscher und Fehltritte lästern, doch leider gilt auch beim Neubeginn, wer sich erinnern kann, war nicht dabei. Von daher beginnen wir lieber mit Feiereien, die derart unvergesslich waren, dass sich trotzdem was ins Gedächtnis eingebrannt hat.

   Ganz besonders bitter wird unser Rückblick allerdings, wenn es um die Menschen geht, die aus unserer Mitte herausgerissen wurden. Gleich zwei Urgesteine mit Legendenstatus, können nicht mehr mit uns die Nacht zum Tage machen. Im Januar verstarb Michael „Micha“ Weber, der mit Sicherheit dienstälteste Wirt am St. Johanner Markt. Für viele Monate wurde die BRASS zur Andachtsstätte und es fanden sich immer wieder Bilder, Blumen und Kerzen davor. Nicht wirklich geringer war die Anteilnahme am unerwarteten Ende von Klaus „DJ Apex“ Radvanowsky. Selten schienen eine Szene, wenn nicht sogar einen ganze Stadt, derart mitgenommen von einem persönlichen Schicksal. Facebook und Insta versanken für Tage in einer Flut aus schwarzen Profilbildern. Bemerkenswert auch die Initiative der Saar-Linken für eine Umbenennung des Rondells im Bürgerpark, wo in den letzten Jahren Klaus‘ Kult-Party MOA – MAGNET OPEN AIR stattgefunden hatte, in „Klaus-Radvanowsky-Rondell“.

   Aber, die Show muss weitergehen, und wahrscheinlich hätten auch die, die uns verlassen mussten, es genau so gewollt. Also auf zu unserem üblichen Rundgang durch die Gemeinde und den starten wir just genau da, wo der legendäre „Micha“ seine Spuren hinterlassen hat. Denn die BRASSERIE in der Fröschengasse ist unter Neubetreiber Jürgen P. so richtig durchgestartet – und man glaubt es kaum, da wird jetzt auch getanzt! Die mittwöchliche HARD BRASS mit DJ Holgi ist nicht nur nachhaltigst wiederbelebt worden, sondern rockt jetzt zu ausgewählten Terminen die runderneute Kultlocation. Da soll noch mal einer sagen, in der einstigen Partymeile sei kein Leben mehr drin. Die Ecke sollte man echt im Auge behalten.

   Immer einen Abstecher wert ist auch THE LOFT am Fuße des Eschbergs. In erster Linie zwar als Schauplatz von Firmen-Events und größeren, privaten Feiern bekannt und geschätzt, werden da jetzt die Maßstäbe in Sachen Abfeiern zu Live-Musik ganz neu definiert. Schuldig, im positivsten Sinne, sind Elmar Federkeil und seine Loft Allstars Band, die monatlich einmal die LOFT SOULNIGHT in Brand setzen. Das Konzept ist nicht ganz neu, wurde so schon im KUNSTWERK und im HIRSCH gefeiert, konnte sich dort allerdings trotz – oder gerade wegen – großem Zuspruchs, nicht durchsetzen. Im THE LOFT gab es aber keine Hemmnisse und so wurde hier im Oktober, zu den Sounds der Gastkünstler Andrea Lopez und Klyive endlich wieder ohne Abstand und Masken auf den Tischen getanzt. Nicht nur für Freunde von handgemachter Msik ein echter Pflichtermin!   

   Jetzt aber ab in die Clubs – und nicht nur aphabetisch kommt da das APARTMENT ganz vorne. Mit dem REOPENING gleich am ersten Oktoberwochenende wurde das Spasslevel hier im ehemaligen CLUB NUMBER ONE auf ein neues Level gehoben! Altbekannte Apartment-Gänger und viele neugierige Studies sorgten für eine Schlange in absoluter Rekordlänge – und das die ganze Nacht lang. Trotzdem gingen alle mit unendlich Bock zu Werke, gleich ob bei bekannten Partykonzepten wie der TRAPSOUL oder bei brandheissen neuen Events wie MEMORIES und MODUS. Die DJs rissen das Apartment komplett außeinander und ließen die Gäste mal so richtig ausrasten zu den fettesten Beats. Die Club stand jede Nacht Kopf und man darf bezweifeln, ob dieses Partylevel überhaupt noch zu toppen ist. Da kann dann höchstens die AFTER WORK PARTY gelingen, die jetzt massiv aufgehübscht an den Start geht. Ab sofort gibt es die Ausnahmefeierei nämlich jeden Donnertsag und das auch schon ab 18.00 Uhr. Zu den bisgerigen DJ-Helden Gastgeber DJ Thomas und Kasimir werden sich noch Yannick Maurer, DJ Yves und DJ IceLow sowie in der neuen Electro-Lounge Ben Feld und die Wonderboys gesellen. Also, wir freuen uns auf den November im APARTMENT.

   Apropos Feierei auf höchstem Niveau: Freunde des gepflegten Ausnahmezustands kamen natürlich auch im SOHO im Oktober bei Veranstaltungen wie der regelmäßigen SOHO LOVES FRIDAYS oder den Knallerfestivitäten ZEITREISE, BLACKLIST und DAS BESTER DER 90er auf ihre Kosten! Außerdem war die standestgäße BEST OF SOHO wieder der Knaller. Einfach von allem das Beste! Wahnsinn was hier abging. Nicht nur erprobte Stammgäste, sondern auch neue Freunde und natürlich die SOHO Frischlinge feierten als gäbe es kein Morgen. Studentische Getränke und Eintrittspreise sorgten Woche für Woche für eine ausgelassene Stimmung und das SOHO DJ Team ließ die feiernde Meute auf der Tanzfläche richtig abgehen. Unbedingt selber vorbeikommen, denn es ist wirklich schwer, diese Eskalation in Worte zu fassen.

      Einen brutalen Kickstart hat auch das BLAU hingelegt. Das gilt natürlich auch für das neue CAFÉ BLEU, das schon seit August die nächste Ausbaustufe des einstigen Schwitzekellers eingeleitet hatte. Auch hier ist die ersten Wochen nach dem Neustart wieder mit bekannten Konzepten wie STUDINIGHT, DER UTOPISCHE DEUTSCHRAP TURNUP, JOURNEY und nicht zuetzt DER DONNERSTAG IST BLAU das Spasspedal wieder richtig durchgetreten worden. Keine Frage, auch die neu installierten Feierein wie LEMONADE und CULTURE hoben den Clubdino aus seinen Angeln. Wenn jetzt noch der FISH wiederbelebt wird, wissen wir ab sofort auch, wo Dienstags der place-to-be ist!

   Eines der bemerkenswertesten Ereignisse kam vom Ludwigskreisel. Unter dem Eindruck der tragischen Geschehnisse um Klaus „DJ Apex“ Radvanowsky hatte sich der MAUERPFEIFFER dazu entschlossen, alle Veranstaltungen abzusagen und ein ganzes Wochenende geschlossen zu bleiben. Eine Geste, die neben der eigenen Fassungslosigkeit, insbesondere Respekt und Achtung ausdrückt. Eine Aktion, die aller Ehren wert ist und die Verbundenheit der ganzen Szene mit einem ganz außergewöhnlichen Urgestein der elektronischen Musik zum Ausdruck bringt! Chapeau, MAUERPFEIFFER!

   Ganz zum Schluss noch ein Abstecher in die Gerüchteküche. Gerade eben noch vor Redaktionsschluß wurde aus, wie heisst es immer so schön, üblich gut unterrichteten Kreisen durchgesteckt, dass die KUFA auch im November durch eine RADIO SALÜ Ü30 Party, mit keinem Geringeren als DJ Kasimir an den Decks, wiederbelebt werden wird. Klingt nach einer super Idee und wir sind auf jeden Fall gespannt!

Take care!

Fräulein Hartmann und der Worst Case

Hallo Mikrokosmonauten: So schlimm wird es schon nicht werden

Es ist immer das Gleiche: Die Zeit vor einem unangenehmen Termin ist für mich unerträglich. Es ist wie früher in der Schule vor Mathearbeiten oder – noch schlimmer- bevor ich meine Note erfuhr. In der Regel war letzteres für mich unangenehmer. Mein Lehrer hatte die Angewohnheit, die Leute immer einzeln aufzurufen, die sich dann ihre Arbeit vorne am Pult abholen mussten. Die besten waren zuerst dran und je mehr Leute er aufrief, desto tiefer verkrochen sich diejenigen, die noch nicht genannt worden waren. Ich war oft einer der letzten Namen, der aufgerufen wurde. „…und das Fräulein Hartmann“, höre ich ihn heute noch sagen. Und ich stand auf, und ging meinen Gang nach Canossa. Mit zitternden Knien einen Schritt nach dem anderen, wie in Zeitlupe. Eine Tortur!

Heute fühle ich mich noch genauso. Vor Arztterminen, vor unangenehmen Gesprächen, vor Sachen, die ich verbockt habe und wieder gerade biegen muss. Dieses Gefühl ist unschön und lässt mich zuweilen nachts nicht schlafen. Dabei sind meine Sorgen meist unbegründet. Also Sorgen machen sollte ich mir über manche Dinge ja schon, besonders dann, wenn ich mich selbst hinein geritten habe. Und das passiert eben auch des Öfteren. Und der Spruch: „Statt Sorgen sollte man sich besser Nudeln machen!“, geht auch eben auch nur dann, wenn man weiß, dass man morgen nicht gehängt wird! Und oft heißt es in meinem Leben dann halt:

Das Fräulein Hartmann hat Angst!

Eine Frau, die bei einem Zahnarzt-Termin regelmäßig eine „Sch***egal-Pille“ gratis dazu bekommt, sollte es zuweilen nicht zu bunt treiben. Ist aber schwierig. Denn es soll ja nicht langweilig werden. Nichts desto trotz komme ich nicht drum herum, mich zu fragen:

„Wieso gehe ich so oft vom Schlimmsten aus?“

Ich kann  beruhigt sein, denn fast niemand kann sich davon freisprechen, unbewusst und oft völlig unbegründet das „Worst case Szenario“ vor dem geistigen Auge zu sehen. Sowohl im Privatleben als auch im Beruf neigt man dazu, grundsätzlich vom Schlimmsten auszugehen. Ein Schutzmechanismus, der jedoch mehr Schaden anrichtet, als Nutzen bringt. Dennoch verfällt man immer wieder in altbekannte Denkmuster, geht vom Schlimmsten aus und fühlt sich in diesem Verhalten auch noch bestätigt. Dabei bin ich doch gar kein Teilzeit-Pessimist! Und trotzdem habe ich unverzüglich ein mulmiges Gefühl, wenn mich mein Chef fragt, ob ich mal gerade zwei Minuten hätte oder mein Freund mir sagt, er hätte gerade keine Zeit, mit mir zu telefonieren. Warum zum Teufel verursachen solche Szenarien bei mir Herzklopfen? Denn bis zu diesem Punkt ist ja noch gar nix passiert. Was, wenn der Chef einfach nur ein Lob aussprechen möchte? Und der Freund tatsächlich im Stress ist? Stattdessen gehe ich erstmal vom Schlimmsten aus, um mich offensichtlich zu schützen. Wird meine schlimmste Befürchtung nämlich wahr, bin ich vorbereitet. Darüber hinaus wirkt ein: „Ich hab’s doch gewusst.“, mindestens genauso so tröstend wie eine Flasche Wein. Oder zwei.

Das Schlimmste kommt. Aber es bleibt zum Glück die Ausnahme.

Ich habe neulich in der Schlange vor der Achterbahn meinen Puls gemessen. Er war hoch. Sehr hoch. Mein Herz hämmerte in meiner Brust und ich bildete mir ein, jemand schnürt mir die Luft ab. Es war unerträglich, ich malte mir die schlimmsten Szenarien aus. Der Gurt öffnet sich während der Fahrt, oder wir bleiben stecken, oder ich bekomme im Looping einen Schlaganfall. Im Sitz selbst starb ich dann tausend Tode, um schlussendlich hinterher völlig aufgedreht und glücklich wieder auszusteigen. Hatte es Spaß gemacht? Verdammt, ja! Und wie jedes Mal konnte ich absolut nicht begreifen, wozu ich mir vorher diese Gedanken gemacht hatte.

A negative mind will never give you a positive life

Einatmen. Ausatmen. Ich muss es mir immer wieder laut vorsagen, damit ich es nicht vergesse. Stress ist Gift. Und sich im Vorfeld bei einer Sache eben diesen zu machen, ist nicht nur psychisch sondern auch physisch anstrengend. Es gibt diverse unangenehme Dinge, die für mich dieses Jahr noch anstehen und die mich teilweise so dermaßen stressen, dass ich Ausschlag bekomme. Dabei sollte ich mir vor Augen führen, dass ich jedes Mal, wenn ich vom Schlimmsten ausgehe, automatisch an mir und meinen Fähigkeiten zweifle. Und irgendwie finde ich mich ja doch ganz okay, halbwegs talentiert und ein wenig taff, wenngleich ich manchmal Scheiße baue.

Stolpern ja, Fallen nein

Fräulein Hartmann ist manchmal wieder zehn Jahre alt und findet sich in dieser Klasse wieder, in der gerade die Mathearbeiten ausgeteilt werden. Sie wird aufgerufen und läuft nach vorne zum Pult. Ihre Knie zittern, sie wirkt verloren, sie nimmt mit klopfendem Herzen ihre Arbeit an sich. Und es ist… gerade nich so ne‘ Vier! Sie stolpert zurück, aber sie fällt nicht. Nicht dieses Mal. Was ein Glück!

Am Ende ist es doch so: Unangenehmes kann man nicht umgehen. Man muss da durch, ob man will oder nicht. Mir wird schon wieder schlecht, wenn ich an meinen nächsten Zahnarzttermin denke. Aber dieses Mal versuche ich es mal ganz anders. Ich atme ein und aus. Ich mache mich ganz groß und gehe da rein. Ich werde keinerlei Gedanken an mögliche Schreckens-Szenarien hegen. Ja, ich werde stark sein, denn ich bin überzeugt, dass es so schlimm nicht werden kann! Nicht wird!

„Und wenn doch?“, winselt dieses kleine Stimmchen in mir.

„Dann gibt es Nudeln mit Sch***egal-Pillen!“

Haben wir das nötig?

Das Aufräumen der eigenen Wohnung hat für gewöhnlich den Nebeneffekt, dass man neben Unmengen von Knabberkramresten in und unter dem Sofa auch solche Sachen wiederfindet, die man länger schon gesucht hat. Oft stößt man in der Küche jedoch auf irgendwelchen Kram, von dem man völlig vergessen hatte, ihn zu besitzen. Herzförmige Spiegeleiformen, ergonomische Sparschäler oder gebogene Plastikboxen für Bananen sind Dinge, die man einmal als vermeintliche Wundererfindungen teuer erworben, jedoch nie wirklich benutzt, geschweige denn vor dem Wiederfinden vermisst hat. Früher brauchte man solchen Plunder nicht und heute offenbar ebenso wenig…

Viele moderne Errungenschaften sind unnötig. Das mahnte schon immer meine Oma, wenn ich als Kind wieder einmal vergeblich versuchte, sie von den Vorzügen neuer Legosteine gegenüber alten Holzklötzen zu überzeugen. Mein Opa war da offener für Veränderungen und tauschte auch schon einmal Bewährtes gegen Neues. Was dazu führte, dass er zunächst die Latrine im Garten durch eine Toilette im Haus ersetzte und einige Jahre später schließlich meine Oma durch die Nachbarin. Oma hatte damals schon nicht ganz Unrecht damit, dass früher, als man die Staaten auf der Europakarte noch an einer Hand abzählen konnte, vieles einfacher und trotzdem nicht unbedingt schlechter war… 

Je moderner unser Alltag wird, umso komplizierter wird er auch. Früher konnte man zeitgleich mit dem Bus an der Haltstelle ankommen und kaufte sein Ticket beim Fahrer. Heute sollte man eine Stunde vorher vor Ort sein, um rechtzeitig ein Ticket aus dem Automaten zu bekommen. Wenn auch sicherlich weder das richtige noch das günstigste. Früher war zermatschtes Obst billiger als frisches. Seitdem es jedoch Smoothie heißt, ist es doppelt so teuer. Einst genügten auch einige wenige Automodelle, die in wenigen Minuten mit wenigen Werkzeugen zu reparieren waren. Heute brauchen wir unzählige davon und ebenso viele Stunden und Werkzeuge, um eine Glühbirne zu wechseln…

Elektrischen Geräten genügte früher ein einfacher Ein-Aus-Schalter. Wer es versäumte, den Toaster auszustellen oder das richtige Waschmaschinenprogramm zu wählen, musste mit den Folgen leben und aß eben verbranntes Brot in eingelaufener Wäsche. Heutzutage geht nichts ohne Digitaldisplay mit Anweisungen, Konfigurationsmenüs und Warnungen. Selbst Elektrozahnbürsten und Eierkocher besitzen mittlerweile so viele Einstellmöglichkeiten, dass sie nicht mehr ohne daumendicke Betriebsanleitung auskommen. Der Mensch hat es geschafft, zum Mond zu fliegen, da sollte er auch in der Lage sein, selbstständig ein Ei zuzubereiten, ohne ein zweites Fukushima zu verursachen…

Früher reichte einlagiges Klopapier statt alter Zeitungen, um zufrieden zu sein. Heute reagiert unser Körper direkt mit Verstopfung, wenn das vierlagige Luxustoilettenpapier nicht in der zu den Badfliesen passenden Farbe vorrätig ist. Was waren das für archaische Zeiten, als man Kaffee einfach so lange stehen ließ, bis er die gewünschte Trinktemperatur hatte und nicht am Vollautomaten herumfriemeln konnte, um die individuelle Wohlfühl-Gaumentemperatur einzustellen. Unvorstellbar wie Generationen vor uns Kühlschränke benutzen konnten, die weder Biofresh-Technik hatten noch nervig piepten, wenn sie mal offen standen, und dennoch die Welt nicht in den Untergang führten…

Seitdem wir Essen nicht mehr erlegen, sondern nur noch verdauen, sind wir bequem geworden und haben uns daran gewöhnt, bei allem wählen zu können. Hatte der Tante-Emma-Laden um die Ecke früher zwar wenig, aber alles was es zum Leben brauchte, werden heute Supermarkthallen erwartet, die jeden Artikel mehrfach zur Auswahl anbieten. Nach dem Krieg waren Menschen in unserem Alter froh, überhaupt Brot zu bekommen. Heutzutage drohen wir mit einem Kundenaufstand, wenn kurz vor Ladenschluss das glutenfreie Bio-Ciabatta mit Dinkelmehl ausverkauft ist und wir auf eine der zig anderen Brotsorten ausweichen müssen, an die sich unser Darm noch nicht gewöhnt hat…

Wir alle sind davon getrieben, zu individualisieren, um nicht zu sein wie unsere Eltern, Geschwister oder Nachbarn. Und das fängt eben schon bei der Form des Spiegeleis an. Kein Hobbykoch würzt mehr mit einfachem Salz. Kristalle aus dem Himalaja sind das Mindeste, was die Dosenravioli verfeinert. An Geburtstagen beschränkte sich früher die Auswahl auf Kaffee ohne, mit oder mit viel Milch. Wer Gästen heutzutage nicht Espresso, Cappuccino, Latte Macchiato, French Press und Moccacino mit oder ohne Sirup und Voll-, Mager- oder Sojamilch anbietet, braucht im Folgejahr gar nicht erst mehr mit Besuch zu rechnen. So stehen heute auch Muffins, Brownies, Cup Cakes und Pies mit und ohne Stevia-Süße statt Zucker dort, wo früher Omas leckerer Käsekuchen ausreichte… 

Niemand ist in heutiger Zeit mehr mit dem Einfachen zufrieden. Das mag daran liegen, dass jeder sich in einer Zeit, in der er hat, was er braucht, auf das konzentrieren kann, was er lieber hätte. Anderthalb Jahre Pandemie hat bei vielen die Grenze zwischen Individualismus und Egoismus verschwinden lassen. War früher derjenige glücklich, der überhaupt einen Fernseher besaß, ist der Besitz eines solchen heutzutage keine Erwähnung mehr wert, wenn es sich nicht um das neueste Highend-Modell handelt, das mehr kann und kostet als die uralten Vorjahresgeräte von Freunden. Nicht vorstellbar wie Menschen früher ein Vierteljahrhundert dasselbe Wählscheibentelefon benutzen konnten, wenn man sich heute bereits nach einem Vierteljahr mit dem gleichen Smartphone rückständig fühlt…

Über Generationen hinweg reichten jedem Gelb, Rot, Grün und Blau als Farben völlig aus. Man kaufte Hemden in Gelb, sah ab und an rot oder schlug seine Freundin oder Frau grün und blau. Damit konnte jeder etwas anfangen. In heutiger Zeit diskutieren Paare stundenlang, ob sie nun besser Sand, Flachs, Vanille, Mimose oder Champagner als Farbe für die Wohnzimmerwand nehmen sollten. In dieser Zeit hätte man früher zwei Eimer Beige gekauft und das ganze Haus gestrichen. Da müssen sich junge Elternpaare nicht wundern, wenn ihre Kinder heutzutage mit Schreikrämpfen aus dem Kindergarten heimkommen, weil sie für das Malen eines Baums und eines Hasens den gleichen Braunstift benutzen mussten…

Zugegeben, an manche neumodischen Dinge gewöhnt man sich schnell und andere machen den Alltag auch wirklich etwas angenehmer. Früher zum Beispiel fand ich Kaffee immer langweilig. Mittlerweile geht bei mir nichts mehr ohne Morgenlatte. Haben wir das nötig? … gruenetomaten@live-magazin.de.

Patrik Wolf

P. S. Flieder, Malve und Orchidee sehen als Farbtöne so unterschiedlich aus, wie Spaghetti, Fusilli und Farfalle unterschiedlich schmecken.