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Big Brother is watching you

Wem wurde als Kind nicht auch eingeredet, dass wahlweise der liebe Gott oder das Christkind alles sieht und Konsequenzen zieht, wenn man den Spinat nicht aufisst oder die Spielsachen nicht wegräumt. Einschüchterungen waren und sind nach wie vor eine weit verbreitete wie auch wirksame Masche von Erwachsenen, den eigenen Willen durchzusetzen und den von Kindern zu brechen. Auch wenn die Drohung mit erhobenem Finger stets eine Lüge war und weder Gott noch Christkind jemals von halbvollen Tellern oder herumliegenden Bauklötzen in Kenntnis gesetzt wurden. Hätte man als Kind gewusst, dass man eigentlich erpresst wird und Opfer elterlicher Willkür ist, man hätte nie im Leben die eklig grüne Matschepampe gegessen und auch keinen einzigen Legostein vom Teppich geräumt, sondern absichtlich dort hingelegt, wo die Eltern immer barfuß laufen…

Folgen dieser Erpressung von damals sind bei uns Erwachsenen von heute neben einer tief sitzenden Angst, an schlechtem Wetter schuld zu sein, wenn man das Essen nicht aufisst, dass jeder von uns ab und an andere willkürlich oder unwillkürlich unter Druck bringt, um den eigenen Willen durchzusetzen. In der Schule droht man mit Aufkündigung der Freundschaft, wenn der Banknachbar verrät, dass man blau macht, im Büro mit Ankündigung einer Feindschaft, wenn der Büronachbar verrät, dass man blau ist. Dem Partner vertrauen, wenn dieser sich mit Freunden trifft, ist gut, ihm vorab bereits mit dem Ausquartieren aufs Sofa zu drohen, wenn er besoffen nach Hause kommen sollte, ist jedoch besser. Neben der Behaarung unanständiger Körperteile hat sich der Mensch damit noch etwas von seinen tierischen Vorfahren erhalten: Drohgebärden…

Was das angeht, gibt es in Deutschland ein Unternehmen, dessen alleiniger Name bereits für mehr Angstschweiß sorgt als angekündigte Schläge oder Fotos von der letzten Firmenweihnachtsfeier. Es ist das Unternehmen, das Willkür und Drohungen perfektioniert hat und sich die Aufgabe früherer Könige zu eigen gemacht hat, nach purer Lust und Laune darüber zu urteilen, über wem der Daumen gehoben oder gesenkt wird. Wie niemand sonst entscheidet dieses Unternehmen darüber, wer gut ist und wer böse war, wenn es um Geldfragen geht. Es ist damit der liebe Gott und das Christkind in Personalunion, auch wenn es von vielen eher als der Teufel in Person gesehen wird. Es ist die Institution, die über zwei Drittel aller Bundesbürger eine Akte führt und besser über uns Bescheid weiß als NSA, Google und die neugierige Nachbarin von gegenüber zusammen: Die Schufa…

Als „Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung“ gegründet, hat sich das Unternehmen aus Wiesbaden im Laufe der Zeit zum Big Brother entwickelt, der unsere Finanzen besser kennt als wir selbst, um darauf zu achten, dass es uns gut geht und unseren Kreditgebern besser. Während wir noch nicht einmal wissen, was wir uns leisten sollen, weiß die Schufa bereits, dass wir es uns nicht leisten können. Sie hält ihr Urteil uns gegenüber jedoch fein zurück, um keinen zu desillusionieren, dessen Kreditwürdigkeit unter der eines Wellensittichs liegt. Die Schufa will uns nicht mit lästigen Fakten stören, die wir ohnehin nicht kennen möchten, gibt diese aber gerne an Dritte weiter. Sie konzentriert sich eben aufs Wesentliche und dazu gehört auch, kostbare Zeit von Hotline-Anrufern nicht unnötig mit Freundlichkeitsplattitüden oder Namensnennungen ihrer Mitarbeiter zu vergeuden…

Kritiker behaupten, die Schufa sei wie Hämorrhoiden: Beide wären für den Arsch und würde man nicht mehr los, wenn man einmal Probleme mit ihnen hatte. Dabei sollte jeder dankbar sein, dass finanzielle Verbindlichkeiten sicher archiviert sind. Man hätte glatt vergessen, dass noch 1 DM Milchgeld aus der vierten Klasse unbezahlt ist, wenn die Schufa-Abfrage beim geplanten Ratenkauf eines Toasters 25 Jahre später nicht ergeben hätte, dass wegen der offenen Zahlung von damals eine Finanzierung leider nicht möglich ist und man Weißbrot daher weiterhin labbrig essen muss. Der Schufa-Eintrag sagt mehr über Menschen aus als Führungszeugnis, Impfpass und Instagram-Seite zusammen. Die Flensburger Verkehrskartei weiß, wann jemand aus dem Straßenverkehr gezogen werden muss, die Wiesbadener Schufa-Kartei jedoch, wann jemand aus dem Finanzverkehr zu ziehen ist…

Anhand eines Scoring-Werts zur Bonität zwischen 0 und 100 % beurteilt die Schufa, wer beim Bäcker Brötchen anschreiben lassen darf und wer gefälligst direkt zu zahlen hat, noch bevor die Semmel in der Tüte ist. Leider wird immer wieder Kritik am Bewertungssystem der Schufa laut. Dabei sollte jedem klar sein, dass die Wertermittlung allein wegen des Betriebsgeheimnisses so aufgebaut sein muss, dass niemand sie nachvollziehen kann. Außerdem müsste jeder noch aus der Schule wissen, dass man Benotungen nicht verstehen soll, sondern einfach zu akzeptieren hat. Dreimal Hausaufgaben vergessen bedeutete in der Schule Punktabzüge bei der Endnote. Nicht anders ist das bei der Schufa, wenn man dreimal seine Rechnungen nicht zahlt…

Wer insolvent ist, hat zum Beispiel ein Schufa-Scoring von nur 5 %, wer sich nichts hat zuschulden kommen lassen einen Wert von über 80 %. 100 % ist ein rein theoretischer Wert, der nur von Mitarbeitern der Schufa selbst erreicht wird. In die Bewertung der Bonität fließen wissenschaftlich aufwändig ermittelte Daten ein wie Vorname, Adresse und Sternzeichen. Dass ein Roger oder eine Josie nicht mehr als 50 % erreichen können, dürfte für jeden nachvollziehbar sein. Carl und Marlene garantieren dagegen mindestens 85 %. Wenn diese dazu auch noch katholisch sind, gibt es weitere 5 % dazu. Außerdem ist klar, dass derjenige, der in einer „Hauptstraße“ wohnt, nicht die gleiche Kreditwürdigkeit besitzen kann wie jemand aus einer „Eichenallee“. Auch die Schuhgröße ist für den Scoring-Wert relevant: Über 46 belegt, dass man auf zu großem Fuß lebt…

Die Ermittlung des Scoring-Werts ist mittlerweile mehr als bloßes Würfeln. Zukünftig wird die Schufa mit sozialen Netzwerken zusammenarbeiten. Wer persönliche Daten auf seiner dortigen Profilseite frei einsehbar hat, belegt mangelndes Verantwortungsbewusstsein. Resultat: 30 % Abzug beim Scoring. Wer ständig Selfies mit neuen Klamotten oder Urlaubsfotos auf Instagram postet, zeigt, dass er zu viel Geld ausgibt: Ebenfalls Minuspunkte. Wer dagegen Schnäppchenseiten gut findet, Oboe spielt und Fotos im selbstgestrickten Rollkragenpulli einstellt, ist seriös und sparsam und bekommt Bonuspunkte. Und wer auf der Facebook-Seite der Schufa auf „Gefällt mir“ klickt, dem sind 50 % extra sicher. Das macht die Nachvollziehbarkeit natürlich nicht einfacher. Aber manchmal ist es besser, wenn man das genaue Zustandekommen nicht kennt. Das ist beim Schufa-Scoring nicht anders als bei Teewurst…

Wer der Schufa nicht traut, kann dort übrigens eine Selbstauskunft einholen, muss sich nach einem solchen Vertrauensbruch jedoch nicht wundern, wenn das nächste Scoring weniger Prozentpunkte hat als Magermilch oder die FDP. Gottes Unfehlbarkeit darf bezweifelt werden, nicht aber die Unfehlbarkeit der Schufa! Diese Kolumne dürfte mein Scoring von 95 % auf 5 % gesenkt haben. Das Lesen wird sicher auch ein paar Prozent gekostet haben. Anders als bei Covid-19 schützt vor der Schufa leider auch kein Aluhut. Big Brother is watching you… gruenetomaten@live-magazin.de.

 

Patrik Wolf

  1. S. Die Facebook-Seite der Schufa hat 37 Likes, die Seite über Durchfall 169.

Ginny in a Bottle

Wer beim Aufräumen zufällig auf Fotos stößt, die anno dazumal in den 80ern, 90ern oder 2000ern auf vermeintlich legendären Familiengeburtstagen geschossen wurden, der ist meist ziemlich verwundert über den damaligen Frisuren- und Kleidergeschmack. Aber auch darüber, wie fit Oma im Vergleich zu heute aussah, als sie noch lebte. Ebenso seltsam wie die einst als modisch erachteten Tapeten- und Hemdenmuster mutet heute auch das an, was man seinen Gästen damals zu trinken anbot: Ob Persico, Edelkirschlikör, Schinkenhäger oder sauerster Riesling, den Opa nach dem Krieg günstig en gros bezog, was freiwillig ausgeschenkt und auch freiwillig getrunken wurde, war in Sachen Farbe, Geschmack und Magenfreundlichkeit nicht weit weg von dem, was heute nur noch Toilettenreiniger zu bieten haben… Read more

Zahlen bitte

Wer 2 und 2 zusammenzählen kann, weiß, dass der Alltag heutzutage ohne Zahlen 0 Bedeutung hätte. Das merkt man un2felhaft an 1000 Dingen: Im Job soll man stets 8 geben und versuchen 1. aber nicht 3st zu sein. Dazu kriecht man vor dem Chef am besten auf allen 4ren und vermeidet es, einen 3er mit der 9 Kollegin auf dem Rücksitz ihres 4t zu haben. Vor allem im Winter, wenn man sich dabei an den Füßen 15 abfriert und die 10e im Mund klappern. Das wäre nicht 1mal für einen 4beiner wie einen 100räglich. Zwar ist 1mal beim 6 k1mal, aber wenn 1 klar ist, dann, dass einem nicht mehr zu h11en ist, wenn es am Ende eine Ab3bung braucht. Das ist in 2brücken wie in M1 am Rhein…

Wenn es um Kontoguthaben, Urlaubstage und Penislängen geht, können Zahlen für die meisten gar nicht groß genug sein, während sie bei Körpergewicht, Überstunden und der Größe von Spinnen dagegen möglichst klein bleiben sollten. Bei Schuhen, Unterhosen oder Verwandtschaftsbesuchen gehen die Meinungen meist weit auseinander, wie groß ihre Zahl sein soll, muss oder darf. Vor allem zwischen Mann und Frau. Ohne Zahlen wäre im Leben das erste Mal wie jedes Mal und im Bett einfach keine flotte Nummer möglich. Man könnte nirgends auf Nummer sicher gehen oder erwarten, dass sich die eigenen Mühen einmal auszahlen…

Ob nun der Mathematikunterricht des Sohnemanns oder der Bordellbesuch seines Papis, alles hat mit Zahlen zu tun. Wenn auch mit dem Unterschied, dass nach einer Stunde Arbeit einer der beiden traurig und der andere glücklich nach Hause zu Mutti kommt, wenn das Ergebnis 6 war. Dabei hätte ein befriedigend beiden schon genügt. Irgendwann haben wir bei vielen Alltagsdingen Zahlen den Vorrang gegenüber Buchstaben gegeben. Außer bei Tütensuppen. Aber was soll es mir nun sagen, wenn die Körperwaage Ziffern wie 1 – 0 – 0 anzeigt? Wäre es da nicht hilfreicher, auf dem Display würden Buchstaben wie F – E – T – T erscheinen? Aber lassen wir 4 jetzt einfach einmal gerade sein…

Beim Einkaufen von Obst hat es sich z.B. als recht nützlich herausgestellt, Mengen mit Stück- oder Grammzahlen statt mit ungenauen Angaben wie „eine Hand voll“ zu bemessen, da diese durchaus zu relevanten Unterschieden führen, je nachdem ob man Äpfel oder Melonen möchte. Jeder weiß aus Kontaktanzeigen bei Singlebörsen, dass „eine Hand voll“ manchmal Unmengen, manchmal aber auch fast nichts bedeutet. Letzteres vor allem, wenn die Schale erst einmal entfernt ist und trockene Rosinen statt saftiger Früchte zum Vorschein kommen. Dass der Inhalt nicht halten kann, was die Hochglanzverpackung verspricht, trifft eben nicht nur auf Überraschungseier zu…

Zahl ist jedoch nicht gleich Zahl. Manche Zahlen sind böse wie die 666, andere unanständig wie die 69 oder knapp in der Zeit wie die 5 vor 12. Es gibt welche, die stehen für Unglück wie die 13, für Glück wie die 00 oder für Dummheit wie die 88. Manche Zahlen spielen Fußball wie die 11, riechen gut wie die 4711 oder kennen den Sinn des Lebens wie die 42. Wiederum andere gehören zu feinem Sand wie die 7 oder zu den Füßen wie die 10. Es gibt aber auch Zahlen, die sind nichts Besonderes wie die 0815 oder einfach nichts wert wie die 0, während wiederum andere die Lizenz zum Töten haben, wie die 007. Und dass 6 über 18 Spaß macht und 6 unter 16 Gefängnis bedeutet, weiß wohl auch jeder…

Es gab jedoch Zeiten, da kamen wir mit weit weniger Zahlen aus als heutzutage. Mit zwei um genau zu sein. Noah genügten zwei Tiere jeder Art, um seine Arche zu füllen, und uns Deutschen zwei Weltkriege, um den halben Kontinent zu verwüsten. Auch die Evolution entschied sich, dass zwei Geschlechter ausreichen, selbst wenn beim Menschen nur eines von beiden die Fähigkeit erhielt, Kinder zu gebären, das andere dafür jedoch Autofahren kann. Die Informatik kommt bis heute mit nur Einsen und Nullen aus. Zwei Möglichkeiten genügen, um bei etwas die Wahl, jedoch nicht die Qual zu haben. Weniger heißt nicht wählen zu können, mehr dagegen, dass Wählen zum Stress wird. …

Leider bevorzugen viele von uns statt eines klaren Jas oder Neins lieber ein Eventuell, das noch die Option zur Umentscheidung lässt. Jeder möchte bei allem wählen und wechseln können. Das ist beim Stromtarif nicht anders als beim Partner. Selbst Geruch und Farbe des Toilettensteins gilt es zu individualisieren. Dies erfordert ein größtmögliches Wahlangebot, egal ob es um Kleidung, Autos oder Brühwürfel geht. Wahrscheinlich würde selbst Noah heute von jedem Tier drei oder vier in verschiedenen Farben und Größen mit auf die Arche nehmen, um nach Lust und Laune wechseln zu können. Vielleicht gäbe es Zebras dann auch in einem schönen Blau-Grün oder Gelb-Rot…?

Früher war jeder beim Fernsehen mit Schwarz und Weiß und beim Kochen mit Salz und Pfeffer zufrieden. Heute wollen alle Millionen scharfe Farben und ebenso viele scharfe Gewürze. Lampen waren einst entweder an- oder ausgeschaltet und brauchten nicht stufenlos dimmbar zu sein. Wein wählte man nach rot oder weiß und manchmal einfach auch nach dem Geschmack aus und nicht nach einer von Hunderten Rebsorten und Anbaugebieten. Und wenn bei Omas Geburtstag jemand wissen wollte, woher der Kaffee stammt, wollte er nicht Brasilien, Kolumbien, Mexiko oder Indien als Antwort hören, sondern einfach Tchibo oder Eduscho…

Heutzutage geht aber einfach nichts mehr ohne möglichst viele Variationen. Mineralwasser gibt es nicht mehr nur mit oder ohne Kohlensäure, sondern in unzähligen Sprudelstärken und Mineralienzusammensetzungen. Was früher Rosa war, ist heute Malve, Flieder, Fuchsie oder Inkarnat. Selbst Parken ist nicht mehr einfach nur erlaubt oder verboten. Es gilt, sich uhrzeit- und tagesabhängig zwischen eingeschränktem und absolutem Halteverbot, Kurz- und Dauerparken, Frauen-, Mit-Kind-, Lieferanten- und Anwohnerstellplätzen zu entscheiden. Selbst Ampeln sind nicht mehr eindeutig rot oder grün, seitdem es den grünen Pfeil für Rechtsabbieger gibt…

Früher gab es auch nur zwei Arten von Kopfschmerzen; beide nach einer durchzechten Nacht: Eine wegen zu viel Bier in der Kneipe, die andere wegen dem Nudelholz zuhause. Heute muss man sich zwischen zwei Dutzend Kopfschmerzen entscheiden, gegen die es ebenso viele Tablettensorten gibt. Beeindruckend ist, wie viele Milchsorten mittlerweile angeboten werden, wenn man bedenkt, dass diese alle aus ein und demselben Euter stammen. Einkaufen ist schwieriger geworden als Scrabble ohne Vokale. Warum bloß so viel von allem? Man hat mit zweimal meist doch schon einmal Ersatz. Das ist mit Schlüpfern wie mit Lungenflügeln. Im Zweifelsfall kommt man mit nur einem aus…

War in meiner Kindheit Kleidung schmutzig, nahm Oma mehr oder weniger von dem immer gleichen weißen Universalpulver aus der Pappkiste und wusch so lange und heiß, bis das blaue Hemd sauber oder zumindest weiß war oder dem kleinen Bruder passte. Heutzutage soll und kann jeder zwischen unzähligen verschiedenfarbigen, unterschiedlich stoff- und temperaturgeeigneten Flüssig-, Gel- und Pulverwaschmitteln, Weich- und Hygienespülern wählen, die Kleidung, Haut und Waschmaschine gleichzeitig pflegen und ab und an sogar Flecken lösen, und hat ebenso viele Waschprogramme zu Verfügung. Als wenn es Socken interessieren würde, in welche Richtung sich die Trommel dreht…

Klar macht Weichspüler Sinn, um Handtücher nicht mit Schmirgelpapier zu verwechseln, aber muss man denn wirklich vor die Wahl zwischen April-, Sommer-, Blüten-, Meeres- und Halloweenfrische gestellt werden? Zahncreme muss farblich doch nicht zu den Fliesen passen? Das einzige, worauf ich farblich achte, ist Gemüse. Das mag ich grün. – Zahlen bitte… gruenetomaten@live-magazin.de.

Patrik Wolf

P.S.  Früher gab es auch beim Sex lediglich zwei Arten: Er oben oder sie unten.

 

Wo ist mein Laubsauger?

Hin und wieder wird es im Leben Zeit für Veränderungen. Das kann eine neue Frisur, neue Klamotten oder auch eine neue Beziehung bedeuten. Bei Frauen bedeutet es meist alles das zusammen. Aber auch bei uns Männern sind gelegentliche Veränderungen für die Weiterentwicklung wichtig. Hätten unsere Vorfahren nie Neues gewagt, wir würden an romantischen Abenden zu zweit heutzutage wohl noch immer in den Himmel starrend im Bärenfell neben dem Feuer sitzen statt aufs Handy glotzend im Unterhemd neben dem Fernseher. Spätestens wenn man beim Stöbern in alten Fotos feststellt, dass man schon vor zehn Jahren mit dem gleichen Haarschnitt, der gleichen Badehose und der gleichen Freundin in Urlaub war, gilt es Mut für Neues zu fassen. Auch wenn das heißen sollte, im zarten Alter um die Vierzig das Kinderzimmer bei den Eltern gegen eine eigene Wohnung einzutauschen…

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Ihr Kinderlein kommet

Irgendwann kommen Frauen zur leidvollen Erkenntnis, dass die Zeit vorbei ist, in der ihre Brüste den Bikini hielten und nicht umgekehrt. Wo einst knackige Äpfel darauf warteten, an den Mann gebracht zu werden, fallen nun matschige Birnen aus den Obstkörbchen. Ist die 35 einmal überschritten, sind die Pobacken einer Frau nicht mehr so hart wie Kokosnüsse, sondern nur noch so beharrt. Die Zeit hat aus Körpermaßen langsam Körpermassen werden lassen und tiefe Wunden in der weiblichen Seele und noch tiefere Löcher in den weiblichen Schenkeln hinterlassen. Die schönste Blume, aber auch die schönste Frau beginnt irgendwann zu welken. Es sei denn, sie ist aus Plastik. Wenn Frauen realisiert haben, dass sie länger zum Schminken ihres Gesichts als zum Streichen ihrer Wohnung brauchen und neue Schuhe als Trost nicht mehr ausreichen, beschließen sie, schwanger zu werden… Read more

Nur ein Katzenwurf entfernt

Was wäre die deutsche Sprache ohne ihre endlose Zahl an Doppeldeutigkeiten und geflügelten Worten, die uns tagtäglich begleiten und jeden Nichtmuttersprachler zur Verzweiflung bringen. Als gäbe es im Alltag nicht bereits genug Gelegenheiten, seinen Gegenüber falsch zu verstehen. Vor allem, wenn es sich beim Gegenüber um das andere Geschlecht handelt und es um die Frage geht, ob zum Angebot, spätabends noch mit auf einen Kaffee raufzukommen, neben Milch und Zucker auch noch das Frühstück am nächsten Morgen gehört. Fatal, wenn Sie beim romantischen Spaziergang ankündigt, dass der Abend mit Blasen enden wird, Er jedoch nicht ahnt, dass nicht etwa seine Attraktivität, sondern vielmehr ihre neuen Schuhe der Grund dafür sind… Read more

Gut abgeschnitten

Jeder verbringt seinen Samstag anders. Die einen nutzen ihn für den allwöchentlichen Jahresputz der Wohnung und jagen dabei dem nicht wahrnehmbaren, aber wegwischbaren Staub hinterher. Andere halten es für eine gute Idee, Einkäufe, die sie auch gut die Woche über machen könnten, zur samstäglichen Stoßzeit zu erledigen, wenn die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass es beim Kampf um den letzten freien Parkplatz vor dem Supermarkt oder um die letzte Packung Desinfektionsmittel zu Handgreiflichkeiten kommt, bei denen niemand mehr an Smart-Distancing denkt. Wiederum andere verbringen den halben Tag damit, sich an die vergangene Partynacht zu erinnern und danach den übrigen Tag damit, die wiedererlangten Erinnerungen noch einmal zu vergessen… Read more

Rettet die Omas

Über Jahrzehnte hinweg waren diejenigen unter uns, die aufgrund ihrer späten Geburt irgendwann in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts nicht mehr das Glück hatten, einen Weltkrieg, die Straßenkämpfe der 68er-Bewegung oder die RAF miterleben zu dürfen, in einem ziemlichen Dilemma: Auf die Frage, von welchen prägenden Lebensereignissen sie später einmal ihren Enkeln berichten können und sollen, gab es keine valide Antwort. Was würde die eigenen Kindeskinder bloß einmal so fesseln können, wie einen selbst damals Omas Geschichten, als sie erzählte, wie Opa in den 1940ern seine Stiefel irgendwo in Stalingrad verlor und seine Füße gleich mit…

Wer wie ich als jemand in den Vierzigern nach Lebenserfahrungen sucht, die er seinen Nachfahren einmal mit auf den Weg geben möchte, ist unsicher, ob Erlebnisse wie Maradonas Tor mit der „Hand Gottes“ bei der Fußball-WM 1986 oder das dreitägige Warten auf ein iPhone 4 vor einem Apple-Shop 2010 ausreichend wichtig sind, um an die nächsten Generationen weitergegeben zu werden. Auch wenn es seiner Zeit für mich selbst unfassbar traurig und bedeutend war, als das Yps-Heft eingestellt wurde, war das Verschwinden der Urzeitkrebse vom Zeitschriftenmarkt historisch gesehen wohl doch nicht so bedeutend wie das Verschwinden der Dinosaurier von der Erde…

Seit einigen Wochen können sich jedoch nun alle, die Hitler, Dutschke, Ensslin oder Dragonat nur noch aus Büchern, einer Guido-Knopp-Reportage oder daher kennen, weil sie deren Namen gerade gegoogelt haben, glücklich schätzen: Dank SARS-CoV-2 haben auch wir Prä- und Post-Millennials endlich etwas, von dem wir im Rentenalter Spannendes berichten können. Vorausgesetzt wir haben das Virus bis dahin überstanden und liegen dann nicht gerade zur Beatmung auf einer Intensivstation. „Corona“ klingt nicht nur wie der Titel eines neuen Dan-Brown-Romans, die Story um das Virus aus Wuhan ist auch genauso spannend, was ihr noch unbekanntes Ende angeht: Wer steckt dahinter? Wie viele Tote wird es geben? Gibt es eine baldige Fortsetzung? Spoiler Fehlanzeige…

Der Mensch ist bekanntlich nicht das intelligenteste Lebewesen auf der Erde, auch wenn er das gerne von sich glaubt. Im Gegensatz zu Tieren ist er weder beim Fortbewegen an Land noch im Fliegen, Schwimmern oder Sex ohne technische Hilfsmittel besonders gut. Während tierischer Nachwuchs oft bereits nach Stunden auf eigenen Beinen steht, schafft menschlicher Nachwuchs das meist nicht einmal nach 25 Jahren und einem abgeschlossenen Studium. Bestes Beispiel für die Überlegenheit der Tiere ist die Meeresschildkröte, die ihre Eier nachts am Strand ablegt und danach für immer verschwindet. Etwas, was Menschen fremd ist, sieht man einmal von alleinerziehenden Müttern ab, die seiner Zeit nach einem One-Night-Stand schwanger aus dem Ibiza-Urlaub kamen…

Bislang war die Wissenschaft davon überzeugt, dass es die Evolution war, die dazu geführt hat, dass der Mensch die Bäume verließ und begann, aufrecht zu gehen. Mit blickt auf unser archaisches Verhalten in den letzten Wochen beschleicht sich die Vermutung, dass unsere Vorfahren eher aus Dummheit von den Bäumen fielen und danach nur deshalb auf zwei Beinen weiterliefen, damit ihre Fingernägel länger halten. Die Annahme, dass sich unsere Intelligenz und soziale Kompetenz seit dem Neandertal weiterentwickelt haben, muss jetzt, wo wir wissen, dass es zum Leben nicht nur Wasser und Nahrung, sondern insbesondere Toilettenpapier braucht, als falsch angesehen werden…

Wer hätte bis vor kurzem gedacht, dass es nicht nur ethnische Konflikte in Asien oder der Kampf um Bodenschätze in Afrika sein können, die zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen führen, sondern auch der Kampf um Nudeln und Mehl mitten in Deutschland. Und das in einer Zeit, in der eigentlich kaum jemand mehr selbst backt, da er Brötchen lieber beim Discounter kauft, und Pasta üblicherweise beim Lieferservice bestellt. Wer momentan glaubt, dass gemahlener Weizen, geformter Hartweizengries und aufgerollter Zellstoff derart lebenswichtig sind, dass sie Ringkämpfe vor Supermarktregalen erfordern, der sollte zum Schutz vor Covid-19 auch über einen Hut aus Alufolie nachdenken…

Dass Corona nur so mittelgeil ist und uns einmal ziemliche Kopfschmerzen bereiten wird, war mir bereits klar, als ich zum ersten Mal eine Kiste davon getrunken hatte. Man muss kein Epidemiologe oder besonders intelligent sein, um zu verstehen, dass bei Ansteckungskrankheiten Maßnahmen wie Abstand halten, zuhause bleiben und Hygiene viel dazu beitragen, Ausbreitungen zu verlangsamen. Alternativ könnte man auch wie im Mittelalter Erkrankte einfach aus der Stadt jagen und durchseuchte Ländereien mit einer Schutzmauer umziehen, damit sich das Problem von selbst löst. Zumindest Letzteres funktioniert heutzutage nicht mehr, wie die Erfahrungen mit der DDR gezeigt haben…

Herdenimmunität funktioniert bei Menschen wohl nur bei der Immunität gegen Fakten. Geschlossene Lokale haben dazu geführt, dass sich Verschwörungstherorien und zweifelhafte Neuigkeiten aus dem Internet nach dem zehnten Pils nun nicht länger nur in der Stammkneipe, sondern auch in sozialen Netzwerken verbreiten: Dass schon die Simpsons das Coronavirus vorausgesagt haben, Luftanhalten als Schnelltest geeignet ist oder Alkoholgenuss und Oralverkehr – gerne auch kombiniert – als Prophylaxe ungeeignet sind. Man sollte nicht alles glauben, was man hört! Elvis starb keineswegs an Covid-19, sondern an einem vergifteten Mettbrötchen 2013 in einer Jugendherberge bei Bottrop …

Auch wenn Jüngere es oft nicht wahrhaben möchten, haben die letzten Wochen doch gezeigt, dass es im Leben ab und an größere Herausforderungen gibt als bei FIFA 20. Manchmal sollte man gerade in jungen Jahren froh sein, dass es bindende Regeln gibt: Sowohl nach ungeschütztem Sex wie auch wenn es darum geht, einen Virus im Zaum zu halten. Um schweigend aufs Smartphone zu starren und Freunden Textnachrichten zu schicken, braucht man nicht neben ihnen im Park zu sitzen. Mein Großonkel fühlte sich damals mit zwanzig auch unsterblich, wurde an der Front dann aber eines besseren belehrt. Soll heißen: Zuhause wäre das nicht passiert. Bei Bombenwetter daheim bleiben…

Mit der ungewohnt vielen freien Zeit geht jeder anders um. Die einen räumen auf und trennen sich zuerst vom langweiligen Bettbezug und danach von der langweiligen Bettbeziehung, die anderen flüchten vor der Einsamkeit und kommen mit dem zusammen, mit dem sie zuvor nur zusammen kamen. Wer handwerklich begabt ist, frönt dem nun reichlich vorhandenen Toilettenpapier und dem Internetangebot für Erwachsene, um sich seelisch wie auch anderweit zu entspannen, oder bastelt aus seinen alten Unterhosen Gesichtsmasken, um sie für den Preis eines Kleinwagens zu verkaufen. Viele holen auch längst benötigten Schlaf nach und zwar morgens im Home-Office…

Aus „Wir lagen vor Madagaskar und hatten die Pest an Bord“ soll kein „Wir lagen auf der Parkwiese und hatten Corona für alle“ werden. Was sich letzten Sommer noch wie eine spaßige Freibierparty angehört hätte, ist derzeit alles anders als Spaß. Ob sich junge Dinosaurier damals auch gut gelaunt zu Meteoriteneinschlags-Partys auf kreidezeitlichen Grünflächen getroffen haben? Wir können sie leider nicht mehr fragen. – Wer nächstes Weihnachten mit Oma und Opa zuhause statt auf dem Friedhof feiern möchte, sollte daher schlau sein: Abstand halten, Hände waschen, Maske auf und wenn es geht, zuhause bleiben. Rettet die Omas… gruenetomaten@live-magazin.de.


Patrik Wolf

P.S. Keep calm and wash your hands.

Aprilwetter

Alle Jahre wieder kommt nicht nur das Christuskind, sondern auch der April und mit ihm die Zeit, in der das Wetter unberechenbarer ist als eine angetrunkene Zwanzigjährige. Beschränkt der Mensch seine üblen Späße für gewöhnlich auf den ersten Apriltag, präsentiert das Wetter seine Aprilscherze oft den ganzen Monat über. Da ist es schon einmal möglich, dass man bei zwanzig Grad und blauem Himmel mit dem Auto in die Waschstraße fährt und diese nur Minuten später bei zwei Grad und Schneeregen wieder verlässt. Die lang ersehnte erste Cabriofahrt des Jahres kann einem im April durchaus schon einmal vermiest werden, wenn man blauäugig dem Wetterbericht vertraut und Sonne erwartet, mit offenem Verdeck auf der Autobahn dann jedoch eines Besseren belehrt wird und bis zur nächsten Ausfahrt das Wasser bereits knöchelhoch im Fußraum hat…

Früher machte Petrus das Wetter, später dann Jörg Kachelmann. Mittlerweile präsentieren unzählige Internetseiten und Smartphone-Apps für den gleichen Ort zur gleichen Zeit völlig unterschiedliche Wetterprognosen, die alle nur darin übereinstimmen, dass keine von ihnen richtig ist. Darüber sehen viele Nutzer jedoch großzügig hinweg, solange zumindest die neben den bunten Wettersymbolen eingeblendeten noch bunteren Werbeanzeigen zu günstigen Schuhangeboten oder Viagra der Wahrheit entsprechen. Früher hielten sich die Wettervorhersagen gerade im April mit klaren Aussagen bewusst zurück und kündigten stets nur „heiter bis wolkig, zeitweise Regen“ an. Keiner traute sich damals mehr Verbindlichkeit zu. Heute liefern Internet und Apps bereits Monate im Voraus zielsicher Temperatur- und Luftdruckangaben auf die zweite Nachkommastelle genau für jede Hausnummer…

Allen Wetterdiensten und Wetterregeln zum Trotz ist zu Beginn des Frühjahrs niemand wirklich in der Lage, verlässlich vorherzusagen, was sich in der Atmosphäre tut. Selbst Siri und Alexa wissen morgens noch nicht, ob man mittags besser Flipflops oder Gummistiefel bestellen sollte. Das Wetter im April verhält sich wie ein Teenager mit Frühlingsgefühlen, dessen Stimmungsschwankungen einem den Tag verhageln können. Auch wenn es kein Wetterfrosch zugeben würde, übersteigt die Prognosegenauigkeit der Wettermodelle zu Anfang des Frühlings kaum die Trefferquote einer Jahrmarktswahrsagerin. Eher findet man die richtigen Lottozahlen in einer Buchstabensuppe als die richtigen Temperaturen für den Folgetag in einem Wetterbericht. Irgendwie passen die Vorhersagen nicht zum Wetter oder – wie der Meteorologe sagen würde – das Wetter nicht zu den Vorhersagen…

Meist wird von Wetterexperten, nachdem zur Eröffnung der Grillsaison bei angekündigten frühsommerlichen Temperaturen erst einmal der Grill vom Schnee befreit werden musste, die Schuld auf ein Tief geschoben, das irgendwie nicht hoch kam und sich lange nicht entscheiden konnte, ob es nun über Island schlummern oder sich bei uns austoben will. Man muss sich ja auch nicht wundern, dass das Wetter nie zur angekündigten Zeit am angekündigten Ort ist: Bei dem Gewirr aus Linien, Zahlen und Farben, das sich auf Wetterkarten findet, ist es nicht anders als mit den Autofaltkarten von früher, die auch nie dabei halfen, ans richtige Ziel zu kommen und mehr als nur den einen Familienurlaub ins Wasser fielen ließen, als Vati erst nach Stunden auffiel, dass Mutti die Karte falsch herum gehalten hatte und man deshalb den Alpenurlaub an der Nordsee verbringen durfte…

Im Wetterbericht der 1980er war stets noch der Golf von Biskaya Ursprung allen Übels. Als Kind lernte man, dass schlechte Menschen aus Russland, schlechte Angewohnheiten vom vielen Fernsehen und schlechtes Wetter aus dem Golf kommt, von dem niemand wusste, wo er eigentlich liegt. Irgendwann hat es sich die Biskaya dann wohl mit dem Deutschen Wetterdienst verscherzt. Stattdessen hört man heutzutage von Funtensee, dem deutschen Kältepol bei Berchtesgaden. Ankündigungen von Fronten und Stürmen aus Berchtesgaden sind dem deutschen Volk ja vertraut. Dort wusste man schließlich schon vor achtzig Jahren am besten, ob man Bombenwetter oder Blitz kriegt. Hätte man damals zeitig erkannt, dass die angekündigten Hochs eigentlich Tiefs waren, man hätte sich viel Heizen sparen und für den Ausflug nach Stalingrad statt Sonnencreme noch ein Paar Socken mehr einpacken können…

Wer Wetterberichte im Fernsehen verfolgt, dem stellen sich unweigerlich Fragen: 1.) Nach welchem Prinzip werden eigentlich die Städte ausgewählt, die auf den Wetterkarten abgebildet sind? 2.) Sind die Ratiopharm-Zwillinge und der Grippostad-Pinguin überhaupt daran interessiert, dass es gutes Wetter gibt? Und 3.) Woher kommen die vermeintlich seriösen Wetterfeen, die keine Schwierigkeiten hätten, bei Heidi Klum einen Vertrag zu bekommen, es aber vorziehen, im Nachmittagsprogramm über Kaltluft im Hunsrück zu berichten? Geht man von der üblichen Meteorologie-Studentin aus, die selbst nackt aussieht, als würde sie einen Norwegerpulli tragen, vollbringt Fernsehschminke entweder wahre Wunder oder aber die Modelmiezen, die tief dekolletiert über das Wetter am Jadebusen berichten, haben keine Ahnung von dem, was sie ablesen und halten einen Zyklon für eine einäugige Sagengestalt und Graupel für den Körnerkram in Omas Suppe…

Und so harre ich in diesen Tagen wieder einmal jeden Abend aufs Neue gespannt vor dem Fernseher in zweifelhafter Erwartung auf eine neue Wettermärchenstunde, während ich mich mit Wolldecke und Tee vom angekündigten „ersten herrlichen Frühlingstag“ erhole, der mich mittags beinahe weggeblasen hätte, wäre ich nicht vorher schon weggespült geworden. Während sie im Fernsehen etwas von einer gestern noch nicht absehbaren Verzögerung des Hochs und garantiert blauem Himmel für morgen berichten, beginnen meine Terrassenmöbel über den regenüberfluteten Balkon zu treiben, während seltsam weißes Zeug vom Himmel fällt. Aber was will man auch schon von einem Hoch erwarten, das Kevin heißt? Aprilwetter… gruenetomaten@live-magazin.de.

 

Patrik Wolf

P.S. Satte 299 Euro plus Mehrwertsteuer kostet die Namenspatenschaft für ein Hochdruckgebiet. Dafür kann man nun wirklich gutes Wetter erwarten.

Mindesthaltbarkeit erreicht

„Wer älter wird, wird weiser“ meint ein Sprichwort. Nicht nur denjenigen, die gut in Rechtschreibung sind, wird mit zunehmendem Alter bewusst, dass damit wohl nicht das immer fahler werdende Gesicht gemeint ist, das einen morgens aus dem Spiegel entgegenblickt und das jeden über Vierzig von Tag zu Tag mehr an Opa oder Oma als an einen selbst erinnert. Zu realisieren, dass man älter wird, ist nicht einfach, lässt sich aber gerade bei Frauen in der Regel nicht vermeiden; und auch danach nicht. Zwar versprechen viele überteuere Kosmetika, Firnessgurus und Ernährungstipps ewige Jugend mit Traumgewicht, das einzige was durch diese in Form bleibt und leichter wird, ist jedoch der Geldbeutel. Wer effektiv etwas gegen das Altern tun will, dem bleibt nicht viel anderes übrig, als früh zu sterben…

Mit dem Älterwerden ist das eine verzwickte Sache. In jungen Jahren wünscht man sich sehnlichst, endlich erwachsen zu werden, um selbst entscheiden und tun zu können, was man möchte, da man es als Kind satt hat, machen zu müssen, was andere sagen. Kaum dass man dann erwachsen ist, wünscht man sich sehnlichst die Kindheit zurück, als man noch nicht selbst entscheiden musste und tun konnte, was man mochte, da man es als Erwachsener satt hat, machen zu müssen, was andere sagen. Irgendwie hatte man sich als Kleiner das Leben als Großer toller vorgestellt, als man mit dem Erwachsensein noch lange aufbleiben, nachts Fernsehen schauen und Eis essen so viel man mag in Verbindung brachte statt wie heute Alimente, Steuererklärung und Prostatavorsorgeuntersuchung…

Seit der Kindheit hetzt jeder von uns vermeintlich erstrebenswerten Zielen entgegen wie ein Esel der Karotte. Nur um nach ihrem Erreichen feststellen zu müssen, dass jedes Ziel bloß der Start für die nächste Etappe im Leben ist, an deren Ende eine größere Karotte wartet. Hinzu kommt die nüchterne Erkenntnis, dass es trotz größter Mühen stets jemanden gibt, der das gleiche Ziel schneller und besser erreicht und am Ende die größere Karotte hat. Das ist beim Sandburgenbau im Kindergarten bereits ebenso wie später bei Prüfungen oder beim Sex mit dem langjährigen eigenen Partner. Das Hinarbeiten auf ein Ziel ähnelt der Installation einer App: Ob 100 % erreicht werden, bleibt bis zum Ende spannend und setzt voraus, dass es zu keinem Absturz kommt und man genug Power hat…

Unser Leben ist zu einem All-you-can-eat-Buffet geworden, bei dem wir alles Schöne, was bereits auf dem eigenen Teller liegt, kaum mehr genießen können, da wir uns schon Gedanken machen, was wir uns als Nächstes aufladen. Jeder hastet und blickt neidisch auf den Teller des Nachbarn, um zu prüfen, ob dieser nicht vielleicht ein größeres oder schöneres Stück vom Kuchen abbekommen hat. Das ist beim Mittagessen in der Kantine nicht anders als beim Aushändigen irgendeines Zeugnisses oder beim Besichtigen des neuen Hauses von Freunden. Auch wenn es uns nicht bewusst ist, wir vergleichen uns immer und überall mit anderen und beneiden zumindest unterbewusst diejenigen, die mehr haben als wir selbst. Das wird jeder Mann bestätigten, der ab und an einmal in die Sauna geht…

Unser Leben ist ab dem Moment stressig, in dem sich vor uns der Muttermund öffnet, und bleibt dies so lange, bis sich über uns der Sargdeckel schließt. Dazwischen hetzen wir durch Kindheit, Jugend und Erwachsensein. Zwischen der Lebensphase, in der wir noch in Windeln machen, und der Lebensphase, in der wir wieder in Windeln machen, soll nichts dem Zufall überlassen sein. Mit Durchtrennen der Nabelschnur wird Neugeborenen der Fahrplan fürs Leben in die Hand gedrückt, in dem Einser-Abitur, Medizinstudium cum laude, fünf Sprachen und drei Musikinstrumente obligatorisch sind. Anfangs ist jeder motiviert, erst Kindergarten, dann Schule sowie Lehre oder Studium schnell zu durchlaufen, um frühestmöglich im Beruf zu landen und dort auf Rente oder Tod zu warten…

Gestern kaum gekannt, heute schon verheiratet, morgen bereits wieder geschieden. Irgendwann steht man als Erwachsener um die Vierzig mit seriösem Beruf und geregeltem Einkommen da, blickt zurück auf dreißig Jahre Stress und realisiert, dass vor einem weitere dreißig Jahre Stress liegen, an deren Ende man reicher an Erfahrung und vielleicht auch reicher an Vermögen sein wird; oder bereits tot. Um das eigene Leben umzukrempeln und nur noch das zu machen, auf was man Lust hat, ist man einerseits schon zu alt und andererseits noch zu jung. Auf der Flucht vor der Midlifecrisis kommen viele auf recht dumme Gedanken: Das endet bei den einen in Alkohol, Drogen und Verschuldung wegen Glückspiels, bei den anderen in Heirat, Kindern und Verschuldung wegen des Eigenheims…

Mit zunehmendem Alter wird einem bewusst, wie viel Zeit man früher in Ziele investiert hat, die es nicht wert waren: Die Mühe, die man in der Schule in die Verbindung von Estern im Chemiekurs steckte, für die es am Ende eine Sechs gab und die mit einem Puff endete. Oder die Mühe, die man nach der Schule in die Verbindung mit Esther aus dem Chemiekurs steckte, für die es am Ende keinen Sex gab und die in einem Puff endete. Bedenkt man, wie mühevoll es einst war, mit Vatis Kamera ein paar verwackelte Fotos der umschwärmten Banknachbarin im Freibad zu machen und wie mühelos heute zig hochauflösende Bikinifotos der umschwärmten Büronachbarin bei Twitter und Co. verfügbar sind, kommt man sich vor wie sein eigener Opa, der von der Zeit vor dem Krieg erzählt…

Irgendwann über Vierzig kommen wir Männer in ein Alter, in dem wir uns sonntags nicht mehr darüber ärgern, zu früh wach zu werden, sondern froh sind, überhaupt noch wach zu werden. War Mann einst glücklich, wenn er nicht aus dem Bett musste, reicht es irgendwann zum glücklich sein aus, wenn er noch aus dem Bett kommt. Wer früher stolz war, erst nach dem zehnten Bier Pinkeln zu müssen, ist irgendwann schon zufrieden, wenn das erste Bier nicht schon wieder unten raus will, bevor es oben ganz drin ist. Während es für Millennials wichtig ist, etwas auf dem Teller zu haben, was ihr Gewissen nicht belastet, ist es für uns, die wir unsere Pubertät in den 1990ern verbrachten, mehr und mehr wichtig, etwas auf dem Teller zu haben, was unsere Gebisse nicht belastet…

Bei Frauen geht es in jungen Jahren vor allem darum, Sex zu haben und Kinder zu vermeiden. Diese Haltung wandelt sich mit der Zeit dahin, Kinder zu haben und Sex zu vermeiden. Verhüten Frauen unter Dreißig meist mit der Pille, tun sie es ab Dreißig meist mit Licht im Schlafzimmer. Das Gefallen, das Frauen an Handtaschen in allerlei Farben und Größen mit verschiedensten Verschlüssen haben, schwenkt ab Dreißig auf Tupperdosen in allerlei Farben und Größen mit verschiedensten Verschlüssen um, die wie einst die Handtaschen nach einmaliger Benutzung in einer Schublade verschwinden. Frauen Ü40 sind übrigens der Meinung, Mädels U20 würden es heutzutage mit dem Alkohol übertreiben. Mädels U20 denken über Frauen Ü40 genau das gleiche. Beide haben Recht…

Fest steht, dass auch der, der äußerlich älter wird, sich seine Jugend innerlich erhalten kann. Das wird jeder bestätigen, der schon einmal bei einem Klassentreffen alte Schulkameraden getroffen hat, die äußerlich zwar kahl und dick geworden sind wie ihr Vater, innerlich jedoch noch genau das gleiche Arschloch geblieben sind wie in der zehnten Klasse. Lernen wir beim Älterwerden denn gar nichts aus der Vergangenheit? Vielleicht nur so viel, dass besoffen Auto zu fahren dank Spurhalteassistent im Oberklassenfahrzeug mit Vierzig deutlich einfacher ist als im Kleinwagen mit Zwanzig. Das zu Beginn erwähnte Sprichwort stimmt also vielleicht gar nicht. Oder aber es enthält einen Rechtschreibfehler. Mindesthaltbarkeit erreicht… gruenetomaten@live-magazin.de.

 

Patrik Wolf

P.S. Wer früher stirbt, ist länger tot.