• Termine, News und Wissenswertes aus Saarbrücken, dem Saarland und der Welt:

Mel´s Mikrokosmos

Strike a pose!

Hallo Mikrokosmonauten: „…denn wir haben immer noch das Recht, zu glänzen!“

Schon als Kind trichtert man uns ein, dass es nur eine einzige akzeptable Lebensform gibt, sobald wir erwachsen sind. Nämlich heiraten und eine Familie gründen. Im Idealfall natürlich mit einer Person des anderen Geschlechts. Nur so ist es richtig. Und nicht anders. Mutter, Vater, Kind. So zeigt man es uns im Fernsehen, so machen es alle, so wollen es alle, so wünschen es sich alle. Und Barbie gibt es ohnehin nur mit Ken. Ich kann mir vorstellen, dass sich jeder, der sich damit nicht identifizieren kann und dessen größter Wunsch es nun mal nicht ist, zu heiraten und eine Familie zu gründen, einen Kampf zu kämpfen hat, der bis ans Lebensende kräftezehrend und schmerzhaft ist und bei dem man Opfer bringen muss.

Ich schaue mir gerade eine neue Serie an: Pose. Es geht um die New Yorker Ballroom-Szene der Achtziger. Genauer gesagt: Um Transsexuelle, Schwule, Schwarze und Queere, die am Rande der Gesellschaft leben. Eine Subkultur. Diejenigen, die nicht akzeptiert werden, die man verspottet, schikaniert, quält und im schlimmsten Falle umbringt. Die, die von der eigenen Familie verstoßen wurden und in der Szene eine neue Familie aus Gleichgesinnten finden. Schwule zählen seit jeher zu meinem Freundeskreis. Und generell finde ich es absolut erstrebenswert, dass Homosexualität  mehr und mehr als etwas Normales angesehen wird. Aber dennoch scheinen sie und Transsexuelle noch immer etwas Exotisches zu sein. Etwas, mit was viele Leute nicht so recht umgehen können. In meinem Ort existiert zum Beispiel nur eine einzige Person, die sich offen zu ihrer Transsexualität bekannt hat. Die eigentlich eine Frau sein möchte, aber als Mann geboren wurde. Ich möchte nicht wissen, wie viele sie schief anschauen oder gar verachten für ihre Entscheidung. In der Serie Pose werden Transgender meist als starke Persönlichkeiten dargestellt. Autark. Eigenwillig. Unberechenbar. Ich glaube, so muss man auch sein, wenn man eine Entscheidung solcher Tragweite trifft. Im Grunde folgen sie lediglich ihrem Herzen, aber der Gesellschaft ist das völlig egal. Homo- und transfeindliche Gewalt ist immer noch allgegenwärtig. Dabei müssten wir es längst besser wissen. Wie wäre es, wenn wir einfach mal aufhören zu glotzen, wenn Homosexuelle in der Öffentlichkeit knutschen? Oder zu lachen aufhören, wenn Transgender öffentlich zugeben, im falschen Körper zu leben? Ach, ihr glotzt  gar nicht? Ihr lacht nicht? Ihr urteilt auch nicht? Doch, ganz gewiss tut ihr das. Noch immer. Auch 2021 tut ihr das.

Unnatürlich – So urteilt man aber nicht nur über Transgender und Homos. Unnatürlich sind irgendwie auch alle anderen, die zwar hetero sind, aber niemals heiraten, keine Kinder bekommen und sich gegen das Modell der konventionellen Familie entscheiden. Weil sie es entweder nicht wollen oder nicht können. Wider der Natur – Der Wunsch, sich zu reproduzieren ist schließlich in uns allen verankert! Wirklich? Und so fällt es mir jedes Mal wieder wie Schuppen von den Augen: Ich muss gar nicht in die Welt der Transsexualität abschweifen, um zu erkennen, dass man bereits Ablehnung erfährt, wenn man nicht so lebt, wie man es von einem erwartet. Dass man immer so etwas wie ein Paradiesvogel für andere ist. Oder etwas nicht stimmen kann, wenn man mit Ende 30 unverheiratet und kinderlos ist und kein Eigenheim besitzt. Und wenn man zuweilen Entscheidungen fällt, die für die meisten nicht nachvollziehbar sind.

Pose lebt von schillernden Charakteren. Einer davon heißt Electra. Eine schwarze Lichtgestalt à la Grace Jones. Ein herbes aber wunderschönes und makelloses Gesicht, eine imposante Figur, Beine bis zum Himmel und perfektes Stilgefühl. Kurzum: Jeder Catwalk dieser Welt würde sich die Finger nach ihr lecken. Electra ist skrupellos, kompromisslos und hemmungslos. Augenscheinlich ist sie ein Biest, aber für ihre Freunde geht sie über Leichen und zeigt auch mal Herz. Man muss sie einfach lieben. Vielleicht, weil man sich wünscht, manchmal zu sein wie sie, Gift zu sprühen, sein Ziel niemals aus den Augen zu verlieren und so extrem willensstark zu sein. Und um es à la Electra auszudrücken:

„Ich sehe zu gut aus, um nicht gesehen zu werden!“

Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber mich inspirieren starke Frauen. In diesem Fall Frauen, die früher Männer waren. Ich bin selbst überrascht, aber ich habe nach Sex and the city nie wieder so viel Lebensbejahung aus einer Serie gezogen wie aus dieser tiefgründigen Hommage an Menschen, die eben nicht so ganz ins gesellschaftliche Bild passen.

Gemeinsamkeiten

Ich passe auch nicht ins Bild. Mein persönliches Coming Out lautet: „Weiblich, unverheiratet, kinderlos.“. Mit fast 40. Als ich mit 24 die Möglichkeit hatte, einen anderen Weg einzuschlagen, weil ich schwanger wurde, entschied ich mich für einen Abbruch und flog danach nach Ibiza, um alles zu vergessen. Jahrelang sprach ich nicht darüber, weil ich mich schämte und Angst hatte, verurteilt zu werden. Und da sind wir wieder: Wenn du aus dem Rahmen fällst, wirst du verurteilt und sogar aussortiert. Ich hatte über Leben und Tod entschieden. Und ich stand auch noch voll und ganz hinter dieser Entscheidung. Mehr noch: Ich hatte nicht eine Sekunde gezögert, diesen Weg zu gehen. Ich hielt mich deswegen für einen unglaublich schlechten Menschen, ich fühlte mich wie der Teufel, ich fragte mich danach auch immer wieder, wann denn endlich die großen Tränen kommen würden und letztendlich die Trauer? Vielleicht auch das Gefühl von Reue. Aber es kam nichts. Ich glaubte sehr lange Zeit, dass ich es nicht verdient hatte, einfach so weiterzuleben. Fast 15 Jahre später denke ich manchmal dran und frage mich, wie sich mein Leben entwickelt hätte, wenn ich anders entschieden hätte. Aber dann denke ich jedes Mal: „Alles was geschieht, hat einen Grund.“.

Setzt ein Zeichen! Zeigt euch! Steht zu euch!

Ich weiß, dass ich wegen meines Lebensstils teilweise bemitleidet und traurig gemustert werde. Schließlich bin ich laut anderer ja irgendwann ganz alleine, weil ich kinderlos bin. Und Einzelkind. Und weil ich keine große Familie habe. Bei mir gibt es keine Fotoalben mit Hochzeitsfotos drin. Ich weiß, dass es die wahrscheinlich auch nie geben wird, es sei denn, ich gaukele einem Brautmodengeschäft eine kommende Hochzeit vor, um meine Mutter glücklich zu machen, dass sie mich in ihrem Leben noch in einem Hochzeitskleid bestaunen kann.

Wirf‘ dich in Pose!

Meine Putzfrau ließ neulich verlauten, dass ich es im Leben richtig mache. Weil ich mich von nichts und niemandem abhängig mache und frei bin. So ganz stimmt das zwar nicht, weil ich wahrscheinlich im Dreck verenden würde, wenn ich keine Putzfrau hätte. Jedoch bestärkt mich dieser Zuspruch. Und wenn ich mich  besonders gestärkt fühle, werfe ich meine Haare zurück, mache mich so groß, wie es geht und stolziere einfach drauf los, auf meinem Catwalk des Lebens. Und in diesem Moment fühle ich mich allen anderen starken Frauen so nah. Frauen, deren Lebensweg genauso ungewöhnlich ist wie meiner. Frauen, die im Leben weitreichende Entscheidungen getroffen haben. Und die sich nicht verbieten lassen, zu glänzen. Trotz allem! Ich werde nie alleine sein! Wir gehen alle Hand in Hand. Wir alle sind Electra!

Alles was du brauchst
ist deine eigene Vorstellungskraft
Also benutze sie
dafür ist sie da
Geh in dich hinein für die schönste Inspiration
Deine Träume werden die Tür öffnen.

Es macht keinen Unterschied, ob man schwarz oder weiß ist
Ob man ein Junge oder ein Mädchen ist
Wenn die Musik läuft, wird sie dir
ein neues Leben geben.
Du bist ein Superstar, ja, das bist du!
Du weißt es!

(Madonna)

 

Previous ArticleNext Article