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Grüne Tomaten schlafen wütend

Superspreader

Endlich ist dieses 2020 nun also vorbei. Ein Jahr, das nur denjenigen in guter Erinnerung bleiben dürfte, die Aktienanteile von Amazon besitzen oder in weiser Voraussicht ihr Erspartes frühzeitig in Unternehmen der Desinfektionsmittel- und Plexiglasindustrie gesteckt haben. Dank der zukünftig verfügbaren Impfstoffe gegen Covid-19 ist das Ende absehbar: Das der Pandemie oder das unsrige. Das Licht am Ende des Tunnels ist zu erkennen, auch wenn derzeit noch nicht ganz klar ist, ob dort dann das alte Leben aus der Vergangenheit oder das neue Leben in der Ewigkeit wartet…

Wer hätte gedacht, dass ein Virus mit dem Namen eines Bieres sogar uns Ü40er vorübergehend die Midlife-Crisis vergessen lassen würde. Plötzlich waren es nicht mehr der zurückgehende Bestand an Kopfhaaren oder die Angst vor Orangenhaut, die einen nachts nicht mehr schlafen ließen, sondern der zurückgehende Bestand an Toilettenpapier und die Angst, keine Orangen mehr zu bekommen. Jetzt wo Anlass zur Hoffnung besteht, dass wir bald wieder ohne hinderliche Masken und Ellbeugen frei husten und niesen dürfen, können wir uns wieder mehr unseren alten Alltagsängsten widmen…

Ich bin schon wieder soweit, dass die Angst vor dem Blick auf die Corona-Warn-App von der Angst vor dem Blick auf den Kontoauszug abgelöst wurde. Da gerät man schon ins Grübeln, ob man nicht einen Fehler gemacht hat, als man sich damals für einen seriösen Beruf entschied. Wie kann man trotz Vollzeitjob und einer nur garagengroßen Wohnung stets ein Minus auf dem Konto haben? Und das ganz ohne teure Hobbys, Affären und Alimentezahlungen, obwohl man die Unterwäsche nur wöchentlich wechselt und zum Stromsparen die Tiefkühlpizza unter der Bettdecke auftaut…

Schuld an der Misere sind meine Eltern, die mir als Kind einredeten, dass man es im Leben nur zu etwas bringt, wenn man fleißig ist und mir verschwiegen, dass ich auch hätte Politiker werden können. Da ich leider nicht das Glück hatte, einen Arzt in der Familie zu haben, der mir ADHS attestiert, musste ich für gute Noten lernen. Während die Nachbarjungen mit Attest ihre Freizeit mit Vodka und Chillen verbrachten, verbrachte ich meine mit Vokabeln und Schiller. Die Anderen wurden cool, ich wurde dick. Während sie sonntags Alkohol abbauten, lernte ich die chemischen Formeln dazu…

Ich hätte besser nie auf meine Eltern gehört und mein Taschengeld in jungen Jahren statt mit dem Herumschieben von Waren im Hela-Autoteile-Park besser mit dem Verschieben von Autoteilen als Hehlerware verdient wie einige meiner Klassenkameraden. Dann könnte ich heute sicher mit einem Mercedes-Sportwagen fahren statt mit einem Mercedes-Linienbus. Besagte Klassenkameraden waren zwar mies in Mathe, wussten aber dennoch, wie man Geld vervielfacht. Heute weiß auch ich, dass man für einen gutbezahlten Job lieber ein paar Jahre ins Gefängnis statt aufs Gymnasium geht…

Irgendwie habe ich nicht viel richtig gemacht. Eine Lehre schied für mich aus. Nicht wegen zwei linker Hände, sondern eher wegen vier linker Füße. Um Bankdirektor zu werden, war ich nicht schlau genug, um Bankräuber zu werden, nicht dumm genug. Also blieb mir nur das, was alle Verzweifelten tun: Studieren und Promovieren. Heute schäme ich mich dafür, nicht mehr als einen Hochschulabschluss und einen Bürojob vorweisen zu können. Einziges Wagnis, auf das ich mich jemals eingelassen habe, war das vorsätzliche Lösen eines zu billigen Bustickets als ich einmal nicht genug Kleingeld hatte…

Nicht mal einen gefälschten Schülerausweis hatte ich früher. Und das trotz bester Voraussetzungen. Mein Onkel Ede hatte mir schon früh gezeigt, dass auch ohne Job am Monatsende immer noch Geld für eine Flasche Korn übrig ist. Er hatte immer Geld in der Tasche, wenn auch nicht das eigene. Früh versuchte er mir klarzumachen, dass nichts in die Sozialkasse einzubezahlen nicht heißt, sich nicht aus ihr zu bedienen. Aber ich wollte ja auf eigenen Beinen stehen und für Geld Hunde ausführen. Dabei wäre anderen die Beine brechen und Hunde für Geld entführen lukrativer gewesen…

Wie gerne würde ich die Uhr zurückdrehen und die Schule nach der Neunten abbrechen. Dafür ist es aber zu spät. Was also tun, um an mehr Geld zu kommen? Beim Pokern wäre ich nicht sehr erfolgreich, bei der Prostitution noch weniger. Drogenschmuggel hat schon nicht funktioniert, als ich einmal versuchte, eine Bockwurst aus dem Flugzeug einzuführen. Also dann einen neuen Job? Bestatter vielleicht, die haben nie Ärger mit ihren Kunden. Oder Handwerker? Mit Schwarzarbeit kann man schließlich in wenigen Jahren mehr verdienen als ein treuer Steuerzahler im halben Leben…

Vielleicht sollte ich Müllmann werden. Dann dürfte ich Anwohner beim Rückwärtsfahren morgens um 5 Uhr mit nervigem Gepiepe aus dem Schlaf reißen und jeden im Berufsverkehr in den Wahnsinn treiben, in dem in einfach grundlos irgendwo anhalte. Ich könnte Tonnen vertauschen, wenn ich das will, oder diese einfach ungeleert stehen lassen, wenn ihr Besitzer an Weihnachten keinen Schnaps springen lässt. Ich hätte jeden Tag von 9 bis 11 Uhr Frühstückspause, von 12 bis 14 Uhr Mittag und um 15 Uhr Feierabend. Und bei Schnee könnte ich morgens gleich im Bett bleiben. Nett…

Eine Alternative wäre Busfahrer. Keiner würde dann mehr von mir erwarten, auf Arbeit freundlich zu sein. Jeder würde darüber hinwegsehen, wenn ich in Tobsucht gerate, weil jemand das Geld für seine Fahrkarte nicht passend hat. Ich hätte Spaß dabei, Menschen im Rückspiegel zu beobachten, die zur Haltestelle hetzen, und könnte just in dem Moment, in dem sie die Bustür erreichen, hämisch grinsend losfahren. Jedes Mal, wenn mich ein Fahrgast anspräche, würde ich einfach auf den Aufkleber zeigen, der darauf hinweist, dass ich während der Fahrt nicht angesprochen werden darf. Schon toll…

Oder LKW-Fahrer? Da könnte ich während der Fahrt in Ruhe Zeitung lesen und Zehennägel schneiden. Dank Tempomat und den Lenkkünsten meines Knies würde mein 40-Tonner sicher in der Spur bleiben. Bei Glätte bräuchte ich mir keine Gedanken über Winterreifen zu machen, da erwartet würde, dass sich mein Laster dank Sommerreifen an der ersten Steigung querstellt. Wenn nicht LKW-, dann zumindest Kurierfahrer. Mit 150 Sachen im Kleinbus ohne Mindestabstand auf Überholspur oder Radweg. Bei schweren Paketen vorgeben, die Adresse nicht gefunden zu haben, könnte ich auch…

Aber ich wollte ja unbedingt Akademiker werden. Wäre ich doch wenigstens Sportlehrer geworden. Mit vorgetäuschtem Rückenleiden könnte ich jetzt schon im Vorruhestand sein, den Vorsitz im Kaninchen-Zuchtverein inne haben und meinen Nachbarn das Leben zur Hölle machen, falls ihre Tanne auf mein Grundstück nadelt. – Wer so wie ich zu nichts Talent hat, ist vielleicht zumindest dafür geeignet, das Coronavirus weiterzuverbreiten. Denn wie sagt schon das Sprichwort: Wer nichts wird, wird Wirt! Superspreader… gruenetomaten@live-magazin.de.

 

Patrik Wolf

P.S. Apropos Berufe und Viren: Wer schadet der Menschheit wohl mehr? Influenza oder Influencer?

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