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Titelstory

Zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig!

Seit Mitte Mai sind sie endlich da, die lang erwarteten Lockerungen in der Gastronomie, zumindest für Kneipen, Cafés und Restaurants. In die Röhre gucken nach wie vor die Betreiber von Clubs, Diskotheken und die Konzert- und Eventveranstalter. Bekannte Saarbrücker Macher teilen ihre Erfahrungen und Einschätzungen zum Stand der Dinge.

Kühlschränke und Lager wurden eingeräumt, Schnaps- und Gläserregale befüllt, aber auch Abstände gemessen, Tische hin- und hergerückt und Plexiglaswände aufgestellt. Denn für die Lokale gelten besondere Regeln. Es müssen Hygiene- und Abstandsregelungen eingehalten werden, wie Mund-Nasenschutz für das Personal und auch den Gästen wird das Tragen eines Mundschutzes empfohlen. Und schon um 22.00 Uhr müssen die Lokale schon wieder schließen.

Ob sich der Betrieb der Gaststätten unter diesen Bedingungen wirklich rechnet, ist zumindest fraglich und in erster Linie davon abhängig, wie schnell weitere Lockerungen die Situation verbessern. Das gilt besonders für den Teil der Branche, der weiterhin ganz geschlossen bleiben muss, denn die Einschränkungen für Konzerte, Veranstaltungen und Clubs haben weiter Bestand. Da wundert es schon fast, dass bislang nur das Saarbrücker Spaßbad „Corona“ Insolven anmelden musste, aber im Gastrobereich von Saarbrücken noch von keiner coronabedingten Pleite zu hören war.

Egal, ob es sich um die „Kneipe an der Ecke“ oder ein ambitioniertes Speiselokal handelt, fast alle Betreiber haben den Lockdown ähnlich verbraucht. Agnetha Bies, Inhaberin vom „Zum Hau“ in Alt-Saarbrücken ist ein Musterbeispiel. Gesundheitlich hat sie alles gut überstanden und erzählt: „Kurz gefasst, hab‘ ich zwar am Anfang meinen hektischen Alltag als Selbstständige in der Gastro vermisst, dann hab‘ ich die Zeit bestmöglich genutzt und mir einfach gespart, jeden Tag rum zu jammern. Schließlich habe ich den Laden vorbereitet, die vorgeschriebenen Abstände genau ausgemessen und die Tische entsprechend umgestellt. Der Tresen, der bei uns im Laden eigentlich am meistens genutzt wird, darf ja so nicht mehr benutzt werden darf. Also haben wir die Theke abggehängt und mit Spukschutz versehen, teilweise mit Plexiglas, aber auch mit einem transparenten Duschvorhang. Das war günstiger (lacht). Die Anzahl meiner Tische konnte ich beibehalten, nur jetzt eben mit weniger Stühlen dran. Unterm Strich bleiben mir so höchstens die Hälfte aller Plätze.“

Auch Christian Probst und Michael Arnold vom „Hilde & Heinz“ in der Mainzer Straße, haben zwar das große Glück sich in ihrem Innenhof ungebremst ausbreiten zu können, müssen aber trotzdem auf etwa die Hälfte der sonst üblichen Plätze verzichten. Trotzdem bleiben sie in der Zwangspause optimistisch. Michael Arnold: „Wir haben diese acht Wochen für die Erweiterung von Konzepten genutzt, um den Cash Flow der Firma breiter aufzustellen. Wir sehen uns nicht nur nach den Erfahrungen der letzten Wochen gefordert, den Umsatz auch in Themen außerhalb der reinen Gastronomie zu verlagern und neue Geschäftszweige etablieren. Das klassische Tür-auf, Gäste rein, essen und trinken wird in Zukunft nicht mehr reichen.“ Christian Probst ergänzt: „Der Ansatz ist, nicht nur ein Restaurant zu bieten, sondern eben auch eine Marke zu etablieren. So hat uns die Coronapause nach vorne gebracht, zum Beispiel auch was Digitalisierung angeht. Schlussendlich waren diese acht Wochen Zwangspause so nicht verloren und wir haben sie produktiv nutzen können.

 

Mehr Unternehmer als Gastronom

Gemeinsam haben alle „Macher“ zwei weitere Punkte: alle konnten ihre Mietzahlungen aussetzen oder stunden und allen wurden öffentliche Mittel zu teil, allerdings mit unterschiedlichen Ergebnissen. Jochen Gräser, der mit dem „Sankt J.“ und der „Diskontoschenke“ gleich für zwei Ikonen der Saarbrücker Gastroszene verantwortlich ist, hat da eine sehr deutliche Meinung: „Was ich wirklich denke, darf ich gar nicht sagen, sonst steht hier morgen der Verfassungsschutz. (lacht) Ich hab‘ zwar für beide Läden Hilfen bekommen, aber das steht in keinem Verhältnis zum Umsatzverlust in den zehn Wochen. Wenn ich das rechne, dann kann ich wirklich nicht mehr schlafen. Ansonsten muss ich sagen, die Hilfen kamen sehr spät. Auch das Kurzarbeitergeld für meine 28 Beschäftigten kam anfangs extrem spät. Dann musst die Gehälter erst mal vorfinanzieren und zwar ohne Einnahmen. Das war schon schwierig. Wir sind ein Familienbetrieb und sowieso nicht bis unters Dach finanziert, aber wir haben das hingekriegt. Aber Spaß gemacht, hat das keineswegs. Da galt nur: Augen zu und durch.“

 Tim Grothe vom „Mauerpfeiffer“, als Betreiber eines Clubs ohnehin besonders hart getroffen, hat ähnliche Erfahrungen gemacht: „Die Soforthilfen kamen nicht wirklich sofort. Das hat ewig gedauert, fast sechs Wochen, was doof ist, wenn man Gehälter zahlen muss und nichts auf dem Konto ist. Zuerst ist dann die Landeshilfe gekommen und dann noch ein bisschen später der Ausgleich zum Maximalbetrag durch die Bundeshilfe.“

 Nach dem Motto „kein Glück gehabt und dann kam auch noch Pech dazu“ lief es mit den Hilfen beim „Hilde & Heinz“. Michael Arnold schüttelt den Kopf: „Wir hatten die Soforthilfe direkt am zweiten Tag beantragt, aber erst nach knapp zwei Monaten Mitte Mai bekommen. Weil was in der Datenverarbeitung schief gelaufen sei, wurde uns mitgeteilt, wohl ein menschlicher Fehler. Trotzdem finde ich, hat das mit den öffentlichen Hilfen – egal wie manche darüber geschimpft haben – doch besser funktioniert als gedacht. Ich finde, dass es schon für viele sehr schnell funktioniert hat und auch, dass die Politik sich richtig engagiert hat.“

Trotz Hilfen und durchweg positiver Aufnahme durch die Gäste ist es für viele Gastronomen tro0tzdem fraglich, ob überhaupt mit den bestehenden Lockerungen überhaupt ein wirtschaftlich sinnvoller Betrieb möglich ist. Jochen Gräser rechnet vor: „Das Problem ist, dass wir seit dem 18.05. wieder 100% hochgefahren sind, d.h. auch die Kosten sind wieder bei 100%. Mit den Beschränkungen machen wir aber nur 50 oder 60 Prozent des sonst üblichen Umsatzes. Betriebswirtschaftlich völliger Irrsinn! Wir haben uns zwar gefreut, wieder aufmachen zu dürfen. Vor allem, weil das Wetter am Anfang Bombe war. Aber bei schlechtem Wetter kann ich das Sankt J. eigentlich gleich zu lassen. Bei der Größe von dem Laden kommen die Abstandsregeln de facto einem Betriebsverbot gleich. Ich hatte sogar überlegt noch länger zuzulassen. Aber das reduzierte Kurzarbeitergeld ist für das Personal nicht zumutbar und ich will, dass jeder der bei mir arbeitet, auch ordentlich verdient.  Hierbei darf auch nicht vergessen: unseren Mitarbeitern geht ja nicht nur Lohn verloren, sondern auch das komplette Trinkgeld. Wenn man das mitrechnet bleiben denen mit dem Kurzarbeitergeld nicht mal die 60 Prozent ihres Nettolohns, sondern vielleicht nur 30 Prozent. Das reicht natürlich keinem.“

 Agnetha Bies sieht das nicht anders: „Langfristig geht das so nicht weiter. Auch bei mir nicht. Bis jetzt lief es zwar ganz gut. Aber unter den reduzierten Bedingungen kann ich auf Dauer meinen Lebensunterhalt nicht bestreiten. Ich hoffe auf weitere Lockerungen, vor allem wegen der 22.00 Uhr Regelung, denn die Leute um zehn Uhr rauszuschicken, ist schon ätzend.“

 Kirill Perwych führt das Restaurant „Herzenslust“ im Nauwieser Viertel und sieht noch ein weiteres Problem: „Neben dem wirtschaftlichem Risiko fehlt ja auch jede Planungssicherheit. Unter den aktuellen Bedingungen effizient zu arbeiten, hat sowieso schon viel mit Zahlenspielerei zu tun. Hinzu kommt die Ungewissheit und die fortdauernde Angst, dass du Waren einkaufst, Personal einstellst und die ganze Logistik aufbaust und dann heißt es vielleicht von jetzt auf gleich, sorry ihr müsst leider wieder zumachen.“

 

Not macht erfinderisch

Was die Saarbrücker Gastronomen fraglos auszeichnet ist bei allen Unwägbarkeiten, die große Kreativität, mit der versucht wird, der aktuellen Lage zu entsprechen. Besonders schwer ist das natürlich für die Verantwortlichen von Objekten, die noch weit von Lockerungen entfernt sind, wie zum Beispiel der „Mauerpfeiffer“. Aber gerade hier wurden andere Wege gegangen, wie beispielsweise ein überaus erfolgreiches Crowdfunding. Tim Grothe: „Zuerst haben ganz viele Leute einfach so angefangen auf unserer Paypal-Konto zu spenden. Die Start Next Kampagne sind wir dann nach zwei, drei Wochen angegangen, als klar war, das geht länger und das können wir nicht so durchstehen. Die meiste Zeit haben wir darauf verwendet, die Dankeschöns kreieren, weil wir da nicht einfach was hinklatschen wollten, sondern den Leuten auch wirklich was bieten wollten. Das ist ja dann auch extrem gut angekommen. Alles in allem bis jetzt fast 54.000 Euro erhalten. Damit können wir jetzt mal mindesten bis Ende September durchhalten.“

Noch schwieriger, allein schon weil in einer ganz anderen Dimension, ist die Lage von Saar-Event, dem Betreiber der „Garage“ und größter Konzertveranstalter des Landes. Geschäftsführer Heiko Renno hat ein ähnlich ertragreiches Crowdfunding auf den Weg gebracht, setzt aber andere Akzente: „Die Krise trifft nicht nur unser Unternehmen, sondern auch viele Selbstständige und Partnerfirmen mit denen wir zusammen arbeiten. Daher haben wir uns dazu entschlossen, dass 30 Prozent der gesammelten Beträge an unsere langjährigen Partner aus dem Bereich Technik/Crew fließen.“

Kirill Perwych hat seine Karte im „Herzenslust“ reduziert. „Bis das alles wieder verlässlich absehbar ist, arbeiten wir mit einer reduzierter Karte. Du musst halt auf alles vorbereitet sein, egal ob jetzt 50 Gäste kommen oder zehn. Deswegen hatten wir uns auch für ein außer Haus Menü entscheiden, was wir nach wie vor anbieten – einfach tags zuvor anrufen und dann abholen oder liefern lassen. Natürlich gab es auch die Überlegung, nicht gleich wieder aufzumachen, sondern die Entwicklung mal abzuwarten. Aber ich habe gesagt: nein wir machen auf, zeigen Präsenz und denken auch längerfristig an die Kundenbindung. Vieles hängt auch von der Darstellung in den Medien ab. Im Moment sieht es ja so aus, dass die Mainstream Medien, genau wie die Mehrheit der Menschen in meinem Bekannten- und Freundeskreis, lockerer werden und viele Ängste abgebaut sind.“

 Auch im „Hilde & Heinz“ haben sie sich was einfallen lassen, eine gratis Aktion mit „Gefillde“ zum Mitnehmen für den guten Zweck, wobei jeder nur zahlte, was er wollte/konnte, im Zweifelsfall gab’s die saarländische Spezialität für Umme. Christian Probst klärt auf: „Eigentlich hatten wir geplant, dass wir erst zum Sommer hin unser Abholgeschäft etablieren wollten. Seit dem, Neustart haben wir ja auch mittags geöffnet, um die auf 22.00 Uhr verkürzte Öffnungszeit auszugleichen, und da wollten wir einfach was Gutes tun. Das Abholding war auch nicht geplant, um damit Gewinn zu machen, sondern weil wir die Zeit sinnvoll nutzen wollten. Wir haben für die nächste Zeit noch zwei, drei weitere Ideen, aber die sind noch nicht spruchreif.“

 

Die Letzten beißen die Hunde

Der vorsichtige Optimismus eines Teils der Branche zeigt sich darin, dass es so etwas wie Stufen der Hoffnung gibt. Zwar können die verschiedenen Bereiche nach und nach auf Öffnung setzen. Es gibt aber einen Zweig der Gastronomie, die auf Stufe „hoffnungslos“ steht: die Club- und Konzertszene. Klar ist, dass die Politik die bisherige Club- und Konzertkultur unmöglich macht. Jeder Clubabend, jedes Konzert ist letzten Endes eine Großveranstaltung, auf der Hunderte auf engstem Raum tanzen, schwitzen und dabei kommt es – gewollt oder ungewollt – zu Berührungen. Kein Wunder also, dass die Schätzungen, wann das Nachtleben wieder richtig durchstartet zum Teil sogar bis Ende des Jahres reichen, wenn nicht sogar erst 2021.

Für viele Clubbesitzer stellt sich deshalb derzeit die Frage: Wie sehr müssen, können, wollen wir uns verändern? Das Schreckgespenst der „Biergartisierung“ der Clubszene macht die Runde, denn zumindest Clubs mit Außengelände könnten die Öffnungserlaubnis für die Speisewirtschaft und zum Testballon für die gesamte Clubszene werden. Tim Grothe aber bleibt dem „Mauerpfeiffer“ Konzept treu und sieht keinen Raum für Kompromisse: „Solange wir nicht unter „normalen“ Bedingungen wieder öffnen können, lassen wir es lieber bleiben. Mundschutz wäre ja noch okay, aber Mindestabstand, das ist ja komplett contra zum Clubkontext. Da geht es ja gerade um Nähe, da geht’s um das Spiel miteinander. Außerdem sind wir super klein, wir könnten viel zu wenig reinlassen und vor allem entzauberst du damit dann auch den Ort nachhaltig. Ich kann mir da wirklich keine Kompromisse vorstellen. Eben nicht so, wie es jetzt in den Kneipen und Restaurants passiert, so peu a peu. Das würde nur alle Energie rausnehmen und deswegen können wir eigentlich dann erst wieder öffnen, wenn es wirklich wieder ist wie früher – ohne Einschränkungen.“

Noch härter trifft es die großen Unternehmen wie die Garage. Heiko Renno macht eindringlich klar: „Ich muss davon ausgehen, dass sich das Konzertjahr 2020 ziemlich nullen wird, es werden ja auch im Augenblick keine Tickets mehr verkauft. Höchstens vielleicht mal für das ein oder andere Konzert, dass ohnehin nur für fünf- oder sechshundert Leute konzipiert war oder vielleicht ein paar kleinere, bestuhlte Sachen zum Beispiel aus dem Comedybereich. Was die Partys in der „Garage“ angeht, denke ich, wenn die Clubbing Situation runtergebrochen wird, auf ein ähnliches Niveau wie jetzt die Kneipen, also maximal halbe Kapazität mit Abstandsregeln und Co, das geht gar nicht. Da ist der Schaden, wenn du im gewohnten Maße öffnest und dann eben aber auch alle Kosten wieder bedienen musst, größer. Das alles bedeutet: eigentlich können wir was Clubbing und Konzerte angeht nur unter Volllast arbeiten. So was wie halbe Kapazität funktioniert da wirklich nicht.“

 Gerade auch in Hinsicht auf kulturelle Engagements sieht Heiko die Politik in der Verantwortung. „Im Saarland gab noch keine gesonderte Kultur Unterstützung, wie es andere Länder bereits umgesetzt haben. Aber auch der Bund ist gefragt, nicht nur weil er am massivsten von Steuerausfällen betroffen wäre. Immerhin steht unsere Branche für ein Steueraufkommen von roundabout zwei Milliarden Euro, ist also ein echter Wirtschftsfaktor – und dafür ist das Engagement bisher massiv zu gering. Sonst werden drei Viertel aller Unternehmen von Veranstaltern, Clubbetreiber bis hin zu Schaustellern und Technikfirmen nicht überleben, mit entsprechen desaströsen Folgen für Kultur und Veranstaltungen. Trotz allem denke und hoffe ich, dass in der „Garage“ dieses Jahr auch noch Clubabende stattfinden werden. Konzerte müssen wir halt abwarten. Unterm Strich hoffe, dass es hier ab Januar 2021 mit Veranstaltungen aller Art wieder richtig losgeht.“

 

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