Im September beginnt die neue Spielzeit, rechtzeitig zum möglichen Ende der Pandemie, und die saarländischen Bühnen sehen sich neuen Herausforderungen gegenüber.
Lange waren die Bühnen verstummt oder ins Netz gebannt, doch jetzt starten die Theater in die neue Spielzeit. Hinter den Fassaden wurde kräftig geplant und vorbereitet. Und manche Spielpläne muten an, als hätte es Corona nie gegeben. Rausgehauen wird, was längst geplant und geprobt war – in der Hoffnung, es möge nicht wieder schlimmer kommen. Weiter wie zuvor: Ist das das Motto? Hat die Krise die Häuser nicht verändert? Was liegt da näher als saarländische Theatermacher nach ihren persönlichen Erfahrungen und Erwartungen zu fragen.
Wir haben mit verschiedenen Beteiligten gesprochen, deren persönliche Eindrücke und Gedanken einen breiten Querschnitt der Szene abbilden. Da wäre Gaetano Franzese, der ursprünglich 1989 als Tänzer für ein viermonatiges Gast-Engagement ans Saarbrücker Staatstheater kam. Daraus sind inzwischen 32 Jahre geworden und er ist mittlerweile von der Bühne als Regieassistent vor die Bühne gewechselt und inszenierte mittlerweile auch schon selbst. Barbara Bruhn und Frank Lion sind für die Geschicke der Maria-Helena verantwortlich, das seit 2007 das einzige fahrende Theaterschiff Deutschlands ist und als feste aber mobile Spielstätte dient, die jede Theatervorstellung zu einem ganz besonderen Erlebnis macht. Petra Lamy und Nancy Fischer von der privaten Schauspielschule Acting and Arts kennen insbesondere die Perspektive aus Sicht der Schauspieler, während Julia Hennings als Leiterin des Kulturamts in Saarlouis auch Hausherrin des Theaters am Ring ist.
Wo also steht das Theater nach zwei Lockdowns und vielleicht mit dem Ende der Pandemie in Sicht?
Gaetano Franzese schildert seine Corona-Zeit: „Wir haben in der ganzen Zeit im Staatstheater weitergearbeitet. Auch wenn es immer wieder Zeitspannen gab, in denen keine Vorstellungen möglich waren, haben wir doch hinter den Kulissen corona-konforme Inszenierungen entwickelt und neue Premieren vorbereitet. Unsere „Rheingold“ Produktion ist beispielsweise in der Zeit bis kurz vor die Orchesterproben gediehen. Sobald es wieder möglich ist, können wir also sofort loslegen. Die erste Premiere jetzt im September wird „Ariadne auf Naxos“ sein, auch bereits bestens vorbereitet, da fehlen nur noch zwei Wochen Probe und dann bringen wir das auf die Bühne – vor Zuschauern. Wie viele müssen wir sehen, bei „Macbeth Underworld“ am Ende der letzten Spielzeit konnten wir von über 900 Plätzen nur 250 besetzen. Und selbst die waren nicht immer alle besetzt, weil die Leute nachvollziehbarerweise sehr vorsichtig waren und auch Angst hatten.“
Willkommen, Bienvenue, Welcome
Die Schauspielschule von Petra Lamy ist gleichzeitig auch Spielort: „Wir sind ja nicht nur Schule, sondern haben aufgrund unserer großzügigen räumlichen Situation auch die Möglichkeit, hier Aufführungen durchzuführen. Wir hatten ein grandioses Hygienekonzept umgesetzt, neue Sitzmöglichkeiten fürs Publikum geschaffen und vieles mehr. Der Aufwand war extrem und ungeachtet aller Hilfen und Unterstützungen mussten wir das erstmal stemmen. Das allerschlimmste war der Verordnungswirrwarr, der sich noch dazu gefühlt alle zwei Wochen geändert hat. Dennoch haben wir in der Zeit sechs öffentliche Produktionen auf die Beine stellen können. Natürlich ist das nur ein kleiner Teil dessen, was wir unter „normalen“ Umständen realisiert hätten.“
Das Theaterschiff von Frank Lon und Barbara Bruhn sorgte erst kürzlich als Spielstätte des „Encore“ Festivals für größtmöglichen Publikumszuspruch am Ufer der Saar. „Die Resonanz auf das Festival war gigantisch.“, berichtet Frank Lion. „Wir haben zum Glück viel Platz hier draußen, so dass wir problemlos auf Abstand achten konnten. Es herrschte eine super Atmosphäre und alle waren glücklich. Wir planen im Monent noch nicht für innen und haben uns entschieden, erstmal nach draußen zu gehen. Ich will im Oktober nicht die neue Spielzeit eröffnen und dann wegen der vierten Welle gar nicht spielen zu können.“ Barbara Bruhn ergänzt: „Ich denke schon, dass Theater wieder mehr wertgeschätzt wird, weil die Leute es einfach vermisst haben. Das merkten wir ja schon bei den Außenveranstaltungen, dass sie wirklich alle wieder ganz, ganz froh sind, dass wieder was passiert.“
Diese Wertschätzung erlebt auch Petra Lamy: „Ich glaube, durch die wiedergekehrte Präsenz hat die Wertschätzung auch für Schauspiel und Schauspielunterricht genauso zugenommen. Wer hätte denn zuvor jemals gedacht, dass sich Schüler wünschen wieder in die Schule gehen zu können. Da hat sich ja auch was verändert, insbesondere menschlich.“ Dozentin Nancy Fischer sieht auch die ganz persönliche Seite: „Ich habe das Gefühl, dass die Hemmungen einfach viel größer geworden sind. Schauspiel hat ja sehr viel damit zu tun, sich zu öffnen. Dieser Gedanke ist in Pandemiezeiten einfach viel, viel schwieriger umzusetzen.“
Doch wie kann ein Neustart aussehen? Die durch Covid ausgelöste Krise ist ein gnadenloses Brennglas. Bleibt die Bühne leer, rücken veraltete Strukturen und Hierarchien ins Rampenlicht. Werden die Theater diese Chancen nutzen, um sich neu auszurichten – und wenn ja, in welche Richtung? Manch ein Verantwortlicher scheint die Sehnsucht des Publikums nach Ablenkung, nach leichter Kost, gut zu verstehen. Doch Belanglosigkeit kann nicht das Gebot der Stunde sein, oder? Frank Lion hat eine klare Meinung: „Wir haben schon immer auf gute und anspruchsvolle Unterhaltung gesetzt, die nichts mit Krawall oder Klamauk Theater zu tun hat – und das werden wir auch weiter machen. Ich bin mir sicher, dass das Publikum sich aktuell oder nach der Krise nochmal in epischer Breite mit dem Thema Corona auseinandersetzen will. Keine Frage, dass es ab und an sinnvoll sein kann, das Thema aufzugreifen, aber ich glaube, das muss man dann sehr gut durchdacht angehen.“
Theater ist nicht Fernsehen
Notgedrungen entdeckten da viele Theater die digitalen Medien. Es entstanden neue Formen und Formate, mit dem viele Häuser versuchten, ihre schon vor der Pandemie schwindenden Publikumszahlen zu kompensieren. Streaming sollte das möglich machen. Als wegen des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 keine Besucher mehr kommen konnten, wurde die Kultur digital. Nun, da viele Häuser wieder öffnen, stellt sich allerdings die Frage: Was wird bleiben von der schönen neuen Streamingwelt?
Überaus positive Erfahrungen mit dem Streamen hat Julia Hennings, die Leiterin des Theaters am Ring in Saarlouis, gemacht: „Wir haben verschiedenste Veranstaltungen gestreamt und das wurde vom Publikum begeistert angenommen. Tatsächlich können wir uns vorstellen, dieses Medium auch künftig zu ausgesuchten Gelegenheiten weiterhin zu nutzen.“ Eher kritisch sieht das Gaetano Franzeses: „Für mich sind Live Streams keine Sache. Theater ist kein Fernsehen! Natürlich lassen sich Theater-Aufführungen auch aufnehmen, aber das geht entweder nur aus der Zuschauerperspektive, dann wird dem Betrachter quasi sein Blick vorgegeben, oder mit richtig viele Aufwand und zig Kameras auf der Bühne, im Orchestergraben, in den Kulissen, wobei das dann allerdings eher eine Fernsehspiel-Inszenierung ist und der eigentliche Theater-Charakter verloren geht. Theater lebt vom Publikum und der Live-Atomsphäre.“
Frank Lion sieht das ganz ähnlich: „Live Streams kamen für uns von Anfang an überhaupt nicht in Frage. Theater ist Theater und Fernsehen ist Fernsehen. Wenn ich selbst bei Lars Eidingers Richard III schon nach einer halben Stunde vor dem Bildschirm Ermüdungserscheinungen bekomme, obwohl das eigentlich richtig toll ist, dann denke ich, dass müssen wir echt nicht machen. Das ist für uns kein sinnvolles Angebot.“ Und Barbara Bruhn ergänzt: „Außerdem hatten wir ja auch gar nicht die technischen Kapazitäten und Kompetenzen das zu realisieren, das kommt noch dazu. Aber es wäre auch wirklich nicht unseres gewesen.“ Schauspielschuldozentin und Schauspielerin Nancy Fischer kann sich ebenso nicht wirklich mit den Streams anfreunden: „Für das menschliche Auge ist es immer noch ein großer Unterschied, ob es etwas in 2D oder 3D wahrnehmen kann, ob man auch die leisesten Sachen hört und spürt oder ob ich den Geruch des Raumes mitbekomme, den keine Kamera transportieren kann.“
Losgelöst von der technischen Umsetzung, stellt sich die Frage, ob Theater den aktuellen Geschehnissen von Querdenken bis Afghanistan geschuldet, nicht deutlich Stellung beziehen muss und wieder politischer werden sollte? „Theater ist immer Politik“ ist sich Gaetano Franzee sicher. „Theater bietet immer ein Spektrum von sich amüsieren und die Außenwelt hinter sich zu lassen, bis zur Anregung zum Nachdenken und der Auseinandersetzung mit unterschiedlichsten gesellschaftlichen Problemstellungen. Entscheidend ist, wie ein Thema aufbereitet wird. Ein Stück kann auf der Bühne die Realität „draußen“ widerspiegeln oder hinterfragen. Theater muss bewegen, kann aber gleichzeitig auch unterhalten. Das muss kein Widerspruch sein.“ Petra Lamy spürt zudem die Notwendigkeit einer Neuorientierung: „Jetzt fühlt es sich für mich so an, dass ganz viele den Sinn dafür verloren haben, welches Thema es überhaupt noch wert ist, jetzt erzählt zu werden. Rückzug? Isolation? Ein Stück über die Pandemie? Ein Stück über Isolation haben wir schon vor Corona gehabt. Sollen wir das jetzt nochmal machen, nur mit einer anderen Konnotation? Vielleicht also eher kein Stück über die Pandemie, sondern darüber, was sie mit den Menschen gemacht hat.“
Zugabe
Alle Maßnahmen, alle Förder- und Überbrückungstöpfe nehmen den Sonderfall an, nach dem man baldmöglichst zu den Verhältnissen vor der Pandemie zurückkehrt. Setzen Kunst und Kultur in Zeiten niedriger Inzidenzen komplett auf den Präsenzbesuch? Und was passiert, wenn doch der nächste Lockdown droht?
Gaetano Franzese sieht das Staatstheater bestens präpariert: „Unsere Leitung, also Intendant Bodo Busse und der kaufmännischer Direktor Prof. Dr. Matthias Almstedt, haben einen sehr guten Plan A, aber auch B und C und so weiter. Wir sind bestens vorbereitet, wenn es irgendwann nochmal zu strengeren Reglementierungen und Einschränkungen kommen sollte. Wie gesagt, unser Programm steht, mindestens die erste Hälfte der Spielzeit ist fertig. Nur wie genau das Publikum eingebunden werden kann, das müssen wir sehen, aber wir können flexibel reagieren.“ Auch das Theaterschiff ist nicht ganz unvorbereitet, weiß Barbara Bruhn: „Wir haben einen kleinen Plan in der Schublade, ein Kinderstück mit nur einer Person, was deswegen ja auch funktionieren könnte hinsichtlich der Abstände auf der Bühne. Ansonsten sind wir aber auch ganz gut darin, sehr flexibel und schnell zu handeln.“ Auch Frank Lion ist nicht ohne Hoffnung: „Die positive Seite der Pandemie könnte zweifellos sein, dass Dinge passiert sind, die ohne sie nie in Bewegung geraten wären. Kooperationen und Menschen, die sich zusammengetan haben. Da ist wirklich in dieser Zeit viel passiert und das lässt auch für die Zukunft hoffen!“