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Mel´s Mikrokosmos

Das Recht auf Orangenhaut

Hallo Mikrokosmonauten: Das ist keine Cellulite – das sind „special effects“!

Die ungeschönte Wahrheit tut manchmal weh. Im ersten Moment dachte ich also neulich: „Was zum Teufel?“, als ich schlaftrunken meinen Handywecker zum Schweigen bringen wollte und versehentlich auf den Knopf für den ungefilterten Selfie-Modus kam. So von unten rauf sich selbst in seinen Smartphone erblicken und das noch vor dem ersten Kaffee ist eine erschütternde Erfahrung, die ich so schnell nicht wieder erleben möchte. Aber es kam noch schlimmer, denn als ich am gleichen Tag von eben diesem Telefon-Ding die tägliche Erinnerungs-Foto-Collage angezeigt bekam, war es ganz vorbei. Ich meine, das Telefon hat es ja nicht böse gemeint. Im Gegenteil: Es mag mit mir gerne Erinnerungen teilen. Es deklariert diese auch gerne mit entsprechenden Titeln wie zum Beispiel „Zum Wohl!“. In diesen Collagen bin ich dann hauptsächlich volltrunken mit einem Glas Aperol zu sehen und stelle mir danach die Frage, ob ich nicht doch ein Alkoholproblem habe, das ich mir nicht eingestehen möchte. Die Collage an diesem Tag hatte den Titel: „Urlaubsgrüße“ und zeigte mich in unterschiedlichen Posen am Strand. Leider konnte mein Smartphone dabei nicht zwischen Ästhetik und Griff ins Klo unterscheiden und wählte dafür auch noch die Bilder, von denen ich felsenfest geglaubt hatte, sie gelöscht zu haben. Aber nix da! Und so konnte ich mich in voller Pracht in den schlimmsten Bikini-Shots sehen, die meine Cloud hergab.  Also wenn man so ein Handy hat, braucht man keine Feinde mehr, soviel steht fest. Und während ich mich so auf den Bildern betrachtete, in denen das Sonnenlicht meine Cellulite knallhart in Szene setzte, begann ich mich zu fragen:

„Wieso schockt die Realität so?“

Ich bewundere Menschen, die sich genau so sehen, wie sie sind. Oder die keine Spiegel zuhause haben. Für mich kommen beide Varianten nicht in Frage. Ich bin seit jeher bestrebt, die vermeintlich beste Version von mir jeden Tag auf den Laufsteg meines Lebens zu bringen. Zumindest äußerlich. Innerlich kann ich gerne ein eiskalter Engel bleiben. Aber Äußerlichkeiten sind für mich unheimlich wichtig. Dabei ist mir sehr wohl bewusst, dass all das Streben nach Perfektion und mein halbwegs gutes Aussehen irgendwann vorbei sein werden. Jeder Tag bringt uns schließlich ein Stück näher zum Schafott. Aber bis dahin, so versuche ich es zumindest, bleibe ich Super-Mel in all ihrer Pracht.

Und gerade deshalb komme ich überhaupt nicht damit klar, dass ich eben auch nur diesen Körper habe, den jede Frau hat. Einen Körper, der eben doch nicht so makellos ist, wie ich ihn gerne hätte. Das Schlimme ist, dass ich immer schon geglaubt habe, dass meine Makel, die allerschlimmsten auf der Welt überhaupt sind, und dass es keine Frau gibt, bei der es genauso schlimm oder gar noch schlimmer sein könnte. Erkenne ich an meinem Körper eine Delle oder eine Narbe, kann ich mir kaum ausmalen, dass es jemanden da draußen gibt, der ähnliche Kratzer im Lack hat. Und urplötzlich fühle ich mich dann gar nicht mehr super und frage mich, warum ich mich überhaupt jeden Tag so rausputze, wenn ich ja doch niemals spitzenklasse sein werde.

Eine Filterkamera macht es da übrigens auch nicht besser. Sie kaschiert zwar, katapultiert uns aber in eine Blase, in der wir glauben, makellos schön zu sein. Aber in Wahrheit sind wir es nun mal nicht. Dieser Fakt bewegt mich also zu der Frage:

„Lebt es sich am Ende vielleicht doch besser, wenn man all seine Spiegel abhängt?“

Mitnichten! Ich glaube, unser Selbstbild ist meist kritischer als das Bild, das andere von uns haben. Vernichtende Urteile kommen in den meisten Fällen von uns selbst. Und jeder Pickel und jede Narbe wird doppelt und dreifach abgedeckt, wo andere wahrscheinlich nicht mal ein Pünktchen entdecken würden. Cellulite und Dellen an den Beinen mögen andere vielleicht an uns entdecken, machen sie aber bestimmt nicht zum Grund, uns zu mögen oder nicht zu mögen. Aber wieso fällt es uns so schwer, diesen Fakt zu glauben und wieso tangiert uns unser Aussehen so sehr? Und warum zum Teufel kann uns ein unvorteilhaftes Bikini-Foto so dermaßen triggern, dass wir unser komplettes Selbst in Frage stellen?

Sicherlich liegt es daran, dass es noch nie so dermaßen einfach war, vermeintlich perfekt auszusehen, wie in der heutigen Welt, die sich hauptsächlich auf unseren Smartphone-Bildschirmen abspielt. Es ist so lächerlich einfach, Fettpölsterchen und Unebenheiten wegzuradieren und Gesichter mit allerhand Filtern so aussehen zu lassen, als sei man gerade frisch aus dem Ei geschlüpft. Und wenn Filter nicht mehr ausreichen, lässt man sich seinen Körper eben auf dem OP-Tisch nach seinen Vorstellungen herrichten. Einzige Voraussetzung: Ein gut gefüllter Geldbeutel. Ich gebe zu, dass auch ich zu all diesen Filtern greife und gelegentlich auch schon mal zu Botox und Co. Und jedes Mal aufs Neue bewundere ich dann, wie einst  Dorian Gray sein Spiegelbild, meine Fotos auf Instagram und denke mir: „Du heißes Gerät, Du!“. Dass ich in Wirklichkeit zwar nicht schlecht aussehe, aber auch meine Fältchen und Dellen habe – mit Anfang 40 ist das eben so-, versuche ich dabei vollends auszublenden. Ich bin also mal wieder gefangen in meiner Bubble.

Ein Hoch auf Celeste Barber, Michell Latt und Louisa Dellert

Sie alle zeigen uns auf Social Media jeden Tag aufs Neue, dass unperfekt ein Teil unserer Identität ist. Und wir damit einfach leben müssen. Mal besser und mal schlechter. Celeste Barber nimmt auf ihre ganz eigene urkomische Art vermeintliche Makellos-Models auf den Arm, in dem sie Videos nachspielt, die so herrlich normal sind wie wir alle es nun mal sind. Michell Latt kopiert Make-Up-Tutorials, die nur nach hinten losgehen können und Louisa Dellert war früher dünn und sportsüchtig und ist es jetzt nicht mehr, macht aber aus diesem Zustand ein ungefiltertes Stelldichein bei Instagram. Und man bekommt ein durchweg gutes Gefühl bei ihr, ist regelrecht erleichtert, dass es ihr nicht anders geht als uns.

Zuweilen werde ich aber auch nachdenklich, denn die Frage, warum wir eigentlich so „fathphobic“ sind, eröffnet sich mir. Unter „Fathphobia“, also gewichtsbezogene Stigmatisierung,  versteht man übrigens die Abscheu vor dicken Menschen, ja, den regelrechten Hass auf Fettleibigkeit. Und mehr noch: Fathphobia übertritt regelrechte Grenzen, denn viele von uns können nicht zwischen medizinischer Adipositas und gewöhnlichem Hüftspeck unterscheiden. Hass und Abneigung gegenüber Orangenhaut, Bauchfett und den berühmt-berüchtigten Winke-Armen entwickelt sich oft schneller als ein Lauffeuer und schwupp di wupp hassen wir uns am Ende selbst, für das, was wir sind. Denn machen wir uns nichts vor: Die wenigsten unter uns sind reine Muskelpakete mit einen Fettanteil von unter 15 Prozent! 

Am Ende ist es doch so: Jede Frau und auch eine gewisse Anzahl an bindegewebsschwacher Männer haben ein Recht auf Orangenhaut und sollten endlich dazu stehen. Wie sagt Fernsehmoderatorin und Buchautorin Sarah Kuttner auf Instagram so schön: „Können Sie bitte kurz meinen Filter halten?“. Ich glaube, hiermit ist alles gesagt. Die Wahrheit, ihr Lieben, ist immer ungeschönt, manchmal erschreckend aber einzigartig und auf unsere ganz eigene Art und Weise perfekt!

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