Hallo Mikrokosmonauten: Wann ist der Siedepunkt erreicht?
Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber in meinem Leben kämpfe ich seit jeher gegen Wutanfälle. Mit den Jahren treten sie nicht mehr ganz so plötzlich auf, aber sie sind nicht weniger intensiv. Vielmehr brodelt es mittlerweile lange Zeit in mir, wie in einem Vulkan. Und irgendwann ist der Point of no return erreicht und ich kann einfach nicht mehr. Und wehe, es befinden sich in diesen Momenten Menschen um mich herum. Beim Ausbruch des Vulkans „El Melmokosmopetel“ wird alles niedergewalzt, was sich in meinem unmittelbaren Umfeld aufhält. Dann kann ich für nichts mehr garantieren. Ich werde laut. Ich werde giftig. Ich drehe so richtig schön durch!
Zu Recht!
Ich finde, es ist eine regelrechte Challenge, heutzutage immerzu ruhig und gechillt zu bleiben. Zumindest angesichts der Ignoranz, der Trägheit, der Inkompetenz und der Drückeberger-Mentalität, die mir da draußen tagtäglich begegnen. Deutsche Gründlichkeit trifft auf verstaubte Bürokratie, wo immer und wann immer etwas im Flow sein sollte. Überall Barrikaden, ständig Ausbremsung in Form von erhobenen Zeigefingern. Obacht! Bloß immer alles korrekt halten. Immer erst zig mal absichern, bevor etwas passiert. Meetings, in denen besprochen wird, wann das nächste Meeting stattfindet. Worte bloß immer mit Bedacht wählen, denn es könnte einem ja negativ ausgelegt werden, wenn man direkt zur Sache kommt. Systemtreue in allen Bereichen, selbst morgens beim Bäcker.
Und ich werde nicht entwutigt!
Manchmal, wenn ich alleine Auto fahre, schreie ich einfach drauf los! Mittlerweile habe ich daraus einen regelrechten Sport gemacht. Ich fahre auf der Autobahn – natürlich so, wie es mir die Schilder befehlen: 300 Meter 100 km/h, dann 400 Meter 80 km/h, dann wieder 1.000 Meter 120 km/h… Hach, wie liebe ich unseren Schilderwald … und schreie einfach nur. Ich fordere mich heraus. Schaffe ich es, die kompletten 1.000 Meter schreiend durchzuhalten? Also das Teilstück der A620 mit den 60 km/h schaffe ich bereits! Sofern ich etwas schneller fahre…
Wut – Am allerschlimmsten ist es, wenn ich an Autoritäten denke. Also Leute, die mir etwas zu sagen haben. Denn da muss ich mindestens genauso korrekt bleiben, wie ich es bei anderen so sehr hasse. Wutproben ausgeschlossen!
Ich wünschte mir früher manchmal, dass die Produktion von „Verstehen Sie Spaß?“ mich als Lockvogel engagiert. Ich stellte mir vor, wie ich mich selbst spielen würde und wie ich ins Büro meiner Chefin platzen und dort einfach für absolute Eskalation sorgen würde. Natürlich würde ich ihr unangenehme Fragen stellen oder mich ausziehen und auf seinem Tisch tanzen! Ihr müsst wissen, dass ich früher einmal eine seltsame Chefin hatte. Meistens trug sie zwar eine Tarnkappe, war also oft unsichtbar und schwer zu greifen. Wenn es darum ging, Tacheles zu reden, ließ sie sich nicht mehr blicken und war nicht mehr erreichbar. Und trotzdem schwebte sie stets wie eine dunkle Wolke über uns allen und wurde man dann tatsächlich mal zum Gespräch gebeten, ging es ihr um Dinge wie die Teilnahme an irgendwelchen Schulungen, die so fern vom Stern waren und es eigentlich zig andere Themen waren, die uns akut unter den Nägel brannten. Hach, was hätte ich darum gegeben, damals genau diesen Terror-Lockvogel spielen zu dürfen, den ich vorhin beschrieb! Ich weiß nicht, wie lange ich tatsächlich mit meiner Rolle durchgehalten hätte, aber spätestens beim „Tabledance“ hätte ich mit mir kämpfen müssen, um die Sache nicht aufzuklären. Aber ich frage mich: Wäre das nicht eine prima Konfrontations-Therapie gewesen?
Gewiss. Es gibt nicht umsonst sogenannte Wut-Seminare. Ich habe mich darüber schlau gemacht und herausgefunden, dass man in Wut-Seminaren sehr viel über sich selbst lernen kann. Im Großen und Ganzen geht es aber um Klarheit, Kraft und Grenzen. Und darum, dass unterdrückte Wut eben nicht die beste Option ist, wenn man körperlich und seelisch gesund bleiben möchte. Viele Krankheiten rühren von unterdrücktem Groll. Magengeschwüre und sogar Brustkrebs können Auslöser dafür sein, dass man Wut-Gefühle zu lange unter Verschluss hielt.
Ärger und Wut an falschen Stellen rauszulassen sind aber mitunter ebenso kontraproduktiv. Partner und Freunde haben es nicht verdient, unseren Frust abzubekommen, wenn es eigentlich an anderer Stelle hakt.
Wie man es dreht und wendet: Wut, Groll und unterdrückter Ärger rauben uns unsere Lebensqualität. Ich müsste zuweilen ständig Tänze auf Tischen veranstalten, um meiner Wut Ausdruck zu verleihen und um mich abzureagieren. Aber ich habe in gewissen Situationen meines Lebens eingesehen, dass es besser ist, den „Aus-dem-Weg-Geh-Tango“ zu tanzen. Denn sich auf gesunde Art und Weise abzugrenzen, ist für das eigene Wohlbefinden gar nicht mal so schlecht.
Wut und Ärger wohnen in der Angststraße
Machen wir uns nichts vor: Angst, Einsamkeit und Trauer legen oft den Grundstein, so dass sich irgendwann alles in diesem Vulkanausbruch entlädt. El Melmokosmopetel gehört zwar zu mir wie all meine anderen guten und schlechten Eigenschaften, aber manchmal bricht er aus, weil ich mich schlichtweg ohnmächtig fühle angesichts all der Stürme, denen ich da draußen tagtäglich trotzen muss.
Mit seiner Wut zu arbeiten, bedeutet also in erster Linie, all den anderen Gefühlen Raum und Platz zu geben. Ich bin der Meinung, dass wir alle gelegentlich in uns hineinhören sollten, nachdem wir mal wieder vor Wut geplatzt sind. Es gilt, eine innere Balance herzustellen zwischen all diesen Emotionen, die uns befallen.
Am Ende ist es doch so: Mein Wut-Seminar besteht im Moment noch darin, weiterhin während der Autofahrt einfach draufloszuschreien! Wenn man mich nun für verrückt erklärt, dann ist das eben so. Solange es mir hilft, halbwegs im Flow zu bleiben, ist alles gut. Außerdem kommt bei dieser Art der Kompensation niemand zu schaden. Und für alle Hitzköpfe da draußen gilt: Wenn ihr euch mal wieder über all die größeren und kleineren Fails in dieser Welt aufregt, kurz vorm Explodieren seid oder am liebsten jemandem eine knallen würdet: Es gibt eine Wut, die für uns alle glimpflich ausgehen könnte.
Die Feierwut!