Sie leben mitten unter uns und dennoch haben die Wenigsten von uns sie schon einmal angetroffen. Sie sind scheu, tauchen oft erst spät auf und verschwinden genau so schnell wie sie gekommen sind. Es gibt sie überall; in verschiedenen Arten und Farben. Ihre Spuren finden sich tagtäglich vor unseren Haustüren, wo sie gerne auf Treppenstufen und Fußmatten ihr Geschäft verrichten. Sie sind nicht sonderlich beliebt, erfüllen aber eine wichtige Aufgabe für die urbane Umwelt. Über sie gibt es zahlreiche Vorurteile, die leider alle wahr sind. Die Rede ist nicht von Madern, Waschbären oder streunenden Katzen, sondern von jemandem mit Führerschein der Klasse B: Paketzusteller.
Früher war das Zustellen von Postsendungen noch eine hoheitliche Aufgabe, mit der nur ehrenhafte wie verlässliche Bundesbedienstete betraut waren, deren Ansehen dem eines Pfarrers, Arztes oder Sheriffs entsprach. Wenn in mich an meine Kindheit und den statthaften Postbeamten mit sonorer Stimme zurückerinnere, der mit dunkelblauer Uniform, Schirmmütze und Lederumhängetasche jeden Tag auf die Minute pünktlich die Post brachte und dem meine Oma vor Feiertagen stets dankbar einen Schnaps anbot, dann empfinde ich das Gleiche, was ich auch empfinde, wenn ich Fernsehreportagen über Dinosaurier sehe: Schade, dass sie ausgestorben sind…
Hätte man einem Briefträger früher ohne zu zögern sein Neugeborenes in den Arm gelegt, würde man ihm heute nicht einmal mehr die Nachgeburt anvertrauen. Früher schleppte ein einziger Zusteller die Post für den ganzen Ort zu Fuß mit sich herum, ohne sich über Gewicht oder Stress zu beklagen. Und das waren noch Zeiten als man gewichtige Briefe statt unwichtiger E-Mails schrieb und es für jeden den dicken Quelle-Katalog gab. Heute hetzen die unterschiedlichsten Zusteller zu den unterschiedlichsten Zeiten mit kaum mehr als nur drei Umschlägen zwischen ihren E-Bikes und den Hausbriefkästen umher, dass selbst das Kaninchen aus Alice im Wunderland dabei nervös würde…
Es sind jedoch gar nicht die Briefzusteller, die in der Bevölkerung zur Persona non grata geworden sind. Schließlich sind diese bei Wind und Wetter unter freiem Himmel unterwegs ohne irgendwo ihr Smartphone aufladen zu können. Es sind vielmehr ihre Kollegen in ihren fliegenden Kisten mit den nicht selten aus offenen Seiten- oder Hecktüren fliegenden Kisten: die Paketzusteller. Auch wenn beide Berufsgruppen oft nicht differenziert werden, gibt es signifikante Unterschiede zwischen ihnen: Briefzusteller bringen das, was man nicht bestellt hat, wie unerwartete Rechnungen. Paketzusteller dagegen bringen das nicht, mit was man gerechnet hat, wie lang erwartete Bestellungen…
Während der Erzfeind eines Briefträgers der Hund ist, fürchtet ein Paketfahrer offenkundig nichts mehr als die Türklingel, weswegen er alles Mögliche versucht, nicht mit dieser in Kontakt zu kommen. Stille Post war früher etwas für Kinder, bei dem man jemandem etwas Bestimmtes zuflüsterte und es am Ende lustig war, wenn etwas anderes dabei raus kam. Heutzutage ist stille Post etwas für Erwachsene, bei dem jemand etwas Bestimmtes bestellt und es am Ende alles andere als lustig ist, wenn etwas anderes dabei raus kommt. Das zudem dann noch in aller Stille irgendwo abgelegt wird, wo man es mit gesundem Menschenverstand weder sucht noch findet…
Damit wird Stille Post gleichzeitig zum Versteckspiel. Denn es heißt, such die Zustellung! Wo ist sie bloß? Im Briefkasten? Nein! Beim Nachbarn? Vielleicht! Oder doch in der Gartenhecke? Ja! Derjenige, der weiß, dass der Götterbote, nach dem sich ein beliebter Paketdienst benannt hat, auch Schutzgott der Magier ist, dürfte nicht weiter überrascht sein, wenn er seine Zustellung nicht dort findet, wo er sie erwartet. In Pandemiezeiten ist aus der freundlichen Übergabe des Päckchens von früher nun gänzlich ein unfreundliches Werfen vor die Füße geworden. Da das Quittieren der Annahme jetzt vom Zusteller selbst übernommen wird, heiße ich bei Nachfrage übrigens nun Schykowskiczkansky…
Egal ob ihre Farbe nun Gelb, Braun, Grau oder Weiß ist, wenn Paketzusteller so wenig Lust haben, ihren Job gewissenhaft zu erledigen, warum haben sie ihn sich dann ausgesucht? Es heißt doch, dass man als Beruf wählen sollte, was einem Spaß macht. Wer als Kind Tiere mag, sollte Tierpfleger oder Metzger werden. Wer schon in der Schule alles besser weiß, wird Lehrer oder Polizist. Und wer schon in jungen Jahren lügt, dass sich die Balken biegen, sollte Rechtsanwalt werden oder in die Politik gehen. Paketzusteller werden demnach am besten diejenigen, die als Kind bei Klingelstreichspielen nie erwischt wurden und ihren Kettcar immer störend halb auf der Straße abgestellt haben…
Lesen scheint nicht zu den Stärken vieler Paketzusteller zu gehören. Weder was Namen und Adressen noch was Aufdrucke wie „Zerbrechlich“ angeht. Andererseits sollte man in Sachen Unversehrtheit auch nicht zu viel erwarten, wenn ein Paketdienst liefert, dessen Name dem eines Sprengstoffs entspricht. Auch bei Geometrie scheinen viele Paketzusteller in der Schule gefehlt zu haben. Sonst fiele ihnen häufiger auf, wenn zwischen den Abmessungen der Sendung und den Abmessungen des Briefkastens relevante Diskrepanzen bestehen, die auch mit Physik – oder besser gesagt Druck – nicht zu überwinden sind. Es sei denn, man macht aus der Lieferung ein Puzzle…
Man muss Päckchen ja nicht behandeln als wäre in ihnen Nitroglycerin – außer natürlich, in ihnen ist Nitroglycerin – aber ein Empfänger sollte nach dem Öffnen schon noch erkennen können, ob das Gelieferte etwas mit dem Bestellten zu tun hat. Sonst kann man gleich ganz auf den Zusteller verzichten und die Sendung direkt aus dem Frachtflugzeug abwerfen. Das dürfte weder beim Zustand noch bei der Art der Deponierung groß auffallen. Stress und miese Bezahlung dürfen kein Grund für den schlechten Service vieler Paketdienste sein. Metzgereifachverkäuferinnen haben auch viel zu tun und verdienen wenig. Dennoch schaffen sie es, das Bestellte sorgfältig in geschlossener Verpackung zu übergeben, statt es einem aus zehn Metern halboffen zuzuwerfen…
Paketzusteller haben andere Qualitäten. Autofahren zum Beispiel. Ein guter Zustelldienst darf nicht langsamer sein als ein guter Rettungsdienst, was ohne Blaulicht und Sirene, dafür aber mit Handy und Zigarette jedoch gar nicht so einfach ist. Beide Dienste haben die Aufgabe, schnellstmöglich ans Ziel zu kommen. Mit dem Unterschied, dass das beförderte Gut beim Rettungsdienst schon vor dem Transport mehr oder minder starke Schäden hatte und beim Paketdienst erst danach. Ansonsten unterscheiden sich Paket- und Rettungsdienst hinsichtlich Geschwindigkeitsüberschreitungen, Parken im Halteverbot und Einsatz des Warnblinkers kaum. Es geht schließlich bei beiden um Leben und Tod. Und um den Feierabend…
Um zu erfahren, wo sich eine Bestellung befindet, ist die Onlineverfolgung großartig. Dort erfährt man auch im Neuseelandurlaub in Echtzeit, dass man gerade eine längst überfällige Sendung in 12.000 km Entfernung zuhause persönlich entgegengenommen hat. Ebenso wird demjenigen, der seit Stunden zuhause auf ein Paket wartet, so mitgeteilt, dass er gar nicht zuhause ist. Im Briefkasten wartet dann ein Benachrichtigungszettel, der nur deshalb anführt, dass der „(X) Empfänger nicht angetroffen“ wurde, da „(X) Hatte keinen Bock das bleischwere Riesenpaket in den vierten Stock zu schleppen“ als Ankreuzmöglichkeit fehlt. Wer ein paar Euro mehr in einen Expressversand investiert, kann übrigens sicher gehen, dass seine Bestellung noch schneller nicht geliefert wird…
Ich freue mich jetzt schon, wenn ich nach Corona beim Quittieren eines Pakets nochmal selbst unterschreiben darf. Dann male ich wieder einen Penis auf das Unterschrifts-Pad und sage bei Nachfrage, dass ich Gliedner heiße. Die Geisterparker… gruenetomaten@live-magazin.de.
Patrik Wolf
P.S. Nicht wundern falls ein Paket nicht ankommt. Es heißt nicht umsonst „Sendung aufgeben“.