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Titelstory

Die Mainzer Straße

Saarbrückens unterschätzte Lebensader

2.778 Meter lang, stellenweise über 30 Meter breit: Die Mainzer Straße ist eine echte Lebensader Saarbrückens – und das längst nicht nur wegen ihres Verkehrsaufkommens. Kunst, Kultur und Kommerz treffen hier in einer Dichte aufeinander, wie man sie in der Landeshauptstadt kaum ein zweites Mal findet. Wir haben uns auf Spurensuche gemacht, um dem Geheimnis des aktuell beliebtesten Saarbrücker Quartiers auf den Grund zu gehen.

Die Mainzer Straße hat eine relativ kurze, aber faszinierende Geschichte, die eng mit der Entwicklung von St. Johann und der frühen Industrialisierung verbunden ist. Sie entstand Ende des 18. Jahrhundert als St. Johann begann, sich über seine ursprünglichen Grenzen hinaus auszudehnen und wirtschaftlich aufzublühen. Ein markantes Beispiel aus dieser Zeit ist das Gästehaus Horch, das seit 1792 an der oberen Mainzer Straße steht, bis heute weitgehend unverändert geblieben ist und eigentlich durchgehend gastronomisch betrieben wurde. Im 19. und 20. Jahrhundert entwickelte sich die Mainzer Straße dann eher zu einem Wohngebiet, das von Kleingewerbe durchsetzt war. Die Architektur der Straße, einschließlich der Gebäude und Hinterhöfe, spiegelt die städtebaulichen Veränderungen dieser Zeit wider und erzählt viel über das Leben und die Entwicklung der Region.

Eine Straße mit Geschichte

Natürlich wechselten auch bei den Saarbrückern die Vorlieben und Geschmäcker in Sachen Lieblingsviertel immer mal wieder. Vor hundert Jahren war der Altsaarbrücker Neumarkt mit seinen Bars, Cafés, der Tonhalle, dem Saalbau, dem Stadttheater und den großen Hotels der Platz, wo richtig was los war. Nach dem Krieg war es dann vor allem die Bahnhofstraße mit den großen Tanzcafés, den vielen Kinos und nicht zu vergessen dem aufblühenden Einzelhandel, die jene Rolle übernommen hat. Spätestens seit Schaffung der Fußgängerzone 1978 etablierte sich der benachbarte St. Johanner Markt als der Place to be mit den coolsten neuen Kneipen, Boutiquen und Restaurants. Dann kam das Nauwieser Viertel, das sich in den 90er Jahren vom Arbeiter- und Studenten- und Kneipenviertel mit reichlich Subkultur und einstmals günstigem Wohnraum selbst zum hippen Kiez gentrifiziert hat. Genau diese Rolle nimmt mindestens seit Mitte 2010er Jahre zunehmend die Mainzer Straße ein, wobei man allerdings eine ganz wichtigen Punkt nicht außer Acht lassen darf: die LGBTQ+-Community.

Schon in den 1960er Jahren begann sich hier eine lebendige Subkultur der schwul-lesbischen Szene zu formen, die sich in zahlreichen Kneipen, Bars und Cafés in der Mainzer Straße und ihren Neben- und Parallelstraßen, mal offen mal versteckter, manifestierte. Neben Lokalen wie „History“, „Mademoiselle“ oder „Boots“ wurde diese Szene besonders durch die „Madame“, betrieben von der legendären Margarete Bardo, geprägt, die der Community von 1961 bis 1991 einen sicheren Raum bot. Veranstaltungen wie der Christopher Street Day (CSD) trugen zur Sichtbarkeit und Akzeptanz der Community bei und es ist kein Zufall, dass sich der „Checkpoint“ des Lesben- und Schwulenverband Saarland (LSVD) als zentraler Treffpunkt für die LGBTQ+-Community immer noch hier befindet und als Ort für Beratung, Veranstaltungen und soziale Unterstützung dient. Dabei ist von der regenbogenbunten Vielfalt wenig geblieben, um genau zu sein gerade mal anderthalb Lokale, aber das ist irgendwo auch ein positives Zeichen, für eine echte Integration schwul-lesbischer Subkultur in das lebendige Kultur- und Nachtleben in der Mainzer Straße. Heute symbolisieren Orte wie die Regenbogenbank in der Obertorstraße obendrein die Vielfalt und Offenheit der Stadt.

Gekommen um zu bleiben

Die Mainzer Straße entwickelte sich schon in den letzten Jahrzehnten mit abwechslungsreicher Gastronomie und unterschiedlichsten Dienstleistungsbetrieben zu einem lebendigen Teil der Stadt. Den Anfang in dem vor allem von kleinen Angestellten und Arbeitern bewohnten Kiez, machten bis in die Neunziger zahllose kleine Läden und Dienstleister. Dazu ein gastronomisches Angebot, das eher für den kleinen Mann gedacht war, wie beispielsweise der wöchentliche Hausball im „Zum Elefanten“. Restaurants wie „Horch“, „Pfeffermühle“ und „La Gondola“, immerhin einer der ersten Italiener der Stadt, am Beginn der Straße bezogen ihr Publikum eher vom St. Johanner Markt und hatten, ähnlich wie die großen Veranstaltungen im „Johannishof“, keinen wirklichen Einfluss auf die Entwicklung der Straße. Das änderte sich erst mit Szene-Kneipen wie dem „Synop“, dem Plattenladen „Short Egg Records“ und besonders der stylishen Bar „Network“, deren Räume später das kultige „Chez Jérôme“ beherbergten. Teil dieses Branchenmix war die Tierbestattung „Rosengarten“ genau wie das „Küchenstudio Gerhard Fuchs“, einer echten Manufaktur für hochwertigste Küchenlösungen.

Die Selbstverständlichkeit und Unaufgeregtheit mit der diese neuen Konzepte in den Alltag der Mainzer aufgenommen wurden, zeigte damals schon die Offenheit, die noch heute das Quartier fühlbar auszeichnet.

Spätestens mit „Chez Jérôme“ begann dann zur Jahrtausendwende, wenn auch nur von der Chronologie her, die kulinarische Öffnung der Straße, die immerhin 2012 mit fünf Michelin Sternen, drei für das Gästehaus Klaus Erfort und zwei für Jens Jakobs „Le Noir“ einen deutschen Rekord hielt. Auf jeden Fall wurde die Mainzer Straße ab dieser Zeit ein gutes Stück bewusster wahrgenommen. Und tatsächlich eröffneten dann auch Locations wie „Secret“, „6Null3“ und „Einraum“, die man bis dato eher nur aus der City oder dem Nauwieser Viertel kannte und die mehr und mehr Szenemenschen in die sog. obere Mainzerstraße zogen. Zur gleichen Zeit entsteht dann auch das „Römerkastell“ auf dem ehemaligen Beckolin-Gelände zwischen Mainzer Straße und Lyonerring und begeistert mit zahlreichen Veranstaltungen praktisch die ganze Stadt. Entsprechend groß sind die Publikumsströme, die durch die Mainzer in den Osten der Stadt ziehen, was natürlich nicht ohne Einfluss auf die dortige Szene und deren Konzepte blieb. Mitte der 2010er Jahre öffneten dann auch erste Spätis und Barber Shops und mit dem „Jules Verne“ wurde ab 2016 quasi eine Brücke geschlagen, zwischen der Mainzer Straße der Vergangenheit und zeitgemäßen Konzepten, nur zeitweise eingeschränkt durch die Covid-Pandemie.

Damit waren die Grundlagen geschaffen für die aktuellen Veränderungen und Neuansiedlungen der letzten Zeit. Wieder waren ambitionierte Gastroobjekte die Vorreiter und mit „Pizza Gotti“, „Hilde & Heinz“, „Nori Ramen“, „D’s Burgers“ oder „Baba Shuk“ präsentierten sich ausgesprochen clever gedachte und interessante Konzepte, auch wenn sich nicht alle dauerhaft etablieren konnten. Der Impact war nicht zu übersehen, denn auch der Konzert- und Eventlocation „Studio 30“ oder die Tanzbar „Hunter Thompson“ profitieren bis heute unübersehbar von der massiv gestiegenen Popularität des Kiezes, ganz ähnlich wie die „Johanna Caféteria“ oder die „ItalianDelight Pastamanufaktur“ am Übergang zur sogenannten unteren Mainzer Straße. Nur in diesem Umfeld scheinen die neuesten Eröffnungen gewissermaßen folgerichtig, das rein vegetarische Restaurant „Eden“ und die Pastabar „Bocca“. Beides Konzepte, die sich schwerlich an anderer Stelle in Saarbrücken denken lassen.

Aber warum ist das so? Letztlich trennt zum Beispiel Mainzer Kiez und Nauwies mit der Großherzog-Friedrich-Straße gerade mal ein Straßenzug, aber dann doch irgendwie Welten. Setzt sich die Weitläufigkeit der Mainzer Straße auf irgendeine magische Weise auch im Kopf derer fort, die hier arbeiten, wohnen oder feiern? Klar, hier gibt es die Parkplätze, die andernorts Mangelware sind, aber reicht allein der fehlende Stress bei der Parkplatzsuche aus, die Entspanntheit zwischen Markt und Halberg zu erklären? Kann es da nicht viel eher sein, dass sich die Anwohner aus ihrer Geschichte heraus einfach nicht so wichtig nehmen? Schon zur Zeit von Yuppies und Poppern, hielt man/frau sich am Markt für ein bisschen wichtiger und die Alternativen aus der Nauwies legten mitunter schon inzestuöse Züge an den Tag. Vielleicht zeichnet sich am Ende die Mainzer Straße durch ihre ganz eigene, entschleunigte Willkommenskultur aus. Gefühlt ist das auf jeden Fall so und damit kommt man dem Geheimnis dieses Kiezes wohl ein wenig auf die Schliche.

Das Imperium schlägt zurück

Nein, damit sind nicht die steigenden Mieten gemeint – auch wenn die durchaus ein Thema wären.
Es geht mehr um eine Entdeckung auf den zweiten Blick. Wenn man sich die Entwicklungen der letzten Jahre mal durch den Kopf gehen lässt, kommt man um eine ganz interessante Erkenntnis kaum drum rum. Die Mischung aus geballter Kreativität und risikobereitem Unternehmertum, die sich spätestens seit den 2010er Jahren eben im äußersten Osten der Innenstadt im ehemaligen Römerkastell/Beckolin-Gelände und in der Folge besonders am Osthafen manifestiert hat, tat nicht nur der gesamten Stadt gut, sondern hat in einer Art Sogwirkung mittlerweile ja auch „etablierte“ Akteure angezogen. So ganz zufällig erscheint vor  diesem Hintergrund zum Beispiel der neue Standort des Kunz Theatre nicht wirklich. Und das ist ja auch gut so, hier gab’s Flächen in Hülle und Fülle bei weitgehender Abwesenheit von lärmempfindlichen Anwohnern. Doch das Pendel schwingt längst wieder in die andere Richtung! Nachdem die Eroberung des Ostens abgeschlossen erscheint, haben sich die Macher längst aufgemacht – natürlich durch die Mainzer Straße – den in der City verlorenen Boden wieder neu zu bespielen. Wenn man nämlich mal schaut welchen Hintergrund die Köpfe hinter so wichtigen und einflussreichen Objekten wie „Eden“, „Hunter Thompson“ oder „Wand“ haben, wird schnell klar, dass hier die „Kräfte“ am Werk sind, die dereinst maßgeblich an Sektor Heimat, Silo und Osthafen  beteiligt waren oder noch sind. So wird die Mainzer Straße (und auch die Großherzog-Friedrich Straße) ganz aktuell zu einer Art „Einflugschneise“ in der zunehmend Konzepte realisiert werden, welche das ganze Quartier auszeichnen, dessen Attraktivität steigern und die ganze Stadt nach vorne bringen. Ganz zum Schluss noch einen Besserwisser-Bemerkung zum ersten Satz: mit ihren knapp 2,8 Kilometern ist die Mainzer nur die zweitlängste Straße der Stadt, denn die Warndtstraße im Stadtteil Klarenthal misst beeindruckende 6.263 Meter.

Testimonials:

Ralf „Poppey“, einfach ein Saarbrücker Original

„Ich lebe jetzt seit 10 Jahren direkt in der Mainzer und ich liebe es einfach. Hier ist alles offen und neutral. Die Menschen, die Geschäfte alle haben ihre Freiheit und die Leute können machen was sie wollen. Das gilt tagsüber wie nachts, denn es gibt hier ja auch Läden wie den Hunter Thompson. Für mich kommt das Beste am Schluss, der Osthafen mit dem Silo, mein absoluter Lieblingsort. Und als Hundehalter ist es auch super, dass der Staden direkt um die Ecke ist.“

Josh, Gastronom mit Engagement

„In der Mainzer Str. ist die LGBTQIA+ Community schon immer dazu gehörig, hier sind wir zu Hause. Die Offenheit ist hier besonders zu spüren. Ich glaube mehr Außengastronomische Anlagen und Möglichkeiten, würden der Mainzer Straße. noch ein besonderes charakteristisches Highlight geben.“

Fussel, Nachtmacher

„Die Mainzer Straße ist auf jeden Fall sehr attraktiv. Es siedelt sich immer mehr hier an, sehr viel Gutes, auch sehr viel Kulinarisches. Es gibt hier sehr gute Bars wie Jules Verne und jetzt der komplett neu gemachte Hunter Thompson, eine Bar, wo man auch tanzen kann. Ich hoffe, da kommt noch mehr! In der Mainzer ist zwar nicht mehr so viel Platz, aber das ist auf jeden Fall die Hoffnung auch, dass gute Konzepte weiter angenommen werden.“

Lukas, lebt und arbeitet hier

„Ich wohne und arbeite hier in der Mainzer Straße. Die hat sich auf jeden Fall in den letzten Jahren extrem entwickelt, wurde zu einem eigenen Kiez. Also wenn Du guckst, wie viele Restaurants und Läden hier dazugekommen sind, ist das schon eine coole Straße geworden. Egal, was Du essen willst, findet  sich hier alles. Ich hab mich hier tätowieren lassen, ich war hier beim Friseur, was willst Du mehr. Ich mein, nicht umsonst fahren die Leute von sonst irgendwo hierher zum Einkaufen.“

Jannik, leitet einen Supermarkt

„Die Mainzer Straße ist einfach komplett offen. Offen für alles und jeden und die Leute hier sind eigentlich immer gut gelaunt. Es gibt einfach nichts, was man hier nicht finden könnte. Deswegen haben auch wir hier die Möglichkeit, uns mit dem Sortiment abzuheben und Sachen zu haben, die nicht jeder anbietet. Zum Beispiel den Saarbrücker Eistee, den gibt’s nur hier Im Laden.  Kundenzufriedenheit steht sowieso grundsätzlich an erster Stelle, auch und gerade in der Mainzer Straße.“

Marwin, arbeitet im Kiosk an der Ecke

„Es ist halt eine schöne Gegend hier und es ist auch gut, bekundschaftet kann man sagen. Einfach eine Straße mit schöner Atmosphäre und netten Leuten. Der Umgang und die Familiärität untereinander hier, man sich halt kennt, man grüßt sich, das ist hier ist das Normalste von der Welt. Aber längere Öffnungszeiten wären schon gut, dass die Leute, die hier wohnen, halt auch abends später rausgehen können, um sich noch was zu kaufen.“

Roschan, betreibt seit Mitte März ein vegetarisches Restaurant

„Tatsächlich bin ich in der Mainzer Straße aufgewachsen und bin natürlich als Kind auch oft hier an diesem Laden vorbeigegangen, den ich noch als „Le Noir“ kannte. Dann war’s doch spannend, jetzt als Betreiber hierher zurückzukehren, in eine Ecke, die man halt auch als Kind kannte. Und es war noch mal was anderes, Kreativität hier reinzubringen und das in einer aktuell sehr belebten Straße. Jetzt lässt sich gut erkennen, dass die Mainzer Straße zunehmend floriert. Hier passiert sehr viel und ich würde sagen, dass langsam die Wachablösung des Nauwieser Viertels kommt halt, wenn ich ehrlich bin.

mainzer str. 84 hj hartmann

Foto: Hans Jürgen Hartmann

Die Mainzer Straße hat sich stellenweise seit 1984 kaum verändert, nur dass heute keine Zirkuselefanten mehr getränkt werden.

mainzer str. rätsel

Was steht wohl heute hier? Wer was gewinnen will: Mail an gewinnen@live-magazin.de

mainzer-arndt 53

Schon 1953 lagen Schienen in der Mainzer Straße, natürlich in der falschen Größe

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