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Mel´s Mikrokosmos

Die Middle-Age-Krise

Hallo Mikrokosmonauten: Ab durch die Lebensmitte!

Ich liebe den frühen Morgen. Wenn man außer Vogelgezwitscher nichts hört und die Straßen noch menschenleer sind. Wenn die Sonne am Horizont langsam aus dem Schlaf erwacht und die Landschaft in dieses einzigartige Licht taucht, in dessen Glanz wir wie neu erstrahlen. Manchmal streifen wir mit Beginn des Tages aber auch die Sünden der Vergangenheit ab, wie ein schmutziges Kleid. Oder wir breiten den Schleier des Vergessens über unsere Fehler aus und hoffen, dass der neue Tag uns die Chance gibt, ein neues Kapitel zu beginnen. Früh morgens bin ich gerne in der Natur unterwegs und denke nach. Und nicht selten wird mir auf meinen Streifzügen bewusst, wie gut es mir eigentlich geht. Eine einfache Tatsache, die von solch großer Bedeutung ist. Ich mache mir total oft klar, dass ich eine zufriedene Frau bin. Ich bin gesund, fit, gutaussehend, habe kaum Schulden und keine Altlasten. Aber als ich  neulich ganz früh morgens so durch den Wald „spazierjoggte“ – das ist eine eigens kreierte Sportart zwischen spazieren und joggen – traf es mich wie ein Blitz: Ich hatte urplötzlich Todesängste. Ganz unvermittelt und ohne Vorwarnung. Und ich erschrak mich zutiefst darüber, weil ich zuerst gar nicht wusste, woher diese plötzliche Angst rührte. Und leider wurde mir in diesem Augenblick auch klar, dass ich diese Panikattacken schon häufiger hatte.

Warum liegen Lebenslust und Todesangst so nah beieinander?

Ich glaube, alles begann im Laufe des letzten Jahres. Vermehrt bekamen Freundinnen und Bekannte Kinder und heirateten. Es kam mir so vor, als wollten sie kurz vor Vierzig nochmal sämtliche konventionellen Raketen zünden, bevor es zu spät ist. Für mich war jeder Hochzeits- und Baby-Post bei Facebook ein Schlag ins Gesicht und ein bittersüßer indirekter Gruß an meine Person, dass mit mir etwas nicht stimmen kann, weil ich kinderlos und unverheiratet bin. Spätestens, wenn alle anderen Wege einschlagen, die dir selbst fremd erscheinen, hinterfragst du dein eigenes Dasein. Und mit dem Hinterfragen kamen die Panikattacken. Komischerweise immer gerade dann, wenn ich besonders enthusiastisch und gut drauf war. Wenn ich glaubte, alles liefe gerade besonders gut. Da kamen dann plötzlich Gedanken, dass mein Leben endlich ist und dass es nicht mehr vor, sondern hinter mir liegt. Und dass ich mich beeilen muss, wenn jetzt noch irgendwas auf meiner To-Do-Liste steht.  Es war eine Erkenntnis, die ich bisher nicht kannte. Es war, als stünde ich nach langem Wandern auf einem Hügel, um mich plötzlich umzudrehen und ins Tal zu schauen. Dorthin, wo sich mein Leben befunden hatte, das nun fast zu Ende gelebt war. Bis dahin hatte ich in dem Glauben gelebt, dass ich noch so viel Zeit habe! Andere, die mit dem Älterwerden nicht klarkamen und zu ihren Geburtstagen traurig wurden, habe ich nicht verstanden. Ich erwiderte denen immer nur: „Wir sind doch noch jung!“ Doch plötzlich war alles anders.

Midlife-Crisis?

Ich gebe zu, es sind  turbulente Gefühle, die mich gerade heimsuchen. Deshalb suche ich nach einem Wegweiser, einem Orientierungspunkt, der mir irgendwie Halt gibt in diesen doch sehr aufwühlenden Zeiten. Laut diversen Psychologen und Evolutionsbiologen sind wir Frauen Ende 30 ja auch bereits in unserer Lebensmitte angelangt. Wie sich das anhört! Allerdings weiß ich das auch schon, wenn ich den Spiegel schaue und Eins und Eins zusammenzähle. Der Psychologe C. G. Jung, der sich mit der zweiten Lebenshälfte intensiv beschäftigte, sagte über die Lebensmitte: „Dann, in der geheimen Stunde am Mittag des Lebens, wird der Tod geboren.“ Vielen Enddreißigern, so wie mir,  wird jetzt plötzlich bewusst, dass sie nicht ewig leben werden. Und mit dem Bewusstsein kommen die Fragen. Ich frage mich immer häufiger, was mir wirklich wichtig ist? Und ob ich meine Zeit damit vertrödeln will, Dinge zu tun, die ich nicht mag? Die Antwort lautet immer öfter: „Nein, dazu ist meine Zeit zu wertvoll!“ Die Lebensmitte ist der Höhepunkt unseres Daseins. Jetzt findet ein Wechsel, eine Veränderung statt. Und wir fangen an, vieles zu lassen, was uns überholt und unwichtig erscheint. „Herausfinden, was wirklich zählt“, heißt der zentrale Satz in diesem Lebensabschnitt.

Wenn ich ehrlich bin, spüre ich nichts von alldem, was in diesen schlauen Ratgebern steht, in denen es um die sogenannten „Middle Ager“ geht. In einem Buch des Wissenschaftsjournalist David Bainbridge steht beispielsweise, in seinem Mittel-Alter sei der Mensch dermaßen ausbalanciert zwischen Schöpfung und Zerstörung, Gefühl und Verstand, dass ich mich eigentlich glücklich schätzen müsste, endlich am kognitiven Höhepunkt im Leben angelangt zu sein. What? Also von Balance kann hier nicht die Rede sein. Eher ein Laufen über Glasscherben. Und ich komme nicht dran vorbei, mir die Frage zu stellen: „Wie bekomme ich die Kontrolle über mein Leben zurück?“. Irgendwann im Laufe des letzten Jahres dämmerte es mir: Ich konnte nicht komplett nachholen, was ich in der ersten Hälfte meines Lebens versäumt hatte.  Aber ich konnte dafür sorgen, zufriedener zu werden. Das mit der erfolgreichen Pianistin und Eiskunstläuferin konnte ich mir aus dem Kopf schlagen. Aber ein Keyboard kaufen und Schlittschuhlaufen konnte ich durchaus. Es gelang mir immerhin in kürzester Zeit, zweihändig zu spielen und auf dem Eis Pirouetten zu drehen. Mir wurde bewusst, dass es darum ging, sich angemessen um Defizite zu kümmern und herauszufinden, was ich für mich selbst tun kann. Und bis vor einigen Wochen wusste ich noch nicht mal, dass das Wort „Krisis“ eigentlich „Entscheidung“ bedeutet. Eine Midlife crisis ist demnach eine Transformation. Bis dato dachte ich immer, es sei einfach eine scharfzüngige Bemerkung für alternde Playboys in schnittigen Sportwagen. Aber wir dürfen die Krise weder belächeln, noch mittendrin abbrechen. Denn wir hängen alle mit drin. Nicht nur ich habe eine Krise, auch die anderen bekommen sie. Manchmal sogar wegen mir? Ich gebe zu, es ist nicht leicht mit mir. Und in dieser Zeit erst recht nicht. Freunde, Kollegen, Partner, Familie kommen gewiss manchmal an Grenzen, wenn es mir wieder stinkt. Wenn ich „Nein“ sage und meine Ruhe haben möchte. Mich selbst verwirklichen will. Ich befinde mich in einem Lernprozess. Ich möchte erfüllt leben. In diesem Buch „Wir Middle-Ager“ von Bainbridge steht übrigens auch, plötzliche Veränderungen seien typisch für diese Lebensphase. Plötzlich wird die Haut trocken, plötzlich nehme ich an den Hüften schneller zu, plötzlich bin ich mittel-alt. Und, wie er meint, auf dem Höhepunkt der mentalen Stabilität. Die mag kommen. Doch in jene Middle-Agerin muss ich mich erst noch verwandeln. Im Moment schwanke ich immer noch zwischen Panik und Begeisterung.

Was bleibt ist dieser unbändige Überlebensinstinkt, der sich Lebenslust nennt. Ich fordere mehr Selbstbewusstsein von mir selbst und belohne mich dafür immer häufiger mit gutem Essen, einem tollen Wein oder materiellen Dingen. Ich möchte unabhängig bleiben und dennoch lieben. Ich möchte frei sein in meinen Entscheidungen und noch so viel wie möglich von der Welt sehen. Ich möchte, dass es meiner Seele gut geht und will mich frei machen von sämtlichen Konventionen. Ich will einfach glücklich sein!

Letztendlich ist es doch so: Diese Panikattacken werden mir immer wieder passieren. Ich kann sie nicht eliminieren. Ebenso auch nicht dieses Hin- und Hergerissen sein, ob ich jetzt himmelhochjauchzend oder zu Tode betrübt sein soll. Aber ich sage es mal so: Das Alter, in dem ich jetzt bin, ist so ein bisschen wie die Pubertät. Unberechenbar, schräg, merkwürdig, aber auch verdammt spannend. Also Anker los und raus auf die hohe, tobende, stürmische See. Zur Lebenslust gehört nämlich auch ein bisschen Übermut.

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