Die Akzeptanz von Streetart als veritable Kunstrichtung wird immer größer. Diese Kunst, von der Straße für die Seele, ist längst mehr als Sachbeschädigung und bringt international echte Meisterwerke hervor. Die müssen natürlich für die Nachwelt festgehalten werden.
Einer, der das seit Jahren feiert ist Andre Schumann aus Saarbrücken. Der 43-Jährige, der im Harz aufgewachsen, mit einen Umweg über München der Liebe wegen seinen Weg ins Saarland gefunden hat, belässt er es nicht nur beim stummen Betrachten, sondern greift zur Kamera um Beeindruckendes festzuhalten. Längst kann er die Zahl seiner Fotografien, die rund um den Globus entstanden sind, nur noch schätzen und es vergeht kaum eine Reise ohne, dass neue Momentaufnahmen der Betonpoesie entstehen.

















L!VE: Seit wann hältst du Streetart fotografisch fest?
Andre Schumann: Ich würde sagen, so ab 2005 oder 2006. Ich hatte mich schon vorher mit Fotografie beschäftigt und bin dann eher zufällig in die Streetart-Schiene gerutscht. Ich war oft unterwegs, um zu fotografieren, habe viele Orte besucht und mich mit der Technik auseinandergesetzt – etwa mit dem Spiel von Blende und Belichtung. Dabei kam ich an Orte, an denen viel Streetart zu sehen war. Irgendwann fiel mir auf, wie sehr sich diese Orte im Laufe der Zeit verändern – manche Werke verwittern, andere verschwinden unter neuen, oder das Umfeld verändert ihre Wirkung. Einige Graffitis habe ich vermisst, also begann ich, sie zu fotografieren. Oft reichte es mir dann schon, die Bilder am Bildschirm wiederzusehen.
L!VE: Du selbst hast den Künstler in Dir aber nie an einer Wand ausgelebt, oder?
A.S. Ich habe früher ein bisschen gemalt, aber ehrlich gesagt reicht mein Talent dafür nicht aus – oder ich schätze es zumindest so ein.
L!VE: Zurück zum Fotografieren. Es ist aber nicht so, dass Du mit Deiner besseren Hälfte Urlaubsorte nach möglichen Streetart-Spots aussuchst?
A.S. „Stellenweise schon, besonders bei Kurztrips in der Umgebung geht. Bei Fernreisen ist das aber nicht der ausschlaggebende Faktor. Aber wenn wir Ziele innerhalb Europas ins Auge fassen, schauen wir tatsächlich oft gezielt, ob es dort interessante Streetart gibt, und fahren dann auch bewusst hin.
L!VE: Gab es Orte, wo Du völlig unerwartet auf Streetart gestoßen bist?
A.S. Ja, zum Beispiel in Myanmar. Das hat mich wirklich überrascht, weil es ein sehr buddhistisch geprägtes Land ist, das – wie heute – vom Militär regiert wird, mit harten Strafen für solche Aktionen. Außerdem sind Spraydosen dort extrem teuer. Und trotzdem sind wir in Hinterhöfen auf riesige bemalte Flächen gestoßen. Viele davon waren nachhaltig gestaltet und sogar für Kinder gemacht. Das war einer der exotischsten Orte, an denen ich Streetart gesehen habe.
L!VE: Entdeckst du auch hier in der Region interessante Künstler?
A.S. „In Saarbrücken ist ja viel öffentliche Fläche und legale Fläche, wo immer Bewegung drinnen ist und immer Sachen passieren. Natürlich auch die illegalen Flächen, auch da passiert sehr viel. Und es gibt den Artwalk, der nicht so richtig weitergeführt wird, was schade ist, weil der bekannt ist und schöne Flächen bietet.
L!VE: Hattest du schon mal die Gelegenheit, Künstler bei der Arbeit zu treffen?
A.S. Das passiert gelegentlich. Ich versuche dann, die Künstler so zu fotografieren, dass sie nicht eindeutig erkennbar sind – viele möchten das nicht. In München habe ich aber zum Beispiel eine türkische Künstlerin getroffen, die auf legalen Flächen gearbeitet hat. Ich habe gefragt, ob ich sie fotografieren darf, und sie wollte die Bilder später sogar für ihren Instagram-Account nutzen. In Togo habe ich mal eine Tour durch die Hauptstadt Lomé gemacht – zusammen mit Künstlern, die mir ihre Flächen gezeigt und ihre Projekte erklärt haben. Das war sehr eindrucksvoll.
L!VE: Hast du deine Arbeiten schon einmal ausgestellt oder darüber nachgedacht?
A.S.: Nein, aber nur, weil ich mich vor der vor der Arbeit scheue, eine Auswahl zu treffen. Besonders im digitalen Zeitalter ist es so, dass es so viele Fotos ansammeln und ich glaube, allein an Graffiti Bildern bin ich im höheren vierstelligen Bereich halt. Daraus eine Ausstellung zusammenzustellen, wäre mit viel Aufwand verbunden, um das in eine anständige Komposition für ein Ausstellung zu bringen.“
L!VE: Der größte Teil dessen, was Du ablichtest dürften Graffitis sein?
A.S.: Ich fotografiere schon viel Graffiti, aber ich fotografiere natürlich auch Street Life. Ich bin gerne auf der Straße unterwegs und fotografiere das Leben an sich. Und das auch gerne in den Urlauben, weniger irgendwo vorrangig eine Sehenswürdigkeit abzubilden, sondern die Menschen darzustellen.
L!VE: Neben Graffiti gibt es ja viele andere spannende Streetart-Techniken, oder?
A.S.: Auf jeden Fall. Es gibt etwas Paperart oder Mosaike, die mit Glas- oder Spiegelscherben gelegt werden – das finde ich echt spannen. Es auch interessant zu sehen, wie die Streetart sich entwickelt halt. In Paris habe ich zum Beispiel Arbeiten gesehen, die komplett aus Briefmarken bestanden. Und der französische Künstler Invader verwendet Mosaiksteinie, um Firguren aus „Space Invaders“ auf der ganzen Welt zu verewigen. Und hier in Saarbrücken gibt es eine Künstlerin oder einen Künstler, der mit Teebeutelanhängern arbeitet, damit Bilder erarbeitet und die öffentlich hinhängt – und das ist schon eine ganz spezielle Art von Kunst.
L!VE: Liegt Dir abschließend noch was auf dem Herzen zur Streetart, was Du gerne noch loswerden würdest?
A.S.: Ja, nicht jeder Streetart-Künstler ist ein Straftäter. Ich finde schon, dass das alles eine Art von Kunst ist. Nicht jeder Tag ist geil, das muss ich schon auch sagen, aber das ist schon auch als Chance zu nutzen. Die Streetart ist eben eine Chance, es ist eine Art von Kunst, die sich entwickelt hat und das schon in den frühen Achtzigern eigentlich. Man sollte sich schon mit dieser Geschichte auseinandersetzen, wo kommt das eigentlich her, was wollen die Menschen da eigentlich mit ausdrücken, anstatt das pauschal zu verurteilen.
L!VE: Besten Dank für das perfekte Schlusswort und Deine Zeit!