Hallo Mikrokosmonauten: Auch Alice musste erst fallen, um ins Wunderland zu kommen!
Man sagt, eine Lebenskrise fühle sich an, als würde man im freien Fall ins Nichts stürzen. Ein ewig langer Sturz ins Bodenlose und der Aufprall kommt und kommt nicht. Wenngleich ein Aufprall nicht weniger unangenehm wäre, aber der Fall an sich bedeutet einfach nur Fallen und sozusagen Schrecken ohne Ende. Ein Nicht-Erwachen aus einem Albtraum ist unschön, aber ein Sturz ins Nichts genauso. Ich habe mich also auf die Pfade des freien Falls begeben und so eine Lebenskrise hautnah nachgestellt. Denn waschechte Krisen liegen mir ferner denn je. Ich bin ja eine kleine Sonnenkönigin, müsst ihr wissen. Eine Person, die zwar durchaus auch schon mal in die Sch**** greift, aber ebendiese Sch**** schlussendlich ganz nonchalant von meinen Guccis abkratze. Oder halt von den 08/15-Sneakern im Sale. Ich wollte dennoch wissen, wie es sich live und in Farbe anfühlt, ins Nichts zu stürzen und einfach zu fallen, ohne dabei unbedingt den sicheren Tod zu finden.
Ich war neulich in Südafrika und fuhr also zur höchsten Brücke weltweit, auf der solche Erfahrungen angeboten werden. Ich dachte mir, dass ich ja schon so viel erlebt und überlebt hatte, dass es auf einen Bungee-Sprung jetzt auch nicht mehr ankäme. Marathon bin ich gelaufen, ohne groß dafür trainiert zu haben. Das war toll und eine Grenzerfahrung obendrein. Ein andermal bin ich durch eine Tropfsteinhöhle geklettert und habe dort meine eigene Wiedergeburt nachgestellt, in dem ich mich durch eine winzig kleine Felsspalte quetschte um am anderen Ende wieder ächzend rauszugleiten. Eine wahrlich seltsame Erfahrung. Aber all diese Abenteuer zeigen mir auf eine gar wunderliche Art und Weise, wie wertvoll es ist, Erfahrungen außerhalb des Gewohnten und vor allem Gewöhnlichen zu machen.
Ich erzähle euch keine Lügen, wenn ich euch sage, dass unsere Tage hauptsächlich aus Routinen bestehen und daraus sollten wir wirklich ab und an ausbrechen, verdammt! Denn wir alle gehen Tätigkeiten nach, die sich in Programm und Ablauf immerzu ähneln. Da ist es nur menschlich, dass man erstmal überfordert ist, wenn etwas plötzlich anders läuft, als es das Gehirn gespeichert hat. Andererseits wird es aber auch gefordert und das halte ich für unheimlich wichtig! Zum Beispiel habe ich mir vor kurzem während eines Trips nach München in einem Souvenirladen einen Rauhaardackel aus Plüsch gekauft, den ich Felix nannte. Ein waschechter Bayer mit bavariablauem Halsband und einer Vorliebe für Brauhäuser. Ich habe diesen Hund in meiner Shopping Bag verstaut, so dass nur noch der Kopf hinauslugte. Mit Felix im Gepäck schlenderte ich durch München und die Menschen flippten reihenweise aus vor Verzückung und waren gleichzeitig erstaunt und schockiert zugleich, weil ihr Gehirn nicht so recht fassen konnte, was sie da sahen. Ein Hund, der aber auf den zweiten Blick gar nicht echt ist, aber behandelt wird, als wäre er echt. Ich spürte, wie die Menschen darauf überhaupt nicht klar kamen und fragte mich gleichzeitig: „Wie kann eine minimale Abweichung im normalen Tagesablauf derartige Systemausfälle verursachen?“.
Und deshalb zurück zu meinem „Systemausfall“ außerhalb der Komfortzone. Ich stand also auf dieser 216 Meter hohen Brücke irgendwo in Südafrika, blickte von der Plattform in Richtung Horizont, trug ein albern aussehendes, aber hoffentlich lebensrettendes Sicherheitsgeschirr und fragte mich zum wiederholten Male in meinem Leben:
„Warum eigentlich?“
Diese Frage lässt sich in meinem Falle ziemlich leicht beantworten. Ich bin ein Mensch, der immer alles ausprobieren muss, weil er sonst anfängt bitter zu bereuen. Und ja, ich habe außerdem echt Schiss davor, dass mein Gehirn mit all den Synapsen zerfällt, wenn ich es nicht regelmäßig herausfordere. Mein einziges Highlight des Tages sollte nicht darin bestehen, einem Rauhaardackel aus Plüsch zu huldigen. Und dann gibt es da außerdem einen Spruch, der lautet:
„Angst geht vorüber, aber das Bedauern darüber, etwas nicht gemacht zu haben, bleibt für immer!“.
Ich wurde auf dieser Brücke gefragt, warum ich da überhaupt runterspringen möchte? Da mein Englisch in Phasen der Todesangst sehr schlecht ist, wollte ich einfach nur antworten, dass ich verrückt bin. Stattdessen antwortete ich in der Frageform. „Why i’am crazy?“, fragte ich also mit krächzender Stimme im oberen Dezibelbereich.
Und die Frage ist definitiv berechtigt, denn warum ist der Mensch so verrückt, Dinge zu tun, die er normalerweise nicht tun würde? Vielleicht wollen wir hin und wieder ausbrechen und aus unseren alltäglichen Abläufen raus! Ich lehne mich sogar soweit aus dem Fenster – oder über den Rand der Brücke – und behaupte, dass wir zuweilen sogar Lebenskrisen provozieren, um uns wieder lebendig zu fühlen. Ich stand hier auf dieser Brücke und sollte gleich in die Tiefe springen. Wie eine Möwe auf dem Felsvorsprung stand ich da, bereit, die Flügel, ähm Arme, auszubreiten, aber überzeugt davon, nicht fliegen zu können. Einfach, weil ich es noch nie zuvor getan hatte. Eine mega Krise! Ich glaube, das sind solche Momente, in denen der Urinstinkt in einem erwacht. Der Teil im Gehirn, der etwas visuell erfasst und die pragmatische Antwort gibt: „Geht nicht. Sonst tot.“. Andererseits hat im freien Fall noch nie jemand die Richtung gewechselt und diese ebenfalls rationelle Betrachtungsweise beruhigte mich etwas.
Bungeespringen ist das Überwinden der eigenen Urangst und das Austricksen des Steinzeitgehirns, das lediglich zwischen Leben und Sterben unterscheidet. Dieses Überlisten ist so, als würde man den Da Vinci-Code knacken wollen. Eigentlich unmöglich und dennoch machbar. Wie? Indem man einfach funktioniert. In den Abgrund schauen konnte ich allerdings nicht, denn da hallt immer noch der Spruch in mir nach: „Wenn man lange genug in einen Abgrund blickt, blickt der Abgrund irgendwann in dich!“. Na ja, und wenn dann erst die Zehenspitzen über den Brückenrand hinausragen und die Höhenluft einen erfüllt mit dieser unverwechselbaren Klarheit, dann weiß man, dass es gleich soweit ist. Arme ausbreiten und alles zwischen Hier und Sprung verschwimmt ganz plötzlich, denn ehe man es sich versieht ist man plötzlich im Nichts und alles, was man vernehmen kann ist das Pfeifen des Windes um die Ohren und dieses äußerst unangenehme, nicht greifbare Fallen.
Es ist doch so: So ein freier Fall ist irgendwie komisch. Man stürzt 6 Sekunden in ein Tal, das so wunderschön wie beängstigend ist und versucht, zu atmen und die Überdosis Adrenalin durch überlebensartige Willenskraft zu kompensieren. Und wenngleich ich eine weitere Erfahrung auf meiner Bucketlist abhaken kann, sitze ich nun hier, während ich Felix, meinen treuen bayerischen Rauhaardackel streichele und sage mir: „Bungee? Nie wieder!!!“