Man braucht kein Hellseher zu sein oder mit einer Bibel unter dem Kopfkissen zu schlafen, um zu wissen, dass der Tag kommen wird, an dem die Menschheit vor ihrem Ende steht. Nie war das klarer als gerade jetzt. Nach fast zwei Jahren Pandemie wissen wir, dass unsere größten Probleme darin bestehen, nicht genug Toilettenpapier in der Lieblingsfarbe auf Vorrat zu haben und Sangria alleine aus Gläsern trinken zu müssen statt in Gruppen aus Eimern. Zählten wir Deutsche einst zu den schlausten Köpfen überhaupt, als wir Buchdruck, Automobil und Weltkrieg erfanden, schaffen wir es heute nicht einmal mehr ein Stück Stoff richtig über Mund und Nase zu tragen. Hätten wir alle doch gerade nur halb so viel Vertrauen in die Wissenschaft wie in Tupperware…
Obwohl wir uns bereits vor Corona am liebsten unser Essen beim Lieferservice, unsere Klamotten bei Amazon und unsere Freunde bei Instagram besorgt haben, fühlen wir uns nun eingeschränkt, da wir nicht mehr ohne Weiteres in die Restaurants, Kaufhäuser und Clubs dürfen, in denen wir eh schon seit Jahren nicht mehr waren. Weil es uns zu umständlich war, es für unseren realen Anblick keinen schönenden Weichfilter gab oder wir eine Hose hätten tragen müssen. Es ist so, als würden Nichtraucher sich plötzlich beschweren, dass sie im Linienbus nicht mehr rauchen dürfen. Obwohl sie noch nie eine Zigarette im Mund hatten, geschweige denn jemals mit dem ÖPNV gefahren sind. Wir sind derzeit alle so schnell erregt. Leider eben nur nicht auf die gute Art und Weise…
Viele Menschen haben es derzeit wirklich nicht leicht. Krankenhaus- und Pflegepersonal zum Beispiel oder Pärchen, die zur gleichen Zeit im Home-Office arbeiten. Und Gymnasiallehrer, die alles besser wissen, aber nichts ändern können und damit wie Oppositionspolitiker sind. Mit dem Unterschied, dass sie Cordhosen und Outdoor-Jacken tragen statt Anzüge und Sakkos und nicht wie Motten das Scheinwerferlicht der Presse suchen. Und ja, es gibt auch Menschen, die mit der Pandemie gute Geschäfte machen. Das ist nicht anders als mit Kriegen und Drogen. Des einen Leid ist des anderen Freud. Und mit Berufen während Corona ist es eben wie mit Tinder: Es gibt Gewinner und Verlierer. Ob man den Richtigen erwischt hat, lässt sich erst sagen, wenn man sich nichts eingefangen hat…
Einst war ich der Meinung, dass entweder ein Meteorit oder vielleicht sogar Außerirdische, zumindest aber der altbewährte Kalte Krieg der Menschheit irgendwann zum Verhängnis würde. Mittlerweile ist absehbar, dass es wohl eher unsere eigene Dummheit sein wird, niedergeschrieben unter obskuren Synonymen in sozialen Netzwerken, die uns zu den Fossilien von morgen macht. Plankton aus längst vergangenen Zeiten schaffte es, nach ein paar hundert Millionen Jahren Erdöl zu werden und damit wertvoll für nachfolgende Lebewesen zu sein. Man darf gespannt sein, welchen Dienst wir einmal denjenigen erweisen können, die nach uns diesen Planeten bevölkern. Außer, dass sie dank uns an Stränden Smartphones finden werden wie wir heute Muscheln…
Als Alexander Flemming im Jahr 1928 unverhofft in Schimmel das Penicillin entdeckte, konnte er sich glücklich schätzen, dass es noch keine Telegram-Gruppen gab, die wetterten, dass das alles Volksverdummung und eine Weltverschwörung sei und vegane Detox-Ernährung viel besser gegen Infektionen wirken würde als zusammengemischter Laborkram in Spritzen. Flemming kam damals zugute, dass er sich nicht andauernd via Twitter und in Sonntagabend-Talkshows gegen vermeintliche Besserwisser rechtfertigen musste, die ihre Expertise damit begründen, dass ihnen auch schon einmal etwas verschimmelt sei. Er hatte vor allem aber das Glück, dass der Zweite Weltkrieg ausbrach, was sich im Nachhinein als ziemlich gute Feld(lazarett)studie erwies…
So wie wir uns heute fragen, ob das Huhn oder das Ei zuerst da waren, wird sich irgendwann irgendwer auf Erden einmal fragen, was im 21. Jahrhundert wohl zuerst war: Klimawandel, Pandemie oder Netflix und was davon letztendlich der Menschheit den Garaus gemacht hat, weil es das Leben für immer veränderte. Gut möglich, dass man sich dann auch auf den menschlichen Egoismus als Grund einigt, der die Entscheidungen bei allen dreien bestimmt. Egal ob es schlussendlich das Klima sein wird, das die letzte Balkonpflanze auf dem Gewissen hat, die Serienauswahl, die die letzte Beziehung auf dem Gewissen hat, oder die Pandemie, die einen selbst auf dem Gewissen hat. Trotz oder wegen der Impfungen oder der Tatsache, dass man fünfzig Kippen am Tag raucht…
Ist der Tag X einmal gekommen, wird Schrecken und Angst hereinbrechen und unvorstellbares Leid uns alle erfüllen. Das sagen zumindest namhafte Religionen und Verschwörungstheorien. Überall wird es lodern und brennen. Schreckliche Klänge werden uns durch Mark und Bein gehen und uns quälen, bis wir das Ende herbeisehnen. Damit dürfte das Ende der Welt nicht viel anders ablaufen als das Ende eines jeden Jahres, wenn man Weihnachten im Kreise der Familie verbringt. Mit dem Unterschied, dass das Höllenfeuer weniger heimelig sein dürfte als das Kaminfeuer und es dann, wenn wir alle in der Hölle in siedendem Fett garen, kein Problem mehr darstellen sollte, wenn einem beim Silvester-Fondue versehentlich etwas auf die Tischdecke tropft…
Insgeheim hoffen wir bei der Pandemie wie beim Klimawandel und bei Netflix auf ein unerwartetes Happyend. Dann wird es letztendlich doch vielleicht die bombige Idee von jemandem sein, auf einen roten Knopf zu drücken, die uns allen ein jähes Ende bereitet. Sicher ist nur, dass dann, wenn sich die Erde zu einem roten Riesen aufbläht und danach zu weißer Asche zerfällt wie damals Opa bei der Feuerbestattung, die Zeit vorüber ist, sich Gedanken über einen neuen Bausparvertrag zu machen. Stand heute bleibt nur noch wenig Zeit. Wir sollten uns daher mit den wirklich wichtigen Fragen beschäftigen. Und diese sind nicht, warum man bei TikTok keine Videos im Querformat machen kann, Zitroneneis nicht gelb ist und der Paketbote immer dann klingelt, wenn man unter der Dusche steht…
Ein zeitgenössischer deutscher Philosoph hat einmal gesagt: „Was machen wir jetzt? Hören wir auf? Gehen wir heim? Was ist los gerade?“. Entweder wir versuchen in diesen Zeiten, uns auf das zu besinnen, was dazu geführt hat, dass wir die Bäume verlassen und den aufrechten Gang erlernt haben und wir nutzen unseren angeblichen Verstand dazu, um ruhig und vernünftig zu agieren. Oder wir ziehen grölend in Fackelzügen durch die Städte und klettern danach auf allen Vieren zurück auf die Bäume. Sobald es unsere Lungenfunktion nach der Intensivstation wieder zulässt. Dort warten wir dann bis diejenigen, die als nächstes vom Baum herabsteigen, es besser machen als wir. Eichhörnchen sind sehr intelligent. Gehen wir heim? … gruenetomaten@live-magazin.de.
Patrik Wolf
P.S. Ob wir Menschen für die Lebewesen, die nach uns die Erde regieren, auch einmal so kultig sein werden wie Dinosaurier für uns?