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Titelstory

Handgemacht ist Trumpf

LIVE IS LIVE!

Saarbrücken und das Saarland haben so manches zu bieten, was man ob ihrer überschaubaren Größe so nicht unbedingt erwarten würde. Dazu gehört auch ein überraschend großes Angebot an Clubs, Diskotheken und Tanzlokalen, die ihre Gäste mit Konservenmusik bespaßen. Doch gerade in letzter Zeit bricht sich eine ungemein vitale und wiedererstarkte Live-Musik-Szene Bahn. Nicht nur immer mehr Cafés und Kneipen veranstalten immer mehr Konzerte, sondern es entstehen auch immer mehr Konzert-Locations. Was steckt hinter dem Hype um handgemachte Musik?

 

Dereinst gab es in der Gastronomie nur Livemusik. Von Beatkeller bis Tanzcafé, immer waren es echte Bands und Kapellen, die für den Soundtrack zuständig waren. Das änderte sich erst mit dem Aufkommen der Musicbox, die bald von DJs abgelöst wurden. Live gemachte Musik, reduzierte sich auf den Konzertbereich und wurde, insbesondere was regionale Acts angeht, ein Stück weit zum Liebhaberding abseits des Mainstream. Allerdings scheint sich dieser Prozess in den letzten Jahren umzukehren. Ganz aktuell ist die Nachfrage und auch das Angebot an handgemachter Musik auch an der Saar so groß, wie lange nicht mehr.

 

Zu der großen Anzahl von Kneipen, die immer öfter Konzerte machen, von Anna über Karate Klub, Horst und Nilles bis Zahm und Zing und vielen anderen, sind in den letzten zwei, drei Jahren in Saarbrücken gleich mehrere Lokale, wie beispielsweise Sams und ganz neu Terminus hinzugekommen, die vorrangig der Livemusik eine Bühne bieten. Interessanterweise werden diese kleinen Venues auch zunehmend von den Großen der Branche, wie Popp Concerts oder SaarEvent genutzt, die  dann statt Rockhal, E-Werk oder Saarlandhalle gerne auch mal den Mauerpfeiffer als Location buchen.

 

Zur Lage der Region

Tatsächlich sind sich die Macher – und es sind leider praktisch nur Männer – in ihrer Beurteilung der hiesigen Livemusik-Szene einig. Mario Strasser ist Booker bei Saarevent und entsprechend für das Programm in Garage, Kleiner Klub oder auch mal in Congresshalle oder E-Werk zuständig:

 

„Ich bin immer wieder der Meinung, dass die Live-Musikszene in Saarbrücken wirklich super ist. Man muss einfach mal das, was hier angeboten wird in Relation setzen zur Zahl der Einwohner. Es gibt hier einfach wirklich viel und es passiert auch in der Breite unheimlich viel. Der durchschnittliche Saarländer nörgelt nun mal richtig gerne und vergisst das schon mal. Klar ist alles noch ausbaufähig, und es gibt bestimmt Themen, bei denen man sich noch verbessern kann, aber im Großen und Ganzen ist es schon mehr als okay, was hier passiert.“

 Mit ein paar Jahrzehnten Erfahrung als Musiker (Honey Creek), Veranstalter und Labelmacher auf dem Buckel kommt Michael Reufsteck zu einer ganz ähnlichen Einschätzung:

 

„Saarbrücken ist aber wirklich gut aufgestellt. Es gibt es eine super Musikszene und auch richtig gute Bands, sogar welche mit internationalem Anspruch. Es passiert hier immer mehr und die Szene wird auch zunehmend vielfältiger, weil die alle was Verschiedenes machen.“


Dem schließt sich auch Tom Ersfeld, gemeinsam mit besserer Hälfte Samira Dehayni, Macher von „Sams Bistro“ am Rande des Nauwieser Viertels, an:

„Ich finde, die saarländische Musikszene ist wirklich reich, auch an neuen und guten Bands. Ich kannte ja schon viele Bands, aber in den dreieinhalb Jahren in denen wir das hier machen, habe ich so viele neue Bands und Musiker kennengelernt, wie ich es mir nicht hätte vorstellen können. Die bleiben uns natürlich verbunden und fragen immer wieder nach Terminen an – und das sind nicht nur No-Name-Bands.“

 Dieser Erkenntnis können sich auch die ganz großen Veranstalter wie Popp Concerts aus Trier nicht verschließen. Kai Jorzyk vom Saarbrücker Büro schätzt die lokale Szene wie folgt ein:

 „Das Angebot ist nicht nur für die Größe der Stadt schon sehr gut in Saarbrücken, das ist ganz klar so. Sowohl im größeren wie auch im kleineren Bereich sind ja viele Veranstalter unterwegs. Es gibt zudem auch noch viele „ehrenamtliche“ Veranstalter und Kollektive, die alle möglichen Locations von Tante Anna bis Karate Klub und Sparte 4 bespielen. Da ist dann viel abgedeckt, was ich früher selbst gemacht habe, bevor ich zu Popp Concerts bin. Insofern bin ich ganz froh, dass das weitergeht ohne dass ich selbst noch jede Woche zwei kleine Konzerte machen muss.“

Die Basis für eine vitale Szene ist also ganz offensichtlich vorhanden gewesen, aber wie kam es zum aktuellen Hype um Musiker zum Anfassen. Sebastian Biewer, Programmverantwortlicher vom „Studio 30“ in der Mainzer Straße, hat die Entwicklung genau beobachtet:

 

„Als ich 2011 selbst anfing, Musik zu machen, gab es irrsinnig viele Kneipen, die alle Konzerte im kleinen Undergroundbereich für bis zu 60 oder maximal 100 Leute veranstaltet haben. Mit der Metall-Core-Welle ist das dann alles so in die Übersättigung gegangen, dass sich das alles gegenseitig kaputt gemacht hat und irgendwann keiner mehr Lust hatte, auf Konzerte zu gehen. Meine Motivation, als ich hier im Booking angefangen habe, war, genau das wieder zu ermöglichen, also Konzerte von regionalen Bands mit 100 oder höchstens 200 Leute zu machen. In den letzten zwei Jahren hat sich nochmal unheimlich viel getan. Die Menge an Konzerten, aber auch an Publikumsmobilisierung, hat unheimlich zugenommen, dadurch, dass inzwischen nicht nur wir ein professionelles Umfeld bieten. Eben nicht mehr nur irgendein Konzert in einer Kneipe, sondern ein richtiger Club mit richtiger Bühne und entsprechender Infrastruktur.“

 

Doch die Veranstalter müssen auch richtig was bieten, meint Mario Strasser:

„Insbesondere bei jüngeren Leuten muss es immer ein richtiges Event sein, damit die Leute ausgehen. Da ist die Live-Branche natürlich im Vorteil und der Live-Sektor hat entsprechend in den letzten Jahren einen größeren Zulauf. Das kann natürlich nicht ins Unendliche steigern, denn irgendwann sind die Leute gesättigt. Für die Größe passiert hier unheimlich viel, aber es kann auch irgendwann der Punkt kommen, wo es zu viel ist.“

 

Daher hat auch Geoffroy Muller lange überlegt, über sein „Terminus“ in Saarbrücken eröffnen soll:

Ich bin seit 30 Jahren unterwegs, kenne alle Musiker und Kneipen und weiß, dass es hier sehr gute Sachen gibt. Was wir an Musik und Konzerten in Saarbrücken zeigen wollen, gibt es aber noch nicht. Ich denke, so ein Konzept fehlt hier noch.“

 

Gewusst wie

Wie sieht denn nun das Angebot der Spielstätten genau aus? Was bieten die Programmmacher, um immer wieder attraktiv für die steigenden Besucherzahlen zu bleiben? Auch diesbezüglich hat sich Geoffroy seine Gedanken gemacht:

„In Saarbrücken gibt es schon viele Läden, die Rock und Blues Konzerte machen. Daher haben wir unser Programm ein bisschen verändert. Wir werden ein bisschen weniger Rock machen. Dafür wird es bei uns mehr Jazz geben und ich werde verstärkt auf Welt- und traditionelle Musik abzielen. Dazu viel Folk und ein bisschen elektronische Musik, aber nicht die zum Tanzen, sondern zum Zuhören. Es wird außerdem genauso kleine Nischen für experimentelle Musik und verschiedenste Crossover Musikstile geben wie für Lesungen, Theater oder Kleinkunst. Hauptsache es gefällt mir und passt zu uns.“

 

In Sams Bistro sind es vor allem die regelmäßigen, wöchentlichen Jam-Sessions, die das Publikum binden, verrät Tom Ersfeld:

„Bei uns kommen schon montags zur Rock-Jamsession ganz ausgezeichnete Musiker. Mittwochs haben wir die Akustik Jamsession dazu genommen, einfach weil die leiseren, eben akustischen Instrumente etwas untergegangen sind. Das Interesse ist tatsächlich so groß, dass da mittlerweile auch schon fast so viele Leute wie montags kommen. Außerdem gibt es fast jede Woche noch mindestens ein Konzert zusätztlich. Das sind fast ausschließlich Bands hier aus der Region, aus dem Saar-Lor-Lux und aus dem benachbarten Frankreich bis Metz. Ab und zu ergänzen wir das durch internationale Bands, das war zum Beispiel auch mal eine Punkband aus Belgien oder eine Pop, Folk und Country Sängerin aus New Orleans.“

 

Doch natürlich ist auch die tollste Konzert-Location nicht frei von wirtschaftlichen Zwängen. Wie da ein Kompromiss aussehen kann weiß Sebastian vom „Studio 30“

„Zu Beginn hatten wir gedacht, den Laden als reine Location für Konzerte hochziehen zu können. Da sind war ein bisschen von abgekommen und haben Partys mit ins Programm genommen, um die Kosten etwas aufzuteilen und nicht das Ganze nur durch Konzerte finanzieren zu müssen. Konzerte sind aber natürlich noch unser Kerngeschäft und werden das auch immer bleiben. Aktuell machen war im Schnitt sieben bis acht Konzerte verschiedenster Stilrichtungen im Monat, Hauptsache es ist handgemacht und überzeugt uns live. Zurzeit präsentieren wir etwa 80% regionale Bands und 20% überregional, teilweise auch internationale Acts.“

 

Michael Reufsteck sieht als Veranstalter auch die Perspektiven und Möglichkeiten:

„Im Kunstwerk gibt eine ganz neue Reihe „Groove Club“, wo eine tolle Band live einen ganzen Abend Soul und Funk zum Tanzen spielt, vor allem auch für Leute, für die es keine Clubs mehr gibt. Aber die Szene endet ja nicht an der Saarbrücker Stadtgrenze. Zum Beispiel gibt es seit zehn Jahren  jeden Sommer auf dem Marktplatz in Heusweiler ein tolles Festival, wo eine ganze Vielzahl regionaler Bands zu hören sind. Und die haben es trotz einiger Hundert Besucher geschafft, den familiären Charakter beizubehalten. Da wollen so viele klasse Bands spielen, dass ich manche auf Termine in zwei Jahren vertrösten muss.“

 

Friede, Freude, Eierkuchen

Kaum zu glauben, eine florierende Szene, die munter weiter wächst. Aber wie sieht es mit den üblichen Begleiterscheinungen wie Neid, Missgunst, Konkurrenzkampf aus? Michael Reuftseck will sowas gar nicht erst aufkommen lassen:

 „Gerade vor ein paar Wochen habe ich mit den Betreibern vom Terminus und Kunstwerk zusammen gesessen und denen vorgeschlagen, dass wir doch zusammen nach vorne gehen könnten, beispielsweise mit einer gemeinsamen Werbung, damit gar keine abträgliche Konkurrenz untereinander entsteht. Die machen ja lauter unterschiedliche Sachen, können ganz viele verschiedene Leute bedienen, da wäre es wirklich mehr als angebracht, das die zusammen arbeiten.“

 

Tom Ersfeld sieht das „Sams“ ein wenig im Hintertreffen, was die Kommunikation der Venues untereinander angeht:

„Wir machen schon unser eigenes Programm, unabhängig von dem was die anderen machen. Das heißt aber nicht, dass wir nicht auch manchmal Kooperationen mit anderen Locations machen, soweit das halt möglich ist bei Hutsammlung, denn Gagen können wir bei unserer Gröe nicht zahlen. Außerdem wissen wir ja im Vorhinein gar nicht unbedingt, was die anderen machen. Das erfahre ich ja erst, wenn die ihre Werbung posten.“

 

Kai Jorzyk hingegen hat den Blick über den Gartenzaun und berichtet von Lösungsansätzen von der Mosel:

„Mittlerweile ist so viel los, dass ich manchmal beobachten kann, dass gerade unter den „Kleineren“ so ein gewisser Konkurrenzkampf entstanden ist. Da könnte man sich zum Nutzen aller ein kleines bisschen besser absprechen. Was zum Beispiel in Trier gemacht wurde, wo es auch einige kleine Veranstalter und Crews gibt, war einfach eine Facebook-Gruppe zu gründen, wo jeder drin ist, der in Trier Konzerte veranstaltet. Da trägt dann jeder seine Termine ein, ohne dass da schon  drinstehen muss, was genau passiert, welche Band und so, sondern beispielweise nur „ein Konzert im Bereich Punk Rock“ und dann wissen die anderen, okay da mache ich vielleicht an dem Tag besser keins. Das funktioniert in Saarbrücken anscheinend noch nicht so ganz.“

 

Aber natürlich will Jorzyk am Engagement in der lokalen Szene an der Saar festhalten:

„Es ist uns schon wichtig auch die kleinen Locations zu bespielen. Sowohl mein Chef Oliver Thome in Trier als auch ich haben mal klein angefangen im Punk-Bereich, er spielt ja selbst noch in einer Band. Deswegen gucken wir schon, dass wir da noch eine gewisse Menge an Shows hinkriegen, was nicht einfach ist, da die größeren Sachen einfach viel Zeit und Arbeitskraft in Anspruch nehmen. Aber wir gucken schon, dass wir da so ein paar „Liebhaberobjekte“ mitnehmen.“

 

Auch Mario Strasser hat noch lange nicht genug und gleich noch einen persönlichen Wunsch:

„Im Zweifel gibt es nie genug regionale Bands und es sollte immer mehr geben. Vielleicht ist das so ein Punkt, wo es einen gewissen Nachholbedarf gibt, hinsichtlich Förderprogrammen oder Nachwuchsveranstaltungen. Ich persönlich hab‘ ja so einen Hardcore/Punk Background, das fehlt mir im Augenblick so ’n bisschen. Es gibt kein selbstverwaltetes Jugendzentrum, wo drei Schrammel-Hardcore-Bands vor 50 Leuten spielen oder so. Sowas fand ich früher immer super…“

 

Und auch wenn unterm Strich die Macher sehr zufrieden mit dem Status Quo sind und positiv in die Zukunft der Live-Szene blicken, so darf eines nicht unerwähnt bleiben. Praktisch alle beklagen die schwierige Zusammenarbeit mit der GEMA, deren geforderte Tarife zumindest hinterfragenswert scheinen. Oft genannt ist diesbezüglich die gängige Praxis, die Höhe der Abgaben nach der Anzahl der theoretisch höchstmöglichen Besucherzahl auszurichten – und nicht nach der Zahl der tatsächlich anwesenden Zuschauer.  Außerdem wünschen sich alle eine größere Unterstützung durch die Stadt und die Stadtverwaltung. Das reicht von der Idee, die Stadt könne im Rahmen ihrer Möglichkeiten ihrerseits verstärkt auf Veranstaltungen mit regionalen Bands hinweisen, beispielsweise in Form von Anzeigenschaltungen in L!VE, bis hin zu der Forderung, dass Polizei und Ordnungsamt vielleicht öfter ein Auge zudrücken könnten, wenn ein Konzert mal ein paar Minuten über die Zeit geht. Der größte Wunsch aber ist, dass noch mehr Leute auf Konzerte gehen, auch mal unbekannte Bands probieren und nicht die Konzerte mit 3.000 Zuschauern besuchen  und vor allem, einfach mal weniger nörgeln.

 

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