• Termine, News und Wissenswertes aus Saarbrücken, dem Saarland und der Welt:

Titelstory

Hauptsache Gudd Gess?

Speisegastronomie im Umbruch

Als Ende Mai in Saarbrücken das plötzliche Aus des Restaurants „Herzenslust“ im Nauwieser Viertel und das angekündigte Ende der „Bistronomie Jouliard“ auf dem Rotenbühl bekannt wurden, war die Verwunderung groß. Auch wenn beide Fälle nichts miteinander gemein haben, stellt sich die Frage, ob die Gastronomie im Saarland generell ein Problem hat.

In der saarländischen Gastronomie ist dieses Jahr vieles anders. Schon Beginn des Jahres mehrten sich die Befürchtungen, dass das Auslaufen der Corona bedingten Mehrwertsteuer-Absenkung nicht ohne negative Auswirkungen vonstatten gehen würde. Tatsächlich sah es damals so aus, dass sowohl Gäste wie Gastronomen die veränderte Situation überstehen würden. Das Verständnis für die nötig gewordenen Preisanpassungen, sowie das Fingerspitzengefühl der Wirte bei der Umsetzung gab Anlass zu Optimismus.

Jetzt allerdings, ein knappes halbes Jahr später, häufen sich Berichte von Gastronomen, die sich aus ihren eigentlich gutgehenden Geschäften zurückziehen. Darunter ist der Saarbrücker Wirt Florian Bassler von der „Ilse“ am Ilseplatz und Karl Fluhr vom „Jouliard“ in der Scheidter Straße, der gerade erst einen Bib Gourmand vom Guide Michelin bekommen hat. Die Liste von beliebten Lokalen verschiedenster Ausrichtung, die praktisch von jetzt auf gleich aufgegeben haben, wie das „Herzenslust“ am Nauwieser Platz oder „Chez Jérôme“ und „D’s Burgers“ in der Mainzer Straße, wird scheinbar immer länger. Andererseits machen aber im selben Zeitraum erfolgreiche Neueröffnungen von sich reden, wie das „Bar Centrale di Aromi“ im Unique Cube, oder schreiben ihre Erfolgsgeschichte fort, wie Jens Jakobs „Le Comptoir“ in der Nauwies oder das jetzt sogar mit einem Michelin-Stern ausgezeichnete Restaurant „Midi“ in Rohrbach mit Chefkoch Peter Wirbel.

Ist das alles nur eine Anhäufung von persönlichen Schicksalen, Stress mit Vermietern und Hauseigentümern, im Zweifelsfalle auch branchenüblichen kaufmännischen Fehlern, bis hin zur Verkettung einfacher Zufälle, oder zeigt sich hier eine echte Krise im System? Fordern die höheren Energiekosten, der permanent steigende Mindestlohn, das fehlende Personal und die wieder angehobenen Mehrwertsteuer jetzt ihren Tribut? Wir Saarländer sind stolz auf unsere kulinarische Errungenschaften, wie die meisten Michelin-Sternen pro Einwohner bis hin zur vielleicht besten Currywurst der Republik. Sollte uns diese mögliche Entwicklung eventuell doch die ein oder andere Sorgenfalte auf die Stirn zaubern und sei es nur um rechtzeitig dagegen zu wirken? Mehr ausgehen, essen und trinken sollten wir zur Not doch noch hinkriegen oder anders gesagt: gudd gess hann mir schnell!

Aber bevor jetzt überall die Alarmglocken schrillen, sollten wir auf jeden Fall die Situation mal gründlich in Augenschein nehmen. Entsprechend haben wir mit denen gesprochen, die es wissen müssen, und bei bekannten Chefs und Betreibern nachgehört, wie es um ihre Erfahrungen und Einschätzungen zur Situation der Speisegastronomie im Saarland aussieht und wo die Reise ihrer Meinung nach hingeht.

Obwohl Florian Bassler, ehemals „Ilse am Ilseplatz“, schon zu Jahresbeginn als Erster für 2024, seinen Ausstieg aus der Gastronomie bekannt gab – und das bei wirklich gut laufenden Geschäften. Seine Beweggründe lagen nicht in einer Krise der Branche, sondern waren ganz persönlicher Natur:

„Als ich 2018 den Laden übernahm, war der relativ weit unten. Ich habe mir ein paar Ziele gesetzt und gesagt, ich will aus dem Laden einen gemütlichen Ort schaffen, der wieder funktioniert. Die Ziele hatte ich dann irgendwie erreicht und hätte mir neue setzen müssen. Dazu hatte ich aber nicht mehr die Energie und hab‘ dann gesagt, komm‘, ich bin hier auf dem Höhepunkt und habe meine Ziele erfüllt. Damit bin ich glücklich und jetzt kann ich aufhören.“

Doch natürlich hat er weiterhin Einblick in die Branche und Kontakt zu befreundeten ehemaligen Leidensgenossen. Er sieht die fast gleichzeitigen Schließungen eher zufallsbedingt: „Natürlich hat es die Gastro nicht einfach. Ich höre, dass für viele gerade im Moment tatsächlich das Personalthema das Anstrengendste ist, was mich auch damals zum Teil dazu bewogen hat, aufzuhören. Die Personalproblematik, genauso wie die Energiekosten, das ist schon ein Problem. Das kann man auch nicht ganz von der Hand wischen. Allerdings hat der ja nicht nur die Gastronomie mit zu kämpfen.“

Und er sieht noch eine weitere Ursache für geschäftlichen Unbill, die allerdings auch nicht für einen aktuelle Fehlentwicklung spricht, sich zudem aber kaum abstellen lassen wird: „Jeder Gastronom mit einer Außenbestuhlung jammert im Moment auch über das Wetter. Zu Recht. Der Sommer ist eigentlich dafür da, um den Winter aufzupuffern. Und das fehlt im Moment. Ein guter Laden läuft ja auch, wenn das Wetter nicht so gut ist. Nur wenn du jetzt beispielsweise so einen Laden wie die Ilse hast, bist du auf das Sommergeschäft angewiesen. Das ist wie mit einer Eisdiele. Du hast im Sommer deutlich mehr Umsatz, doch den brauchst du, um den Winter zu überstehen. Aber das Wetter ist ja wirklich nur ein Luxusproblem und nicht ein Grund, dass im System irgendwas faul wäre.“

Ein grundlegendes Problem kann auch Jens Jakob vom „Le Comptoir“, der mit seinen Restaurants „Le Noir“ und „JJ“ in der Vergangenheit wiederholt zwei Michelin-Sterne erkocht hat, nicht entdecken. Bei ihm ist von Krise keine Spur: „Ich habe nichts gemerkt davon. Also ich muss sagen, ganz im Gegenteil, ich habe sogar Zugewinne im Vergleich zum letzten Jahr und hatte wirklich fantastische acht, neun oder zehn Monate jetzt. Liegt zum Teil auch daran, dass ich mein Restaurant jetzt voller mache, aber trotzdem merkst du einfach, es läuft eigentlich besser. Und um das voller zu machen, muss ja auch das Interesse der Leute da sein. Das war zwar vorher mit Sicherheit schon da habe ich halt nur immer Stopp gesagt. Genau. Und jetzt? Jetzt mache ich jeden Tisch voll. Trotzdem ist die Nachfrage enorm, muss ich ehrlich sagen. Also ja, es ist definitiv stärker als noch vor der Umsatzsteuer Erhöhung.“

Schwierigkeiten in der Branche sieht er allerdings eher hausgemacht und eher in den wirklichen Großstädten: „Was ich viel mitbekomme sind Probleme in Berlin. Da geht es halt mancherorts bergab wie Wahnsinn, was in erster Linie an einem Überangebot besonders im gehobenen Bereich liegt. Da liest du von Konzeptumstellungen und sogar von Versuchen die Sterne loszuwerden. Es wird alles Mögliche versucht, mit ungewissen Resultaten.“

„Es gibt auch zu viel Internet“

Peter Wirbel, dessen Restaurant „Midi“ in St. Ingbert-Rohrbach gerade mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet wurde, kann sich auch nicht beklagen: „Ich glaube, manchmal will man zu viel und verwirrt die Gäste ein bisschen mit zu viele Karten, zu viele Aktionen. Es gibt eben auch zu viel Internet! Seit wir den Stern haben, ist es so, dass wir jetzt halt auf längere Zeit ausgebucht sind als vorher, wobei unsere Auslastung auch zuvor schon sehr gut war. Wir konnten jetzt natürlich schon an ein paar Schräubchen drehen, sind beispielsweise noch ein bisschen aufwändiger geworden im Amuse-Bereich. Das wollte ich bereits die ganze Zeit schon umsetzen, nur hat da die Manpower gefehlt. Jetzt waren wir in der Lage uns zu verstärken und können wir die Dinge umsetzen, die vorher nicht möglich waren.“

Als Grundlage für gastronomischen Erfolg sieht Wirbel prinzipiell sogar einen Standortvorteil im Saarland, da hier bekanntermaßen eine solide Wertschätzung für gutes Essen herrscht, unabhängig nötigen Preisanhebungen wegen Steueranhebungen und gestiegenen Produkt-, Personal-  und Energiekosten: „Die saarländischen Gäste, und das muss man halt auch genauso sagen, sind immer noch bereit, für gutes Essen auch immer noch gutes Geld zu bezahlen. Da haben wir das Glück, dass wir hier in der Region diese Esskultur irgendwie in uns drin haben. Das ist auch genau mein persönliches Ding. Ich gebe lieber ein, zwei Euro mehr aus und habe dafür aber eine wirklich gute Qualität. Das muss auch gar nichts Übertriebenes, kein Drei-Gänge-Menü sein. Wenn ich in der Stadt unterwegs bin und Hunger habe, dann hole ich mir halt eine Pizza vom „Gotti“ oder gehe zum „Kalinski“. Ganz einfache aber superleckere Sachen, die vielleicht 50 Cent mehr kosten, aber trotzdem preiswert, im wahrsten Sinne des Wortes. Diese Einstellung findet sich bei immer mehr Gästen, die für ein stimmiges Angebot im Zweifelsfalle auch bereit sind, ein paar Meter zu fahren. Manchmal staune ich schon, wenn ich nachhorche, wo die Leute herkommen. Und das gilt für alle sozialen Schichten. Früher waren es eher Gutbetuchte oder Akademiker, die mal ein Sternerestaurant ausprobiert haben, das hat sich gewandelt, was ich sehr cool finde.“

Jens Jakob sieht die Preisgestaltung beim „Fine Dining“ aber auch kritisch: Für mich ist die Ursache für Probleme Einzelner in der Branche auch ganz klar die Kostenentwicklung für den Gast. Wenn du dir anschaust, dass ich früher mit zwei Sternen das Menü für 129 Euro verkauft habe, der Gast aber heute unter 250 Euro kein Zwei-Sterne-Menü mehr kriegt, ist das schon problematisch. Ich finde, das ist etwas zu viel geworden. Muss es denn immer Hummer und Kaviar sein? Können wir nicht auch anders kochen? So wie jetzt ist, ist es echt schwierig. Es sind einfach zu hohe Betriebskosten, zu hohe Personalkosten, fertig, aus. Das rechnet sich für viele einfach nicht mehr.“

„Sorry, aber in ganz Deutschland will keiner mehr arbeiten“

Was diese Branche mehr als andere auszeichnet, sind die enormen auch persönlichen Belastungen, denen sich Gastronomen tagein tagaus stellen müssen, von den Arbeitszeiten bis hin zur Komplexität des Jobs. Alles Faktoren, die viele Gäste gar nicht sehen und die die Ursache für so manche Geschäftsausgabe sein können. Jens Jakob spricht auch hier Klartext: Es versteht auch keiner diese Opfer, die wir in der Gastronomie bringen, Und dann kriegst du noch gesagt: Du hast dir doch ausgesucht. Ja, schon, wir leben aber heute in einer ganz anderen Zeit. Sorry, aber in ganz Deutschland will keiner mehr arbeiten. Und von uns verlangt man immer noch von mittags und abends bis nachts 70, 80 Stunden die Woche zu rackern. Und das höre ich von allen Kollegen raus!“

Ganz ähnlich beurteilt Florian Bassler die Situation, auch aus eigenen Erfahrung: „Als inhabergeführtes Restaurant ist es halt super aufwendig und super schwierig. Dazu kam, dass es mir immer schwergefallen ist, selber nicht vor Ort zu sein, weil ich immer gerne da war und immer gerne 80 % Stammkundschaft hatte. Ich kannte die mit Namen, ich wusste, was die trinken und was die essen. Aber so einen Zeitaufwand über so viele Jahre zu betreiben ist super schwierig.“

„Das ist die alte Leier,“ ergänzt Jens Jakob „,die Familienbetriebe laufen. Wo Herzblut hinten dran steckt, wo der Gastgeber eine Persönlichkeit ist, die Gäste begrüßt und einfach nett ist. Es geht nur noch um die Person. Wer empfängt sich da? Wer ist der Gastgeber. Der Chef im Haus ist immer wichtiger!“

Alles Belege dafür, dass die Gastronomie alles andere als eine einfach Branche ist. Unterm Strich lässt sich aktuell kein systemisches Problem der Speisegastronomie erkennen – Gott sei Dank! Aber ganz offensichtlich sind die Anforderungen gerade in letzter Zeit um einiges schwieriger und vielfältiger geworden und dies auf dem Hintergrund der bekannt schwierigen Kostenentwicklung. Eine Lehre daraus fasst Peter Wirbel zusammen: Viel, wenn nicht alles, hängt von den individuellen und unverwechselbaren Angeboten der einzelnen Lokale ab, was die anbieten, wie sie es anbieten. Und ich glaube, wenn man sich wirklich aufs Wesentliche fokussiert, und das ist in erster Linie immer das Kochen, dann hat man mehr als nur eine Chance. Die Gäste kommen in erster Linie wegen des Essens, wollen dann natürlich noch einen tollen Wein und tollen Service dazu haben, was eben auch einen ultragroßen Stellenwert hat. Ich glaube, wenn man sich aktuell darauf am meisten konzentriert und dann abliefert, dann hat man gute Chancen, dass es gut läuft. Eigentlich ist es ganz einfach: das Wichtigste, was wir in der Gastronomie machen müssen, ist den Leute einen Grund zu geben, uns zu besuchen und sie dann davon zu überzeugen, dass die Gäste uns auch wieder besuchen.“

Previous ArticleNext Article