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Grüne Tomaten schlafen wütend

Heiße Zeiten

Lernte man früher in der Schule oder zumindest von der Pizzakarte, dass es vier Jahreszeiten gibt, ist das Trennen von Frühling, Sommer, Herbst und Winter mittlerweile Schnee von gestern. Es ist zwar noch am Kalender, längst aber nicht mehr am Wetter zu erkennen, in welcher Zeit des Jahres man sich gerade befindet. So wie die Menschheit nicht mehr länger mit nur zwei Geschlechtern auskommt, kommt Mitteleuropa nicht mehr länger mit nur vier Jahreszeiten aus. War es früher nur der April, der machte was er will, tun es ihm inzwischen seine elf Geschwister gleich. So dass es mittlerweile einfacher ist, die Lottozahlen der Folgewoche vorauszusagen als das Wetter vom Folgetag…

Im hippen Heute ist nicht nur Vierzig das neue Dreißig und Dreißig das neue Zwanzig, sondern auch Winter der neue Sommer. Als wäre es nicht schon genug, dass Onkel Thomas im Herbst seines Lebens den zweiten Frühling auslebt und frische Knospen erwartet, wo eher welkes Laub passt, muss es ihm das Wetter doch nicht unbedingt gleich tun. Wer das ganze Jahr Lebkuchen, Erdbeeren und bunte Eier im Supermarkt erwartet, der sollte sich nicht beschweren, wenn auch Petrus sich unseren irdischen Gewohnheiten anpasst und das ganze Jahr alle Wetterlagen bereit hält. Selbst schuld, wer nicht flexibel genug ist, im Urlaub sein Snowboard als Surfbrett zu nutzen; oder eben umgekehrt…

Wegen des Klimawandels dürfen wir uns darauf einstellen, dass Grillgemüse zukünftig unmittelbar am Strauch wächst und gebrannte Mandeln direkt vom Baum gepflückt werden können. Eine schonende Kaffeeröstung ist zwar magenfreundlicher, muss jedoch nicht unbedingt direkt an der Pflanze erfolgen. Ebenso kann man darauf verzichten, dass sich Tee durch zu viel zu warme Niederschläge auf der Plantage gleich selbst aufbrüht. Es heißt also Ärmel umkrempeln, solange es noch Temperaturen gibt, die Ärmel zulassen! Denn wenn wir nicht etwas tun und weiter fast untätig warten, wird es bald mehr als nur ein Sprichwort sein, dass einem die gebratenen Tauben in den Mund fliegen…

Das hätte Opa damals vor Stalingrad auch nicht gedacht, dass man nur wenige Generationen später das deutsche Weltreich ebenso wie bibbernde Kälte und gemäßigte Sommer nur noch aus Geschichtsbüchern kennt. Dank der globalen Erwärmung sind die Zeiten vorbei, in denen man noch zu Silvester auf dem Gletscher hinterm Haus rodeln konnte. Wo früher an Ostern der Schneemann vor der Tür stand, wartet heute bereits der Eismann. Hatte man einst als Kind noch gehofft, irgendwann die Wäscheleine in Omas Garten zum Skilift umfunktionieren zu können, hat es heutzutage um den Jahreswechsel nicht mal mehr genug Frost, um solch eine Idee auf Eis zu legen…

Die Zeiten haben sich geändert. Stand in meiner Kindheit jemand Unförmiges nackt vorm Haus und grinste dümmlich durchs Fenster, war es nicht der exhibitionistische Nachbar von nebenan, sondern schlichtweg ein Schneemann, der sich dank jahreszeitengemäßen Wetters von November bis Februar wacker im Garten hielt. Und damit aus heutiger Sicht länger als die meisten Influencer-Beziehungen. Damals konnte man im Sommer gefühlt noch 14 Tage ohne Sonnenschutz am Strand liegen, ohne einen Sonnenbrand zu bekommen. Heutzutage ist man bereits krebsrot, wenn man sich ohne Lichtschutzfaktor 50 im Gesicht nur bis zum Mulleimer vorm Haus traut…

Noch keine fünf Milliarden Jahre alt, scheint unser Planet in den Wechseljahren zu sein und an Hitzewallungen zu leiden. Mittelmeerklima zwischen Maas und Memel, Südseefeeling von der Etsch bis an den Belt. Längst sind in vielen Teilen Ostdeutschlands gemäßigte Verhältnisse den Extremen gewichen. Was nicht nur dort zu hitzigen Debatten führt. Schuld ist das Abschmelzen der Polkappen. Und welche Schwierigkeiten man mit Polen haben kann, weiß jeder seit dem letzten Weltkrieg. Jahr und Jahr verschiebt sich der Klimagürtel der Erde wie der eigene Hosengürtel nach dem Weihnachtsessen. Beides kann auf Dauer nicht gesund sein…

In einigen Jahren wird man selbst in der Arktis Eis nur noch in den Geschmacksrichtungen Schoko und Vanille kennen. Als Kind beschränkten sich für mich die wahrnehmbaren Treibhausfolgen noch auf Streitereien zwischen meiner Mutter und meinem Vater und eine ziemlich unterkühlte Stimmung danach. Heutzutage sind die Stimmungsschwankungen des Wetters größer als die einer Frau alle 28 Tage. Da kann es passieren, dass man bei 25 Grad und Sonne in den Aufzug ein- und bei 5 Grad und Graupel wieder aussteigt. Kein Wunder, dass niemand mehr weiß, wann er Sommer- gegen Wintersachen tauschen soll und irgendwann in Skijacke und Flipflops im Regen steht…

Klettern die Temperaturen so weiter, werden Pinguine ihren Frack bald gegen einen Badeanzug eintauschen und Eisbären sich beim Waxing vom Pelz befreien müssen. Prognosen zufolge wird es Winter bald nur noch in Schneekugeln und zwischen Russland und dem Rest der Welt geben. In einigen Jahrzehnten werden Kinder Schneegestöber lediglich noch aus Erzählungen kennen als etwas, das so ausgesehen haben muss wie das, was Onkel Ede aus den Haaren rieselt. Vielleicht werden wir unseren Urenkeln einmal von Schneeballschlachten erzählen wie unsere Urgroßväter uns von Panzerschlachten. Mit dem Unterschied, dass wir dann keine Splitternarben als Beweis haben…

Schneemänner werden die Dinosaurier von morgen, die nur noch in Schulbüchern, Stickeralben und als Monster in Hollywoodfilmen auftauchen. Generationen nach uns werden staunend in Museen vor Vitrinen mit Holzkohlenstücken, Karotten und Zylindern stehen wie wir heute vor Resten eines T-Rex. Werden die letzten Iglus in Grönland einmal Touristenmagneten wie die Pyramiden in Ägypten? Vielleicht wird ja die nächste Ausstellung im Praehistorium „Gondwana“ die authentische Nachbildung eines verschneiten Hunsrückdorfs der 1970er. Schon heute kennen viele unter Dreißig Schnee nur noch aus Nobeldiskotheken. Und dort haben sie von der weißen Pracht meist schnell die Nase voll…

Andererseits ist es vielleicht aber sogar ganz gut, dass die Temperaturen steigen. Biergartenzeit von Januar bis Dezember, Weihnachtsmenü vom Grill und endlich einmal Silvester in Unterhemd und Badelatschen ohne eine Unterkühlung zu bekommen. Keine nervigen Schals und Handschuhe, die man andauernd irgendwo liegen lässt. Kein Eiskratzen, kein Schneeschippen und kein Ärger über nicht gestreute Gehwege. Außerdem umgeht man, dank freien Oberkörpers, beim Silvesterfeuerwerk ärgerliche Brandflecken in der neuen Winterjacke. Und ob man nun den billigen Roten warm als Glühwein oder kalt als Bowle trinkt, ist für den Kater am nächsten Morgen auch egal…

Die kalte Jahreszeit hat jedoch auch viel für sich. Ohne strengen Frost steigen die Mengen an Stechmücken ins Unermessliche. Ebenso wie die Mengen an holländischen Wohnwägen. Außerdem ist Frost gut für die Augen. Nimmt bei Temperaturen unter Null doch die Zahl derer rapide ab, die ihren viel zu dicken Körper in viel zu dünne Kleidung pressen. Lasst uns also gemeinsam etwas gegen die Klimaerwärmung tun. Öffnen wir am nächsten Samstag alle für eine Stunde die Tiefkühltruhen. Das wird sicher cool. Heiße Zeiten… gruenetomaten@live-magazin.de.

Patrik Wolf

P.S. Desertifikation hat nichts mit Nachspeisen zu tun.

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