Hallo Mikrokosmonauten: Schluss mit den Erziehungsmaßnahmen!
Es ist wie ein Fluch: Wann immer ich meine Smart Watch brauche, sei es, um meinen Schlaf aufzuzeichnen oder wenn ich kurz vor einem kleinen Feierabend-Säufchen.. äh Läufchen bin, zeigt sie mir an, dass der Akku bald leer ist und ich es gefälligst aufladen soll. Wozu gibt mir dieses Teil überhaupt noch Lebenszeichen, wenn es doch eigentlich immer schwächelt? Warum bleibt sie nicht einfach ganzjährlich ausgeschaltet, dann wüsste ich wenigstens, dass man sich zumindest in dieser Sache auf sie verlassen kann! Das Smartphone kann man inzwischen überall aufladen, aber diese blöde Uhr…ich frage mich, warum ich nicht beim konventionellen Chronometer geblieben bin. Und wozu ich überhaupt eine solche Uhr benötige? Eine Uhr, die einem vorgibt, wie viele Schritte man schon gegangen ist und wie viele man noch gehen muss, ist ohnehin ziemlich dreist, oder? Mischt sie sich schließlich in Dinge ein, die einem doch bitte selbst überlassen bleiben sollten! Auf der anderen Seite brauche ich sie aber irgendwie. Schon alleine deswegen, weil es nun mal solche Uhren gibt.
Und schlimmer noch: Ob Smartphone, Computer, Telefon und was-weiß-ich: Allesamt leuchten sie rot, geben komische Geräusche von sich, senden fordernde Signale, wenn sie uns mal wieder zum Gehorsam nötigen. Lade uns auf! Beweg‘ dich mehr! Ruf zurück! Starte mich neu! Mach ein Update! Ich könnte ewig so weitermachen und komme nicht umhin, mich zu fragen:
„Seit wann lassen wir uns von Technik bevormunden?“
Nun, zumindest meine Bank ist von diesem Scorsese-roten Sollkontostand abgekommen und zeigt meine Miesen jetzt in neutralem schwarz an, was allerdings zur Folge hat, dass ich neulich dachte, ein anonymer Spender hätte meine Stoßgebete in Hinblick auf meinen Kontostand erhört und mir Geld überwiesen. War aber nicht so. Schlimmer trifft es mich jedes Mal, wenn mein Tank auf Reserve umswitcht. Da piepst es regelmäßig aus den Tiefen der Elektrik, als wäre mein Auto Protagonist in Super Mario Kart. Wenn es dann zeitgleich unter 3 Grad Außentemperatur hat, warte ich nur noch auf die Durchsage: “Dieses Fahrzeug zerstört sich in 20 Sekunden von selbst!”. Oder verlangt es am Ende nur nach Mütze und Schal? Ich kann es nicht richtig deuten, aber was ich kapiere ist, dass ich gegängelt werde und man mich ziemlich unsanft unter Druck setzt. Geh tanken! Mach gefälligst langsam! Mein Auto, der Diktator!
Auf Anraten meines Vaters habe ich mir neulich einen Tracker in mein Auto einbauen lassen, der über eine App mit meinem Handy verbunden ist und mein Fahrverhalten analysieren soll. Je angepasster ich fahre, desto höher fällt am Ende des Jahres mein Bonus bei meiner Autoversicherung aus. Jetzt ist es aber so, dass ich das Ding weder ausschalten noch anderweitig loswerden kann. Es pappt so dermaßen fest an meiner Windschutzscheibe und lässt sich einfach nicht mehr entfernen. Diese App verfolgt jeden meiner Kilometer und meckert natürlich entsprechend, wenn mein Fahrtrend irgendwie von der ihr festgelegten Norm abweicht. Es kam also wie es kommen musste: Auf einer meiner jüngsten Fahrten über die ganzjährlich im Sanierungszustand befindlichen saarländischen Autobahnen verlor ich so dermaßen die Geduld, dass ich das Gaspedal einfach durchtrat. Ich ertrug diese ewige Ermahnung Seitens der App nicht mehr. “Achtung, Sie sind zu schnell unterwegs!”, und “Achtung, ihr Bonus wird weniger, wenn ihr Fahrtrend abweicht!”. Darüber hinaus sind unsere Autobahnen entsetzlich. Ich wollte nur kurzzeitig frei sein! Und da kam es aus dem Nichts: Ein durchdringendes Signal, diesmal rein visuell und knallig rot meine Augen blendend! Im Baustellenbereich geblitzt zu werden ist nicht gut. Diese Tatsache beinhaltet gleich mehrere Erziehungsmaßnahmen. Erstens: Du darfst nicht einfach so fahren, wie es dir passt. Zweitens: Du musst dafür bezahlen! Und last but not least: Schau gefälligst etwas freundlicher während einer Autofahrt. Du siehst viel älter aus als du bist!
Ich bin es leid! Und ich frage mich: „Bin ich schlecht erzogen?”
Ich brüllte dann neulich einfach mein Smartphone an, als es mir wie so oft zu verstehen gab, dass sein Akku schwächelt. “Meiner auch!”. Allerdings wurde mir schlagartig bewusst, dass etwas nicht stimmte. Denn da saß ich nun mit meinem Telefon in der einen Hand und der Smartwatch in der anderen, hinter mir Alexa, die mir Ratschläge erteilte und vor mir der Fernseher mit Tipps zum Stromsparen. Und plötzlich wurde mir bewusst, dass ich um eben diese Erziehungsmaßnahmen regelrecht bettelte. Ich wollte gegängelt werden! Ich brauchte den Input von sämtlichen Gerätschaften in meinem Umfeld, um halbwegs geradeaus zu laufen. Mein Handy und all die schönen bunten Apps waren im Grunde mein eigenes Ich, komprimiert in unzählige Bits und Bytes. Und plötzlich wusste ich auch wieder, warum ich keine herkömmliche Uhr besaß. Niemals könnte dieser Zeitmesser die Rüpelhaftigkeit einer Smartwatch besitzen. Eine klassische Armbanduhr würde sich niemals erdreisten, mich zu erziehen oder gar zu tadeln für das, was ich bin. Schlussfolgernd wäre diese Uhr viel zu liberal und freigeistig für eine offensichtlich liebend gerne in Fesseln liegende Gestalt wie mich!
Seien wir doch mal ehrlich: Konnten wir es früher kaum erwarten, endlich erwachsen zu werden und dem ständigen “Du darfst dies nicht, du darfst das nicht!” der eigenen Eltern zu entkommen, so hat sich im Erwachsenenleben im Grunde nicht viel geändert. Wir lassen uns die Dinge jetzt halt nur anderweitig vordiktieren. Und wann immer wir uns einer nicht tolerierbaren Grenze nähern, piepst, blitzt oder vibriert es. Im schlimmsten Falle stürzen wir ab und müssen das komplette Level wiederholen. So lange, bis wir es kapieren.
Wann waren wir denn das letzte Mal so richtig frei?
Ich kann mich nicht erinnern, denn überall auf der Welt ist im Grunde Maßregelvollzug. In Maßen zumindest. Selbst wenn ich morgen meinen Rucksack packe und mein restliches Leben campierend durch die Lande ziehen würde, gäbe es Regeln, wo ich mein Zelt aufschlagen darf und wo nicht. Irgendwem gehört schließlich auch der Wald. Und der wiederum macht seine Regeln. Wenngleich die romantische Vorstellung des Wildcampens in Einklang mit der Natur wunderbar erscheint, möchte ich mir nicht ausmalen, wie es da draußen aussehen würde, wäre es allen und jedem gestattet. Ergo braucht es vielleicht doch eine gewisse Erziehung und Regeln? Ich meine, der Mensch handelt seit jeher instinktiv und seiner Natur entsprechend und befolgt er dabei nicht die ein oder andere Verhaltensregel, endet das ganz schnell in Sodom und Gomorrha.
Am Ende ist es doch so: Regeln bestimmen unser Leben. Es liegt aber an uns, wie viel zusätzliche Unterweisung wir benötigen. Es mag Menschen geben, die nur mit Leitfaden existieren können. Die regelrecht darum flehen, dass man sie mit Pflichten belegt. Ein Automatismus entsteht. Ohne geht irgendwann nicht mehr. Ich für meinen Teil brauche auch Regeln, sonst wäre ich wahrscheinlich längst nicht mehr am Leben. Aber ich versuche, den Teil nicht zu verpassen, an dem der Automatismus das Denken ablöst. Ein bisschen Autonomie hat noch keinem geschadet. Deshalb lasse ich die blöde Smartwatch zukünftig einfach zuhause.