Letztens zauberte die Boulevard-Presse im üblichen Sommerloch wieder einmal eine obskure Sekte aus dem Hut, die zum Jahresende den Weltuntergang prophezeit. Nie war man näher daran zu glauben, dass an solch einer Meldung etwas dran sein könnte als in heutiger Zeit. Hier der dritte weltweite Pandemie-Herbst, dort der erste russisch-ukrainische Krieg und dazwischen das Zweite Deutsche Fernsehen mit einem Helene-Fischer-Konzert, das den Namen „Wenn alles durchdreht“ trägt und in dem die gute Helene uns wissen lässt: „Die Hölle morgen früh ist mir egal“…
Als wäre das nicht schon Anlass genug, sich Gedanken über das Leben, das Universum und den ganzen Rest zu machen, flatterte mir mit der Ankündigung des Weltuntergangs auch noch die Ankündigung einer Hochzeit ins Haus. Glücklicherweise nicht für meine eigene, dennoch kaum weniger erfreulich. Heiraten, das ist wie das Geschlecht wechseln oder Veganer werden eine Entscheidung, nach der das Leben nie mehr sein wird, wie es vorher war. Es mag Zufall sein, dass mich die Bekanntgabe beider Apokalypsen – Weltuntergang und Hochzeit – gleichzeitig erreichten. Aber ich glaube nun einmal zufällig nicht an Zufälle…
Wenn die Apokalypse schon so nah zu sein scheint wie nie zuvor, warum muss ein Mann sich dann kurz vorher noch durch eine Heirat in den Suizid stürzen? Der Teufel wird einem die Hölle noch früh genug heiß machen. Da braucht es vorher nicht noch eine Ehefrau, die das tut. Andererseits wird eine Ehe geschlossen, bis der Tod sie scheidet. Und da man den Weltuntergang kaum überleben dürfte – zumal wenn man statt Geld stets Einkaufswagen-Chips in die Kirchenkollekte geworfen hat – ist das „Ja“ kurz vor der Apokalypse für einen Mann wohl die einzige Möglichkeit, eine Ehe bis zum Ende genießen zu können…
Kein Mann möchte in Sachen Beziehung auf dem Abstellgleis landen, wenn seine Freunde ihn in Richtung Familie überholen. Aber unausweichlich mit Volldampf auf einer Strecke mit letztem Haltepunkt Ehe auf den Abgrund zurasen? Das Traurige an einer Heirat ist nicht einmal das Männerschicksal, dass aus den Eheringen von heute die Handschellen von morgen werden, und dass mit dem „Ja, ich will“ ein einstiger Puma kastriert und zum Schmusekater dressiert wird. Das Schlimmste – zumindest für mich als Freund des Bräutigams – ist der Junggesellenabschied, von dem man als alter Freund leider nicht fernbleiben kann…
Nüchtern betrachtet hat niemand Lust, eines seiner wenigen freien Wochenenden mit einem Haufen Typen zu verbringen, die er entweder nicht kennt oder am liebsten nicht kennen würde. Nur um einem Freund die letzte Ehre zu erweisen und vorzugaukeln, dass sich an seiner Freiheit und an der Männerfreundschaft nach der Heirat nichts ändern wird. Genauer betrachtet sind vermeintlich lustige Junggesellenabschiede nichts anderes als Trauerspiele ohne Happyend. Als würde man mit einem zum Tode durch den Strang Verurteilten bei dessen Henkersmalzeit ausmachen, auch zukünftig weiter gemeinsam abzuhängen…
Was Männerfreundschaften angeht, ist eine feste Beziehung bis zur Hochzeit noch wie offener Vollzug, bei dem Mann bei guter Führung zweimal im Jahr mit anderen Inhaftierten bis Mitternacht Freigang bekommt. Mit dem Verlassen des Standesamtes wird daraus Einzelhaft mit Sicherheitsverwahrung in einem Beziehungsverlies, in dem es keine Möglichkeit mehr gibt, auf Anrufe oder Nachrichten von Kumpels zu reagieren. Kronzeugen, die gegen die Mafia ausgesagt und eine neue Identität bekommen haben, dürfen mehr Kontakt zu alten Freunden haben als ein Mann, der die Steuerklasse 1 verlassen hat…
Dass sich mit einer Ehe etwas ändert, sehen die anderen aus der Männergruppe, mit der ich mich einige Wochen nach der Hochzeitsankündigung auf dem Junggesellenabschied befinde, nicht so. Was wohl daran liegen mag, dass auch sie bereits zum Ja-Wort genötigt wurden. Sie bestehen darauf, dem scheidenden Junggesellen einen würdigen Abschied mit Alkohol und Strapsibar zu bescheren. Denn für Verheiratete wie sie sind Junggesellenabschiede die einzige Möglichkeit, noch einmal den stehend pinkelnden Hengst von früher raus und den Wallach von heute zuhause zu lassen, der nur noch feuchtes Toilettenpapier benutzt…
Um nicht Gefahr zu laufen, im Suff statt heißer Miezen unterkühlte Kühe anzuflirten, die die Braut kennen, steigen Junggesellenabschiede zumeist fern der Heimat in Köln, Düsseldorf oder einer anderen Stadt, in der Mann auf Frauengruppen hofft, die gleichgesinnt um die Häuser ziehen, um sich das andere Geschlecht schön zu saufen und ihr Alltagsleben zu verdrängen. Auf der Bummelbahnfahrt dorthin, auf der man jeden Dorfbahnhof der Eifel kennenlernt, bleibt einem als Mitfahrer genug Zeit sich zu fragen, wie viel Alkohol es wohl brauchen wird, damit man sich am Folgetag an nichts mehr erinnern muss…
Aus Fernsehdokumentationen kennt man Wolfsrudel auf der Jagd. Diese sind nichts im Vergleich zu der Männergruppe, mit der ich an diesem Tag durch die Kölner Altstadt ziehen muss. Mein Alkoholpegel ist irgendwann zwar so hoch, dass ich mich nicht mehr fremdschäme, aber leider nicht so hoch, dass es lustig wäre. Wie Bluthunde ziehen die Familienväter um mich herum durch Kneipen auf der Suche nach Beute. Seit Überziehen des gemeinsamen Partyshirts ist jeder Anstand vergessen und das Hirn auf Standby. Und mit jedem Glas geht die Verwandlung vom leidigen Ehemann zum ledigen Supermann voran…
Egal was an einem solchen Abend passiert, der Ehrenkodex besagt, dass Stillschweigen bewahrt wird. Was vielen wegen ihres Filmrisses nicht schwer fällt. Ich fühle mich derweil wie in der Zombie-Apokalypse und überlege, alle um mich herum zu töten oder zumindest früher ins Hotel zu gehen. Ich habe Angst vor dem Moment, an dem auch mein Alkoholpegel so hoch ist, dass ich die MILFs auf der Tanzfläche attraktiv finde und mich am Morgen danach nicht wegen der vielen Schnäpse übergeben muss, sondern wegen der vielen Selfies mit der weiblichen B-Ware. Glück für denjenigen, der im Suff sein Smartphone verliert…
Ratsam ist es, bei Junggesellentouren seine Mitfahrer zu kennen. Im Mittelpunkt steht natürlich der baldige Göttergatte. Er ist der, dessen Ehe nie zustande kommen wird, wenn Details über den Abend bekannt werden. Er steht so lange im Mittelpunkt bis jeder der Mitfahrer eine weibliche Bekanntschaft gefunden hat und trägt nicht selten ein Kostüm, das ihn wie einen Riesenpenis aussehen lässt. Wegen seiner Aufregung hat er schon früh einiges intus, was dazu führt, dass er später nur aus sozialen Netzwerken erfahren wird, dass ihm in aller Öffentlichkeit seine Beine enthaart, Nägel lackiert und Nippel gepierct wurden…
Schuld an der ganzen Misere ist der Trauzeuge. Er ist der Tour-Organisator und verantwortlich dafür, dass der Bräutigam nicht schlafend auf der Diskotoilette vergessen wird. Er konnte die Heirat bislang nicht verhindern und sieht die Junggesellenfeier als letzte Chance. Er spricht Frauen an, die er nach eigenem Ermessen zum Küsschenverteilen an den Bräutigam weiter gibt oder selbst behält. Von den Frauen der JGA-Teilnehmer wird er später völlig unberechtigt für den einzigen der Gruppe gehalten, der anständig geblieben ist. Seine Erzählungen gelten zuhause – auch wenn sie frei erfunden sind – als die Wahrheit…
Nervig für alle ist der Miesepeter, ein alter Freund des Bräutigams, den man nicht zuhause lassen durfte. Er passt nicht zur Gruppe und will das auch nicht. Entweder weil er den Ort, die Musik oder sich selbst nicht mag. Er trägt als einziger kein Partyshirt und hat an allem etwas auszusetzen. Er ist derjenige, von dem alle froh wären, man würde ihn im Gedränge verlieren. Er verschwindet im Laufe des Abends meist irgendwann von selbst ohne Bescheid zu geben, taucht aber zum Frühstück leider wieder auf. Alle sind sich einig, dass er zuhause bleibt, wenn der Bräutigam noch einmal einen Junggesellenabschied brauchen sollte…
Besonders gefährlich ist jedoch der Stille. Es ist mit Braut oder Bräutigam verwandt, weswegen auch er mitgenommen werden musste. Er ist schüchtern und spricht noch weniger als er trinkt. Er macht Fotos, die auf der Tour niemand sehen darf, später aber in einer Videopräsentation für die Hochzeitsgesellschaft auftauchen. Bräutigam und Trauzeuge haben am Morgen danach meist arge Probleme zu verhindern, dass er von der Gruppe gelyncht wird, da er sich als einziger an jede Peinlichkeit erinnern kann und bereits aussagekräftige Fotos an die Braut gesendet hat, bevor alle aus dem Koma erwacht sind…
Ebendiese Mischung an Typen macht Junggesellenabschiede unerträglich. Und das Kopfweh am Tag danach. Ach wäre die Welt bloß schon vor dem letzten Bier untergegangen. Bis dass der Tod euch scheidet. Ja? Nein? Jein! … gruenetomaten@live-magazin.de.
Patrik Wolf
P.S. Das einzig gesetzlich nicht streng überwachte Glücksspiel ist die Ehe.