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Mel´s Mikrokosmos

Mel rennt.

Hallo Mikrokosmonauten: Ich bin dann mal losgelaufen.

Die Tatsache, dass ich mich derzeit nach Feierabend nicht mehr in Kneipen und Restaurants rumdrücken kann (Danke Corona!) brachte mich neulich auf die Idee, einen Marathon zu laufen. Virtuell versteht sich. Also man läuft für sich, lädt das Ergebnis hoch und schaut sich dann das Ranking aller Läufer an, die auch mitgemacht haben. Auch für sich alleine versteht sich. (Danke Corona!)

Ich bin sie alle gelaufen: Firmenläufe, Frauenläufe, Spendenläufe, Trailläufe, Halbmarathons. An einen richtigen Marathon habe ich mich aber nie ran getraut. Zu weit, zu kräftezehrend und dann die Tatsache, dass ich einfach eine lahme Ente bin. Ich möchte nicht von einem dieser Besenwagen aufgegriffen werden, weil sie allmählich die Straßensperrung aufheben wollen. Wie erniedrigend bereits der Gedanke daran ist. Ein Marathon, so sagt man, ist die Mount-Everest-Besteigung des kleinen Mannes. 42,1 Kilometer läuft man nicht mal so. Oder doch? Nahezu jeder Läufer hat mir bis jetzt immer geraten hat, dass ich für einen ganzen Marathon vorher mindestens 3 Mal über 30 Kilometer gelaufen sein sollte. Ich hatte jedoch nie die Zeit dazu. Meine Wochenenden sind schließlich dazu da,  Wein zu trinken, Schaumbäder zu nehmen und viel zu schlafen. Und nicht wie verrückt zu trainieren. Andererseits bin ich tief in meinem Inneren aber eine echte Kampfsau! Wenn ich mir was in den Kopf gesetzt habe, will ich es auch verdammt nochmal durchziehen, es sei denn, es geht ums Putzen! Nun ja, die Wahrheit ist, dass eine Marathonvorbereitung, wie man sie kennt in so kurzer Zeit einfach nicht mehr durchzukriegen war. Das einzige, was ich wirklich schaffte, war das Zuführen leckerer Kohlenhydrate. Das hat richtig Spaß gemacht. Nudeln bis zum Umfallen. Und dass auch noch, ohne mich auszuziehen.

Es hat niemand an mich geglaubt

Meine Mutter sagte das, was sie immer sagt, wenn ich ihr von meinen Vorhaben berichte: „Du bist doch krank!“. Das sagt sie übrigens auch, wenn ich mal ein Glas Wein trinke, ein Zalando-Paket ankommt oder sie einen Blick in meinen gnadenlos überfüllten Kleiderschrank wirft. Mein Freund hielt sich indessen vornehm zurück und als ich mich wagte, ihn zu fragen, ob er glaubt, dass ich es schaffe, antwortete er: „Das sage ich dir, wenn es vorbei ist.“. Meine Arbeitskollegen appelierten an meine Muskeln, Sehnen und Gelenke, die ich mir kaputt machen könnte. Ich liebe diese Menschen allesamt für ihre Ehrlichkeit und auch für ihre Sorgen, die sie sich augenscheinlich um mich machten. Das Kuriose an der ganzen Sache war aber, dass ich mental so dermaßen bereit war, dass ich mir von früh bis spät einsuggerierte, dass Aufgeben keine Option sei! Auch wenn der Gedanke echt Angst macht, dass von 10.000 Marathon-Finisher in der Regel einer einen Herzinfarkt während oder nach dem Lauf erleidet. Aber ich startete. An einem Samstag um 8 Uhr morgens. Ich wusste, dass ich jetzt 42 Kilometer vor mir habe. Mit dem Auto ist das etwa die Strecke von Völklingen bis Blieskastel. Ich war vorbereitet. Ich hatte Verpflegung in meinem kleinen Rucksack. Ich hatte Musik. Ich war motiviert. Und ich hatte mir, so fand ich, eine idiotensichere Strecke ausgesucht. Immer geradeaus, ohne Steigungen, ein gewöhnlicher Radweg.

Der Kopf muss mitspielen.

Ich habe gelesen, dass Ultraläufer, die 50 bis 100 Kilometer zurücklegen, einfach loslaufen, ohne an irgendeine Entfernung zu denken. Sie schalten einfach auf Stand-By und denken nicht nach. Wenn man mental nicht stark genug ist, kann man Strecken fernab der 30 Kilometer nicht meistern. Mein Kopf lief aber bereits nach den ersten Kilometern auf Hochtouren. Ich spürte Angst und Freude gleichzeitig und zählte die Kilometer schon bald rückwärts. Kurioserweise empfand ich die zurückzulegende Strecke auf einmal gar nicht mehr als so weit. Nur noch 37 Kilometer, noch 35 und dann plötzlich nur noch 32. Jeder andere hält mich jetzt für verrückt, aber wenn man sich damit arrangiert hat, dass man jetzt so weit und vor allem so lange laufen muss, erscheinen einem 10 zurückgelegte Kilometer plötzlich schon als Meilenstein. Ich packte bei eben jenen selbst gesteckten Etappenzielen jedes Mal mein Handy aus und schickte Screenshots an Mama und an meinen Freund. Antwort Mama: „Ruf an, wenn Papa und ich dich abholen kommen sollen! Und hör auf, wenn es nicht mehr geht!“. Ich fühlte mich wieder wie dieser Teenager vor 20 Jahren. Antwort Freund: „Top Schatz!“. Er glaubte wohl immer noch nicht, dass ich es schaffen würde.

Wenn man so alleine und so lange unterwegs ist, denkt man über vieles nach. Jeder Kilometer, den ich rückwärts zählte, verglich ich mit meinem jeweiligen Lebensjahr. Nach 12 Kilometern und noch vor mir liegenden 30 dachte ich an meinen 30. Geburtstag und mit wem ich damals gefeiert hatte. Es deprimierte mich kurzzeitig, dass mittlerweile niemand mehr von diesen Menschen in meinem Leben ist. Der ein oder andere fehlt mir. Irgendwann war die Hälfte geschafft. Ich jubelte innerlich. Und wusste gleichzeitig, dass ich ab jetzt Neuland betreten hatte. Noch nie zuvor war ich so weit gelaufen. 22, 24, 26, 28. Ich war inzwischen schon wieder auf dem Rückweg, weil ich die erste Hälfte in die eine und die zweite in die andere Richtung lief. Und dann fing es allmählich an. Das, was die Leute als Tief bezeichnen. Als „Mann mit dem Hammer“ und was weiß ich noch. Ziemlich schnell schlichen sich Schmerzen ein. Füße, Beine, Po. Ich wusste ja in etwa, was auf mich zukommen würde und versuchte, dem Zwicken und Stechen so wenig Beachtung wie möglich zu schenken. Ich erfreute mich stattdessen am sonnigen Wetter, an der Landschaft und an der Musik in meinen Ohren. Es ist erstaunlich, aber ein Körper scheint zu spüren, wenn die 30 angebrochen sind (Inzwischen zählte ich übrigens wieder von vorne). Das ist im Leben wie beim Laufen so. 30 ist wohl die magische Zahl, die die Ära des körperlichen Verfalls einläutet. Ab jetzt geht es nur noch bergab. Andererseits war ich froh, dass es jetzt nur noch 12 Kilometer bis zum Tod, ähm, zum Ziel waren. Dann kamen urplötzlich diese Stimmungsschwankungen. Jede bipolare Störung ist ein Witz dagegen. Ich schwankte zwischen rauschähnlichen Glücksgefühlen, abgrundtiefen Aggressionen und hemmungsloser Traurigkeit. Ich beschimpfte einen Radfahrer, der mich zu dicht überholte, schrie einen Entgegenkommenden an, er solle gefälligst nicht so glotzen und weinte urplötzlich. Vor Schmerz, vor Wut und halt einfach so. Wohlgemerkt war ich bis dato bereits über 5 Stunden unterwegs. Ich habe gelesen, dass die Schmerzen angeblich irgendwann nachlassen. Aber ein Scheiß passierte. Auf den letzten Kilometern hatten sich meine Beine in zwei Stümpfe verwandelt, an denen Messer montiert waren. Messerprothesen. Ich stellte es mir bildlich vor und lachte und weinte gleichzeitig. Nach 5 Stunden und 51 Minuten war der Spuk vorbei. 42,1 Kilometer. Geschafft!

Am Ende ist es so: Jeder setzt sich im Laufe seines Lebens Ziele. Mein Ziel war es, einen Marathon zu laufen. Und für mich war es so viel mehr als ein Lauf. Für mich war es die Bestätigung, dass ich stärker bin, als ich je geglaubt habe. Mama sagte hinterher: „Du bist doch krank.“. Aber sie sagte es diesmal voller Anerkennung. Und Papa trank mit mir ein Bier und sinnierte über seine eigenen Läufe die er eins absolviert hatte. Ach ja, und mein Freund natürlich: „Ich habe ja eigentlich nicht geglaubt, dass du es schaffst. Aber jetzt bin ich verdammt stolz“. Und nicht zuletzt meine Kollegen, die mir kurz vorm Ziel SMS schickten, dass sie schon den ganzen Morgen an mich denken. Das war es also: Mein Rennen. Danke!

Halte dir stets vor Augen, dass der feste Vorsatz, etwas zu erreichen, wichtiger ist als alles andere. (Abraham Lincoln)

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