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Grüne Tomaten schlafen wütend

Mindesthaltbarkeit erreicht

„Wer älter wird, wird weiser“ meint ein Sprichwort. Nicht nur denjenigen, die gut in Rechtschreibung sind, wird mit zunehmendem Alter bewusst, dass damit wohl nicht das immer fahler werdende Gesicht gemeint ist, das einen morgens aus dem Spiegel entgegenblickt und das jeden über Vierzig von Tag zu Tag mehr an Opa oder Oma als an einen selbst erinnert. Zu realisieren, dass man älter wird, ist nicht einfach, lässt sich aber gerade bei Frauen in der Regel nicht vermeiden; und auch danach nicht. Zwar versprechen viele überteuere Kosmetika, Firnessgurus und Ernährungstipps ewige Jugend mit Traumgewicht, das einzige was durch diese in Form bleibt und leichter wird, ist jedoch der Geldbeutel. Wer effektiv etwas gegen das Altern tun will, dem bleibt nicht viel anderes übrig, als früh zu sterben…

Mit dem Älterwerden ist das eine verzwickte Sache. In jungen Jahren wünscht man sich sehnlichst, endlich erwachsen zu werden, um selbst entscheiden und tun zu können, was man möchte, da man es als Kind satt hat, machen zu müssen, was andere sagen. Kaum dass man dann erwachsen ist, wünscht man sich sehnlichst die Kindheit zurück, als man noch nicht selbst entscheiden musste und tun konnte, was man mochte, da man es als Erwachsener satt hat, machen zu müssen, was andere sagen. Irgendwie hatte man sich als Kleiner das Leben als Großer toller vorgestellt, als man mit dem Erwachsensein noch lange aufbleiben, nachts Fernsehen schauen und Eis essen so viel man mag in Verbindung brachte statt wie heute Alimente, Steuererklärung und Prostatavorsorgeuntersuchung…

Seit der Kindheit hetzt jeder von uns vermeintlich erstrebenswerten Zielen entgegen wie ein Esel der Karotte. Nur um nach ihrem Erreichen feststellen zu müssen, dass jedes Ziel bloß der Start für die nächste Etappe im Leben ist, an deren Ende eine größere Karotte wartet. Hinzu kommt die nüchterne Erkenntnis, dass es trotz größter Mühen stets jemanden gibt, der das gleiche Ziel schneller und besser erreicht und am Ende die größere Karotte hat. Das ist beim Sandburgenbau im Kindergarten bereits ebenso wie später bei Prüfungen oder beim Sex mit dem langjährigen eigenen Partner. Das Hinarbeiten auf ein Ziel ähnelt der Installation einer App: Ob 100 % erreicht werden, bleibt bis zum Ende spannend und setzt voraus, dass es zu keinem Absturz kommt und man genug Power hat…

Unser Leben ist zu einem All-you-can-eat-Buffet geworden, bei dem wir alles Schöne, was bereits auf dem eigenen Teller liegt, kaum mehr genießen können, da wir uns schon Gedanken machen, was wir uns als Nächstes aufladen. Jeder hastet und blickt neidisch auf den Teller des Nachbarn, um zu prüfen, ob dieser nicht vielleicht ein größeres oder schöneres Stück vom Kuchen abbekommen hat. Das ist beim Mittagessen in der Kantine nicht anders als beim Aushändigen irgendeines Zeugnisses oder beim Besichtigen des neuen Hauses von Freunden. Auch wenn es uns nicht bewusst ist, wir vergleichen uns immer und überall mit anderen und beneiden zumindest unterbewusst diejenigen, die mehr haben als wir selbst. Das wird jeder Mann bestätigten, der ab und an einmal in die Sauna geht…

Unser Leben ist ab dem Moment stressig, in dem sich vor uns der Muttermund öffnet, und bleibt dies so lange, bis sich über uns der Sargdeckel schließt. Dazwischen hetzen wir durch Kindheit, Jugend und Erwachsensein. Zwischen der Lebensphase, in der wir noch in Windeln machen, und der Lebensphase, in der wir wieder in Windeln machen, soll nichts dem Zufall überlassen sein. Mit Durchtrennen der Nabelschnur wird Neugeborenen der Fahrplan fürs Leben in die Hand gedrückt, in dem Einser-Abitur, Medizinstudium cum laude, fünf Sprachen und drei Musikinstrumente obligatorisch sind. Anfangs ist jeder motiviert, erst Kindergarten, dann Schule sowie Lehre oder Studium schnell zu durchlaufen, um frühestmöglich im Beruf zu landen und dort auf Rente oder Tod zu warten…

Gestern kaum gekannt, heute schon verheiratet, morgen bereits wieder geschieden. Irgendwann steht man als Erwachsener um die Vierzig mit seriösem Beruf und geregeltem Einkommen da, blickt zurück auf dreißig Jahre Stress und realisiert, dass vor einem weitere dreißig Jahre Stress liegen, an deren Ende man reicher an Erfahrung und vielleicht auch reicher an Vermögen sein wird; oder bereits tot. Um das eigene Leben umzukrempeln und nur noch das zu machen, auf was man Lust hat, ist man einerseits schon zu alt und andererseits noch zu jung. Auf der Flucht vor der Midlifecrisis kommen viele auf recht dumme Gedanken: Das endet bei den einen in Alkohol, Drogen und Verschuldung wegen Glückspiels, bei den anderen in Heirat, Kindern und Verschuldung wegen des Eigenheims…

Mit zunehmendem Alter wird einem bewusst, wie viel Zeit man früher in Ziele investiert hat, die es nicht wert waren: Die Mühe, die man in der Schule in die Verbindung von Estern im Chemiekurs steckte, für die es am Ende eine Sechs gab und die mit einem Puff endete. Oder die Mühe, die man nach der Schule in die Verbindung mit Esther aus dem Chemiekurs steckte, für die es am Ende keinen Sex gab und die in einem Puff endete. Bedenkt man, wie mühevoll es einst war, mit Vatis Kamera ein paar verwackelte Fotos der umschwärmten Banknachbarin im Freibad zu machen und wie mühelos heute zig hochauflösende Bikinifotos der umschwärmten Büronachbarin bei Twitter und Co. verfügbar sind, kommt man sich vor wie sein eigener Opa, der von der Zeit vor dem Krieg erzählt…

Irgendwann über Vierzig kommen wir Männer in ein Alter, in dem wir uns sonntags nicht mehr darüber ärgern, zu früh wach zu werden, sondern froh sind, überhaupt noch wach zu werden. War Mann einst glücklich, wenn er nicht aus dem Bett musste, reicht es irgendwann zum glücklich sein aus, wenn er noch aus dem Bett kommt. Wer früher stolz war, erst nach dem zehnten Bier Pinkeln zu müssen, ist irgendwann schon zufrieden, wenn das erste Bier nicht schon wieder unten raus will, bevor es oben ganz drin ist. Während es für Millennials wichtig ist, etwas auf dem Teller zu haben, was ihr Gewissen nicht belastet, ist es für uns, die wir unsere Pubertät in den 1990ern verbrachten, mehr und mehr wichtig, etwas auf dem Teller zu haben, was unsere Gebisse nicht belastet…

Bei Frauen geht es in jungen Jahren vor allem darum, Sex zu haben und Kinder zu vermeiden. Diese Haltung wandelt sich mit der Zeit dahin, Kinder zu haben und Sex zu vermeiden. Verhüten Frauen unter Dreißig meist mit der Pille, tun sie es ab Dreißig meist mit Licht im Schlafzimmer. Das Gefallen, das Frauen an Handtaschen in allerlei Farben und Größen mit verschiedensten Verschlüssen haben, schwenkt ab Dreißig auf Tupperdosen in allerlei Farben und Größen mit verschiedensten Verschlüssen um, die wie einst die Handtaschen nach einmaliger Benutzung in einer Schublade verschwinden. Frauen Ü40 sind übrigens der Meinung, Mädels U20 würden es heutzutage mit dem Alkohol übertreiben. Mädels U20 denken über Frauen Ü40 genau das gleiche. Beide haben Recht…

Fest steht, dass auch der, der äußerlich älter wird, sich seine Jugend innerlich erhalten kann. Das wird jeder bestätigen, der schon einmal bei einem Klassentreffen alte Schulkameraden getroffen hat, die äußerlich zwar kahl und dick geworden sind wie ihr Vater, innerlich jedoch noch genau das gleiche Arschloch geblieben sind wie in der zehnten Klasse. Lernen wir beim Älterwerden denn gar nichts aus der Vergangenheit? Vielleicht nur so viel, dass besoffen Auto zu fahren dank Spurhalteassistent im Oberklassenfahrzeug mit Vierzig deutlich einfacher ist als im Kleinwagen mit Zwanzig. Das zu Beginn erwähnte Sprichwort stimmt also vielleicht gar nicht. Oder aber es enthält einen Rechtschreibfehler. Mindesthaltbarkeit erreicht… gruenetomaten@live-magazin.de.

 

Patrik Wolf

P.S. Wer früher stirbt, ist länger tot.

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