Unser Autor Marc Kirch beschäftigt sich jeden Monat mit aktuell relevanten Themen aus der Perspektive queerer Menschen. Basierend auf der Überzeugung, dass eben auch Menschen mit unterschiedlichen Geschlechter- und sexuellen Identitäten in der Mitte unserer Gesellschaft in Frieden und Freiheit leben dürfen und sollen, hinterfragt er den angenommenen Zwang zur Heteronormativität und spricht hierzu mit Vertretern des öffentlichen Lebens aus Sport, Politik, Kultur und Wirtschaft. Diesen Monat trifft er Saarbrückens Oberbürgermeister Uwe Conradt in der Fußgängerzone am St. Johanner Markt.
L!VE: Ist Homosexualität in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen?“
Uwe Conradt: Einerseits könnte man schnell sagen „ja“, damit wäre man durch. Trotzdem glaube ich, ist es auch heute noch ein Thema, das ganz bewusst in unserer Gesellschaft noch eine besondere Aufmerksamkeit braucht. Denn Vielfalt, Toleranz und das Miteinander unterliegen in einem ganz großen Maße einem gemeinsamen Verständnis. Und ich glaube das Verständnis, dass Homosexualität normal ist, ist ja auch etwas, das in den letzten Generationen und auch in den letzten Jahrzehnten sehr stark gewachsen ist. Das spricht auch für eine demokratische und tolerante Gesellschaft. Ich glaube es ist auch wichtig, dass wir uns das bewahren, bewusst daran arbeiten und allen Tendenzen, die dementgegen arbeiten, stets entgegentreten.
L!VE: Parteiübergreifend gibt es bereits zahlreiche Politiker, die sich zu ihrer gleichgeschlechtlichen Liebe bekannt haben. Beispielsweise Jens Spahn von der CDU, damals Guido Westerwelle von der FDP, Volker Beck von den Grünen oder auch Klaus Wowereit von der SPD. Waren das Ausnahmen oder ist es in der Politik schon selbstverständlich, dass man zu seiner sexuellen Orientierung steht?
Conradt: Die Frage „Wen liebt jemand? – ist das Mann oder Frau?“ ist auch bei einem Politiker zunächst einmal Privatsache. Ich werde ja auch nicht gefragt, ob es etwas Besonderes ist, dass ich mit meiner Frau verheiratet bin. Es ist ja eigentlich das Schöne daran, dass es ebenso normal ist, wenn ein Oberbürgermeister oder Bürgermeister sagt „mein Mann kommt mit“, wie auch „meine Frau kommt mit“.
L!VE: So sollte es ja auch sein…
Conradt: Das sehe und erlebe ich auch im politischen Bereich so. Ja, ich glaube, das ist soweit angekommen. Aber ich sage auch, man muss vorsichtig sein und darf nicht zu früh glauben, alle Erfolge sind auf Dauer gesichert. Ich glaube, es lohnt es sich immer wachsam zu sein, denn es kann auch immer wieder Tendenzen geben, die möglicherweise in eine andere Richtung gehen. Hier sehe ich die Verantwortung aller demokratischen Parteien, gemeinsam solchen Tendenzen entgegenzutreten.
L!VE: Bei der Parteivorsitzenden der CDU scheint das so aber noch nicht angekommen zu sein: Annegret Kramp-Karrenbauer hat mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass sie gegen die Gleichstellung im Rahmen der „Ehe für alle“ ist, mit der Begründung, dass dies Tür und Tor öffne für die Legitimation von Polygamie und Inzest.
Conradt: Einerseits ist die CDU eine Partei, in der traditionelle Rollenbilder und traditionelle Werte auch manchmal ein Stück weit stärker verankert sind als in anderen Parteien. Auf der Basis bedarf es auch immer einer Diskussion über das Für und Wider. Frau Kramp-Karrenbauer hat an der Stelle ihre Positionierung klar gemacht. Das ist heute nicht die Meinung der Partei, aber es ist durchaus die Meinung der Partei von vor 10 oder vor 20 Jahren. Und ich denke dieser gesellschaftliche Wandel spiegelt sich auch in der CDU wieder, auch in der Positionierung an dieser Stelle. Ich kann mich auch gut daran erinnern, als wir zu meiner Zeit im Landtag das Thema „Ehe für alle“ sehr engagiert und innerhalb der Fraktion auch kontrovers diskutiert haben. Das gehört zu einer lebendigen Partei auch einfach mit dazu. Für mich war damals als Christdemokrat schon klar, dass wir nicht von Gesetzes wegen eine Unterscheidung treffen sollten, wer für wen dauerhaft bereit ist, Verantwortung zu übernehmen oder wer wen liebt. Aus meiner Sicht sind das auch völlig unterschiedliche Dinge, ob ich die Frage „Homosexualität“ diskutiere oder ob ich die Frage „Polygamie“ diskutiere. Für mich gibt es da absolut keinen Sinnzusammenhang. Diese Begriffe und Themen sollte man nie miteinander vermischen!
L!VE: Ist der von Ihnen beschriebene Wandel auch die Abkehr von den von der Kirche vorgegebener Werte hin zu den christlichen Werten, also losgelöst von der katholischen Kirche?
Conradt: „Christlich“ im Sinne der CDU war nie mit der Institution Kirche gleichzusetzen, sondern immer mit den aus dem Christentum herauskommenden Werten. Und da sehe ich die Nächstenliebe als den zentralen Wert des Christentums. Und vielleicht ist genau an der Stelle auch die Frage angebracht, nach welchen Kriterien denn eigentlich Jesus seine Jünger und seine Gefolgschaft aufgebaut hat? Wenn man betrachtet, wo diese Menschen herkamen, die ihm gefolgt sind, welche Berufsbilder, welche sozialen Hintergründe sie hatten, fällt auf, dass das Thema Sexualität in der Bibel überhaupt nicht angesprochen wird. Vor rund 2000 Jahren wurden Revolutionen losgetreten und Schranken aufgebrochen. Die Frage „Wie hat Gott die Menschen erschaffen?“ beinhaltet auf jeden Fall auch die Antwortet: „mit ihrer Sexualität“. Gleichwohl thematisiert die Bibel die Sexualität nicht.
Wie wäre es, wenn man daraus jetzt die Frage zum Thema machen würde: „wie bewerten wir es, das Miteinander?“ Insofern glaube ich schon, auch aus den christlichen Werten heraus, ist es sehr gut, dass die CDU eine Neupositionierung vorgenommen hat. und wenn Sie so wollen, dass man sich von manchen Dogmen oder Regeln der katholischen Kirche weiter entfernt. Vielleicht wenden wir uns dann noch stärker dem Christentum zu, als die katholische Kirche tut.
L!VE: In Polen und Ungarn sehen sich Homosexuelle und Transgender zunehmend systematischer Diskriminierung ausgesetzt, die auf ultrakonservativen Regeln und Dogmen kirchlicher Institutionen gedeien.
Conradt: Gerade in Ländern wie Polen, in denen die Kirche noch einen viel stärkeren politischen und gesellschaftlichen Einfluss hat, würde ich es mir persönlich wünschen, wenn sich die Kirche wirklich öffnet und ihre eigene Positionierung überdenkt.
L!VE: Sie haben beim Christopher Street Days SaarLorLux in Saarbrücken die Schirmherrschaft übernommen. Was hat Sie dazu bewegt?
Conradt: Das ist aus meiner Sicht schon fast eine gute Tradition. Ich finde einfach, es gehört sich so. Gleichzeitig sage ich auch, ich bin mit dem Herzen dabei. Ich denke der CSD ist ein außergewöhnliches Wochenende für diese Stadt, bei der auch die ganze Szene zusammenkommt und sich noch wohler fühlt, als sie sich ohnehin bereits in Saarbrücken wohlfühlt. Es ist auch ein echter Bezugspunkt, der auch nach außen strahlt, mit regulär zehntausenden von Zuschauern. Hoffentlich wird es in 2021 wieder möglich sein, gemeinsam fröhlich zu Feiern und auch eine politische Botschaft zu senden. Das Schöne ist ja, dass der CSD die komplette Vielfalt der Stadtgesellschaft anzieht. Das finde ich wunderbar. Ich hoffe wir finden gegen Corona schnell Lösungen.
L!VE: Wenn dann der CSD wieder stattfindet, gibt es Inhalte, Änderungen, Ergänzungen oder zusätzliche politische Botschaften, die Sie sich zukünftig wünschen würden?
Conradt: Ich denke, die Szene weiß selbst was für sie gut ist und hat ein Gespür dafür, dass es immer austariert sein muss zwischen beiden Faktoren. Ich sollte das auch nicht vorausdenken. Aus meiner Sicht sollte der Oberbürgermeister alle diese Dinge, welche die Szene möchte, auch positiv begleiten. So sehe ich meine Rolle als Schirmherr, dort wo Hilfe gebraucht wird, auch mitzuhelfen. Ich denke unser CSD ist etabliert, er gehört zu Saarbrücken und ich habe natürlich die Hoffnung, dass das noch ganz lange der Fall sein wird. Dass der CSD auch zukünftig weiterhin ungebrochen seine Sogwirkung entfaltet. Das hängt auch entscheidend davon ab, dass die Jungen und Kreativen aus der Szene immer mit dabeibleiben. Es also gelingt, auch die kommenden Generationen vom CSD und seiner Relevanz zu überzeugen. Wenn diejenigen, die etwas tun über Jahrzehnte dieselben bleiben, dann ist das toll und ehrenwert. Gleichzeitig müssen auch immer wieder neue Leute nachkommen, die neue Impulse einbringen. Da habe ich beim CSD allerdings bislang wenig Bedenken. Da gibt es andere Dinge in unserer Gesellschaft, bei denen ich mir noch stärkere Beteiligung von jüngeren Menschen wünschen würde.
L!VE: Was muss in unserer Gesellschaft passiert, damit der übernächste James Bond schwul sein darf?
Conradt: Darf er das nicht? Ich habe den Eindruck, dass bei Netflix und Co Homosexualität schon lange zum Thema gehört. In manchen Serien stark, in manchen weniger stark. Ich sehe, dass Homosexualität bei den Kindern schon sehr viel früher in der Schule thematisiert wird, auch Transsexualität. Ich bekomme das ja auch bei meinen Töchtern mit und auch die Fragen, die sich daraus ergeben. Also für die Generation meiner Töchter bin ich mir sehr sicher, wäre es bereits selbstverständlich, wenn James Bond schwul wäre. Vielleicht spielt das eher für die älteren Generationen noch eine Rolle, die James Bond in den 60er Jahren begleitet haben. Aber spannend wäre doch tatsächlich auch die Frage, ob’s überhaupt noch ein Thema ist? In den 80er Jahren wäre es das vielleicht noch ein riesen Thema gewesen. Aber heute? Heute ist das doch schon selbstverständlich.