Es ist schon einige Zeit her, dass ein unachtsamer Neandertaler versehentlich in die Lagerfeuerglut trat und damit das Tanzen erfand. Seit damals gehört rhythmisches Körperbewegen auch außerhalb des Betts zu den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen. Jede Generation hat ihren Favoriten, wenn es darum geht, Hüften in Schwung zu bringen. Bei Mutti und Vati war es amerikanischer Rock’n’roll, bei Großtante und Großonkel Wiener Walzer und bei Oma und Opa polnischer Einmarsch. Jede Zeit hatte ihre Einfälle. Heutzutage heißt es zurück zu den Ursprüngen. Weg von festen Schrittfolgen, hin zum individuellen Tanzstil, der stark an das Gezappel und Gegröle damals auf der Glut erinnert…
Jedes Wochenende strömen Tanzwütige wie Ameisenvölker von cooler Musik und warmen Getränken angelockt in die Clubs, um den Stress der letzten Woche und das Gehalt des letzten Monats hinter sich zu lassen. Auf der Tanzfläche oder über der Toilette gilt es aus dem eigenen Körper rauszuholen, was sich an Energie oder Wodka-Energy angestaut hat. Zwischen frühreifen 15 und überreifen 55 ist unter den Besuchern alles zu finden. Wie Fliegen an einer Klebefalle winden sich alle auf der Tanzfläche, um dem anderen Geschlecht das Herz zu brechen oder zumindest die Füße. Der Mensch ist von seinen körperlichen Fähigkeiten her nicht fürs Fliegen gemacht. Fürs Tanzen aber auch nicht…
Aus dem Disco-Fever wird bei vielen ein regelrechter Fieberwahn. Sehen und gesehen werden, lautet die Devise im Club. Und das genau ist das Problem. Die Körperbewegungen, die die Blicke auf sich ziehen wie ein Hundehaufen die Fliegen, reichen von parkinsonähnlichem Zucken über Schüttelfrost bis zum epileptischen Anfall. Als Onkel Ede damals vergeblich versuchte, die Wespen von der Hauswand zu entfernen, bewegte er sich kaum anders. Das Kinn von John Travolta oder den Hintern von Jennifer Lopez zu haben, reicht eben nicht aus, um ein Tanzgott zu sein. Auch ich habe gleich viele Füße wie Lionel Messi oder Cristiano Ronaldo und bin dennoch nicht so fußballbegabt…
Wer irgendwann einmal eine Tanzschule in der Hoffnung besucht hat, das dort Gelernte in einer Disko nutzen zu können, wird ebenso enttäuscht wie derjenige, der dem Mathelehrer in der Schule glaubte, dass man ohne Differenzialgleichungen nicht durchs Leben kommt. Pottwale wissen um ihre fehlende Tanzbegabung und bleiben Diskotheken daher meist fern. Anders ist das bei ähnlich übergewichtigen Metzgereifachverkäuferinnen nach der Firmenweihnachtsfeier und dem fünften Glas Prosecco. Auch wenn deren Foxtrott eher Elefantengetrampel ähnelt und die Eleganz beim Walzer der einer Walze gleicht. So lange niemand ernsthaften Schaden dabei nimmt, sei es jedem vergönnt…
Wer sich als Ü40er wie ich letztens nach Ewigkeiten und ein paar Bier zu viel in einen Club verirrt und überzeugt ist, an die eigenen dortigen Glanzzeiten anknüpfen zu können, der wird schlagartig nüchtern und vor die Frage gestellt: Ist man am Eingang irgendwo falsch abgebogen und auf einem Schulfest gelandet? Und wer ist dieser DJ Guetta, der scheinbar DJ Bobo aus der Playlist verdrängt hat? So müssen sich meine Eltern damals gefühlt haben, als sie an meinem achten Geburtstag auf meine durch Malzbier und Brausepulver aufgeputschten Freunde und mich getroffen sind. Nur dass es hier echtes Bier ist und das weiße Pulver nicht nach Waldmeister schmeckt…
Ich habe mich früher gefragt, wann der Punkt kommt, ab dem man sich erwachsen fühlt. In diesem Moment wusste ich zumindest, wann der Punkt gekommen ist, ab dem man sich alt fühlt. Als einer der nicht nur gefühlt Ältesten fällt es einem in einem Club sogar schwer, mit Alkohol Spaß zu haben. Sich Mädels schön saufen, damit hat man zwar gute Erfahrungen gemacht. Aber Mädels älter saufen? Wie soll das gehen? Wie bei Weinen in Discountern kommt man zwar auch bei Frauen in Diskotheken an junge Abfüllungen günstiger ran, als an ältere Jahrgänge mit Geschmack, für die man schon was investieren muss. Aber die Zeiten, in denen man nur Billiges aufgerissen hat, sind eigentlich vorbei…
Egal ob Wein oder Frau, manche sind süß, kleben dann jedoch zu viel an einem. Andere sind zu kühl, verbittert oder riechen muffig und sind daher ungenießbar. Wiederum andere hinterlassen unschöne rote Flecken auf der Esszimmertischdecke oder einen Pelz auf der Zunge. Menschen wie ich, die ihre Zwanziger schon im letzten Jahrtausend begonnen haben, finden sich heutzutage in Clubs irgendwie nicht mehr wohl. Wir sind es noch gewohnt, in einer Disko wegen des Zigarettenqualms nicht atmen zu können und nicht wegen des Schweiß- oder Parfumgeruchs. Dazu kommt das Problem, dass ein Großteil der Besucher die eigenen Kinder sein könnten und es ein Teil wohl auch wirklich ist…
Als die Welt noch analog war, war man nach einer heißen Diskonacht der festen Überzeugung, beim Knutschen einen guten Fang gemacht zu haben und bereute es, nicht nach der Nummer gefragt zu haben. Der Schlag traf einen damals erst dann, wenn man mit dem Aufriss von einem Diskofotografen eingefangen wurde und feststellen musste, dass zwischen Erinnerung und Foto zwei Promille und zwanzig Kilo liegen. In heutiger Zeit ist man Dank sozialer Netzwerke schneller auf einem Selfie verlinkt, das von Eltern und Freunden kommentiert wird, als man die Facebook- oder Instagram-Freundschaft wieder löschen und bereuen kann, nach der Nummer gefragt zu haben…
Vor allem Männer Ü40 sollten Clubs allenfalls noch in homöopathischen Dosen konsumieren. Für die Tanzfläche ist ihr Blutalkoholgehalt sowieso entweder zu gering oder zu hoch. Außerdem hat man in diesem Alter eh irgendwas an der Bandscheibe und sollte das mit dem Tanzen sein lassen. War man in jungen Jahren der Hahn im Korb, ist man jetzt das Chamäleon an der Wand und hängt in irgendeiner Ecke rum. Wer auf Partnersuche ist, sucht in diesem Alter sowieso lieber Singles und Akademiker mit Niveau im Internet, um nicht Gefahr zu laufen, jemanden im Club anzusprechen, mit dessen Mutter man altersmäßig schon im Bett gewesen sein könnte oder wahrscheinlich sogar war…
Ü30er- oder Ü40er-Partys können dieses Risiko zwar meist verringern, allerdings machen diese Feten so viel Spaß, wie statt beim Neuwagenhändler auf dem Schrottplatz nach einem Auto zu suchen. Warum Männer über Vierzig überhaupt noch in Diskos gehen? Warum denn nicht! In den Vierzigern geht es doch erst so richtig los. Das war mit Deutschland im letzten Jahrhundert auch so. Bis Samstag im Club. Mumienschieben… gruenetomaten@live-magazin.de.
Patrik Wolf
P.S. Muss man eigentlich eine Karriere als Kirmesboxer oder Zuhälter hinter sich haben, um in einer Disko Türsteher zu werden? Oder reicht dafür ein Hochschulabschluss aus?