Hallo Mikrokosmonauten: Macht euch bemerkbar!
Wenn ich meine Kolumne schreibe, ist das immer so, als stünde ich auf einem hohen Berg und riefe in die Tiefe. Aber außer meinem Echo bekomme ich nichts zu hören. Ich lese mir meine eigenen Texte durch, finde sie super und sende sie hinab ins Tal. In der Hoffnung, da ist jemand, der sich hinsetzt, mein geliebtes L!VE-Magazin aufschlägt und mit sehr guten Augen meine Kolumne liest. Und ja, gute Augen sind tatsächlich Grundvoraussetzung, denn die Schrift wird kleiner, je länger Mels Mikrokosmos existiert. Nun gut, im Alter schrumpft bekanntlich vieles. Mein Rufen ins Tal allerdings bleibt laut, ich bin immer noch da, wenngleich ich manchmal etwas Gegenwind vertragen könnte, denn so alleine auf meinem Berg wird mir irgendwann langweilig. Auf was ich hinaus will ist, dass man nie genau weiß, wer noch da ist, wer zuhört und gegebenenfalls etwas kontern möchte.
Manchmal ist aber auch das Gegenteil der Fall. Manchmal weiß man plötzlich viel mehr als man will. Wenn ich nämlich ab und an von meinem Berg hinunter komme um mich mit Menschen zu treffen, muss ich oft laut sagen: „Ich bin noch hier und ich höre zu!“. Dann kommt der Gegenwind unbarmherzig und rau und weht mir fast das imaginäre Toupet weg. Wenn sich zum Beispiel meine Familie über mich aufregt, während ich am Tisch sitze. „Ja, also sie war wirklich schamlos, als sie neulich in aller Öffentlichkeit und noch vor der Cocktailstunde betrunken war. Das muss man ihr auch mal ehrlich sagen können!“ Hallo? Ich bin da! Oder unter Arbeitskollegen: „Mel? Nee, die frage ich nicht, sie ist schließlich nicht schlauer als ich!“. Hallo? Ich höre mit! Muss ich jetzt den Mund halten oder darf ich mich dazu äußern?
Ich frage mich außerdem, wann andere angefangen haben, in der dritten Person von uns zu sprechen und wir aufgehört haben, uns bemerkbar zu machen? An sich ist es ja gar nicht so schlecht, einfach mal den Mund zu halten. Wer Menschen mit seltsamen Meinungen erreichen will, sollte ihnen zuhören, statt Vorträge zu halten, auch wenn es Kraft kostet. Es lässt sich nun mal auch nicht immer vermeiden, dass Menschen aufeinandertreffen, die ihre jeweilige Wahrheit kundtun möchten. Ob das nun beim gemeinsamen Familientreffen ist, im Job oder im Netz. Ob es sich nun darum handelt, über den Kopf des Anwesenden hinweg zu schimpfen, und dessen böse Verhaltensweisen aus ihm raus zu exorzieren oder mit automatisierten Abläufen auf Sendung zu gehen. In diesen Momenten sind diese Leute davon überzeugt, die Wahrheit gepachtet zu haben und eine bockige Reaktion unsererseits wären geworfene Perlen vor die Säue. Wobei ich weder meine Familie noch meine Arbeitskollegen als Sauen bezeichnen würde. Eher als Einhörner, die mich höchst motiviert auf den rechten Pfad holen wollen. Würden wir jedes Mal reagieren, wenn wir uns in die Ecke gedrängt und zu Unrecht angegriffen fühlten, entstünde aus dieser Situation weder ein Gespräch noch eine Debatte. Vielmehr käme ein ritualisiertes Geschrei dabei raus. Und da bin ich nicht nur sicher, sondern spreche auch aus Erfahrung. Und am Ende sind dann alle empört, beleidigt und fühlen sich ungerecht behandelt. Und das Entscheidende – vergraben sich noch tiefer in ihrer Version der Wahrheit.
Schlagfertigkeit ist etwas, auf das man erst 24 Stunden später kommt
So wie ich zuweilen auf ein Echo, eine Reaktion warte, so sehne ich mich des Öfteren nach der Kunst der Schlagfertigkeit oder der Souveränität stets gekonnt zu argumentieren, wenn das ersehnte Echo nicht so positiv ist.
Seien wir doch ehrlich: Schlagfertigkeit liegt nicht jedem. Die gute Nachricht jedoch ist, dass man sie lernen kann. Blöde Sprüche kontern und spontan und wendig zu reagieren, könnte also demnächst unser neues Hobby werden. Was wir dazu brauchen?
Mut, Argumentationsfähigkeit und Humor
Gerade zu Anfang fällt Schlagfertigkeit oft schwer. Hier kann es helfen, wenn man sich ein paar Antworten und Sprüche überlegt, die immer passen und funktionieren. Als Gamechanger verwende ich neuerdings den Satz: „Das siehst du absolut richtig!“. Ähnlich wie mein Lebensmotto „Alle Gerüchte über mich sind wahr“ passt diese Antwort auf jede noch so unverschämte Tadelei. „Mel ist nicht unbedingt schlauer als ich!“ – „Das siehst du absolut richtig!“. „Sie ist wirklich schamlos noch vor der Cocktailstunde betrunken zu sein!“ – „Das siehst du absolut richtig!“. Alternativ matchen auch Sätze wie „Behaupten kann das jeder.“, „Das ist allein dein Problem,“ oder „Du sprichst hörbar, aber nicht verstehbar“. Ein Klassiker ist außerdem: „Daran wirst du dich gewöhnen müssen.“ und „Ich habe das leider nicht verstanden. Kannst du das bitte wiederholen“. Dieser Satz wäre übrigens perfekt in der Situation, wenn man wieder mal über meinen Kopf hinweg spricht, als wäre ich „Ghost – Nachricht von Mel“.
Es ist doch so: Der Konter lebt von der Überraschung. Und davon, dass er den anderen dort trifft, wo es vielleicht weh tut. Diese Schrecksekunde ist wohl oder übel die schwerste Lektion, die es zu lernen gilt, wenn man ein Echo zurückgeben möchte. Im Kommunikations-Ping-Pong sollten wir uns weder unter Druck setzen, noch provozieren lassen. Außerdem ist es immer ratsam, auf seine Körpersprache zu achten, das Allgemeinwissen zu verbessern und die Situation zu erkennen.
Bemerkbar machen, wenn es Sinn macht und den Mund halten, wenn die andere Position zu empörend ist
Oder in meinem Falle einfach auf meinen Berg hinauf gehen und meine Kolumnen schreiben. Und wenn es mir zu langweilig wird, ins Tal brüllen: „Seid ihr noch daaa?“, in der Hoffnung, das Echo ist so laut, dass ich mit Fug und Recht antworten kann: „Das seht ihr absolut richtig!“
Wer noch da ist, schreibt mir gerne: melanie.hartmann@live-magazin.de