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Grüne Tomaten schlafen wütend

Oh Du Fröhliche

Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende heißt es immer. Dass beides sich nicht ausschließen muss, zeigt das zweite Pandemiejahr, das sich langsam seinem Ende neigt und in dem die meisten von uns nun völlig ihr Zeitgefühl verloren haben. War Montag sonst immer der Tag, an dem man sich nach einem erlebnisreichen Wochenende eine Dusche und frische Klamotten gönnte, mangelt es nach anderthalb Jahren weitgehendem Home-Office völlig am Gefühl, wann es wieder Zeit für Körperhygiene und neue Unterwäsche ist. Hätte man sich früher dafür geschämt, den ganzen Tag im Schlafanzug zuhause zu sitzen, erscheint es einem mittlerweile absolut normal, selbigen nicht einmal mehr zum Einkaufen auszuziehen. Mit Mund-Nasen-Schutz erkennt einen ja eh niemand…

Als wäre Corona alleine nicht schon genug, um einem die Laune zu vermiesen, fiel in diesem Jahr auch noch der Sommer ins Wasser. Was bedeutete, dass nicht einmal mehr die Zeit im Home-Office auf dem heimischen Balkon Spaß machte. Statt Sonne wie auf Mallorca gab es Regen wie auf Island und ein Wetter, das einem nicht nur das Autodach, sondern vor allem auch die Laune verhagelte. Der verregnete Herbst begann gefühlt direkt nach dem verregneten Winter, in den er auch jetzt wieder übergegangen ist. Das hat jedem von uns ein weiteres Jahr Zeit verschafft, sich der Illusion hinzugeben, dass man die Corona-Kilos bis zum nächsten Sommer wieder von den Hüften bekommt. Leidtragende des zweiten Pandemiejahrs waren vor allem die Kinder und die eigenen Leberwerte…

Irgendwie hatte man bis vor Kurzem noch die kindlich-naive Hoffnung, dass das mit dem Virus bald ein Ende hat und der Sommer 2021 doch noch kommen wird. Plötzlich ist es Dezember und die Inzidenzen steigen schneller als der Pegel der Ahr im letzten Juli; mit ähnlich verheerenden Auswirkungen. Meine Eltern meinten immer, es sei normal, dass Zeit mit zunehmendem Alter schneller vergeht. Das habe Vorteile, da so der im Alter Ü60 nur noch quartalsmäßige Beischlaf als genauso häufig empfunden würde wie früher der tägliche Sex Ü20, man jedoch weniger oft die Bettlaken wechseln müsse. Wegen des veränderten Zeitempfindens gälte bei älteren Menschen daher jeder Sex noch als Quickie, der kürzer dauert als zwei Folgen „Richterin Barbara Salesch“…

Pandemie, Klimawandel und das Fernseh-Comeback von „Wetten-Dass“ und „TV-Total“ im selben Jahr, das hätte man früher sogar für einen Weltuntergangs-Blockbuster aus Hollywood für zu viel erachtet. Im Gegensatz zum Ende der Pandemie braucht man jedoch zumindest was das Ende des Jahres angeht, keine bösen Überraschungen zu erwarten. Auch mit 2021 wird am 31.12. Schluss sein. Es ist ja nicht so, dass der Kalender dieses Jahr einen Monat mehr oder weniger hätte oder ein Jahreswechsel nach dem Dezember außergewöhnlich wäre. Dennoch blicken die meisten von uns in diesen Wochen immer wieder ungläubig auf den Kalender, um die Tage zu zählen, die noch bleiben, bis alles von vorne beginnt, von dem man gerade froh war, es hinter sich zu haben…

Wieder am Anfang des Teufelskreises. Steuererklärung, Zahnarzttermin, Familienbesuche, alles was man gerade abgearbeitet hatte, steht plötzlich wieder an. Eben noch ein voller Kalender mit Erledigtem, plötzlich wieder ein leerer Kalender mit zu Erledigendem. Wenigstens als Ausrede fürs Aufschieben ist so eine Pandemie gut. Sie macht einen jedoch reizbarer und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass man beim nächsten Suchen von Quittungen für die Steuer, bei der nächsten Zahnarztspritze, die nur etwas pieksen soll, und bei der nächsten Frage von Tante Elfriede, ob man nicht doch noch ein Stück Torte möchte, mit Bürotacker, Speichelsauger oder Kuchenschaufel bewaffnet einen Amoklauf abliefert, der es noch vor Corona in die 20 Uhr-Nachrichten schafft….

Ob das neue Jahr besser wird als das alte? Spoiler-Alarm! Nein. Bestenfalls aber anders. Meinem Gefühl nach war es erst kürzlich, dass ich mich wunderte, dass das Jahr schon wieder halb vorüber ist und es die ersten Lebkuchen gibt. Dabei war das vor einem halben Jahr. Nun werden bereits Silvesterfeuerwerk und erste Faschingskostüme angekündigt. Da ist es nicht mehr weit bis Ostern, Halloween und Weihnachten 2022. Ob bis dahin dann alles wieder „normal“ sein wird? Essen wir sicherheitshalber mal alle unsere Teller leer. Die Zeit rast so, dass ich den Sonnenschirm auf dem Balkon im Winter schon gar nicht mehr einklappe und den Weihnachtsbaum das ganze Jahr in der Wohnung stehen lasse, was dank Plastiktanne deutlich einfacher ist als früher mit echtem Baum…

Die Zeit vergeht Jahr um Jahr schneller als zuvor und vor allem schneller als man Sachen in den Keller räumen und von dort wieder heraufholen kann. Zumal man nicht mehr weiß, ob man Dank des Klimawandels Badesachen nun im Juli oder im Dezember braucht oder Dank Corona das ganze Jahr im Schrank lassen kann. Kaum hat man unten seine Winterschuhe zugebunden, muss man oben schon wieder einen Sonnenhut aufsetzen. Da ist es doch nicht verwunderlich, wenn man irgendwann in kurzer Hose und Flipflops vor der Tür im Schnee steht, nur weil man noch schnell seine Mund-Nasen-Maske gesucht hat. Einzig die Zeit, die man braucht, um in einem Baumarkt einen Mitarbeiter aus der richtigen Abteilung zu finden, scheint sich zu weigern, im Zeitraffer ablaufen zu wollen…

Irgendwie will ich mich nicht damit abfinden, dass ein Jahr im Kalender mittlerweile schneller vergeht als früher eine Woche in den Ferien. Und vor allem, dass dieses Jahr wie das vorangegangene Jahr wenig Schönes zu bieten hatte, sieht man einmal vom niedrigeren Wasser- und Wäscheverbrauch aus den genannten Gründen ab. Es bleiben keine vier Wochen mehr, die guten Vorsätze für das laufende Jahr, die man die letzten elf Monate erfolgreich vor sich hergeschoben hat, umzusetzen. Denn dann muss man sich bereits wieder neue vornehmen. Für gewöhnlich breche ich den ersten Vorsatz schon am Neujahrsmorgen nach zu viel Sekt in einen Vorgarten. Ich hoffe inständig, dass das dann nicht das einzige Erlebnis in 2022 sein wird, auf das ich dann später zurückblicke…

Bald ist also wieder Silvester. Es wird geknallt, danach gibt es Feuerwerk und die Uhr steht wieder auf Null. Gerade 365 Tage hinter uns, nun wieder 365 Tage vor uns. Man ist dort, wo man genau ein Jahr zuvor schon war. Nur eben schwerer auf der Waage, leichter auf der Bank und deutlich desillusionierter, was die Hoffnung angeht, dass das Abklingen der Pandemie schnell und der Verfall des eigenen Körpers langsam vorangeht. Schon jetzt trifft einen nicht selten der Schlag, wenn Menschen, die man seit gut anderthalb Jahren entweder nicht oder nur mit Maske gesehen hat, einem plötzlich mit nacktem Gesicht gegenüberstehen. Wie schnell aus einst süßen Fältchen bittere Runsen werden, wenn einem 18 Monate lang ständig der eigene Atem ins Gesicht weht…

Doch jetzt kommt erst einmal noch die Weihnachtszeit. Eine Gottesgeißel, die uns seit zweitausend Jahren heimsucht. War es als Kind die ungeduldige Erwartung, dass am Heiligabend das Glöckchen klingelt und das Christkind kommt, ist es als Erwachsener nun die ungeduldige Erwartung am Heiligmorgen, dass die Türglocke klingelt und es der Paketfahrer ist. Der Rentierschlitten vom Nordpol ist zum Kleinbus von DHL geworden. Als wäre Corona schon nicht schlimm genug. Oh Du Fröhliche… gruenetomaten@live-magazin.de.

Patrik Wolf

P. S. Meine Stimmung an Weihnachten ist wie eine Waschmaschine. Beide sind meist im Keller.

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