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Rigatoni in der Aluschale: Ein Saarbrücker Phänomen

Wer braucht schon Michelin-Sterne, wenn es auch Doppelkäse gibt!

Es gibt Dinge, die gibt’s eigentlich nicht – oder zumindest nicht überall. Manche sogar nur an einem einzigen Ort auf diesem großen, weiten Planeten. Genau so ein Kuriosum ist der Saarbrücker Kult um überbackene Röhrchennudeln in der Aluschale – wahlweise mit Béchamel- oder Tomatensauce. Nur in der saarländischen Landeshauptstadt – und wirklich nur hier – hat sich rund um dieses Gericht ein echter Rigatoni-Kult entwickelt. Die überbackenen Nudeln gelten als wahres Comfort Food und sind für viele Saarbrücker ein unverzichtbarer Begleiter: vor, während oder nach einer langen Nacht gehören sie einfach dazu. Ein Phänomen, das außerhalb Saarbrückens nahezu unbekannt ist – selbst in Städten wie Neunkirchen oder Merzig sorgt es allenfalls für irritiertes Stirnrunzeln. Von der restlichen Republik ganz zu schweigen. Natürlich stehen Rigatoni weltweit auf den Speisekarten italienischer Restaurants. Doch als überbackener Imbissklassiker zum Mitnehmen in der Aluschale – das ist und bleibt eine Spezialität made in Saarbrücken. Diese tief verwurzelte Liebe zu gratinierten Rigatoni taugt übrigens auch als Gradmesser der Integration: Wer sich als neu zugezogener Student auf das Ritual einlässt, ist dem lokalen Lebensgefühl schon ein gutes Stück nähergekommen.

Ein Hotspot der heißen Nudel: Die Kaltenbachstraße

Als besonderer Rigatoni-Hotspot gilt die Kaltenbachstraße am St. Johanner Markt, wo sich gleich mehrere Verkaufsstellen finden – darunter auch der vermeintliche Ursprungsort des Saarbrücker Rigatoni-Hypes. Im Jahr 1978 eröffnete dort ein erster Imbissstand – zu einer Zeit, als der Markt noch fest in der Hand des Rotlichtmilieus war und von einer schicken Fußgängerzone weit und breit keine Rede sein konnte. Der kleine Laden, heute unter dem Namen „Rigatoni Toni“ bekannt, war damals allerdings noch namenlos – und bot ausschließlich Hamburger und Pommes an. Der erhoffte Erfolg blieb zunächst aus. Erst als das Sortiment in den folgenden zwei Jahren um Pizza erweitert wurde und sich parallel der Markt zur Fußgängerzone wandelte, begann sich eine Erfolgsgeschichte zu entfalten. Die legendären Rigatoni selbst feierten ihren Durchbruch erst 1987 – und der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte. Heute hat der kleine Imbiss längst Kultstatus. Lange Schlangen sind keine Seltenheit, ob vor Toni oder bei den anderen Anlaufstellen: am Markt, im Nauwieser Viertel, in der Mainzer Straße – ja, selbst im Totobad lockt die Nudel das hungrige Publikum.

Saarbrücker schmecken besser

Was aber macht ausgerechnet die Rigatoni zum Kultgericht? In bestimmten nicht wirklich alltäglichen Situationen neigen viele Zeitgenossen dazu, eher spezielle Nahrungsmittel zu feiern. Man denke nur an die kalten Dosenravioli auf praktisch jedem Festival oder die Unmengen Tomatensaft, die ohne erkennbare Not in Flugzeugen vertilgt werden. Und das Saarland ist ja nicht gerade arm an kulinarischen Auffälligkeiten. Immerhin wird hier mit einem Liter Maggi pro Haushalt und Jahr mehr als doppelt so viel verbraucht wie im Bundesdurchschnitt. Dafür essen Saarländer am wenigsten Brot, trinken dafür am meisten Wein und Crémant. Doch was ist in Saarbrücken genau passiert? Es gibt Unmengen toller Kochbücher voller schmackhafter saarländischer Rezepte und doch haben sich für den kleinen Hunger zwischendurch, sei es im Alkoholrausch oder im Katerzustand ausgerechnet die Rigatoni durchgesetzt. Stinknormale Nudeln übergossen mit Tomaten- und/oder mit Béchamelsauce, überbacken mit Käse und nur echt in der 08/15-Aluschale. Obendrauf dann noch Toppings nach Gusto: von Maggi über Tabasco bis hin zu Mayonnaise.

Aber ist das jetzt Ausdruck einer kollektiven Geschmacksverirrung, oder muss man sich einfach nur einlassen auf dieses spezielle Pasta-Erlebnis, um die feinen Nuancen schätzen zu lernen? Nicht wenige Rigatoni-Abhängige schwören explizit auf die Version ihres bevorzugten Standes und sind locker in der Lage, diesen im Blindtest im Vergleich mit anderen herauszuschmecken. Tatsächlich sind zumindest an den beliebtesten Ständen die Saucen nach individuellen Geheim-Rezepten selbstgemacht. Rezepte, die höchstens im Rentenfall an den Nachfolger weitergegeben werden.

Günstig, sättigend – und irgendwie genial?

Sind die Dinger am Ende leckerer als man glaubt? Was den Siegeszug angeht, darf man den unschlagbaren Preis nicht außer Acht lassen. Für aktuell gerade mal fünf Euro kriegt man eine heiße und wirklich nachhaltig sattmachende Mahlzeit. Da können Döner & Co kaum mithalten und auch eine von der Menge vergleichbare Currywurst mit Pommes gibt es dafür nicht. Natürlich ist der Preis nicht alles, doch bei einem Publikum, das von Geschäftsleuten über Partygänger bis hin zu Studenten und Rentnern reicht, ist der Kostenfaktor für viele ein schlagendes Argument – ganz zu schweigen von Menschen mit kleinem Geldbeutel.

Liegt der Rigatoni-Kult also an der Saarbrücker Bevölkerungsstruktur – an der Mischung aus Studierenden, Kreativen, Geringverdienern und einer kaum noch vorhandenen Industrie? Wirklich erklären lässt sich das wohl nicht. Schließlich gibt es genug strukturschwache Regionen in Deutschland, die gänzlich ohne rot-weiße Sauce und Doppelkäse auskommen. Saarbrücken aber hat seine Rigatoni ins Herz geschlossen – so sehr, dass es längst Merchandise rund um die Nudel gibt. Für alle, denen das Gericht allein nicht reicht, gibt es T-Shirts, Tassen und Taschen mit Kultpotenzial. Sogar ein eigenes Emoji hat die Aluschale bereits vor sieben Jahren im Rahmen der „Saarmojis“ für Android und iOS bekommen – und wer weiß: Vielleicht ist das der wahre Ritterschlag der Popkultur. Zu verdanken ist vieles der Saarbrücker Grafikdesignerin Danielle Deckert, die sich auch mit ihrem Label der ikonischen Nudel gewidmet hat. Auf ihren Produkten steht ein Satz, mit dem man echte Saarbrückerinnen und Saarbrücker sofort erkennt: „Niemals ohni Rigatoni.“

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