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Titelstory

Skandal im Sperrbezirk

Die Rückkehr zur Normalität kommt in Riesenschritten. Gefühlt leiden nur noch die Club- und Eventmacher unter einem Shutdown. Aber ein ganz anderes Gewerbe steht ebenso praktisch vor dem Aus – das älteste der Welt!

Während die Kultur- und Konzertveranstalter omnipräsent und unübersehbar das Ende ihrer Branche mit dem Untergang des Abendlands verknüpfen, ist vom dramatischen Schicksal der Prostitution kaum etwas zu hören oder zu lesen. Sexarbeiter*innen haben keine Lobby und während beispielsweise Konzertbesuche gerne im Freundeskreis und über die sozialen Netzwerke geteilt werden, wird sich über Abstecher ins „Milieu“ tendenziell ausgeschwiegen. Hier gilt das gute alte McDonalds Phänomen: angeblich geht niemand hin, doch die Läden sind immer voll. Doch auch wenn’s keiner gewesen sein will, die Katastrophe für die Rotlicht Branche ist ganz real.

Wir treffen Rosi (nein, sie heißt nicht wirklich so und 32-16-8 ist auch nicht ihre Telefonnummer) auf einen Spaziergang an der Saar. T-Shirt und Blazer, eine unauffällige Brille, lockiges, blondes Haar, kaum Make-up. Die Mittvierzigern könnte ihr Geld auch als Verkäuferin, Zahnarzthelferin oder im Großraumbüro verdienen, aber Rosi hat einen anderen Beruf. Sie ist seit 24 Jahren Prostituierte und will endlich wieder arbeiten! Oder wenigstens erfahren, wann die Politik endlich darüber sprechen wird. Warum Friseure und Masseur*innen wieder ihrem Broterwerb nachgehen dürfen, sie aber nicht, ist für sie nicht nachvollziehbar: „Schließlich haben die sogar Kontakt mit mehr Kunden am Tag als ich. Desinfektionsmittel, Einweghandschuhe, nach jedem Kunden gewechselte Wäsche, Kondome, das ist schon vor Corona selbstverständlich gewesen und mit Desinfektion und Mund-Nasenschutz ist mein Job auch Corona mäßig hygienisch unbedenklich. Mein Körper ist schließlich mein Kapital. Da pass’ ich drauf auf! Aber wir dürfen ja noch nicht mal Handmassagen mit Maske anbieten. Meine Stammkunden würden das akzeptieren und die Maske gibt dem ein oder anderen vielleicht sogar einen besonderen Kick.“

Das sieht der Bundesverband erotische und sexuelle Dienstleistungen genauso und meinte in einem offenen Brief an 16 Bundestagsabgeordnete von SPD und CDU/CSU, die zuvor ihrerseits ein generelles Sexkaufverbot in Deutschland gefordert hatten, es müsse der Prostitutionsbranche wieder ermöglicht werden: „Einnahmen zu generieren und den Kunden einen guten Service zu bieten.“ Ein entsprechendes Hygienekonzept wurde ebenfalls vorgelegt und so seien „eine weitere Schließung der Bordelle und ein Verbot der Prostitution angesichts der allgemeinen Lockerungen durch nichts gerechtfertigt.“ Dem entgegen steht bislang im Bundestag mehrheitlich noch die Erkenntnis, dass eine Aufrechterhaltung des Shutdowns unerlässlich sei, da „bei sexuellen Handlungen verschiedenste Körperflüssigkeiten und auch Aerosole ausgetauscht werden“, so Lisa Winkelmeier-Becker, einer der 16 Briefempfänger, die sich seit Jahren für Verbesserungen der Lage von Frauen in der Prostitution einsetzt. Zudem sei bei einer Ansteckung das Nachvollziehen von Infektionsketten kaum möglich – wer positiv getestet wurde, werde oft nicht offen zugeben, dass er bei einer Prostituierten war. Da wäre es also wieder, das Problem, dass es keiner gewesen sein will. Von der Politik ist also keine Unterstützung der Sexarbeiter*innen zu erwarten.

Keine Chance für die Liebe

„Mir geht es noch ganz gut“ erzählt Rosi weiter. „Ich hab‘ ein bisschen gespartes Geld, von dem ich leben kann, zumindest noch eine Weile. Außerdem bekomme ich hoffentlich demnächst Arbeitslosengeld II. Den meisten Kollegeninnen, vor allem den Mädchen aus dem Osten steht das Wasser aber längst bis zum Hals. Manche Bordellbetreiber haben die Mädchen kostenlos in ihren „Arbeitsräumen“ schlafen lassen. Aber nicht alle haben so viel Glück. Die Frauen, die in Apartments gearbeitet haben, müssen die Miete weiterzahlen, ohne einen Cent Einnahmen zu haben.“

Gerade auch für diese Frauen, denen von jetzt auf gleich die Existenzgrundlage entzogen wurde, ist das Angebot des Aldona e.V. gedacht. Der Verein wurde 1990 noch unter dem Namen „Hurenselbsthilfe e.V.“ in Saarbrücken gegründet, um die berufliche Wiedereingliederung von ehemaligen Prostituierten zu unterstützen. Mit der im Mai 1997 gegründeten Beratungsstelle für Migrantinnen wird auch ein spezielles Hilfsangebot für ausländische Prostituierte und Opfer von Menschenhandel angeboten. Im Laufe der Zeit ist das Beratungsangebot professionalisiert und erweitert worden. So sind neue Zielgruppen in den Fokus der Beratungsstelle gerückt: Opfer von häuslicher Gewalt in Familien mit Migrationshintergrund und Betroffene von Zwangsverheiratung und Gewalt im Namen der Ehre.

In den Monaten der Pandemie ist der Verein zur Anlaufstelle für Sexarbeiter*innen bei Fragen zu Corona geworden und damit die einzige Einrichtung, die einen repräsentativen Überblick über die Situation bieten kann. In demn ersten Wochen war im Saarland noch alles relativ entspannt. Viele Frauen nutzen den Shutdown, um ihre Familien zu besuchen oder wichen in andere Länder aus. Damit war spätestens mit Einführung der Ein- und Reisebeschränkungen Schluss.

Sabrina Burkhart vom Aldona e.V. verrät, dass der Beratungsbedarf seit dem Ausbruch der Pandemie vor rund drei Monaten extrem hoch ist: „Sexarbeiterinnen haben uns bereits Anfang des Jahres berichtet, dass aufgrund der Corona-Krise in anderen Ländern weniger sexuelle Dienstleistungen in Anspruch genommen wurden. Mit der Allgemeinverfügung vom 13.03. wurde im Saarland die Arbeit in Prostitutionsbetrieben untersagt. Die darauf folgende Verfügung vom 16.03. sprach ein generelles Verbot der Prostitutionsausübung aus. Damit gehörte das Saarland zu den ersten Bundesländern, welche Corona-Maßnahmen umgesetzt haben. Aus diesem Grund sind viele Sexarbeiterinnen zunächst in andere Bundesländer gereist, um dort ihre Arbeit fortzuführen. Somit hat sich der Hilfebedarf im Saarland zunächst deutlich entschärft. Zu Beginn der Corona-Krise ging das Milieu noch davon aus, dass die Arbeit schon bald fortgesetzt werden könne. Nachdem ein Ende des Arbeitsverbots nicht absehbar war, entschieden sich immer mehr Frauen Anträge auf ALG II zu stellen, da die Ersparnisse nicht mehr ausreichten. Seither ist der Beratungsbedarf enorm. Täglich kommen Rückfragen zum ALG II-Antrag oder der allgemeinen Situation.

Mit welchen Anliegen wenden sich die Sexarbeiter*innen an sie und wie sehen mögliche Hilfen aus? „Seit dem Arbeitsverbot haben Sexarbeiterinnen – mittlerweile seit drei Monaten – einen vollen Verdienstausfall zu verzeichnen. Dies trifft sie als selbständige besonders hart. Viele davon haben keine finanziellen Rücklagen, bzw. sind diese nach mittlerweile drei Monaten ausgeschöpft. Aus diesem Grund suchen uns Sexarbeiterinnen auf, um Beratung und Hilfe bzgl. des Bestreitens ihres Lebensunterhalts zu erhalten.

Dabei wird sich stets am Einzelfall orientiert. Momentan geht es oft um das Beantragen von Grundsicherung, ausgeben von Gutscheinen für die Tafel sowie das Beantragen von Geldern über den Notfallfonds des Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen. Seit Corona wurden vermehrt Spenden gesammelt, um Sexarbeiterinnen finanziell zu unterstützen, damit deren Lebensunterhalt gesichert ist. Frauen, die keinen Anspruch auf Leistungen haben oder um die Zeit bis zur Bewilligung zu überbrücken, konnten sich selbst oder über eine Beratungsstelle an den BesD wenden, um eine einmalige finanzielle Unterstützung zu erhalten. Dieser Notfallfonds, von dem auch Prostituierte im Saarland Mittel erhielten, ist mittlerweile aufgebraucht.“

Von den Corona-Maßnahmen ist das gesamte Prostitutionsmilieu betroffen. Dazu zählen Bordelle, Terminwohnungen, der Straßenstrich und bordellähnliche Betriebe. Ob sich jede Sexarbeiterin an die Verbote hält, ist ungewiss. Auf dem Saarbrücker Straßenstrich wurden seit Inkrafttreten des Arbeitsverbotes jedenfalls keine Sexarbeiterinnen mehr angetroffen. Auch Werbeanzeigen im Internet sind zurzeit größtenteils pausiert. Aufgrund der Corona-Maßnahmen suchte das Milieu nach neuen Verdienstmöglichkeiten über das Internet. So entscheiden sich Frauen beispielsweise für Onlinechats und Webcams, Telefonsex usw. Bereits am 14.03.2020 gab der Berufsverband für erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD) Schutz- und Hygieneempfehlungen bezüglich Corona heraus und empfahl diese Alternativen.

Was könnte die Politik aktuell leisten um jetzt noch effizient zu helfen? „Ein staatliches Rettungspaket für Sexarbeiterinnen, welches sie finanziell absichert, bis das Corona-Prostitutions-Verbot aufgehoben wird und die Frauen wieder regulär ihrer Selbstständigkeit nachgehen dürfen. Außerdem muss es bundesweit einheitliche Regelungen geben, da es sonst zur Verwirrung im Milieu führt.“

Willkommen in der Grauzone

Nur weil keine Frauen mehr an der Straße stehen und auch die einschlägigen Anzeigen im Internet fast verschwunden sind, ist es schlichtweg mehr als naiv zu glauben, dass der Prostitution nicht mehr nachgegangen werde. Manche Sexarbeiter*innen macht eventuell die schiere Not zur gefährlichen Dunkelziffer. Selbst wenn am Drogenstrich am Saarbrücker Fernbusbahnhof keine Frauen mehr zu sehen sind, so ist es doch illusorisch zu glauben, dass die Mädchen nicht mehr zum Anschaffen gehen. Das Geld für die Drogen muss ja irgendwo her kommen.

Zum Abschluss unseres Spaziergangs muss auch Rosi einräumen: „An die Frauen da will ich gar nicht denken, die haben echt keine andere Wahl. Ich will aber nicht behaupten, dass welche von denen weiter arbeiten, aber wundern würde es mich nicht.“ Sie zuckt mit den Schultern und sagt zum Schluss noch: „Aber vielleicht haben wir ja Glück. Ich habe gehört, in Sachsen denken sie ja schon an eine Lockerung. Dann ist ja doch ein Licht am Ende des Tunnels in Sicht, obwohl das mit der Hoffnung im Augenblick echt schwer fällt. Im Moment fühle ich mich eher allein gelassen und das geht nicht nur mir so!“ Tatsächlich ist die Politik gleich doppelt gefordert. Zum Einen ganz konkret den Frauen zu helfen, die immerhin für eine Branche mit vielen Milliarden Umsatz und entsprechendem Steueraufkommen sowie Arbeitsplätzen stehen. Prinzipiell sollte aber auch die Gelegenheit genutzt werden, die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu verbessern. Diese Chance auszulassen, das wäre dann der eigentliche Skandal im Sperrbezirk.

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