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Grüne Tomaten schlafen wütend

Tête-à-Tee

Er gilt seit jeher als bester Freund der Briten und stand zur Kolonialzeit in Boston im Mittelpunkt einer ausladenden Hafenparty. Ein Mitglied des legendären A-Teams benannte sich nach ihm und sogar ein Buchstabe und ein Shirt tragen seinen Namen. Neben Roberto Blanco ist er der einzige Schwarze, der jedem von uns ein Begriff ist und für den es bei Oma stets ein Plätzchen am Tisch gab. Er symbolisiert Ruhe, selbst wenn er manchmal unter Dampf steht und gelegentlich überkocht. Bleibt er unbeachtet, reagiert er gelassen mit Kälte. Sauer wird er fast nie; außer mit Zitrone. Dennoch spaltet er die Gesellschaft wie niemand sonst: Die einen mögen Kaffee, die anderen lieben ihn: Tee…

Während Kaffee sein Schattendasein längst hinter sich gelassen hat – als bitterer Filterkaffee noch Inbegriff langweiliger Kaffeekränzchen war – und dank den ebenso gut schmeckenden wie klingenden Variationen Latte Macchiato, Cappuccino und French Press längst Heißgetränk Nr. 1 ist, konnte Tee seinen Ruf, altmodisch und fade zu sein, lange Zeit nicht loswerden. Früher trank niemand in der Öffentlichkeit freiwillig Tee. Es sei denn, er hatte kalte Hände oder eine Erkältung. Außer pensionierte Oberstudienräte und Heilpraktiker vielleicht. Die aber glauben auch, Sandalen wären Schuhe, in denen man Socken trägt, und Globuli dazu geeignet, Impfungen zu ersetzen…

Früher tranken zumindest Umweltbewusste und Weltverbesserer Tee. Heutzutage fühlen sich selbst diejenigen, die in veganem Einklang mit sich und ihrer Verdauung leben, dank fair gehandeltem Öko-Arabica aus nachhaltigem, regenwaldschützendem Anbau und glutenfreier Soja-Hafer-Milch gut mit Kaffee aufgehoben. Kaffee ist mittlerweile hipp wie sonst nur Babynahrung. Wer bei einem Date einen Doppio-Espresso-Macchiato trinkt, wirkt eben interessanter als jemand, der Hagebuttentee bestellt. Das ist nun einmal so. Als Kind war Tee immer nur die lauwarme Notlösung, wenn es nichts anderes gab oder man Durchfall hatte. Alles nichts, was man mit einem Date in Verbindung bringen möchte…

Einfacher Tee ist nicht cool. Das mag damit zusammenhängen, dass man ihn aus Kindertagen noch als die Plörre in Erinnerung hat, die es im Schullandheim gab und von einer schrulligen Küchenhilfe mit der Schöpfkelle verteilt wurde. Zwei Beutel auf zwanzig Liter Wasser versprachen damals einen Genuss, der an Badewasser erinnerte: Geschmacklich nicht überzeugend und mit undefinierbarem Geschwemmsel darin. Tee und Badewasser unterschieden sich nur durch den Schaum und dadurch, dass das eine in der Kanne und das andere in der Wanne war. Bei uns in der Familie schwor nur Onkel Reimer auf Tee, wohl aber deshalb, weil er ihn mit Rum statt mit Wasser aufbrühte…

Dass echte Teetrinker kaum noch zu finden sind, mag auch daran liegen, dass sich Restaurants zwar mit den besten Kaffeevollautomaten und Bohnensorten brüsten, sich ihr Teesortiment jedoch meist auf die übliche Discounterauswahl beschränkt. Und wer schon Unmengen an Geld für ein Heißgetränk investieren muss, dessen Literpreis irgendwo zwischen Chardonnay und Blutplasma liegt, der möchte kein lauwarmes Glas Leitungswasser mit einem Beutel billigem Grünschnitt darin, sondern eine Tasse frisch gemahlener Edelbohnen, für die Kinder in Südamerika durch Kaffeeplantagen kriechen. Und zwar aus einer italienischen Profi-Barista-Maschine, die mehr kostet als ein italienischer Kleinwagen…

Auch wenn Supermärkte mittlerweile mehr als nur die wenigen Teesorten zu bieten haben, die man als Kind kannte, ist in vielen Köpfen weiterhin mit Schwarz-, Früchte-, Kamillen- und Pfefferminztee das Ende des geistigen Teesortiments erreicht. Wer darüber hinaus noch Rooibos- und Grüntee kennt oder zugibt, Tee lose in einem Fachgeschäft zu kaufen, der läuft Gefahr, von seinen Mitmenschen aus der Espressobar gejagt zu werden. Schnell gilt man da als Ökofritze, der seine Nieren für notleidende Wale spenden würde. Wer zwischen „First Flush“ und „Second Flush“ differenzieren kann, kennt sicher auch den Unterschied zwischen „Schwarzem Afghanen“ und „Hellem Türken“…

Es sah lange nicht gut aus für „Earl Grey“, „Pu Erh“ und „Dong Ding Oolong Cha“. Außer in Friesland, aber dort finden sie ja auch gelbe Regenmäntel modisch. Die Wende von Tee als „No go“ zum „Must have“ schien gekommen, als mit der grellbunten Manga-Comic-Welle ebenso grellbunte Teegetränke aus Fernost zu uns herüberschwappten. Geschmacklich eher fragwürdig, dafür jedoch kreativ, eroberte „Bubble Tea“ damals die Herzen und Blutzuckerspiegel all derer, die für ein Wiener Kaffeehaus noch zu jung und für Capri-Sun schon zu alt waren. Ähnlich schnell wie der Blutzucker sackte jedoch auch das Interesse am Blasentee in den Keller und die Teatime war wieder zu Ende…

Was blieb, sind Bubble Teas, die man ihres Namens und ihrer Geleekugeln entledigte, um sie fortan noch hochpreisiger als handgemachte „Fresh Teas“ statt in bösen Plastikbechern nun in nachhaltigen Henkelgläsern mit Schraubgewinde zu verkaufen. Aus dem grellen Plastik-Getränk für die Gen-Z wurde so ein in Grün- und Erdtönen gehaltenes Lifestyle-Getränk auch für die Generation Ü30. Dieses Marketing traf ins Schwarze statt nur ins Bunte. Waren Infusionen lange Zeit auf Krankenhäuser beschränkt, findet man mittlerweile überall trendige Läden, die Tee-Infusionen anbieten, bei denen statt der Adern nur das Herz blutet; und zwar beim Bezahlen. Ganz schön abgebrüht…

Es liegt im Trend, dass vermeintlich Besonderes mehr kosten darf. Auch wenn es nichts anderes ist als etwas, was jeder zuhause hat. Das gilt für Salz aus dem Himalaya und Wasser aus Fidschi ebenso wie für Tees aus Organic Tea Bars. Vor den Augen der Hipster-Kunden werden aufwändig beworbene Lose-Tee-Mischungen mit Gerüchen von Duftkerze bis Toilettenstein und Namen, die man aus Seifenläden oder RTL2-Geburtsreportagen kennt, in Zeremonien aufgegossen, wie es sie sonst nur in der Sauna gibt. Tee ist so vom langweilig braunen Standard-Heißgetränk zum faszinierend bunten Exklusiv-Kaltgetränk geworden, das die Seele erfrischt statt die Zunge zu verbrennen…

Mittlerweile gibt es Teesorten passend zu jeder Gemütslage, die helfen sollen, dass man sich gut fühlt. Woran wohl aber weniger ein nachhaltiger Anbau des Tees als eher ein lang anhaltender Abbau von Zucker schuld ist. Manchmal fühlt man sich eben eher nach coolem „Awesome Blueberry Icetea“ statt nach lauwarmen Fenchel-Anis-Kümmel-Sud. Durch allerlei Blattwerk und Beeren in und am Glas wird den Fresh Teas zudem ein ökologisch einwandfreies und gesundes Image attestiert. Minzblätter lügen bekanntlich nicht! Fresh Teas bleiben dennoch irgendwie wie LEGO-Steine: bunt, in verschiedenen Größen erhältlich und miteinander kombinierbar, aber ohne besonderen Geschmack…

Der Werbung nach sollen Fresh Teas nach Sommer im Süden schmecken, auch wenn sie zumeist eher an Skandinavien im Herbst erinnern: Teuer, wässrig und wenn man Pech hat, voller Eis und Mücken. Wer es übrigens weniger süß mag, kann dies bei der Teebestellung in der Tea Bar angeben und wird dann statt von einer hübschen Blonden von einem pickligen Typen bedient. Tête-à-Tee… gruenetomaten@live-magazin.de.

Patrik Wolf

P.S. Wenn ein Tee so schlecht wie Badewasser schmeckt, ist es dann ein „Bad Tea“?

Bild von Adobe Stock:

Datei: # 164747071

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