• Termine, News und Wissenswertes aus Saarbrücken, dem Saarland und der Welt:

Mel´s Mikrokosmos

Von der Angst vorm Verlust

Hallo Mikrokosmonauten: King Charles wäre auch lieber Kind Charles

Die Queen ist tot. Und mit ihr geht gleichzeitig eine Mutter, Großmutter und Urgroßmutter. Unabhängig davon, wie sich Charles jetzt als König fühlen mag, möchte ich gar nicht wissen, wie verloren er sich als Sohn fühlen muss. Man sagt: „Sobald die Eltern gegangen sind, ist man kein Kind mehr.“. Egal, ob du zwanzig, dreißig oder siebzig bist: Solange du noch Mutter oder Vater hast, bist du noch „das Kind von…“. Wie schwer es wird, wenn dies nicht mehr so ist, kann ich mir kaum vorstellen, denn in meinem Leben hat eine Abnabelung von den Eltern nie so ganz stattgefunden. Die Verbindung ist sogar so stark, dass ich meine Wohnung im elterlichen Heim nie aufgegeben habe und immer wieder dorthin zurückkehre, egal, wo ich mich zuvor herumgetrieben habe. Meine Eltern, mag ich sie noch so oft in meinem Leben verflucht haben, sind mir das Wichtigste in meinem Leben.

Es könnte alles so schön sein, wäre da nicht diese Verlustangst, die mich seit einiger Zeit plagt. Wir werden älter und die Zeit bleibt nicht stehen. Und Jahr um Jahr vergehen und das Altern geht an Niemandem vorbei. Ich akzeptiere das nicht! Ich möchte am liebsten, dass alles immer so bleibt, wie es ist. Bloß keine Veränderung, zumindest im inneren Zirkel meines flauschigen Familienclubs. Keiner soll mehr altern. Und keiner soll sterben. Manchmal bete ich es wie ein Mantra vor mich hin: „Lass bitte alle gesund bleiben!“.

Bis jetzt hatte ich Glück. Großes Glück sogar. Niemand in meinem unmittelbaren Umfeld hat es in den letzten Jahren erwischt. Mit Ausnahme meiner Katze um die wir ausgiebig trauern konnten, denn trauern will ja auch gelernt sein. Aber alles in allem bin ich unglaublich dankbar, dass wir alle gesund sind, noch viel lachen und noch viel mehr streiten können. Für diese Dinge braucht man Kraft und Leidenschaft und solange man das noch hat, ist man auch gesund und vor allem noch nicht tot! Und dennoch überlege ich ständig, wie man diese blöde Vergänglichkeit einfach eliminieren kann. Wurde dafür eigentlich schon ein Gerät erfunden? Eine Medizin? Eine Formel? Und wieder einmal wird mir klar: Ich bin gefangen zwischen Dankbarkeit und Angst.

Mein Leben ist schön. Schöner wäre es nur noch mit ein paar Millionen auf dem Konto und ewiger Jugend für mich und meine Lieben. Ich mag dieses Leben unbedingt weiterleben, aber doch nicht unter diesen Voraussetzungen, die die Natur geschaffen hat. Alter, Krankheit, Tod – das ist doch alles scheiße! Wer will so etwas denn?  Meine Familie ist das, was ich bin und ich mag kein Ende und keine Verabschiedung. Und vor allem mag ich mich nicht von meinem Titel als „Kind“ verabschieden.

Charles ist jetzt König, aber dass er den Titel „Kind“ verliert, muss ihn doch bestimmt hart treffen! Ab jetzt ist er erwachsen. Endgültig. Mit über siebzig zwar, aber diese Tatsache schmerzt ungemein, da bin ich mir sicher. Und es geht nicht darum, dass Mama dich ab jetzt nicht mehr tadelt, wenn du dein Zimmer nicht aufgeräumt hast. Oder dir mit ihrem Spucke-getränkten Taschentuch den Dreck von der Wange wischt. Wobei ich mir bei Lisbeth schwer vorstellen kann, dass sie das bei Charles jemals gemacht hat. Generell geht es um viel mehr! Es geht darum, dass man ab jetzt definitiv ohne elterlichen Beistand durch die Welt gehen muss. Oder um es unverblümt auszudrücken: Du rückst jetzt nach und wirst als nächstes gehen! Wie erschreckend!

Deshalb habe ich Angst

Ich habe Angst, dass andere gehen müssen, und dass ich dann irgendwann gehe. Aber zuallererst habe ich Angst, dass ich meinen sicheren Hafen verlieren könnte, die Eltern, die Katzen oder den Partner. Wie einen Geist soll man, so habe ich gehört, die Anwesenheit der Angst anerkennen und mit ihr kommunizieren lernen. Ignorieren wäre auch falsch, weil Geister ebenso wie Angst sich nicht einfach so vertreiben lassen. Im Grunde sind beide recht nervige Zeitgenossen. So nervig, dass ich mir neuerdings „Grübelstunden“ in den Tag einbaue. Ab einer gewissen Uhrzeit setze ich mich hin und denke nach. Ich versuche es zumindest, denn Angst, muss man wissen, hält sich nicht unbedingt an Zeiten. Eigentlich kommt Angst immer zu früh oder zu spät und ist eigentlich nie zur rechten Zeit am rechten Ort. Oft kommt sie sogar mitten in der Nacht, wenn man eigentlich schlafen will. Da ich das so nicht mehr hinnehmen kann, rufe ich die Angst in meinen Grübelstunden und hoffe, dass sie kommt. Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass ich von Natur aus ziemlich neurotisch bin und diese Vorgehensweise wohl nur Menschen verstehen, die mindestens genauso drauf sind. Also zurück zur Grübelstunde. Ich schreibe dann all meine Ängste auf. Wenn man Dinge aufschreibt, ist das manchmal so, als würde man sie ordnen. Man ordnet sie, steckt sie in Schubladen und schließt diese. Somit hat man sich mit der Angst auseinandergesetzt, ihr die nötige Aufmerksamkeit geschenkt, die sie einfordert und sich von ihr verabschiedet. Fürs erste zumindest.

Verlust entwurzelt

Für jeden kommt irgendwann der Punkt, an dem er sich von jemandem verabschieden muss. Neulich hörte ich von einer Bekannten, deren Vater urplötzlich verstorben war. Sie hatten ein inniges Verhältnis gehabt und für sie war es ein unglaublicher Schock. Und kurioserweise auch ein Neubeginn. Ihr wurde auf einmal bewusst, dass ihr Vater immerzu gearbeitet hatte in seinem Leben. Er hatte geschuftet und sich krumm gelegt für ein einigermaßen annehmbares Dasein. Und dann starb er einfach so. Für sie war klar, dass sie niemals daran anknüpfen würde. Und dass sie etwas ändern musste, um sich ihr restliches Leben so angenehm wie möglich zu machen. Die Sichtweise auf manche Dinge änderte sich. Im Grunde hatte dieser Abschied sogar etwas Gutes, wenngleich der Mensch in größter Not das untrügliche Talent besitzt, oft noch etwas Positives rauszuziehen, als müsse er sich selbst beruhigen. Katzen schnurren nicht nur vor Wohlgefallen sondern auch, wenn sie Schmerzen haben, denn diese Geräusche wirken auf sie entspannend. Menschen beruhigen sich, indem sie anfangen, zu eruieren, zu relativieren und zu optimieren. Es könnte schließlich immer noch schlimmer sein. Und wenn es schon schlimm ist, warum sollte man dann nicht gleich alles ändern? Für meine Bekannte änderte sich ihr komplettes Leben. Bis zu diesem Zeitpunkt war ihr nie so klar gewesen, dass sie ein Messie war, zu viele Dinge in ihrer Wohnung hortete und Angst hatte, diese zu entsorgen. Nachdem sie sich von ihrem Vater verabschiedet hatte, sagte sie auch den meisten ihrer Sachen Adieu und lebte fortan minimalistisch.

Also eines steht fest: Ob Verlust des Wohlstands, der Kontrolle oder der persönlichen Habseligkeiten – Alles kann ich ertragen, aber meine Familie gehört zu mir und ich werde sie und vor allem meinen Titel mit allem verteidigen, was ich habe. Ich will das „Kind von“ bleiben! Und wenn diese scheiß Verlustangst irgendeinen Einwand hat, bekommt sie es mit mir zu tun!

Previous ArticleNext Article