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Perspektivwechsel

„Wir sind bunt, tolerant und vielfältig.“

Der Anstieg von Gewalt gegen queere Menschen, von Beleidigungen bis zu körperlicher Gewalt im digitalen Raum und der Realität, ist längst auch in den polizeilichen und zivilgesellschaftlichen Statistiken zu verzeichnen. Die Zahl von Vorfällen, die nicht zur Anzeige gebracht werden, wird auf bis zu 90% geschätzt. Über diese Entwicklungen sprach unser Autor Marc Kirch mit Reinhold Jost, dem Minister für Inneres, Bauen und Sport, und somit Chef der saarländischen Polizeibehörde und des Verfassungsschutzes.

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L!VE: Herr Jost, seit einiger Zeit nehmen Aggressionen gegenüber LSBTIQ*-Menschen zu. Alarmierende Beispiele sind körperliche Angriffe beim CSD in Münster im September 2022 mit Todesfolge, gewalttätige Übergriffe beim CSD SaarLorLux in Saarbrücken 2023, sowie alarmierend steigende Fallzahlen von Gewalttaten in Berlin. Was ist die Ursache für diese Entwicklung?

Reinhold Jost: Zum Glück hat diese Entwicklung im Saarland nicht die gleichen Auswüchse wie in anderen Ballungszentren, aber das heißt nicht, dass hier bei uns die Welt in Ordnung ist. Auch hier gibt es Übergriffe, Herabwürdigungen, entsprechende Auswüchse, die nicht hinnehmbar sind. Wir haben das Phänomen der Respektlosigkeit und Hemmungslosigkeit gegenüber Mitmenschen im Allgemeinen, insbesondere auch gegenüber queeren Menschen oder beispielsweise auch gegenüber Menschen mit körperlicher Behinderung. Das erfüllt mich mit Sorge. Die Gesellschaft ist ein Stück weit verroht und wir müssen dafür Sorge tragen, dass sich alle nochmal darüber im Klaren sind, dass sie auch Menschen mit anderem Lebensweg zu respektieren und zu tolerieren haben.

In den sozialen Medien wird der Ton gegenüber queeren Menschen, wie auch gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund, People of Color, Menschen mit Beeinträchtigung spürbar rauer und es findet zunehmende Hetze und Trolling statt. Wie gehen Sie dagegen vor? Wie raten Sie Betroffenen damit umzugehen?

RJ: Zuallererst der Appell: Macht es öffentlich! Lasst es nicht über Euch ergehen, nach dem Motto: „Ich will mich nicht damit auseinandersetzen.“ Denn wer sich nicht damit auseinandersetzt, kann auch nicht erwarten, dass sich die Gesellschaft damit auseinandersetzt. Deswegen: Wir reden ja immer nur über das „Hellfeld“- also das, was uns auch tatsächlich bekannt wurde. Wahrscheinlich sind die Fälle weitaus stärker ausgeprägt, auch im Saarland. Deshalb haben wir auch ein Interesse daran zu erfahren, was da passiert. Und die, aus meiner Sicht oftmals „asozialen Netzwerke“ lassen da oftmals auch alle Hemmungen fallen. Früher musste man den Mut aufbringen jemandem Dinge direkt ins Gesicht zu sagen. Das ist heute nicht mehr der Fall. Heute schreibt man irgendeinen Stuss, irgendeinen Dreck in seinen Status oder Newsfeeds bzw. Kommentarspalten und denkt dann „mir kann ja niemand was“. Aber auch das sind Straftaten! Und den gehen wir auch nach! Wir haben an dieser Stelle eine sehr gute Zusammenarbeit mit der Landesmedienanstalt, wo wir genau diese Themen mit dem Blick auf Straftaten im Netz im Fokus haben. Hier stellen wir uns auch schützend vor die Opfer. Es gibt auch Anlaufstellen. Wir haben zum Beispiel eine Opferschutzbeauftragte bei der saarländischen Polizei, die sich auch um solche Dinge kümmert. Und wir haben mit Blick auf die Onlinewache auch die Möglichkeit, solche Vorfälle schnell an die Polizei zu melden. Dazu haben wir auch entsprechende Kacheln auf dem Internetportal hinterlegt. Wir haben ein Interesse daran, dass solche Sachen einen entsprechenden Einhalt finden, in dem wir auch mit Mitteln des Strafrechts dieses Thema angehen. Der saarländischen Polizei sind solche Vorgänge nicht egal. Wir wollen, dass solche Strolche, die glauben über andere Menschen urteilen zu können bzw. diese herabwürdigend behandeln zu können, ihre Grenzen aufgezeigt bekommen.

Das heißt, Sie haben gegebenenfalls auch die Möglichkeit vermeintlich anonyme Vorfälle zurückzuverfolgen oder Betroffenen bei Bedarf Personenschutz zu gewährleisten?

RJ: Es wird beraten, es wird begleitet und es werden auch Schutzmechanismen aufgezeigt. Das tun wir mit Blick auf die Kolleginnen und Kollegen der Polizei auch als eine eigenständige Aufgabe, die schon vermittelt wird in der Ausbildung. Bei der Fachhochschule der Verwaltung in Göttelborn, in der auch die Polizistinnen und Polizisten ausgebildet werden, ist das genauso im Ausbildungskontext mit verortet: wie gehe ich mit bestimmten Sachverhalten und gesamtgesellschaftlichen Veränderungen um? Dazu gehört unter anderem auch ein neues gesellschaftliches Bild in der Einstellung zu beispielsweise Homosexuellen oder Bisexuellen, generell zu Menschen welche in ihrer Orientierung bzw. Identität in einem veralteten Weltbild vermeintlich „gegen die Norm“ geht. Denn wir wollen und werden uns immer schützend vor die Opfer stellen. Diejenigen die glauben, dass sie sich nicht an Regeln halten müssen, müssen auch mit entsprechenden Sanktionierungen rechnen. Für uns als Polizei ist das eine Daueraufgabe. Wir müssen uns mit der Veränderung der Gesellschaft auch ändern. Die Menschen müssen wissen: wir meinen es ernst – mit ihren Anliegen und mit ihrem Schutz!

Werden denn die Mitarbeitenden der Polizeibehörden für den sensiblen Umgang mit Diversity-Themen im Arbeitsalltag geschult?

RJ: Das findet schon seit länger Zeit statt, das ist eine Daueraufgabe. Wir haben uns in dem Kontext, mit Blick auf andere Themenfelder breiter aufgestellt. Beispielweise zum Thema Demokratie-Resilienz. Wir sorgen dafür, dass die Kolleginnen und Kollegen der saarländischen Polizei, gleichermaßen auch die anderen Beamtinnen und Beamten, die auch das Rückgrat der öffentlichen Verwaltung darstellen, gestärkt in ihren Berufsalltag gehen. Gestärkt auch gegen die Themen Antisemitismus, gegen Antiziganismus, gleichermaßen gegen LSBTIQ*-Feindlichkeit. Also gestärkt für alle Fälle, die darüber entscheiden wie eine Gesellschaft mit schutzbedürftigen Interessen umgeht. Denn wir sind eine tolerante Gesellschaft, wir sind eine Gesellschaft, die sich auch dadurch auszeichnet, dass alle ihren eigenen Lebensweg gehen können, geschützt durch den Staat. Dazu zählen auch die entsprechende Funktion und Haltung, das die saarländische Polizei und mein Innenministerium zum Ausdruck bringen.

Der Schutz von sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität soll durch eine Erweiterung von Artikel 3 des Grundgesetzes ausgebaut werden. Die regierende Ampelkoalition hat diesbezüglich eine Umsetzung noch in dieser Legislaturperiode festgeschrieben. Hierfür bedarf es einer 2/3 Mehrheit in Bundestag und Bundesrat. Können Sie als stellvertretendes Bundesratsmitglied uns ein Update zum aktuellen Stand geben?

RJ: Konkret kann ich Ihnen das leider nicht sagen, weil wir uns mit dem Thema regierungsintern noch nicht soweit damit auseinandergesetzt haben. Der Bundesrat wird ja in der Regel erst dann eingeschaltet, wenn es im Bundestag eine entsprechende Verabschiedung gab. Ich kann aber sagen, dass wir in der Landesregierung mit solchen Themen sehr offen umgehen und das hat man u.a. auch gesehen mit Blick auf die saarländische Verfassung, mit dem Blick auf den Rassebegriff. Hier positionieren wir uns sehr klar und sehr deutlich. Das müssen wir auch, denn auch mit Blick auf die sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität von Menschen, gibt es immer noch Menschen, die sich daran stören und auch vor kriminellen Handlungen nicht zurückschrecken. Und es beginnt immer mit Worten und dann folgen Taten. Wir wissen aus unserer Geschichte heraus: wer dem nicht laut genug und früh genug Einhalt gebietet, darf sich nicht wundern, wenn sich daraus eine Eigendynamik entwickelt. Heute sind es beispielsweise queere Menschen die ausgegrenzt werden sollen. Morgen folgen dann körperlich oder geistig beeinträchtige Menschen, dann Sinti und Roma, dann die Juden usw. Wir müssen aufpassen! Dieser Staat muss wehrhaft sein gegenüber denen, die glauben ihn in Frage stellen zu können. Deshalb brauchen wir an dieser Stelle einen Austausch, miteinander statt übereinander reden. Aber wir brauchen vor allem auch Hilfsangebote! Diese geben wir, für den Fall der Fälle.

Eine Frage an den Sportminister. Homosexualität ist im männlichen Profifußball noch immer ein Tabu. Marcus Urban, Ex-Jugendnationalspieler, kündigte für den 17. Mai, den Internationalen Tag gegen Homophobie ein organisiertes Coming-Out von Profifußballern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz an. Fördern Sie eine Beteiligung der saarländischen Fußballvereine, bzw. wie nehmen Sie die Situation wahr?

RJ: Es ist in der Tat ein noch immer verschämt diskutiertes Thema und das finde ich schade. Die sportlichen Leistungen werden unabhängig von der sexuellen Identität erbracht. Und ich sage das an der Stelle ganz deutlich: man hat mich an der Seite, wenn es darum geht auch hier eine helfende Hand zu sein. Sei das bei einem coming out oder jeder anderen selbstverständlichen Darstellung des „persönlichen Ichs“, was nichts mit der Leistung zu tun hat. Wir als saarländische Landesregierung, auch ich als Minister, haben ein Interesse daran, dass die Menschen befreit und ohne Druck ihren Sport erfolgreich weiterführen können, wie auch frei ihre sexuelle Neigung ausleben können. Für mich war und ist der Mensch im Mittelpunkt. Die Leistung im Sport ist das was am Ende zählt, nicht dessen sexuelle Identität. Und wer damit ein Problem hätte, der hat auch mit anderen Dingen ein Problem.

Wenn auch Vereine oder Profispieler in diesem Kontext eines Coming Outs oder im Rahmen eines „Sport Pride“-Engagements Unterstützung bräuchten, könnte man jederzeit auf Sie zugehen und würden Sie das dann auch fördern?

RJ:  Natürlich. Wir haben ein Interesse daran, dass unser Land weiterhin bunt, tolerant und vielfältig ist. Das darf nicht an irgendwelchen Bereichen halt machen. Wer in solchen Kategorien denken würde, der hat auch Probleme mit anderen Gruppen die besonders sind. Das ist etwas für mich, das gar nicht geht. Wir sind bunt, tolerant und vielfältig: im Sport wie in unserer Gesellschaft. Wir wollen, dass das so bleibt. Diejenigen die nur schwarz/weiß kennen, die sind für mich eigentlich das Problem, nicht die, die bunt sind.

Die Special Olympics werden 2026 im Saarland stattfinden. Diese Sportveranstaltung ist auch ein Sinnbild der  Akzeptanz, Diversität und Inklusion. Welches gesellschaftliche Engagement wünschen Sie sich für dieses großartige Sportevent?

RJ:Was mich schon jetzt absolut positiv überrascht, ist der Spirit der im Saarland zu spüren ist. Der Stolz, die Freude und vor allem auch das Selbstbewusstsein, das daraus erwächst. Wir wollen diese Spiele zu einem riesengroßen Event machen, aber vor allem dem Thema „Inklusion im Sport“ zum Durchbruch verhelfen. Das Saarland wird im Juni 2026 mit den „Special Olympics“ eine ganze Woche im Mittelpunkt des deutschen und wahrscheinlich auch des europäischen medialen Interesses sein. Die „Special Olympics Sommerspiele“ bedeutet 14.000 Menschen, davon etwa 4.000 bis 5.000 Athletinnen und Athleten, in zwei Dutzend Sportarten, eine ganze Woche lang im Saarland. Wir werden damit auch die Möglichkeit haben uns zu zeigen. Auch wenn wir vielleicht nicht das größte und nicht das finanziell am besten aufgestellte Bundesland sind, werden wir dieses Event zu einem unvergesslichen Erlebnis machen. Es geht dabei nicht nur um den Sport. Es geht um das Messen in Wettbewerben, es geht auch um ein tolles Kulturprogramm, es geht auch darum Menschen zum Mitmachen zu bewegen in so genannten „Unified Sports“-Wettbewerben. Es wird auch ein wettbewerbsfreies Angebot geben, in dem man sich selbst auch ausprobieren kann – alleine oder  gemeinsam mit besonderen Menschen, die geistig oder mehrfach behindert sind. Wir wollen Mitmachangebote in allen Städten und Gemeinden organisieren. Niemand wird ausgeschlossen. Wir wissen heute noch nicht, wo überall noch zusätzliche Sportstätten gebraucht werden, hier wird niemand ausgegrenzt. Lasst uns gemeinsam auf dieses Event unbändig freuen. Es wird viel Arbeit mit sich bringen, aber noch viel mehr an Freude und Mehrwert für das Land. Es bringt Wertschätzung für die Menschen, mit Blick auf die Tourismuszahlen auch Wertschöpfung für die Hotellerie und Gastronomie. Und es beweist vor allem: dieses Land ist inklusiv, es ist ein buntes Land, ein tolerantes Land und es ist vielfältig wie die Menschen.

Vielen Dank für das Gespräch

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