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Bambi auf den Grill

Manche sagen, echte Freundschaften existieren nur zwischen Mensch und Tier. Anders als zweibeinigen Freunden nimmt man es vierbeinigen nicht übel, wenn sie beim erstbesten Weibchen, das ihnen über den Weg läuft, sabbernd mit dem Schwanz wedeln und denjenigen, mit dem sie eigentlich unterwegs sind, links liegen lassen. Gerade Hunde verstehen uns Männer besonders gut, da sie wissen, wie es ist, von Frauchen an der kurzen Leine gehalten zu werden. Eine Bitch auf vier Pfoten ist im Gegensatz zu einer auf zwei Absätzen auch nicht gleich eifersüchtig, wenn man mal die Muschi der Nachbarin streichelt. Hunde wissen schließlich, dass nichts über Frischfleisch geht…

Tiere sind einfach die besseren Partner. Sie haben keine Migräne, wenn man Kuscheln möchte, und bestellen aus Langeweile auch keinen unnötigen Kram im Internet. Sie kümmern sich ohne zu meckern um heruntergefallene Essensreste und haben keine Probleme damit, wenn man als Mann einmal an einen Baum pinkelt oder den Tag auf dem Sofa verbringt. Sie machen dann einfach mit. Ganz ohne sich zu beschweren, dass ihnen das Fernsehprogramm nicht gefällt oder noch Wäsche zu bügeln ist. Könnten Hund, Katze und Co. ihre Futterdosen selbst öffnen und Herrchen einen Döner holen, sie wären den meisten Frauen von heute auch im Haushalt haushoch überlegen…

Mensch und Tier bilden seit jeher unschlagbare Duos, die zusammengehören wie Salz und Pfeffer, Ernie und Bert oder H & M. Egal ob nun als Hund und Herrchen, Ross und Reiter oder Feinschmecker und Feinkost. Oft stellt sich dabei die Frage, wo Zuneigung enden und Zubereitung beginnen sollte. Mit Ausnahme von Kannibalen haben wir Menschen uns im Laufe der Zeit untereinander geeinigt, dass das Zusammenleben einfacher ist, wenn man nicht befürchten muss, vom Gegenüber verspeist zu werden. Zwischen Mensch und Tier ist es nicht immer so eindeutig, wie weit man sich zum Fressen gern haben darf und ob die Hand, die einen heute füttert, morgen nicht schon vielleicht futtert…

Vor allem Nutztiere laufen Gefahr, irgendwann vom Jungtier, das ein Teil der Familie ist, zum Alttier zu werden, das ein Teil der Familie isst. Aus jedem jungen Fohlen wird irgendwann eine alte Stute, die bockt, wenn sie bestiegen wird. Das ist bei uns Menschen nicht anders. Was gestern ein süßes Küken war und heute ein stattliches Huhn ist, kann morgen bereits eine fette Glucke sein. Hängt das Euter einmal bis zum Boden, wird es Zeit, sich nach neuem umzusehen. Das ist bei vierbeinigen Kühen wie bei zweibeinigen. Mit dem Unterschied, dass ein Gnadenschuss bei den einen wochenlang saftigen Braten im Gefrierschrank und bei den anderen lebenslang trockenes Brot im Gefängnis bedeutet …

Tiere an unserer Seite haben einen hohen Stellenwert. Dennoch sind ihre Rechte bescheiden. Kaum ein Schäferhund fühlt sich pudelwohl. Rindern will man ans Leder, dass es auf keine Kuhhaut geht. Schafe werden oft zu Mäharbeiten gezwungen und das Leben von Schweinen ist die reinste Sauerei. Während Frauen mittlerweile wählen dürfen, müssen Tiere noch immer wahllos akzeptieren, was ihr Halter mit ihnen anstellt. In einer Zeit, in der jeder Produkte bevorzugt, die von glücklichen Tieren stammen, ist es wichtig, dass ein Schnitzel auch vor seiner Zeit in der Kühltheke artgerecht gehalten wird, so lange es noch Rüssel und Ringelschwanz hat. Kaum jemand will es noch mit dem Gewissen vereinbaren, ein Tier auf dem Teller zu haben, das nicht freien Willens ein Steak geworden ist…

Tierschutz ist daher richtig und wichtig. Letztens hatte ich Werbung eines Vereins für Nutztierrechte im Briefkasten. Von einer „vie(h)lversprechenden“ Zukunft und einer neuen „Ess-Ku(h)ltur“ war da die Rede. Hätten sie das Schlachten alter Milchkühe auch noch als „Euternasie“ bezeichnet, ich hätte nur wegen der „kuhlen“ Wortwahl etwas gespendet. Aber das war dann doch wohl zu viel des „Kuhten“. Auf dem Werbeflyer waren übrigens zwei Kühe abgebildet, von denen die zweibeinige ihr vierbeiniges Pendant auf die Schnauze küsste, was diesem sichtlich unangenehm war. Das Küssen einer alten Kuh fand ich persönlich schon als Kind auf dem 90. Geburtstag von Tante Walburga eklig…

Früher hieß es, dass man mit Essen nicht spielen solle. Der Flyer forderte nun jedoch offen dazu auf, man solle ein „neues Verhältnis zu Kühen entdecken“, die es „genießen, am ganzen Körper gestreichelt und massiert zu werden“. Tiere würde einem so viel Liebe zurückschenken, getreu dem Motto „Wie-ich-Dir, So-do-mie“. Weiter war zu lesen, dass Kühe viel zu früh und zu oft befruchtet werden, ihnen der Nachwuchs direkt nach der Geburt entzogen wird und sie Leberprobleme haben. Dieses Schicksal dürften sie mit vielen Hauptschülerinnen teilen, mit dem Unterschied, dass diese nach ihrer zigsten Entbindung mit knapp zwanzig nicht einmal mehr zum Frikadellenmachen taugen…

Tiere aus dem Verkehr ziehen und in Rente schicken, nachdem sie Tausende Liter Milch gegeben haben? Das ist für Kühe wie für männliche Pornodarsteller wünschenswert. Tierschutz ist zwar wirklich von Bedeutung – schließlich sollte keiner schlecht zu Vögeln sein – aber so lange Rentner bei Kaffeefahrten im Bus durchs Land gekarrt werden, sind auch Massentiertransporte mit Gammelfleisch nichts anderes. Nutztiere sollten jedoch möglichst gut gelaunt zum Schlachter gebracht werden und sich auf den Bolzen freuen, der ihnen ins Hirn gejagt wird. Rentner sind bei Besichtigungsfahrten zu Krematorien ja auch bester Laune und guter Hoffnung, abends wieder ganz nach Hause zu kommen…

Dass Tiere uns Menschen überlegen sind, weiß jeder, der mal einen Hund beobachtet hat, der seine Genitalien leckt. Ein als Blindenhund ausgebildeter deutscher Schäferhund dürfte einem deutschen Azubi mittlerweile in allen Lebenslagen überlegen sein. Mit Ausnahme vom Selfies-Machen vielleicht. Wir sollten daher fair zu Tieren sein. Schon Opa Ede wusste nach der Kriegsgefangenschaft um die Nachteile der Käfighaltung und nach seiner beidseitigen Beinamputation, dass Eier aus Bodenhaltung auch nicht das Wahre sind. Lassen wir Tiere einfach mehr selbst entscheiden. Sollen sich Rehe doch aussuchen, ob sie lieber bei der Jagd geschossen auf einem Gasgrill oder vom Auto angefahren auf einem Kühlergrill landen möchten! Bambi auf den Grill… gruenetomaten@live-magazin.de.

Patrik Wolf

P.S. Rüdesheim ist übrigens keine Tierauffangstation für männliche Hunde.

Schweigen ist Silber, Ausreden sind Gold

Guter Rat ist bekanntlich teuer. Größeren Wert als ein guter Rat hat jedoch eine gute Entschuldigung oder besser gesagt: eine gute Ausrede. Gut ist eine solche immer dann, wenn sie nicht gleich von jedem durchschaut oder durch skeptische Nachfragen auf ihre Echtheit überprüft wird. Um einem lästigen Termin fernbleiben zu können, führt man da schon gerne einmal den unerwarteten Tod seiner Großmutter als Grund an. Wohl wissend, dass niemand einen Totenschein als Beleg fordern wird oder ahnt, dass Omas Ableben zwar durchaus plötzlich, aber eben bereits im Jahr 2001 war…

Eigentlich wurde einem als Kind beigebracht, dass man nicht lügen darf. Lügen hätten kurze Beine, hieß es im Kindergarten. Weswegen mein Freund Christian, der groß und stark werden wollte und lange Beine hierfür als nützlich ansah, immer grundehrlich zu jedem war. Was ihm wenig Freunde und viel Prügel einbrachte. Trotz seiner damaligen Ehrlichkeit ist Christian heute nur 1,65 Meter, während ich, der ich damals log, dass sich die Balken bogen, 1,82 m bin. Ob das mit dem Balkenbiegen bei mir seiner Zeit jedoch vom Lügen oder eher von meinem Gewicht kam, sei einmal dahingestellt…

Ehrlich währt vielleicht am längsten, macht aber alles schwieriger. Vor allem, wenn man dem Gegenüber nicht ins Gesicht sagen will, dass man keine Lust auf seine langweilige Geburtstagsfete hat, bei der das Bier – anders als die Stimmung – noch nie kühl war. Was also tun, wenn man keine Lust hat, auf einer öden Feier zu erscheinen, Überstunden zu machen oder sich mit Nachbarn zu unterhalten, aber noch weniger Lust hat, dies offen zuzugeben? Auch in den besten Familien gehen schließlich irgendwann die Omas aus, die man bei Bedarf sterben lassen kann…

Stress wird heutzutage von keinem mehr als Absagegrund akzeptiert, da jeder Stress zu haben glaubt, selbst Beamte und Rentner. Nur Lehrer schaffen es noch, einen rasch korrigierten Vokabeltest als Mammutprojekt zu verkaufen, das einer Doktorarbeit gleichkommt und es unmöglich zulässt, diesen, nächsten oder übernächsten Monat mit in die Kneipe zu gehen. Und so eine Migräne wie die, mit der sich die hübsche Kollegin immer bei gutem Wetter aus dem Büro abmeldet, nimmt einem als Mann auch niemand ab. Selbst wenn man noch mehr Knöpfe am Hemd auf hätte als die Kollegin…

Im Grunde gibt es nur eins, was als Ausrede ähnlich geeignet ist wie tote Verwandtschaft: Nachwuchs! Sieht man einmal von einem Backstage-Pass für ein David-Hasselhoff-Konzert ab, sind Kinder das größte Geschenk der Welt. Das ist zumindest die Ansicht derer, die sich, wenn auch nicht immer freiwillig, jedoch zumindest erfolgreich vermehrt haben. Nachwuchs eröffnet Eltern ganz neue Möglichkeiten, was Ausflüchte angeht. Jungen Kindern verzeiht man bekanntlich alles, da sie noch nicht wissen, was sie tun; jungen Eltern aber auch, da sie noch nicht wissen, was sie getan haben…

Kleinkinder sind ein perfekter Absagegrund und haben im Vergleich zu verstorbenen Großmüttern den Vorteil, dass man sie problemlos mehrfach als Grund vorschieben kann, um nicht tun zu müssen, was von einem erwartet wird. Keine Lust auf eine Teambesprechung? Das Bedürfnis, später zu kommen, früher zu gehen oder gleich ganz zuhause zu bleiben? Keine Lust auf Duschen, Aufräumen oder Mülltrennung? Eltern mit jungem Nachwuchs haben Narrenfreiheit, sind Babys doch unberechenbarer als die Lottozahlen und daher eine windeltragende Universalentschuldigung…

Insbesondere Eltern, die im Freundeskreis zu den ersten mit Nachwuchs gehören, können aus dem Vollen schöpfen, was Verständnis angeht. Wenn der frische Papi zu spät auf der Arbeit erscheint und aussieht, als hätte er das Wochenende durchgesoffen, weil er das Wochenende durchgesoffen hat, nimmt es ihm jeder ab, wenn er als Grund für seinen Zustand den nachts angeblich schreienden Nachwuchs anführt. Auch wenn dieser längst durchschläft. Junge Mütter vermitteln derweil absolut glaubhaft, dass jemand, der stillt, keine Zeit für ein Leben außerhalb von Jogginghosen hat…

Der angeblich so anstrengende Spross übernimmt, ohne sich wehren zu können, die Aufgabe des Schuldigen, dem niemand böse sein kann, weil er ja nichts dafür kann, dass er gerade Zähne bekommt, Bauchschmerzen hat, eine Impfung nicht verträgt, fremdelt, Hunger hat oder vom Babysitter im Stich gelassen wurde. Während es in der Tierwelt selten ist, dass ein Wolf seinem Rudel eine lange geplante Jagd nach Frischfleisch kurzfristig absagt, weil sein Welpe plötzlich allergisch auf Gluten reagiert, ist das beim Homo sapiens derweil fast zur Regel geworden…

Jungväter genießen völlig zu Unrecht die gesellschaftliche Anerkennung eines MacGyvers, der es täglich aus Neue schafft, eine Zeitbombe zu entschärfen, bevor ihre Windel explodiert. Eltern mit Kleinkindern werden zu Volkshelden stilisiert, denen es zu verdanken ist, dass die Menschheit weiter bestehen kann. Kolumbus hat Amerika entdeckt, Becquerel die Radioaktivität und König Artus das Eukalyptusbonbon am Stil. All das ist jedoch nichts wert gegen die Leistung derer, die dank ihrer Kevins, Marlons und Romys dazu beitragen, die Welt am Abgrund einen Schritt weiter zu bringen…

Geburtstag des Chefs verschwitzt? Nudeln verkocht? TÜV abgelaufen? Der Nachwuchs ist schuld! Beim zu schnell Fahren erwischt worden? Das Töchterchen musste dringend Pipi! Strafzettel wegen Falschparkens? Der Sohnemann brauchte etwas aus der Apotheke! Zu viel getrunken? Nur den Hustensaft des Nachwuchses probiert! Das Erstaunliche dabei: Es funktioniert! Hätten Adolf Hitler und Eva Braun Kinder gehabt, sie hätten ohne Weiteres ihnen die Schuld für den Zweiten Weltkrieg in die Schuhe schieben können und wären mit einem Freispruch aus Nürnberg nachhause gefahren…

Auch wenn ich meines Wissens keine Kinder habe, habe ich es mir angewöhnt, beim Einkauf stets ein Glas Babybrei im Wagen zu haben, um an der Kasse bitten zu können, vor zu dürfen, da Klein-Philipp im Auto doch so einen Hunger hat. Außerdem wird man als Ü40er dann nicht so seltsam angesehen, wenn man Waldmeisterbrause und ein Micky-Maus-Heft aufs Band legt. „Sind die Boxershorts mit den Schafen in Größe XL nicht zu groß für ihren Kleinen?“ „Nein. Hinterteilmäßig kommt er nach seiner Mutter!“. Schweigen ist Silber, Ausreden sind Gold…  gruenetomaten@live-magazin.de.

Patrik Wolf

P.S. Wer ohne Scham einen Dildo kaufen möchte, sollte einfach vorgeben, das Schaukelpferd seines Töchterchens in ein Einhorn umwandeln zu wollen.

Dick und Durstig

Dick & durstig

Für Männer sind sie umso faszinierender, je dicker sie sind. Frauen dagegen empfinden sie oft als störend, wenn sie zu groß ausfallen und geben sich daher auch mit Kleinen zufrieden. Manche sind mit Plastik oder Metall getunt, andere kunstvoll bemalt. Während Männer sie in Weiß oder Schwarz bevorzugen, nehmen Frauen sie so, wie sie eben sind. Männer fühlen sich in ihnen geborgen und lieben es, in ihnen zu kommen. Frauen derweil schätzen es allenfalls, dass viel Milch in sie passt und neben den eigenen auch noch die Kinder der Nachbarn Platz haben. Asche auf das Haupt derer, die gerade an etwas anderes denken als an Sport Utility Vehicles oder kurz SUVs…

Was früher dem einen das Wikingerschiff und dem anderen der Führerbunker ist dem Mann von heute der Geländewagen: Eine vermeintlich uneinnehmbare Festung und letzter Rückzugsort, an dem nur die eigenen Regeln gelten, aber keine Verkehrsregeln. In einer Zeit, in der Frauen gleichberechtigt sind und sogar über das abendliche Fernsehprogramm entscheiden dürfen, verbleiben im Alltag eines Mannes kaum Momente, in denen er sich noch als echter Mann fühlen darf, bevor er zuhause den Müll trennen muss. Männer haben heutzutage nur selten noch die Möglichkeit zu zeigen, wer den Größten und Dicksten hat. Sieht man einmal vom eigenen Bauch und vom eigenen Wagen ab…

Ist es bei Männern in der Zwanzigern noch der Suff, für den das Gehalt draufgeht, ist es bei Männern in den Vierzigern der SUV, das Statussymbol für alle, die ein Statussymbol brauchen. Hat ein Mann das Alter erreicht, ab dem er überall gesiezt wird, werden für ihn Gelegenheiten rar, sich jung zu fühlen. Sieht man mal vom Besuch bei den Großeltern ab. Wenn sich schon keiner mehr nach einem als Mann umdreht, dann doch zumindest nach dem Auto, das Mann fährt. Frauen Ü40 finden selbst mit einem Kinderwagen, aus dem ein dicker Säugling röhrt, noch neue Kontakte. Männer Ü40 haben es da viel schwerer, selbst wenn aus ihrem Geländewagen ein dicker Motor röhrt…

Entgegen der irrigen Meinung vieler sind es nicht etwa ignorante Yuppies, die mit ihren SUVs dicht auffahren, sondern bloß hilflose Männer im mittleren Alter auf der plumpen Suche nach Anschluss. Wenn schon kein Rat mehr im Leben, dann zumindest Allrad im Auto. Wer Freiheit in Beruf und Beziehung vermisst, möchte diese wenigstens auf der Fahrt vom Büro nachhause. Selbst wenn es nur Bodenfreiheit ist. Wer sich täglich für den Job krumm macht, will zumindest erhobenen Hauptes und mit geradem Rücken aus seinem Auto steigen. In einem SUV ist es außerdem einfacher, über Alltagsprobleme hinwegzusehen, egal ob Stress, rote Ampeln und Fahrräder mit Vorfahrt…

Im SUV mit 100 Sachen durch verkehrsberuhigte Zonen an Kindergärten vorbei zu heizen, bleibt für Business-Männer heutzutage oft die einzige Möglichkeit, um nach einem harten Arbeitstag im Kopf einen Gang runter und im Auto einen Gang hoch zu schalten. Zur Seite hechtende Kinder und umher fliegende Plüschtiere erinnern an längst vergangene Jugendtage vor der Spielkonsole, als man bei Super-Mario-Kart versuchte, ohne Kollateralschäden ins Ziel zu kommen. Was einem damals im Spielzimmer jedoch ebenso wenig gelang wie heute in der Spielstraße. Wer mit 14 keine Angst vor Dinosauriern auf Go-Karts hatte, wird mit Vierzig kaum Angst vor Kindern auf Bobby-Cars haben…

Wer im Leben hoch hinaus will, der muss eben schnell voran. Ruhig und besonnen fahren kann Mann auch noch nach dem zweiten Herzinfarkt. SUV ist jedoch nicht gleich SUV. Kein Mann möchte wie damals Mehmet Scholl in der Dacia-Werbung das gleiche Auto fahren wie die eigene Frisöse. Man möchte ein besonderer Papa sein, der Verständnis erntet, wenn er Alimente nicht zahlt, da er den exklusiven Geländewagen abbezahlen muss, der so viel wie ein Reihenhaus kostet und so viel Sprit wie ein Panzer frisst. Da verzichtet Sohnemann von sich aus lieber auf warmes Essen, statt vor seinen Freunden mit einem mickrigen Kleinwagen vom Fußballtraining abgeholt zu werden…

Ähnlich wie bei einem Karnevalskostüm gilt auch bei einem SUV: Es muss nicht schön sein, aber auffallen und bei Frauen gut ankommen. Bei beiden interessiert es erst einmal niemanden, ob es das eigene ist oder bloß geliehen. Ein stattlicher Geländewagen hinterlässt nun mal Eindrücke und das nicht nur auf Katzen. Die breite Masse an Menschen bestaunt insgeheim die breite Masse an Auto, die so ein SUV darstellt, in dessen Kofferraum nicht nur der Wocheneinkauf passt, für den andere mit ihrem Kleinwagen zweimal fahren müssen, sondern gleich noch der Kleinwagen mit dazu…

SUVs haben im Alltag viele Vorteile. Bei den unzähligen Schlaglöchern in Bürgersteigen braucht es schon ein Auto mit großer Wattiefe, um auch bei Regen auf dem Weg zum Bäcker keine nassen Füße zu bekommen. Zig Geländesensoren ermöglichen es, auch auf dem engsten Behindertenparkplatz so zu parken, dass einem jeder abnimmt, behindert zu sein. SUVs sind zudem oft so hoch gebaut, dass kleingewachsene Politessen gar nicht bis an die Scheibe reichen, um dort Strafzettel festzumachen. Neueste Geländewagenmodelle verfügen sogar über extra leicht zu bedienende Lichthupen, aber auch über Ausstattungen, die kein SUV-Fahrer braucht, wie Blinker zur Spurwechselanzeige…

Kritiker von SUVs sind meist diejenigen, bei denen es nur zum Mittelklasse-Kombi gereicht hat, da sie unbedingt Lehrer werden wollten, und mit Mitte Vierzig nun auf ein Einfamilienhaus ohne Tennisplatz blicken, das weniger gekostet hat als ein SUV mit Stern. Immer diese Ökos in ihren TÜV-geprüften Fahrradhelmen, die ihre Kinder die 500 Meter zur Schule laufen lassen, statt sie zu fahren. Selbst wenn der 400 PS-Turbodiesel auf hundert Kilometern mehr schluckt als die Ölheizung einer Sporthalle im Monat, sind Geländewagenbesitzer nicht alleine Schuld, wenn aus Deutschland langsam Rußland wird. Die Feinstaubbelastung durch Reifen- und Bremsenabrieb von Fahrrädern ist auch nicht ohne…

Der Vorwurf, SUV-Fahrer würden nicht an die Zukunft denken, ist höchst unfair. Was werden die Archäologen in ein paar Tausend Jahren wohl lieber ausgraben? Ein Oberklasse-SUV aus München oder ein Lastenfahrrad aus Verbundmaterial? Wollen wir unseren Nachfahren in Erinnerung bleiben, weil sie majestätische Kolosse der Autoindustrie des 21. Jahrhunderts ausgraben oder bloß eine Fahrradklingel? Machen wir uns mit Vollgas aus dem Feinstaub. Dank E auf dem Nummernschild sogar 30 km elektrisch. Dick und durstig… gruenetomaten@live-magazin.de.

Patrik Wolf

P.S. Um scharf zu machen, gilt beim Kochen wie beim Date: Es braucht Cayenne.

Kein Anschluss unter dieser Nummer

Im Laufe der Zeit hat sich die Ansicht darüber, wann eine Gegend bewohnbar und wann sie lebensfeindlich ist, grundlegend geändert. Bestimmte beim frühen Homo sapiens noch die schnelle und uneingeschränkte Verfügbarkeit von Nahrung darüber, wo man sich ansiedelte, ist es heute die schnelle und uneingeschränkte Verfügbarkeit von Internet. Eine 1G-Abdeckung, die einem nur die Erdanziehung flächig liefert, genügt heutzutage niemandem mehr. Es müssen schon 4G oder 5G sein. Der Homo sapiens des 21. Jahrhunderts steht lieber draußen in der Kälte, wo er Netzempfang hat, als drinnen im Warmen zu sitzen, wo selbiger fehlt und er Gefahr läuft, sich unterhalten zu müssen….

Konnte man seine Freizeit früher noch problemlos ohne das Internet gestalten, führt mittlerweile allein der Gedanke daran, ein Tag ohne das weltweite Web auskommen zu müssen, zu Kurzatmigkeit. Der vernetzte Multimediamensch von heute ist nicht einmal mehr in der Lage, Pizza vom Lieferservice übers Telefon zu bestellen. Sobald Smartphone, Tablet oder Computer ihren Nutzer wissen lassen, dass es keine Online-Verbindung nach draußen gibt, fühlt sich dieser in den eigenen vier Wänden gefangen wie in Isolationshaft. Kein Getrolle auf Facebook, kein Gezwitscher auf Twitter und kein Gewische auf Tinder. Bloß die reale Welt, ganz ohne Fotofilter…

Nicht etwa Alkohol oder Nikotin ist die meistkonsumierte Droge unserer Zeit, sondern das Internet. Nie war der Mensch abhängiger als heute, wo viele nicht einmal mehr in der Lage sind, ohne Internet das Wetter in Erfahrung zu bringen. Sie finden sich eher frierend mit Flipflops im Schnee stehend wieder als auf die Idee zu kommen, vor der Kleiderwahl einmal aus dem Fenster zu schauen. Seine Freizeit ohne lustige Katzenvideos auf YouTube und ohne pfiffige Lifehacks auf TikTok verbringen? Nicht auszudenken! Wie soll man sich denn da beschäftigen? Etwa Freunde besuchen und sich außerhalb von Whatsapp unterhalten? Ganz ohne Emojis, dafür mit gewaschenen Haaren? Unvorstellbar…

Das Schlimmste tritt bekanntlich nur selten ein. Wenn, dann jedoch meist mit verheerenden Folgen. Das war mit den beiden Weltkriegen so und auch mit dem Durchfall damals am Schulwandertag. Und eben auch letztens, als ich freitags schockiert feststellen musste, dass mein Internet tot war. Als meine Oma seiner Zeit vom gleichen Schicksal ereilt wurde wie nun mein DSL-Router und ihr plötzlich die Lichter ausgingen, war ich gefasst. Schließlich wusste ich, dass dieser Tag einmal kommen würde. Dass es aber jemals nochmal einen Tag geben könnte, an dem ich ohne Internet bin? Excuse me? Wir haben 2023! Wie gerne hätte ich meinen Frust gepostet. Aber genau das ging ja gerade nicht…

Während man sich bei einem toten Verwandten vertrauensvoll an einen Bestatter wenden kann, der sich kümmert, ist man bei einem toten Internetanschluss auf sich allein gestellt. Was einem bleibt, ist die Kundenhotline des Internetanbieters, mit deren Anruf ein Martyrium beginnt, das einer mittelalterlichen Selbstgeißelungen nahe kommt. Dinge, die nichts kosten, sind bekanntlich nichts wert. Was das angeht, hat die Störungshotline des bekannten magentafarbenen Telekommunikations-Unternehmens allen Grund, kostenlos zu sein. Ich wähle in einem Zustand aus Verzweiflung und Hoffnung die Nummer der Hotline und lande erwartungsgemäß in der Warteschleife…

Nach einem Jingle bittet mich die Bandansage um einen Augenblick Geduld. Bereits der nächste freie Mitarbeiter sei für mich reserviert. Zu diesem Zeitpunkt ahne ich noch nicht, dass die Zeit, die ab nun vergehen wird, bis ich jemanden in der Leitung habe, der fähig ist, um Internet von Rindermett zu unterscheiden, ausreichen würde, um eine Niere zu transplantieren. Und um vorher noch das hierfür notwendige Medizinstudium zu machen. Es kommt mir vor als müsste ich eine 22-monatige Elefanten-Schwangerschaft von der Zeugung bis zur Entbindung live am Telefon mitverfolgen. Ohne mehr tun zu können als zu warten. Zu Pandemiebeginn hieß es damals auch, es würde nicht lange dauern…

Während ich warte, macht mich die Ansage darauf aufmerksam, dass Störungen auch über das Internet gemeldet werden können. Lustig, denke ich. Eine Viertelstunde später ist es mit der Lustigkeit vorbei und nach wie vor der nächste freie Mitarbeiter für mich reserviert. Wieso geht da niemand ran? Arbeiten im Callcenter gerade nur Menschen mit sehr kurzen Armen, die nicht an den Hörer kommen? Oder gibt’s gerade Kuchen, da jemand Geburtstag hat? Es knackt in der Leitung. Die Chancen stehen gut, nun aus der Warteschleife geflogen zu sein. Was wie bei Mensch-ärgere-dich-nicht bedeuten würde, von vorne beginnen zu müssen. Doch, ich traue meinen Ohren kaum, jemand meldet sich…

Es beginnt nun das Callcenter-Glücksspiel, bei dem man wie eine Roulettekugel von Mitarbeiter zu Mitarbeiter im Kreis herumgereicht wird, um am Ende rot oder schwarz zu sehen oder bei einer Null zu landen. Die Chance, jemanden an den Hörer zu bekommen, der kompetent ist, ist so hoch wie ein Sechser im Lotto für ein Einhorn. Stellt man zehn Hotline-Mitarbeitern die gleiche Frage, erhält man zehn Antworten, jedoch nie die richtige. Nachdem mein erster Gesprächspartner meine Kundennummer im System nicht findet und der zweite unverständliches Sächsisch spricht, lande ich bei jemandem, der mich ernsthaft fragt, ob ich schon geprüft habe, ob alle Sicherungen drin sind…

Diese Frage gebe ich prompt zurück, was mich in die Warteschleife zurückkatapultiert. Ob passend oder nicht, Callcenter-Mitarbeiter plappern wie Papageien nur das nach, was auf ihrem Monitor steht, ob sinnvoll oder nicht. Irgendwann ist die Fragestunde zu Ende und damit auch die Fachkompetenz. Aus Verzweiflung werde ich ein weiteres Mal weiterverbunden. Weiterverbinden scheint Lösung Nr. 1 für jede Störung zu sein. Soll sich doch ein Kollege mit dem blöden Kunden rumschlagen. Die Wahrscheinlichkeit als Anrufer zweimal beim gleichen Mitarbeiter zu landen, ist bekanntlich gering. Schließlich ist die Inkompetenz ist deutschen Callcentern breit aufgestellt…

Man gewinnt irgendwann den Eindruck, jede ostdeutsche Nagelstylistin, die Mandy heißt, arbeitet während sie gerade jemandem French-Nails macht noch mit dem Handy am Ohr für ein Callcenter. Gibt es außerhalb Sachsens überhaupt Callcenter? Wie konnte man damals im Osten so viel Ahnung vom Abhören haben, wenn sie dort heute nicht einmal mehr Zuhören können? Nach fast einer Stunde lande ich dann bei Enrico, der mir mit der Freundlichkeit eines DDR-Grenzsoldaten bestätigt, dass mein Internet nicht funktioniert. Leider weiß Enrico jedoch weder, was der Grund hierfür ist, noch was jetzt zu tun ist, sondern nur, dass vor Mitte nächster Woche nichts zu machen sein wird…

„Ich hoffe, Sie waren mit dem Service zufrieden“ beendet Enrico daraufhin das Gespräch, ohne dass ich auch nur einmal zu Wort kommen konnte. Ich zeige ihm durchs Telefon den Mittelfinger und lege auf. Willkommen dort, wo die Servicewüste am trockensten ist. Kurz darauf klingelt das Telefon: „Hier ist die Störungsstelle. Sie haben ein Problem?“. „Mein Problem“, antworte ich genervt, „sind Sie“. Kein Anschluss unter dieser Nummer… gruenetomaten@live-magazin.de.

Patrik Wolf

Alter-na(t)iv-los!

Anders als Peter Pan in meinem Märchenbuch war ich als Kind schon früh der Überzeugung, dass es Sinn macht, erwachsen zu werden. Erwachsene hatten schließlich damals wie heute uneingeschränkt Zugang zu Süßigkeiten, Limonade und Fernseher und obendrein auch noch die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, ob ein Zimmer aufzuräumen, ein Teller leerzuessen oder ein Vorgarten ungeeignet ist, um dort ein Schaf zu halten. Derartige Vorzüge ließen mich als kleiner, dicklicher Junge völlig außer Acht lassen, dass erwachsen zu werden wohl auch zwangsläufig heißt, langweilig zu werden…

Irgendwie hatte ich mir das mit dem Älterwerden damals anders vorgestellt als es schlussendlich kam. Nicht unbedingt wie bei hässlichen Raupen, die sich verpuppen und als schöne Schmetterlinge neu geboren werden, aber auch nicht viel anders. Während der Pubertät hatte ich täglich die Hoffnung, aus meinem kindlichen Dornröschenschlaf erweckt zu werden. Wenn auch nicht unbedingt durch den Kuss eines Prinzen. Dass es länger dauerte als gehofft, bis ich als Erwachsener erwachte, mag daran gelegen haben, dass ich weniger wie Dornröschen als vielmehr wie Rumpelstilzchen aussah…

Bedenkt man, dass ich als Kind noch der Ansicht war, dass nur Großmütter und Dinosaurier älter als Vierzig sind, muss ich mittlerweile feststellen, dass auch ich dieses Alter längst erreicht habe. Allerdings ohne selbst Oma oder ein T-Rex zu sein. Dass Vierzig heutzutage das neue Dreißig sein soll, tröstet nicht, wenn man sich daran erinnert, dass Jesus schon mit knapp über Dreißig Probleme mit dem Kreuz hatte. Wenn man es genauer betrachtet – und Spiegel lügen nicht – ist Vierzig wohl eher das neue Fünfzig. Zumindest morgens, wenn man abends zuvor mit Kumpels unterwegs war…

Der Übergang vom juvenilen zum adulten Homo sapiens war bei mir schleichend und dennoch überraschend. Es war nicht etwa so, dass ich eines Abends als flaumiges Kind mit Hühnerbrust im Disney-Schlafanzug ins Bett ging und morgens als vollbärtiger Erwachsener mit Männerbrust in Hemd und Krawatte wieder aufstand. Irgendwie scheine ich den Moment verpasst zu haben, an dem mein Körper von Jung auf Alt und damit leider auch von Elan auf Elend umstellte. Und da sitze ich nun heute, im Kopf nicht älter als Mitte Zwanzig, gefangen im Körper eines Typen Mitte Vierzig…

Ehrlich gesagt gab es schon vor vielen Jahren deutliche Anzeichen, dass ich erwachsen geworden bin und damit so, wie ich nie sein wollte: wie meine Eltern! Bestand zur Studentenzeit der überwiegende Teil meiner Mahlzeiten noch bewusst aus Döner, Pizza und Dosenravioli, ernähre ich mich heutzutage als Erwachsener unbewusst bio, regional und fair-trade. Das Salz in der Küche stammt nicht mehr aus dem Discounter, sondern aus dem Himalaja und kostet pro Gramm mehr als anständiges Koks. Statt Maggi würze ich mit Koriander und esse Salatsorten, die früher noch als Unkraut galten…

Insbesondere beim Thema Wein wird der Unterschiede zwischen Jung und Alt deutlich. Mit Zwanzig unterschied ich wie die Meisten nur Flasche von Pappkarton und vielleicht auch noch Weiß von Rot. Meine Kaufentscheidung richtete sich nach dem billigsten Preis oder dem hübschesten Etikett. Mit über Vierzig kennt man Rebsorten, Anbaugebiete und Tannine und weiß, was ein Dekanter ist. Alles ist unnötig kompliziert, seitdem Weine atmen müssen, nicht mehr mit Cola gemischt werden und nur noch aus bauchigen Kristallgläsern statt aus alten Senfgläsern getrunken werden dürfen…

Als Erwachsener hat Mann nicht nur graue Haare und ein gestörtes Verhältnis zur Körperwaage, man gibt auch ohne Scham offen zu, auf Tupperpartys zu gehen, sich im Fernsehen den Bergdoktor anzuschauen und ganze Urlaubstage in Möbelhäusern zu verbringen, um Sofakissen zu finden. Man besitzt nicht nur Geräte wie Nasenhaarschneider, Heizluftfritteuse und Ultraschallbad für Brillen, sondern man benutzt diese auch. Was waren das früher für schöne Zeiten, als man noch Eiskrem im Supermarkt kaufen durfte und nicht wie heute Sorbet im Thermomix selbst machen muss…

In jungen Jahren war man genügsamer. Damals gab es nur drei Arten von Schmerzen: Solche nach Alkohol, solche nach Schlägereien und solche nach Trennungen. Als Erwachsener von heute kennt man allein 37 Arten von Kopfschmerzen. Vor allem aber glaubt man, dass man einen Backofen mit 18 Grill-Stufen und ein Fleischthermometer mit Smartphone-App braucht. Wo früher ein Zweiplattenherd genügte, muss es heute eine individuell geplante Küche mit Dampfgarer, A+++-Kühlschrank und sprechender Spülmaschine für 20.000 Euro sein, obwohl man weder kochen mag noch kann…

Dass man im Alter wie die eigenen Verwandten wird, die man als Kind immer so spießig fand, merkt man vor allem beim Feiern. Früher erschien man erst spätabends auf einer Fete, drückte dem Gastgeber wortlos eine Flasche Wein mit hübschem Etikett in die Hand und suchte nach einem freien Platz, einem kaltem Bier und einem heißen Mädel. Zu essen gab es Schinkennudeln von Mutti auf einem Plastikteller und für Vegetarier nichts. Veganer waren noch nicht erfunden. Man unterhielt sich mit guten Freunden über Studium, Freizeitparkbesuche, Fußball oder die dicken Brüste der Freundin des besten Kumpels und endete nach zu viel billigem Wodka kotzend auf der Toilette…

Mittlerweile beginnen Feiern um 19 Uhr. Statt Geschenk wird eine Spende ans Tierheim erwartet. Man bringt dem Gastgeber dennoch eine Flasche Bordeaux mit, die man mit vielen Worten über samtige Tannine überreicht. Es gilt Tischkarten, wohltemperierten Rosé und das einzige heiße Mädel ist eine Achtjährige mit Fieber. Die handgemachte Pasta des Partyservices wird auf teurem Porzellan serviert, ist glutenfrei und für alle geeignet, die Allergien haben oder Dörte heißen und Veganer*in sind. Man unterhält sich mit flüchtigen Bekannten über Job, Arztbesuche, Golf oder den dicken Babybauch der Frau des einst besten Kumpels und endet nach zu viel teurem Wasser mit Durchfall auf der Toilette…

Im Alter muss halt alles perfekt sein. Erst recht Feiern, da ungewiss ist, ob die nächste nicht vielleicht schon die letzte ist. Es kann doch aber nicht normal sein, dass man heutzutage Mitte der Vierziger körperlich und geistig schon so in Schutt und Asche liegt wie Deutschland damals zur gleichen Zeit. Vielleicht doch Sport machen? Bewegung ist im Alter wichtig. Laufen zum Beispiel oder sogar noch einmal Fußball? E-Sport zählt ja mittlerweile auch als vollwertiger Sport. Ich fange einfach mal mit FIFA 23 auf der PlayStation an. Alter-na(t)iv-los… gruenetomaten@live-magazin.de.

Patrik Wolf

P.S. Man ist spätestens dann erwachsen geworden, wenn man Müll nicht mehr macht, sondern trennt.

Bittere Pillen

Mit dem Glauben ist das so eine Sache. Die eine Religion verspricht einem einen gesunden Geist und Körper durch regelmäßiges Beten, eine andere durch regelmäßige Meditation und wieder eine andere durch regelmäßiges Zahlen von Kirchensteuern. Stärker als jeder Glaube an irgendeine Religion ist jedoch der Glaube, der uns vierblättrige Kleeblätter suchen und an Freitagen, die auf den 13. eines Monats fallen, am liebsten im Bett bleiben lässt: der Aberglaube. Während der Glaube Berge versetzen kann, schafft es der Aberglaube, ganze Welten aus ihren Angeln zu heben…

Längst haben sich Internet und Shoppingkanäle im Fernsehen der Abergläubigkeit vieler Menschen angenommen und bieten Gesundheit für Körper und Geist auf Bestellung zum Sparpreis. Was einmal mit linksdrehenden Joghurtkulturen begann, die zur Balance von Körper und Geist, vor allem aber derjenigen des Darms beitragen sollten, hat sich zu Körperessenzen mit Einhornstaub, am Erdmagnetfeld ausgerichtete Kräuterbadematten und Hausschuhe für das individuelle Sternzeichen weiterentwickelt. Kaum zu glauben, an was man mittlerweile glauben kann, soll oder sogar muss…

Jeder kennt jemanden, der an Wünschelruten, Edelsteinkräfte und heilende Tänze glaubt. Ich selbst bin da eher skeptisch, da ich mir nicht vorstellen kann, dass es mir bei einer Grippe besser geht, wenn ich mir einen Amethyst unters Kopfkissen lege oder Feng Shui hilft, wenn ich mir mit dem Hammer auf den Daumen gehauen habe. Auch wenn die Schulmedizin den Placebo-Effekt kennt, der beweist, was bloße Vorstellungskraft bewirken kann, vertraue ich bei Krankheiten lieber bunten Pillen forschender Pharmaunternehmen als Wadenwickeln aus Herbstlaub. Placebo ist für mich etwas fürs CD-Regal…

Das sehen einige Frauen aus meinem Freundeskreis jedoch völlig anders. Ob Migräne, Sonnenbrand, Verhütung oder ein Fuß im Rasenmäher, sie vertrauen der Wirkung von Globuli, kleinen weißen Kügelchen, die als homöopathisches Universalheilmittel voll im Trend liegen. Bei jeder Gelegenheit zücken sie ihr Mäppchen, in denen Röhrchen mit stecknadelkopfgroßen Streukügelchen auf ihren Einsatz zur Rettung der Welt warten. Hat eine Frau Bauchschmerzen, möchte aber Sex, helfen Globuli. Hat eine Frau keine Lust auf Sex, aber auch keine Bauchschmerzen, helfen Globuli ebenso…

Egal welche Beschwerde, es gibt das passende Zuckerperlchen zur Behandlung. Ob Depressionen, Haarspliss oder nervende Schwiegereltern, mit Globuli alles kein Problem. Die Dosierung ist einfach: Einfach fünf Kügelchen auf der Zunge zergehen lassen. Gerne auch ein paar mehr oder weniger, ganz nach eigenem Glauben. Das erspart lästiges Lesen von Packungsbeilagen und Tierversuche. Schließlich ist die Wirkung von Zucker auf den Menschen durch Verabreichen von Bonbon-Halsketten an Probanden im Alter zwischen 5 und 15 auf Kirmes und Kindergeburtstagen seit Jahren erprobt…

Mit Homöopathie hatte ich nie etwas zu tun, schließlich wurde ich anständig und katholisch erzogen. Da wandte man sich bei Schmerzen allenfalls an den lieben Gott oder den heiligen Aspirin von Bayer. Globuli waren mir daher lange unbekannt. Zunächst hielt ich das Wort für die Pluralform von Globus nach neuer Rechtschreibung. Für mich bleibt nach wie vor schwer vorstellbar, dass Lutschbonbons, die nicht einmal für frischen Atem sorgen, wirkungsvoller sein sollen als Mittel, die an Generationen von Ratten getestet wurden. Erlaubt ist jedoch das, was hilft. Und helfen tut das, an was man glaubt…

Schlafstörungen? Einfach ein paar Globuli und eine Flasche Schnaps. Schon schläft man tief und fest. Pickel? Angst vor Gewittern? Kein Zucker für den Kaffee? Kein Problem dank der weißen Kügelchen. Im Nu ist das Leben wieder süß. Auch bei Kindern sind Globuli einsetzbar. Mädchen können sich so frühzeitig daran gewöhnen, wie wichtig die richtige Pille zur richtigen Zeit ist. Wer davon überzeugt ist, dass Süßstoff sogar Krebs heilt, kann sich seinen Lebensabend gerne versüßen, darf sich am Ende aber nicht beschweren, wenn er sich schon in jungen Jahren die Radieschen von unten betrachtet…

Belladonna, Bellis Perennis, Hamamelis Virginiana, was klingt wie Namen von Pornodarstellerinnen sind Globulisorten. Rhus Toxicodendron hört sich für ein Allheilmittel einfach besser an als Giftefeu. Globuli mit Arnica sollen Linderung bei blauen Flecken verschaffen und sind damit genau richtig für die Hausapotheke, wenn das Töchterchen mal wieder vom betrunkenen Papi die Treppe herunter gefallen wurde. Globuli mit Gänseblümchen helfen bei Hämatomen, was Frauen bestätigen können, die zuerst von ihrem Freund verprügelt wurden und dann zur Versöhnung Blumen bekamen…

Früher hätte man Homöopathen als Hexen und Zauberer auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Der einzige Haufen, den man heute für sie auftürmt, ist aus Geld. Menschen investieren Vermögen in Globuli, Bachblüten und Schüssler-Salze in der Hoffnung, gesünder sterben zu können. Das homöopathische Wirkungsprinzip dabei: Ähnliches mit Ähnlichem heilen. Gegen Orangenhaut wären demnach Globuli auf Zitrusbasis richtig, gegen Übergewicht solche aus Fett. Gleiches mit Gleichem bekämpfen? Hilft gegen Bienenstich dann nur Bienenstich? Wenn ja, dann mit oder ohne Sahne…

Globuli sind so ein bisschen wie Gott. Beide helfen nur, wenn man an sie glaubt. Und der Glaube, dass Kugeln gegen Probleme helfen, ist spätestens seit dem Wilden Westen fest in uns verankert. Dennoch werfe ich lieber Medikamente mit möglichst langen Wirkstoffnamen ein als zu hoffen, dass Lutschbonbons nicht nur für Karies, sondern auch für Linderung sorgen. Wenn aus Rohrzucker bestehende Globuli wirklich gegen Kopfschmerzen helfen würden, dürfte ich nach fünf Caipirinhas eigentlich keinen dicken Schädel bekommen? Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Bittere Pillen… gruenetomaten@live-magazin.de.

Patrik Wolf

P.S. Warum sollten gerade Globuli mit Extrakten aus Gänseblümchen bei einem blauen Auge helfen? Wären solche mit Extrakten aus Veilchen dafür nicht besser geeignet?

Leben am Limit

Gesunder Menschenverstand hat schon oft weitergeholfen. Es gibt aber Gelegenheiten, bei denen einem auch Verstand nicht hilft: Bei der Einkommenssteuererklärung zum Beispiel oder bei Diskussionen mit dem eigenen Chef.

Als mich kürzlich wieder einmal die Langeweile packte und ich daher im Esszimmer mein Campingzelt aufbaute, stieß ich auf der Suche nach den Überbleibseln, die ich beim letzten Zusammenbau im Zelt vergessen hatte, dieses Mal nicht auf eine stark in die Jahre gekommene Banane, sondern auf einen Zettel des Zeltherstellers, der mehrsprachig anmahnte, bei der Zeltbenutzung doch die „Regeln des gesunden Menschenverstandes“ zu beachten…

Ich war offen gestanden verwundert: Bei einer Kettensäge oder einem Milchaufschäumer hätte ich eine solche Warnung verstanden. Schließlich sorgen diese Geräte durch falsche Handhabung immer wieder für schlimme Unfälle und Verstümmelungen. Aber bei einem Zelt? Welche Gefahr geht denn von einem handelsüblichen Zwei-Personen-Zelt aus? Außer dass man darin von Moskitos zerstochen wird und bei nächtlichen Toilettengängen über die Abspannschnüre stolpert…

Auch wenn sich Deutschland in der PISA-Studie mittlerweile verbessert hat, scheinen wir noch längst nicht so weit zu sein, dass man uns zutraut, ein Campingzelt benutzen zu können, ohne dabei größere Schäden davonzutragen oder einen Weltuntergang zu verursachen. Eigentlich sollte ein Igluzelt aus dem Discounter niemanden vor größere Probleme stellen: Auspacken, aufbauen, hineinlegen, Kreuzschmerzen, fertig…

Das erfordert weder einen Doktortitel noch ein Y-Chromosom und nicht einmal mehr viel Geschick, seit es Zelte gibt, die man zum Aufbauen einfach in die Luft wirft und die man nach ihrer Benutzung noch auf dem Campingplatz in den Müll wirft. Da man sie zum einen nicht wieder auseinander gebaut, geschweige denn in ihre Verpackung zurückbekommt. Und da man sie zum anderen wegen all der Moskitostiche und Kreuzschmerzen sowieso kein zweites Mal mehr freiwillig benutzen wird…

Wieso also der Hinweiszettel? Hat sich wirklich jemand zum Grillanfeuern im statt vorm Zelt hinreißen lassen und daraufhin sich samt Campingplatz in Schutt und Asche gelegt? Haben die Hinterbliebenen danach dem Zelthersteller die Schuld für dieses Barbecue gegeben, weil in der Bedienungsanleitung des Zelts nicht erwähnt wurde, dass man umgeben von Polyester kein offenes Feuer machen darf? Falls ja, wäre auch die Tupperparty-Tante Schuld, wenn nicht schmeckt, was man eingedost hat…

Mit dem Verstand ist es bei Menschen wie mit einem Vertrag fürs Fitnessstudio: Ihn zu haben, heißt nicht, ihn auch zu nutzen. Eigentlich sollten banale Dinge wie das Reißverschlussverfahren und das Blinken beim Autofahren oder das Pinkeln im Sitzen eine Spezies, die auf den Mond geflogen ist und das Yps-Heft erfunden hat, im Alltag vor keine allzu großen Herausforderungen stellen. Die Wirklichkeit belehrt uns tagtäglich jedoch eines Besseren…

Wie Emus im Laufe ihrer Entwicklung das Fliegen verlernt haben, haben wir Menschen die Fähigkeit verloren, instinktiv zu handeln. Seitdem uns das Internet mit vermeintlich genialen Lifehacks und Video-Tutorials überall und immer zur Seite steht, denken wir nur noch so weit, wie der Akku des Smartphones reicht. Da gerät man schon einmal in Panik, wenn die Wetter-App nicht funktioniert, da man vergessen hat, dass man auch mit einem Blick aus dem Fenster prüfen kann, ob es regnet…

Fragt man heutzutage einen Teenager, ob er seine Entscheidungen instinktiv trifft, wird er wohl vehement verneinen und entgegnen, dass er täglich duscht und Deo benutzt. Genügte früher selbst einem nur wenig begabten Kind ein kurzer Griff auf eine Herdplatte, um zu lernen, was heiß bedeutet, hat ein vermeintlich hochbegabter Sprössling heutzutage bereits die halbe Hand verbrutzelt, bis er realisiert, dass der Geruch von knusprigem Fleisch nicht von der Dönerbude um die Ecke kommt…

Solch ein Nachwuchs erscheint dann später als Erwachsener auch mit einer abgeschraubten Armlehne beim Arzt, wenn er eine Stuhlprobe abgeben soll. Anders als wir Menschen folgen Tiere keinen Handy-Apps, sondern rein ihren natürlichen Instinkten. Abgesehen von Kröten, die sich nach der Uhr richten und gemäß den Krötenwanderungsschildern an Landstraßen strikt nur zwischen 20 Uhr abends und 6 Uhr morgens die Fahrbahn überqueren…

In den USA hat der allgemeine Instinktverlust dazu geführt, dass alles – ob nun Zahnbürste, Glühbirne oder Panzerfaust – über eine Gebrauchsanweisung verfügt, die in einem kurzen Satz darauf hinweist, wofür das Produkt genutzt werden kann, und danach in einem 100-seitigen Anhang aufzählt, wofür nicht. Mit dazu gehört stets eine Liste an Körperöffnungen, in die der Artikel nicht eingeführt werden darf. Einziges was da noch fehlt, sind Gebrauchsanweisungen für Gebrauchsanweisungen…

Auch in Deutschland finden sich immer häufiger Beipackzettel, die Nutzer mit erhobenem Zeigefinger darauf hinweisen, dass kochendes Wasser heiß ist und sich eine Mikrowelle nicht zum Trocknen von Haustieren eignet. Im Neandertal lag einem Feuerstein noch keine buchdicke Gebrauchsanweisung bei wie heutzutage jedem Grillanzünder, die bebildert und in zehn Sprachen erklärt, wie man Feuer macht und wie besser nicht. Dennoch fackelte damals nicht gleich jede Höhle ab….

Ganz im Gegensatz zu heute, wo im Sommer andauernd irgendwo eine Gartensiedlung niederbrennt, weil jemand im Hinweis „In keinem Fall Spiritus zum Grillanzünden verwenden“ ein „in jedem Fall mit reichlich Spiritus“ gelesen hat. Für unsere Arterhaltung sind Warnungen überlebenswichtig, dass Mixer nicht für Fußmassagen und Föhne nicht für die Badewanne geeignet sind. Ohne Packungsbeilage würden Fieberzäpfchen wohl auch den meisten zwischen den Zähnen kleben…

Anders als in den USA ist es bei uns jedoch nicht möglich, die eigene Dummheit auf andere zu schieben und zum Beispiel einen Sägenhersteller auf zehn Trilliarden Dollar Schadensersatz zu verklagen, weil er nicht schriftlich darauf hingewiesen hat, dass man eine Kreissäge nicht zum Schneiden von Fingernägeln verwenden darf. Im Vergleich zu den Amerikanern sind wir Deutsche keineswegs schlauer, sondern einfach mit neun Fingern nur weniger reich…

Betrachtet man die wachsende Zahl an Bundesbürgern, die sich jedes Jahr beim Benutzen ihrer Zahnbürste Verletzungen von Mund, Augen oder After zufügen, ist es wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis auch bei uns auf Toilettenpapier stehen muss, dass dieses nur einseitig benutzt werden sollte und nicht für die Waschmaschine geeignet ist. Allein der Hinweis auf Kokosnüssen, dass die Schale vor dem Verzehr zu entfernen ist, sollte einen nachdenklich stimmen…

Weiß ein Großteil von uns wirklich nicht mehr, dass beim Essen eines Eis-am-Stils am Ende ein Stück Holz übrig bleiben muss? Vielleicht ist es da gar nicht so übel, dass sich heutzutage sogar auf der Bügeleisen-Verpackung der Hinweis befindet, dass Kleidung nicht geglättet werden darf, solange sie noch getragen wird, und auf Tiefkühlpizza-Schachteln der Hinweis steht, dass die Plastikfolie vor der Zubereitung entfernt werden muss…

Aber mal ehrlich: Wer nicht genug Menschenverstand hat, um so etwas von sich aus zu wissen, der hat auch nichts Besseres verdient als eine Gummipizza und verbrannte Nippel! Wenn ich es mir recht überlege, war der Hinweiszettel in meinem Zelt vielleicht doch gar nicht so überflüssig, sondern eher sogar zu klein. Vielleicht sollte man die Warnung zukünftig besser gleich quer auf die Zeltplane drucken. Leben am Limit… gruenetomaten@live-magazin.de.

Patrik Wolf

P.S. Steht für Allergiker in der Gebrauchsanweisung für Herrenunterhosen eigentlich schon: „Kann Spuren von Nüssen enthalten“?

Aschenputtel und der böse Wolf

Letztens hatte ich wieder einmal so ein Schlüsselerlebnis. Also keines mit verschlossener Haustür und klingeln beim Nachbarn, um den Ersatzschlüssel zu holen, sondern eines mit Kindern. Schon wieder so eine Kolumne über Kinder, werden jetzt manche denken. Dabei hat dieser Patrik Wolf doch gar keine. Was auch stimmt und vielleicht daran liegen könnte, dass die Natur meinen Genpool mit Hang zu nicht enden wollenden Kettensätzen als nicht geeignet ansieht, um in die Welt hinaus getragen zu werden, in der ein Tweet nur 280 Zeichen haben darf. Oder eben daran, dass sich Licht im Schlafzimmer über die Jahre als sehr wirksame Verhütungsmethode erwiesen hat…

Zwar will ich nicht ausschließen, dass da irgendwo zwischen Besch und Bottrop ein kleiner Wolf mit Hang zu Kettensätzen ist, allerdings weiß ich über dessen Existenz nichts, meint mein Anwalt. Schließlich rieb man zu der Zeit, als ich noch mit stolz geschwellter Brust und noch stolzer geschwellter Hose um die Häuser zog, um Mädels kennenzulernen, noch nicht jedem, dessen Zunge sich in den eigenen Mund verirrte, gleich ein Instagram-Profil unter die Nase und lud ihn damit dazu ein, seine Talente als Stalker zu beweisen. Wer sich damals wiedersehen wollte, gruschelte sich auf StudiVZ an und lauerte nicht nach der Disko hinter einem Gebüsch. Das waren noch andere Zeiten…

Viele Menschen stehen Freunden, die keinen Nachwuchs haben, kritisch gegenüber, wenn diese eine Meinung zur Kindererziehung haben und diese auch offen aussprechen. Es gilt als ungeschriebenes Gesetz, dass Ansichten Kinderloser zum Thema Erziehung ebenso unpassend sind, wie Ansichten Blinder zum Thema Wandfarbe. Während beim Thema Atomkraft auch all denjenigen eine Meinung zugestanden wird, die selbst kein Atomkraftwerk haben, ist das beim Thema Kinder anders. Hier gilt auch im 21. Jahrhundert noch der gesellschaftliche Konsens, dass alle zu schweigen haben, bei denen auf der Lohnsteuerkarte kein Kinderfreibetrag eingetragen ist…

Ich sehe das anders. Wenn der achtjährige Noah meiner Schwägerin am Mittagstisch lautstark damit droht, keinen Bissen mehr zu essen, wenn das elterliche iPad nicht unverzüglich herausgegeben wird, bin ich die Ansicht, dass der kleine Despot hungern kann, bis seine Spielkameraden in Gandhi nennen. Oder zumindest bis zum Abendbrot, bei dem ich ihm dann Spinat vorsetzen würde. Kein Zucker, nur Selbstgekochtes mit viel Pastinake und zwischendurch allenfalls ein paar Dinkelkekse oder Cranberries. Diese hehren Vorsätze junger Eltern sind bewundernswert wie weltfremd zugleich und halten meist nur so lange, wie Mami und Papi ohne gesunden Schlaf auskommen…

Ich will ja nicht sagen, dass meine Eltern mich in jungen Jahren mit Schokolade und Limonade alleine ließen, wenn ich dafür Ruhe gab und es ihnen nach einem stressigen Tag die Möglichkeit eröffnete, etwas Zeit zu haben, um auszuruhen, zu lesen oder einfach einmal ungestört zur Toilette zu gehen. Aber es war nun einmal so. Wenn ich damals zwischendurch hungrig war, gab es einen Keks aus der Prinzenrolle oder eine Milchschnitte, die mehr Kalorien hatten als Würfelzucker. In den 1980ern war in Milchschnitte sogar noch Alkohol enthalten, was mich bei meinem damaligen Konsum wohl beim Dreiradfahren den Führerschein gekostet hätte, wenn ich bereits einen gehabt hätte…

Natürlich geht es nicht ohne Kinder. Zumindest aus evolutionärer Sicht und wenn man davon ausgeht, dass die Spezies Homo sapiens weiter existieren möchte. (Was aktuell zunehmend schwieriger zu glauben ist). Aber es gibt nun einmal Orte, an denen es mit Kindern keinem Spaß macht; weder Eltern, noch den Kindern, noch anderen. Selbst Helikoptereltern, die für gewöhnlich ohne den kleinen Mats oder die kleine Charlotte im Schlepptau nicht einmal zum Briefkasten gehen, kämen nicht auf die Idee, Sohnemann oder Töchterchen mitzunehmen, wenn sie der alten Zeiten wegen nach Jahren ununterbrochenen Stillens das erste Mal wieder in einen Swinger-Club gehen…

Bei Wellness-Hotels ist das leider anders. Unlängst so geschehen, traf ich in einem selbigen auf ein Pärchen Anfang 30 mit ihrer etwa dreijährigen Tochter, die für jeden gut hörbar wenig Lust auf die Spitzengastronomie des Hotelrestaurants hatte, sondern vielmehr auf Nudeln mit Soße und ein Dinosaurierpuzzle. Was nicht nur das Personal als vielmehr die Eltern auf eine harte Probe stellte. Sichtlich überfordert und resigniert ob der Tatsache, dass „Mariechen“ nicht einmal Lust auf die mitgebrachten Cranberries hat, versuchten Papi und Mami die quengelnde Prinzessin von frischen Gnocchi mit Parmesan zu überzeugen, was für drei Dutzend Dinopuzzleteile auf dem Boden sorgte…

Wäre ich damals wie die Mariechens von heute gewesen, meine Eltern hätten mir als Nachspeise kein Eis versprochen, wenn ich aufhöre, lautstark Nudeln einzufordern, ich wäre ohne Essen ins Bett gebracht worden und hätte als Nachspeise allenfalls auf den Hintern bekommen. Gäste und Personal hätten es meinen Eltern gedankt und sie es sich selbst auch. Nur so hätten alle den Abend haben können, den sie sich vorgestellt hatten und den ich als Balg ihnen nicht ermöglicht hätte. Will sagen: Warum machen es sich Eltern mit kleinen Kindern so schwer, indem sie krampfhaft versuchen, Dinge, die nur als Paar Sinn machen, als junge Familie zu machen? Das kann doch nur schief gehen…

Zu dritt oder zu viert ist eben etwas anderes als zu zweit. Das ist nach der Geburt nicht anders als bei der Zeugung. Es wäre vermessen zu glauben, dass es nur ein paar überteuerte Beeren in Bio-Qualität und eine modische Wickeltasche braucht, um als Paar mit Kind so zu sein, wie man als Paar ohne Kind war. Mit der Geburt verändert sich mehr als nur Mamis Hüftumfang und Papis Lust auf Erwachsenenfilme. Es beginnt ein neuer Lebensabschnitt, in dem nichts mehr ist, wie es zuvor war. Das ist nicht weiter verwunderlich. Verwunderlich ist nur, dass vielen jungen Eltern das wohl jemand sagen (oder besser gesagt schreiben) muss, der selbst keine Kinder hat…

Vielleicht sieht man außerhalb der eingetrübten Eltern-Bubble voller Windeln und Milcheinschuss einfach klarer. Es entbehrt jeglichen Sinn, mit Kindern über Schlafenszeiten zu diskutieren wie mit Kollegen über Weltpolitik oder es ihnen zu überlassen, ob sie gewickelt werden sollen oder nicht. Das legen Eltern fest und basta! Außer der Nachwuchs ist volljährig und zahlt Miete. Kinder kosten Nerven und eine Menge Geld. Und beides geben sie nicht in dem Umfang zurück, in dem Eltern es in sie investieren. Selbst wenn sie irgendwann einen gutbezahlten Job bekommen. Bei „Höhle der Löwen“ würde man wegen fehlender Rendite vom Kinderkriegen als Geschäftsmodell vermutlich abraten…

Und nein, ich bin nicht neidisch. Man braucht keine Kinder, um alt und dicklich zu werden. Es gibt für Kinderlose andere Ausreden, warum sie es nicht zum Sport schaffen. Um ehrlich zu sein: Das Leben ohne Kinder hat viele Vorteile. Es bleiben einem z.B. Elternabende erspart. Auch Kindergeburtstage machen deutlich mehr Spaß, wenn man der betrunkene Onkel ist, der nach Hause gefahren wird, und nicht der nüchterne Papi, der alle samt dem betrunkenen Onkel nach Hause fahren muss. Außerdem kann einem der Klimawandel egal sein. Man hat ja niemanden, dem man eine lebenswerte Welt hinterlassen muss. Und einen ruhigeren Schlaf mit mehr Platz im Bett hat man ohne Kinder auch…

Außer man hat Katzen. Mehrere Muschis im Bett haben nachts schon immer wach gehalten. Aschenputtel und der böse Wolf… gruenetomaten@live-magazin.de.

Patrik Wolf

P.S. Nur Pateneltern ohne eigene Kinder schmuggeln Schnapspralinen in die Schultüte.

Mumienschieben

Es ist schon einige Zeit her, dass ein unachtsamer Neandertaler versehentlich in die Lagerfeuerglut trat und damit das Tanzen erfand. Seit damals gehört rhythmisches Körperbewegen auch außerhalb des Betts zu den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen. Jede Generation hat ihren Favoriten, wenn es darum geht, Hüften in Schwung zu bringen. Bei Mutti und Vati war es amerikanischer Rock’n’roll, bei Großtante und Großonkel Wiener Walzer und bei Oma und Opa polnischer Einmarsch. Jede Zeit hatte ihre Einfälle. Heutzutage heißt es zurück zu den Ursprüngen. Weg von festen Schrittfolgen, hin zum individuellen Tanzstil, der stark an das Gezappel und Gegröle damals auf der Glut erinnert…

Jedes Wochenende strömen Tanzwütige wie Ameisenvölker von cooler Musik und warmen Getränken angelockt in die Clubs, um den Stress der letzten Woche und das Gehalt des letzten Monats hinter sich zu lassen. Auf der Tanzfläche oder über der Toilette gilt es aus dem eigenen Körper rauszuholen, was sich an Energie oder Wodka-Energy angestaut hat. Zwischen frühreifen 15 und überreifen 55 ist unter den Besuchern alles zu finden. Wie Fliegen an einer Klebefalle winden sich alle auf der Tanzfläche, um dem anderen Geschlecht das Herz zu brechen oder zumindest die Füße. Der Mensch ist von seinen körperlichen Fähigkeiten her nicht fürs Fliegen gemacht. Fürs Tanzen aber auch nicht…

Aus dem Disco-Fever wird bei vielen ein regelrechter Fieberwahn. Sehen und gesehen werden, lautet die Devise im Club. Und das genau ist das Problem. Die Körperbewegungen, die die Blicke auf sich ziehen wie ein Hundehaufen die Fliegen, reichen von parkinsonähnlichem Zucken über Schüttelfrost bis zum epileptischen Anfall. Als Onkel Ede damals vergeblich versuchte, die Wespen von der Hauswand zu entfernen, bewegte er sich kaum anders. Das Kinn von John Travolta oder den Hintern von Jennifer Lopez zu haben, reicht eben nicht aus, um ein Tanzgott zu sein. Auch ich habe gleich viele Füße wie Lionel Messi oder Cristiano Ronaldo und bin dennoch nicht so fußballbegabt…

Wer irgendwann einmal eine Tanzschule in der Hoffnung besucht hat, das dort Gelernte in einer Disko nutzen zu können, wird ebenso enttäuscht wie derjenige, der dem Mathelehrer in der Schule glaubte, dass man ohne Differenzialgleichungen nicht durchs Leben kommt. Pottwale wissen um ihre fehlende Tanzbegabung und bleiben Diskotheken daher meist fern. Anders ist das bei ähnlich übergewichtigen Metzgereifachverkäuferinnen nach der Firmenweihnachtsfeier und dem fünften Glas Prosecco. Auch wenn deren Foxtrott eher Elefantengetrampel ähnelt und die Eleganz beim Walzer der einer Walze gleicht. So lange niemand ernsthaften Schaden dabei nimmt, sei es jedem vergönnt…

Wer sich als Ü40er wie ich letztens nach Ewigkeiten und ein paar Bier zu viel in einen Club verirrt und überzeugt ist, an die eigenen dortigen Glanzzeiten anknüpfen zu können, der wird schlagartig nüchtern und vor die Frage gestellt: Ist man am Eingang irgendwo falsch abgebogen und auf einem Schulfest gelandet? Und wer ist dieser DJ Guetta, der scheinbar DJ Bobo aus der Playlist verdrängt hat? So müssen sich meine Eltern damals gefühlt haben, als sie an meinem achten Geburtstag auf meine durch Malzbier und Brausepulver aufgeputschten Freunde und mich getroffen sind. Nur dass es hier echtes Bier ist und das weiße Pulver nicht nach Waldmeister schmeckt…

Ich habe mich früher gefragt, wann der Punkt kommt, ab dem man sich erwachsen fühlt. In diesem Moment wusste ich zumindest, wann der Punkt gekommen ist, ab dem man sich alt fühlt. Als einer der nicht nur gefühlt Ältesten fällt es einem in einem Club sogar schwer, mit Alkohol Spaß zu haben. Sich Mädels schön saufen, damit hat man zwar gute Erfahrungen gemacht. Aber Mädels älter saufen? Wie soll das gehen? Wie bei Weinen in Discountern kommt man zwar auch bei Frauen in Diskotheken an junge Abfüllungen günstiger ran, als an ältere Jahrgänge mit Geschmack, für die man schon was investieren muss. Aber die Zeiten, in denen man nur Billiges aufgerissen hat, sind eigentlich vorbei…

Egal ob Wein oder Frau, manche sind süß, kleben dann jedoch zu viel an einem. Andere sind zu kühl, verbittert oder riechen muffig und sind daher ungenießbar. Wiederum andere hinterlassen unschöne rote Flecken auf der Esszimmertischdecke oder einen Pelz auf der Zunge. Menschen wie ich, die ihre Zwanziger schon im letzten Jahrtausend begonnen haben, finden sich heutzutage in Clubs irgendwie nicht mehr wohl. Wir sind es noch gewohnt, in einer Disko wegen des Zigarettenqualms nicht atmen zu können und nicht wegen des Schweiß- oder Parfumgeruchs. Dazu kommt das Problem, dass ein Großteil der Besucher die eigenen Kinder sein könnten und es ein Teil wohl auch wirklich ist…

Als die Welt noch analog war, war man nach einer heißen Diskonacht der festen Überzeugung, beim Knutschen einen guten Fang gemacht zu haben und bereute es, nicht nach der Nummer gefragt zu haben. Der Schlag traf einen damals erst dann, wenn man mit dem Aufriss von einem Diskofotografen eingefangen wurde und feststellen musste, dass zwischen Erinnerung und Foto zwei Promille und zwanzig Kilo liegen. In heutiger Zeit ist man Dank sozialer Netzwerke schneller auf einem Selfie verlinkt, das von Eltern und Freunden kommentiert wird, als man die Facebook- oder Instagram-Freundschaft wieder löschen und bereuen kann, nach der Nummer gefragt zu haben…

Vor allem Männer Ü40 sollten Clubs allenfalls noch in homöopathischen Dosen konsumieren. Für die Tanzfläche ist ihr Blutalkoholgehalt sowieso entweder zu gering oder zu hoch. Außerdem hat man in diesem Alter eh irgendwas an der Bandscheibe und sollte das mit dem Tanzen sein lassen. War man in jungen Jahren der Hahn im Korb, ist man jetzt das Chamäleon an der Wand und hängt in irgendeiner Ecke rum. Wer auf Partnersuche ist, sucht in diesem Alter sowieso lieber Singles und Akademiker mit Niveau im Internet, um nicht Gefahr zu laufen, jemanden im Club anzusprechen, mit dessen Mutter man altersmäßig schon im Bett gewesen sein könnte oder wahrscheinlich sogar war…

Ü30er- oder Ü40er-Partys können dieses Risiko zwar meist verringern, allerdings machen diese Feten so viel Spaß, wie statt beim Neuwagenhändler auf dem Schrottplatz nach einem Auto zu suchen. Warum Männer über Vierzig überhaupt noch in Diskos gehen? Warum denn nicht! In den Vierzigern geht es doch erst so richtig los. Das war mit Deutschland im letzten Jahrhundert auch so. Bis Samstag im Club. Mumienschieben… gruenetomaten@live-magazin.de.

Patrik Wolf

P.S. Muss man eigentlich eine Karriere als Kirmesboxer oder Zuhälter hinter sich haben, um in einer Disko Türsteher zu werden? Oder reicht dafür ein Hochschulabschluss aus?

Alles auf Grün

Jeder weiß, dass man keine LKWs besitzen muss, um Laster zu haben. Seit jeher sind wir Menschen anfällig für Süchte: Schokolade, Zigaretten, Frauen, Händewaschen nach der Toilette… Fast jeder hat etwas, das er braucht, um der leidigen Blick in den Spiegel oder den ledigen Blick auf Steuerklasse 1 ertragen zu können. Um warm ums Herz zu haben, schwören manche auf Koks – die einen auf das schwarze, die anderen auf das weiße. Jedoch genügt auch das auf Dauer nicht, um glücklich zu sein. Jenseits der Vierzig stellen viele fest, dass das wahre Leben doch wenig mit dem zu tun hat, von dem man einst einmal hoffte, dass es sich erfüllt, bevor man irgendwann alt und über Dreißig ist…

Die Realität zeigt leider, dass nur die Wenigsten von uns Prinzessin oder Astronaut geworden sind. Um davon abzulenken, dass wir im Alltag gefangen sind und um unserem Leben einen vermeintlichen Sinn zu geben, flüchten wir uns in Ersatzhandlungen und Süchte. Der eine sucht sein Glück im Gewicht, ob auf der Hantelbank oder auf den Hüften. Der andere hofft auf Erfüllung in der virtuellen Realität, in der er dank Online-Rollenspiel Zaubermeister oder dank Bildbearbeitung zwanzig Kilo leichter sein kann. Wieder andere beginnen aus Verzweiflung, TikToks zu drehen oder eine Familie zu gründen. Goodbye Strandbar unter Palmen, willkommen Echtholzgartenmöbel unter Obstbaum…

Das Problem süchtiger Menschen war lange Zeit ihre Vereinsamung. Das Verbot der eigenen Drogen- oder Alkoholabhängigkeit öffentlich nachgehen zu dürfen, indem man sich mal eben beim Bäcker einen Schuss setzt oder im Büro eine Flasche Wodka leert, drängte Abhängige an den Rand der Gesellschaft. Dort ist es mittlerweile ziemlich eng geworden, seitdem immer weniger Menschen ihr Glück in Arbeit, Sport oder Bio-Obst suchen, sondern in der Sucht. Rauchern als Beispiel wurde längst das Recht genommen, in geschlossenen Räumen ihr Leben aktiv zu verkürzen und damit zum Funktionieren des Rentensystems beizutragen, ohne sich gleich vor den Zug werfen zu müssen…

Um neben Rauchern, Alkoholikern und Bild-Lesern nicht noch weitere Süchtige zu ächten, wurde ein wichtiger Schritt getan und eine große, aufstrebende Gruppe Abhängiger in die Gesellschaft integriert. Während manche im Bett nicht schlafen können, ohne zuvor im Halbdunkeln Chips ins Bett gekrümelt zu haben, verkrümeln sich Spielsüchtige im Halbdunkeln aus dem Bett, um mit Chips anderweitig ihr Glück zu finden: in Spielcasinos. War einst die Dunkelziffer derjenigen hoch, die von der Außenwelt abgeschottet über dubiose Online-Poker-Portale in den Ruin getrieben wurden, ist dank liberalisierter Glücksspielgesetze längst die Zeit angebrochen, die für Spielsüchtige ist wie vier Asse auf der Hand…

Seitdem es möglich ist, in jeder Baustellentoilette offiziell eine Spielhalle zu eröffnen, ist es gelungen, zuvor in einem Teufelskreis aus Einsamkeit und Pizzaservice gefangene Abhängige zusammen zu führen. Nicht länger müssen Spielsüchtige wortlos und apathisch vorm heimischen Computer sitzen, sondern können dies mit Gleichgesinnten in Spielotheken. Gerade Bankangestellte nehmen die Chance dankend an, ihr Talent, Geld zu vernichten, auch in der Freizeit nutzen zu können. Anders als Raucher, die wegen ihrer Sucht bei Minusgraden vor die Kneipen getrieben wurden, stehen Spielsüchtigen warme Zufluchtsorte zur Verfügung; zumindest so lange, bis die Kasse leer ist…

Gemäß der Devise „Asse für Assis“ wurde ein Pendant zu den versnobten Spielbanken geschaffen, in denen nur Zutritt hat, wer eine Krawatte und einen Job besitzt. Statt biederem Roulette und teurem Schaumwein aus Frankreich warten in den Industriegebiets-Casinos coole Automatenspiele und günstiger Landwein aus dem Tetra-Pak. Dank solcher Spielhallen ist es endlich möglich, auch in Trainingsanzug und Badelatschen seinem Glück zu begegnen; ganz ohne Privatparkplatz und Sternerestaurant im gleichen Haus, nur mit Bushaltestelle und Currywurstbude um die Ecke. Damit wurde ein großer Schritt getan, einarmige und zweiarmige Banditen zusammen zu bringen…

Es dürfte jeden Spielsüchtigen freudig in seine überschuldete Zukunft blicken lassen, wenn ihm beim Besuch eines dieser neonbeleuchteten Casinos bewusst wird, dass er nicht der Einzige ist, der schon am Monatsersten den ganzen Lohn in Spielautomaten investiert. Ein Banksparbuch bringt längst auch nicht mehr Rendite als ein Flipper-Automat. Und der blinkt, anders als ein ödes rotes Sparbuch, zumindest noch bunt und macht lustige Geräusche. Auch wenn man sich im Leben außerhalb der Automatenwelt alle Chancen verspielt hat, verbleibt innerhalb immer noch die Chance, dass nach dem nächsten Euroschein der große Jackpot wartet oder zumindest ein weiteres Freispiel…

Viele Städte haben mit den Automatencasinos und Sportwettenbüros das große Los gezogen. Endlich sind es nicht mehr nur türkische Schnellimbisse, die in leere Ladengeschäfte einziehen. Leider sind Spielhallen an Schulen und Spielplätzen verboten, was illegales Kniffeln in dunklen Schulhofecken begünstigt und immer mehr Fünftklässler ins zwielichtige Mau-Mau-Milieu abrutschen lässt. Dem könnte man mit Casino-Freistunden für Schüler bei guten Noten begegnen. Mit Blick auf die aktuelle Wirtschaftslage ist es schließlich ratsam, schnellstmöglich die nächste Zocker-Generation heran zu ziehen, die in die Fußstapfen der windigen Börsenspekulanten und Finanzmakler von heute tritt…

Auch wenn Suchtexperten das anders sehen: Glücksspiele gehören zum Leben. Das weiß jeder, der in einer Beziehung ist. Spielautomaten sind nicht anders als Frauen, vor denen uns Männer auch niemand schützt. Wie viele Frauen versuchen auch Casinos mit frisch verputzten Fassaden vom maroden Inneren abzulenken. Beide locken erst dann mit Erfolgsaussichten, wenn man sie mit Geld füttert. Und nur in wenigen Fällen halten sie schlussendlich, was sie versprechen und erfüllen die Wünsche desjenigen, der an ihren Knöpfen spielt. Bis zur großen Enttäuschung bleibt jedoch stets die Hoffnung, dass irgendwann doch eine große Ausschüttung im Schoß landet. Meist ist jedoch Game-Over, bevor die Glocken läuten. Alles auf Grün… gruenetomaten@live-magazin.de.

Patrik Wolf

P.S. Das beliebteste Glücksspiel der Deutschen ist Falschparken.