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Aprilwetter

Alle Jahre wieder kommt nicht nur das Christuskind, sondern auch der April und mit ihm die Zeit, in der das Wetter unberechenbarer ist als die Lottozahlen von nächster Woche und heimtückischer als frische Luft nach ein paar Tequila-Shots. Beschränkt der Mensch seine üblen Späße für gewöhnlich auf den ersten Tag im April, präsentiert das Wetter seine Aprilscherze oft den gesamten Monat. Da ist es schon einmal möglich, dass man bei zwanzig Grad und Sonne mit dem Auto in die Waschstraße fährt und diese nur wenige Minuten später bei zwei Grad und Schneeregen wieder verlässt…

Die erste Cabriofahrt des Jahres kann einem schon ziemlich vermiest werden, wenn man im April blauäugig dem Wetterbericht vertraut und von Sonne ausgeht, dann jedoch mit offenem Verdeck auf der Autobahn eines Besseren belehrt wird und bis zur nächsten Haltemöglichkeit bereits knöchelhoch Wasser im Fußraum hat. Wer kennt nicht den Moment zu Frühlingsbeginn, wenn man überzeugt ist, dass wegen des schönen Sonnenscheins eine Weste völlig ausreicht, beim Öffnen der Haustüre dann jedoch einem kalten Wind entgegen tritt, bei dem sogar Eisbären zur Daunenjacke greifen würden…

Auch wenn es kein Wetterfrosch oder Fernsehmeteorologe zugibt, übersteigt die Genauigkeit der Wettervorhersagen im April kaum die Trefferquote einer Jahrmarktwahrsagerin. Eher findet man die richtigen Worte für einen Heiratsantrag in einer Buchstabensuppe als die richtigen Wetteraussichten in einem Wetterbericht. Irgendwie passt die Vorhersage nicht zum Wetter oder – wie der Meteorologe sagt – das Wetter nicht zur Vorhersage. Aprilwetter ist wie ein Teenager mit Frühlingsgefühlen: Es macht, was es will, nur nicht das, was es soll und ist ebenso launisch wie nahe am Wasser gebaut…

Früher machte Petrus das Wetter, später dann Jörg Kachelmann. Heute erledigen das Smartphone-Apps, die für ein und denselben Ort zur gleichen Zeit die unterschiedlichsten Wetterprognosen bereithalten, die alle nur darin übereinstimmen, dass keine von ihnen richtig ist. Früher hielten sich Wettervorhersagen im April mit klaren Aussagen bewusst zurück und kündigten immer nur „heiter bis wolkig, zeitweise Regen“ an. Keiner traute sich damals mehr Verbindlichkeit zu. Das ist mittlerweile anders. Zu den gefühlten Wahrheiten von heute gehört längst auch der Wetterbericht von morgen…

Heute liefern Wetter-Apps schon Monate im Voraus für jede Hausnummer in der Straße vermeintlich zielsichere Temperaturprognosen auf die zweite Nachkommastelle genau. Mit personalisierbaren Wettersymbolen in eigener Lieblingsfarbe. Vorausgesetzt natürlich, man hat das kostenpflichtige Premium-Abo zum Jahrespreis eines Kurzurlaubs im Schwarzwald. Wer dagegen bloß die kostenlose App-Version nutzt, bei denen man vor lauter Werbung für Outdoorjacken und Thermomix-Superdeals kein Wetter mehr findet, kann die Tagestemperatur genauso gut auf dem Taschenrechner ablesen…

Allen Premium-Apps und Wetterdiensten zum Trotz ist zu Frühjahrsbeginn niemand wirklich in der Lage, verlässlich vorherzusagen, wie das Wetter wird. Omas alter Bauernregelkalender liefert da oft genauere Angaben als der neuste Satellitenfilm. Die Auswirkungen des Aprilwetters auf Temperatur und Niederschlag scheinen unberechenbarer als die Auswirkungen scharfer Bohnensuppe auf Magen und Darm. Von leichtem Wind bis hin zu einem Donnerwetter ist alles möglich. Selbst Siri und Alexa wissen morgens noch nicht, ob man mittags nun besser Flipflops oder Gummistiefel bestellen sollte…

Meist wird von Wetterexperten in Funk und Fernsehen die Schuld für falsche Vorhersagen im Nachhinein auf irgendein Tief geschoben, das irgendwo nicht mehr hoch kam und sich lange nicht entscheiden konnte, ob es nun über Island schlummern oder sich bei uns austoben will. Dass das Hoch, nach dem es endlich gekommen war, schneller wieder verschwand als man gehofft hatte, hätte man beim Namen „Kevin“ eigentlich erwarten können. Die Namenspatenschaft für ein Hoch kostet übrigens satte 390 Euro. Dafür sollte man eigentlich gutes Wetter erwarten können…

Man braucht sich aber eigentlich nicht zu wundern, dass das Wetter nie zur angekündigten Zeit am angekündigten Ort ist. Bei all dem Gewirr aus Linien, Zahlen und Farben, das sich auf Wetterkarten findet, ist es nicht anders als bei den gefalteten Autostraßenkarten von früher. Die halfen auch nie, ans richtige Ziel zu kommen und ließen mehr als einen Familienurlaub ins Wasser fallen, wenn Vati erst nach Stunden auffiel, dass Mutti die Karte die ganze Zeit falsch herum gehalten hatte und man deshalb den Italienurlaub an der Nordsee verbringen durfte…

Wetterkarten sehen nicht nur aus wie Malbilder aus dem Kindergarten, sie haben auch die gleiche Qualität, was Aussagen zum Wetter angeht. In Wetterberichten der 1980er war stets der Golf von Biskaya Ursprung allen Übels. Als Kind lernte man damals, dass schlechte Menschen aus Russland, schlechte Angewohnheiten aus dem Fernsehen und schlechtes Wetter aus dem Golf kommt, von dem keiner wusste, wo er liegt. Irgendwann hat es sich die Biskaya dann mit dem Deutschen Wetterdienst verscherzt und wurde durch das Tief über Island ersetzt, das heute an allem Schuld ist…

Alternativ liest und hört man heutzutage ab und an auch vom Funtensee, dem deutschen Kältepol im Berchtesgadener Land. Ankündigungen von Fronten und Stürmen aus Berchtesgaden sind uns Deutschen ja gut bekannt. Dort wusste man schließlich schon vor neunzig Jahren am besten, ob man Bombenwetter oder Blitz kriegt. Damals schon waren die Vorhersagen nur wenig zutreffend. Hätte man seiner Zeit eher erkannt, dass die angekündigten Hochs eigentlich Tiefs waren, hätte man sich für den Ausflug nach Stalingrad statt Sonnencreme noch ein Paar Socken mehr einpacken können…

Wer Wetterberichte im Fernsehen verfolgt, dem stellen sich unweigerlich die immer gleichen Fragen: (1.) Nach welchem Prinzip werden eigentlich die Städte ausgewählt, die auf den Wetterkarten abgebildet sind? (2.) Sind die Ratiopharm-Zwillinge und der Grippostad-Pinguin, die stets vor dem Wetterbericht Werbung machen, überhaupt daran interessiert, dass es gutes Wetter gibt? Und (3.) Woher kommen all diese bildhübschen Wetterfeen, die keine Schwierigkeiten hätten, bei Heidi Klum einen Modelvertrag zu bekommen, es aber vorziehen, über Kaltluft im Hunsrück zu berichten…?

Geht man von der üblichen Meteorologie-Studentin aus, die selbst nackt aussieht, als würde sie einen Norwegerpulli tragen, vollbringt Fernsehschminke entweder wahre Wunder oder aber die vermeintlichen Modelmiezen, die tief dekolletiert etwas über das Wetter am Jadebusen oder im Pinnistal erzählen, haben keine Ahnung von dem, was sie vom Monitor ablesen und halten einen Zyklon für eine einäugige Sagengestalt, Graupel für den Körnerkram in Omas Suppe und Reif für ein in die Jahre gekommenen Sportmoderator…

Egal wie das Wetter auch wird, wichtig ist nur, dass es besser wird als aktuell, wo einem zu viel graue Wolken und braune Suppe die Laune vermiesen und die Lust nehmen, unter Leute zu gehen. Ob Wetter und Stimmung nach dem tristen Januar und Februar nun bald besser werden? Keine Ahnung! Warten wir erst einmal den Merz ab. Aprilwetter… gruenetomaten@live-magazin.de.

Patrik Wolf

P. S. Schlechtes Wetter hin oder her. Manchmal werden sogar im April grüne Tomaten reif.

Nullkommanichts

Wer 2 und 2 zusammenzählen kann, der weiß, dass unser Leben ohne Zahlen 0 Bedeutung hätte. Das merkt man un2felhaft an 1000 Dingen: Im Job soll man stets 8 geben und versuchen 1. aber nicht 3st zu sein. Dazu kriecht man vor seinem Chef am besten auf allen 4ren und vermeidet es, einen 3er mit der 9 Kollegin auf dem Rücksitz ihres 4t zu haben. Vor allem im Winter, wenn man sich dabei an den Füßen 15 abfriert und die 10e im Mund klappern. Das wäre nicht 1mal für einen 4beiner wie einen 100räglich. Zwar ist 1x beim 6 k1x, aber wenn 1 klar ist, dann, dass einem nicht mehr zu h11en ist, wenn es am Ende eine Ab3bung braucht. Das ist in 2brücken wie in M1 am Rhein…

Wenn es um Kontoguthaben, Urlaubstage und die Größe von Penissen geht, können Zahlen für viele nicht groß genug sein, während sie bei Gewicht, Überstunden und der Größe von Spinnen möglichst klein bleiben sollten. Bei Schuhen, Unterhosen oder Verwandtschaftsbesuchen dagegen gehen die Meinungen bei Männern und Frauen auseinander, wie groß ihre Zahl sein sollte. Ohne Zahlen wäre das erste Mal wie jedes Mal und im Bett keine flotte Nummer möglich. Man könnte nirgendwo auf Nummer sicher gehen oder erwarten, dass sich die eigenen Mühen irgendwann einmal auszahlen…

Ob nun der Matheunterricht des Sohns oder der Bordellbesuch des Papis, alles hat mit Zahlen zu tun. Wenn auch mit dem Unterschied, dass nach einer Stunde Arbeit, wenn das Ergebnis 6 war, einer von beiden traurig und der andere glücklich nach Hause kommt. Vor allem wenn das Ziel befriedigend war. Irgendwann haben in unserem Alltag Zahlen den Vorrang gegenüber Buchstaben erhalten. Außer bei Tütensuppen vielleicht. Aber was soll es einem nun sagen, wenn die Körperwaage Ziffern wie 1 0 0 anzeigt? Wäre es da nicht hilfreicher, auf dem Display würden Buchstaben wie F E T T erscheinen…?

Beim Obsteinkauf hat es sich z.B. als nützlich erwiesen, Mengen mit Stück- oder Grammzahlen statt mit einer ungenauen Angabe wie „eine Hand voll“ zu bemessen. Eine solche führt nämlich zu relevanten Unterschieden, je nachdem ob man kleine Äpfel oder dicke Melonen mag. Nicht anders ist das auch bei Singlebörsen im Internet, wo „eine Hand voll“ manchmal Unmengen, manchmal aber auch fast nichts bedeutet. Was schlussendlich, wie bei einem Überraschungsei, dazu führt, dass man über den Inhalt ziemlich enttäuscht ist, wenn die Hochglanzverpackung erst einmal weg ist…  

Zahl ist aber nicht gleich Zahl. Manche Zahlen sind böse wie die 666, andere unanständig wie die 69 oder knapp wie die 5 vor 12. Es gibt welche, die stehen für Pech wie die 13, für Glück wie die 7 aus 49 oder für Dummheit wie die 88. Manche Zahlen spielen Fußball wie die 11, riechen gut wie die 4711 oder kennen sogar den Sinn des Lebens wie die 42. Wiederum andere gehören zu feinem Sand wie die 7 oder zu Füßen wie die 10. Nicht zuletzt gibt es auch solche, die nichts Besonderes sind wie die 0815, während wiederum andere sogar die Lizenz zum Töten haben wie die 007…

Es gab Zeiten, da kamen wir mit weniger Zahlen aus als heute. Mit zwei um genau zu sein. Noah genügten zwei Tiere jeder Art, um seine Arche zu füllen, und uns Deutschen zwei Weltkriege, um den halben Kontinent zu verwüsten. Auch die Evolution entschied sich, dass zwei Geschlechter ausreichen, von denen beim Menschen eines Kinder gebären und das andere Auto fahren kann. Informatiker kommen bis heute nur mit 1 und 0 aus und haben mit 6 nichts am Hut. Zwei Möglichkeiten sollten also eigentlich ausreichen, um die Wahl, jedoch nicht die Qual zu haben…

Das sehen viele Menschen heutzutage jedoch anders. Sie möchten bei allem und jedem eine möglichst große Auswahl haben, um dauernd wechseln zu können. Das ist beim Stromtarif nicht anders als beim Partner. Ob Kleidung, Autos oder Brühwürfel, selbst Toilettensteine gilt es mittlerweile zu individualisieren. Wahrscheinlich würde auch Noah heute von jedem Tier drei oder vier Exemplare mit auf die Arche nehmen, um nach Lust und Laune wechseln zu können. Vielleicht gäbe es Zebras dann auch in einem schönen Blau-Grün oder zumindest mit Karomuster…

Früher war man beim Fernsehen mit Schwarz und Weiß und beim Kochen mit Salz und Pfeffer zufrieden. Heute will jeder Millionen Farben auf dem Schirm und ebenso viele Gewürze auf dem Teller. Lampen waren einst an oder aus und brauchten nicht stufenlos dimmbar zu sein. Wein wählte man nach rot oder weiß und manchmal sogar nach Geschmack aus und nicht nach einer von Hunderten Rebsorten. Und wenn damals bei Oma jemand wissen wollte, woher der Kaffee stammt, wollte er nicht Brasilien, Kolumbien, Mexiko oder sonst was hören, sondern Tchibo oder Eduscho…

Heutzutage geht nichts mehr ohne mannigfaltige Variation. Mineralwasser gibt es längst nicht mehr nur mit oder ohne Kohlensäure, sondern in unzähligen Sprudelstärken. Was früher Rosa war, ist heute Malve, Flieder, Fuchsie oder Inkarnat. Selbst Parken ist nicht mehr einfach nur erlaubt oder verboten. Es gilt, sich uhrzeit- und tagesabhängig zwischen eingeschränktem und absolutem Halteverbot, Kurz- und Dauerparken, Frauen-, Mit-Kind-, Lieferanten- und Anwohnerstellplätzen zu entscheiden. Selbst Ampeln sind nicht mehr eindeutig rot oder grün, seitdem es den grünen Pfeil für Rechtsabbieger gibt…

Früher gab es auch nur zwei Arten von Kopfschmerzen; beide nach einer Partynacht: Eine wegen zu viel Bier in der Kneipe, die andere wegen dem Nudelholz zuhause. Heute muss man sich zwischen zwei Dutzend Kopfschmerztypen entscheiden, gegen die es ebenso viele Tablettentypen gibt. Von der Sortenzahl an Milch und Milchersatzprodukten ganz abgesehen. Einkaufen ist schwieriger geworden als Scrabble ohne Vokale. Warum aber bloß so viel von allem? Man hat mit zweimal doch bereits einmal Ersatz. Das ist mit Schlüpfern wie mit Lungenflügeln. Im Zweifelsfall genügt einer…

War in meiner Kindheit Kleidung schmutzig, nahm meine Mutter mehr oder weniger von dem immer gleichen weißen Universalpulver und wusch so lange, bis das blaue Hemd entweder sauber oder weiß war und meinem kleinen Bruder passte. Heutzutage kann man zwischen unzähligen Flüssig-, Gel- und Pulverwaschmitteln, Weich- und Hygienespülern wählen, die Kleidung, Haut und Waschmaschine gleichzeitig pflegen, und hat ebenso viele Waschprogramme zu Verfügung. Als wenn es Socken interessieren würde, in welche Richtung sich die Trommel dreht…

Klar macht Weichspüler Sinn, um Handtücher nicht mit Schmirgelpapier zu verwechseln, aber muss man denn wirklich vor die ewige Wahl zwischen April-, Sommer-, Herbst- und Winterfrische gestellt werden? Und Zahncreme braucht nun wirklich nicht unbedingt farblich zu den Badezimmerfliesen zu passen, oder? Das einzige, worauf ich farblich achte, ist Gemüse. Das mag ich am liebsten grün. – Nullkommanichts… gruenetomaten@live-magazin.de.

Patrik Wolf

P.S.  Früher gab es auch beim Sex nur zwei Arten: Er oben oder sie unten.

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Geschäftsgeheimnisse

Auf unserem Planeten leben rund 5.500 Arten von Säugetieren, von denen die meisten mittlerweile recht gut erforscht sind. Von Walen haben wir z.B. gelernt, dass auch regelmäßiges Schwimmen nicht vor Fettleibigkeit schützt, und von Nagetieren, dass es nicht nur an der Supermarktkasse Schlangen zu meiden gilt. Die Wissenschaft konnte im Laufe der Zeit  klären, warum manche Arten einen Beutel am Bauch tragen, auch wenn sie nie Turnen oder Einkaufen gehen. Eine Säugetierart jedoch birgt noch immer große Rätsel. Es ist die Art, die seit Menschengedenken studiert wird: die Frau…

Auf den ersten Blick unterscheiden sich Mann und Frau nur durch einen kleinen Zipfel, der bei ihm an einem Chromosom und bei ihr in der Hose fehlt. Auch wenn beide Geschlechter bis zur Pubertät und später dann wieder ab dem zehnten Ehejahr der Ansicht sind, das jeweils andere sei uninteressant, finden die meisten Exemplare des Homo sapiens zumindest zeitweise Gefallen am jeweils anderen Geschlecht. Abgesehen von denjenigen, die es mit dem Homo sapiens wörtlich nehmen und denen, die sich im Informatikstudium lieber mit Nullen und Einsen beschäftigen statt mit Dreiern und Sex…

Einige zehntausend Jahre Evolution haben bis dato nicht dafür ausgereicht, dass sich zwischen Mann und Frau eine funktionierende Kommunikation entwickeln konnte. Die größten Probleme der Atomphysik sind für uns Männer meist eher verständlich als die eigene Frau oder Freundin. Dies hat zur Folge, dass es oft Jahre vergeblicher Mühen bedarf, bis Partner merken, dass sie zwar gut ineinander, jedoch nicht gut zueinander passen. Selbst wenn Mann und Frau dieselbe Sprache sprechen, haben die gleichen Worte für beide nicht unbedingt auch die gleiche Bedeutung…

Während Männer sagen, was sie denken, denken viele Frauen gerade eben nicht das, was sie sagen. Ist ein Mann „gleich fertig“, dauert es allenfalls noch Minuten. Ist dagegen eine Frau „gleich fertig“, kann in der verbleibenden Zeit oft noch die gesamte Wohnung tapeziert werden. „Ja“ und „Nein“ sind bei Männern eindeutige Antworten, die meinen, was sie gemäß Duden bedeuten. Bei Frauen existiert dagegen zwischen „Ja“ und „Nein“ noch ein gutes Dutzend an Abstufungen von „Vielleicht“. Ganz abgesehen davon, dass „Ja“ nicht selten auch „Nein“ und „Nein“ auch einmal „Ja“ bedeuten kann…

Es mag durch die menschliche Entwicklung zu begründen sein, dass Genauigkeit bei Männern und bei Frauen unterschiedliche Bedeutung hat. In der Steinzeit musste sich ein Mann bei der Jagd auf ein einziges Tier konzentrieren, da Bär oder Mammut kaum Lust verspürten, zu warten bis sie nach dem zigsten Versuch mit Pfeil oder Speer endlich getroffen wurden. Frauen dagegen konnten hier und da Früchte ernten, ohne besonders konzentriert oder exakt, geschweige denn dabei still sein zu müssen, da ihre Beeren weder das Weite suchen noch zum Gegenangriff übergehen konnten…

Es mag etwas mit ebendieser Genauigkeit von damals zu tun haben, dass Männer heutzutage für ihr einziges Paar Füße meist auch nur ein einziges Paar Schuhe nutzen, während Frauen Schuhe sammeln wie einst Beeren. Was die Frage aufwirft, ob Frauen vielleicht doch nicht wie Männer vom Affen, sondern vom Tausendfüßler abstammen. Wir Männer schaffen es zudem, mit den vier Farben Rot, Gelb, Grün und Blau auszukommen, während Frauen allein 42 Nuancen von Lila unterscheiden, einem Farbton, der bei Männern nicht einmal eine eigene Farbe ist, sondern nur eine schwules Blau…

Alles das macht zwischengeschlechtliche Kommunikation oft schwierig. Aus heutiger Sicht hat der Entschluss unserer Vorfahren, Grunzlaute durch Sprache zu ersetzen und zu beginnen, Gedichte und DIN-Normen zu schreiben, das Zusammenleben der Geschlechter nicht unbedingt vereinfacht. In Beziehungen kehren Mann und Frau daher auch heute noch gerne zu prähistorischen Gewohnheiten zurück, als sich Unterhaltungen noch auf Schreien, Schweigen und das Herumwerfen von Gegenständen beschränkte und es noch keine Diskussionen über fliederfarbene Sofakissen gab…

Um Kommunikation zu vereinfachen, wohl aber auch, um in Momenten, in denen man keine Lust auf Diskussionen mit dem anderen Geschlecht hat, auflegen zu können, erfand Alexander Graham Bell seiner Zeit das Telefon. Den Gesprächspartner nicht zu sehen, ist bei Krankmeldungen aus dem Freibad von Vorteil, macht jedoch für einen Mann das Verstehen einer Frau noch schwieriger. Bis vor Kurzem habe ich mir nie Gedanken darüber gemacht, was eine Frau, die ich anrufe, gerade tut. Dann erfuhr ich von einer Freundin, dass sie Telefonate mit mir des Öfteren von der Toilette aus führt…

Dass manche Frauen mich scheiße finden, war mir bewusst. Auch, dass es Frauen gibt, die meine Stimme beruhigend finden. Dass Telefonate mit mir sich jedoch entspannend auf den Schließmuskel auswirken, war mir neu. Die Toilette war für mich stets das stille Örtchen und neben der Kirche der letzte Ort, an dem Telefonieren tabu ist. Frauen scheinen das jedoch anders zu sehen. Ich kann durchaus über das reden, was mit innerlich bewegt. Das schließt jedoch den Magen-Darm-Trakt aus. Selbst frisch verliebt kommt keine Stimmung auf, wenn Schmetterlinge statt im Bauch im Darm sind…

Die Verdauung ist wie ein Pickel am Hintern. Etwas, mit dem jeder ab und an zu kämpfen hat, was aber nicht unbedingt Gesprächsthema sein muss. Der frühe Mensch mag sich vielleicht noch über Verdauungslaute verständigt haben. Vielleicht waren Pupse auch Vorläufer des Morsens. Es gibt dennoch keinen triftigen Grund für eine Frau von heute, einen Mann wissen zu lassen, dass sie gerade auf der Toilette sitzt, wenn beide telefonieren. So erhält es eine ganz andere Bedeutung, wenn sie am Hörer sagt, dass sie stinkig sei und gerade auf eine Paketzustellung aus Darmstadt wartet…

Woher sollen wir Männer wissen, dass Frauen, wenn wir ihnen im Telefonat vom neuen Stuhl im Büro erzählen, vielleicht gerade mit ihrem Stuhl im Bad beschäftigt sind? Früher dachte ich, dass „Bin gerade im Bad“ bedeutet, dass sie in der Wanne liegt oder tröpfelnd mit rutschendem Handtuch vor der Dusche steht. Nun ist mir klar, dass „im Bad“ einfach auch nur die höfliche Version von „auf dem Klo“ sein kann und sie unter Umständen gerade auf Toilette war, als das Handy klingelte, und nun tröpfelnd mit rutschender Hose vor dem Klo steht. „Alles klar bei dir? – „Ja, läuft!“…

Seit jenem Tag hoffe ich, dass Plätschern während des Telefonierens vom Befüllen eines Glases in der Küche und nicht vom Befüllen einer Schüssel im Bad kommt. Auch bete ich, dass mir niemand am anderen Ende der Leitung sagt, dass er gerade in einer Sitzung sei, man aber dennoch telefonieren könne. Vielleicht ist das aber alles auch nur ein Missverständnis. Frauen machen ja eigentlich nie mehr als Pipi. Und sollten sie doch einmal pupsen, riecht es nach Blumenwiese und Einhörnern…

Übrigens: Wer diese Kolumne gerade auf dem Klo liest, darf es mich gerne wissen lassen. Aber bitte nicht Skypen. Geschäftsgeheimnisse… gruenetomaten@live-magazin.de.

Patrik Wolf

P.S. Wer auf der Toilette telefoniert, sollte Abschiedsfloskeln wie „Fühl’ dich gedrückt“ vermeiden.

Willkommen im morgen von gestern

Wer kennt das Gefühl nicht, das einen stets montags beim Aufwachen ereilt, wenn man nicht glauben mag, dass das Wochenende schon wieder vorbei ist. Gerade war man noch erleichtert, dass die Woche vorüber ist, da beginnt bereits die nächste. Noch schlimmer ist dieses Gefühl jedes Jahr Anfang Januar. Kaum dass man sich von einem stressigen Jahresanfang über eine noch stressigere Jahresmitte hin zu einem erstrecht stressigen Jahresende vorgekämpft hatte, zählt irgendwo jemand lauthals rückwärts, lässt Sektkorken knallen und wünscht einem ein frohes neues Jahr…

Gefühlt vergeht die Zeit zwischen Neujahr und Silvester immer schneller. Dabei war das letzte Jahr weder kürzer als alle anderen zuvor, noch kam das Jahresende für jemanden, der einen Kalender hat, völlig unvorhersehbar. Dennoch kommt es einem gerade so vor, also hätte jemand an der Uhr gedreht. Eben noch lag das alte Jahr endlich hinter einem, da steht das neue schon wieder vor einem. Man hat irgendwie das Gefühl, als würde es sich gar nicht mehr lohnen, den Raclette-Grill, den man immer nur an Silvester rauskramt, wegzuräumen, da man ihn ja eh bald wieder braucht…

War Aufschieben ins neue Jahr unlängst noch die Lösung, um unliebsamen Terminen aus dem Weg zu gehen, sieht man sich plötzlich mit einem Zettel am Kühlschrank konfrontiert, der an den eben noch weit in der Zukunft geglaubten Zahnarztbesuch nächsten Dienstag erinnert. Irgendwie war die Zukunft früher auch mal weiter weg. Gestern noch ein voller Kalender mit viel, was erledigt war, heute bereits wieder ein leerer Kalender mit noch mehr, was zu erledigen ist. Gehasste Pflichttermine sind dabei wie Bumerangs: Man kann zwar versuchen, ihnen aus dem Weg zu gehen. Jedoch besteht dann die Gefahr, dass sie – wenn man sie aus den Augen verloren hat – unverhofft auf einen zukommen…

Es ist ein alljährliches Déjà-vu, bei dem sich nichts zu ändern scheint, außer dass man von Jahr zu Jahr schwerer auf der Waage und leichter auf der Bank wird. Wie in einer abwärts gerichteten Endlosschleife geht es mit dem eigenen Leben gefühlt bergab. Alles kommt einem so bekannt vor. Steuererklärung, Arzttermine, Verwandtschaftsbesuche… All das, von dem man gerade froh war, es von der To-do-Liste gestrichen zu haben, steht nun wieder auf ihr. Alles kommt einem so bekannt vor. Es ist ein alljährliches Déjà-vu, bei dem sich nichts zu ändern scheint. Wie ein alljährliches Déjà-vu, bei dem einem alles so bekannt vorkommt. Und jährlich grüßt das Murmeltier…

Die Zukunft scheint in der Gegenwart angekommen, auch wenn man sich die Zukunft als Kind so nicht vorgestellt hatte. Das Leben ist wie ein ewiges Mensch-Ärger-Dich-Nicht-Spiel. Eben noch ein Ziel vor Augen, muss man sich plötzlich geschlagen geben und zurück zum Start, wo nichts anderes übrig bleibt, als von vorn zu beginnen. Vorausgesetzt man landet nicht im Gefängnis. Wie hätte sich Gott gefühlt, wenn er nach Vollendung der Welt am siebten Tag erfahren hätte, dass er montags schon gleich wieder ran muss? Nach Silvester von heute auf morgen ein Jahr näher am Tod und weiter von der Zeit entfernt, als man sich nüchtern noch so jung fühlte, wie heute nur noch mit zwei Promille…

Bis zuletzt hatte man versucht, mit Weihnachtsmütze und Glühwein in besinnliche Stimmung zu kommen. Jedoch war der Grund für die Wärme ums Herz keine Emotion, sondern Sodbrennen. Nun hat das neue Jahr begonnen. Wieder zwölf Monate, die mit Alltäglichem gefüllt werden wollen. Wieder 365 Tage, in denen die Haare auf dem Kopf weniger und auf dem Rücken mehr werden und in denen sich die eigene Freundin zunehmend in ihre Mutter verwandelt. Wieder 52 Wochen mit Spam-Mails und Fake-News, in denen man sich vornimmt, die Treppe statt den Aufzug zu nehmen. Weitere vier Quartale, in denen man sich an einem verkaterten Morgen vornimmt nie wieder Alkohol zu trinken…

Wo nur Tage zuvor Kinderchöre mit ihrem Gesang den Kauf von Ohrenschützern ankurbelten, ist nun Stille. Die Punks in der Fußgängerzone tragen statt roter Filzweihnachtsmützen wieder ihr rotes Filzhaar. Die Weihnachtsdekoration in den Geschäften ist den ersten Karnevalskostümen gewichen. Und ist Karneval erst erreicht, ist auch Ostern nicht mehr weit. Kaum dass dann alle Eier gefunden sind, ist das Jahr auch schon wieder halb vorüber. Nach dem Sommerloch wartet Halloween und dann auch schon gleich wieder Weihnachten. Irgendwie ist 2025 schon fast wieder vorbei. Die Zeit rast. Da sollte man den Weihnachtsbaum gar nicht erst abbauen. Lebkuchen gibt es ja auch das ganze Jahr…

Warum erwartet man gerade in der Weihnachtszeit Ruhe und Entspannung, wo doch der Dezember im Job und beim Einkauf eher aus Anspannung statt aus Entspannung besteht? Ist es in der kalten Jahreszeit die Wärme des sich über die Jacke ergießenden Glühweins oder die körperliche Nähe spitzer Ellbogen im Weihnachtsmarktgedränge? Sind es die rot leuchtenden Gesichter heulender Kinder, die um Spielekonsolen betteln und dabei nicht ahnen, wie nahe sie einem plötzlichen Kindstod sind? Vielleicht sorgen aber auch die Weihnachtsmänner für Besinnlichkeit, die vor Kaufhäusern auf Angebote für Miederwaren hinweisen und Kinder auf ihrem Schoß an ihren Sack fassen lassen…

Vielleicht ist es auch der Duft von billigem Rotwein, der an Opa erinnert. Weihnachten ist ja bekanntlich das Fest der Familie, an dem man Verwandte gern wissen lässt, was sie einem bedeuten. Der Familienstreit ist damit quasi vorprogrammiert. Traditionell herrscht an den Feiertagen vielerorts eine Stimmung, wie sie für eine Beerdigung kaum passender wäre. Der Heiligabend vermittelt daher oft den Eindruck, statt Christus wäre der Antichrist allgegenwärtig. Und das nicht nur wegen der schiefen Christbaumspitze. Kein Fest wandelt so filigran zwischen Harmonie und Massaker wie Weihnachten, wo bittersüßer Duft an gebrannte Mandeln wie auch an Zyankali erinnert…

Das Weihnachtsfest weckt daher das Bedürfnis nach einem Abschluss mit gefüllter Gans und ein paar an die Lieben gerichteten Worten, ebenso wie nach einem Abschuss mit gefüllter Schrotflinte und ein paar auf die Lieben gerichteten Salven. In beiden Fällen genießt man das mit roten Kugeln geschmückte Zimmer. Warum also sehnen wir uns so nach dem Jahresende, wenn nur Stress, Streit und die Gewissheit warten, dass nach dem Jahreswechsel alles von vorne beginnt? Das Persil mit der roten Schleife allein kann es ja auch nicht sein. Warum das nächste Mal nicht einmal Weihnachten ausfallen lassen, an Silvester früh ins Bett gehen und den Kalender nicht umblättern…?

Oder sollen wir an 2024 einfach noch einen Monat dranhängen? Dann würde es heute noch nicht heißen: Willkommen im morgen von gestern… gruenetomaten@live-magazin.de.

Patrik Wolf

P.S. Lametta ist übrigens nicht die italienische Bezeichnung für roh verzehrbares Hackfleisch.

Gingle Bells

Wer beim Aufräumen in irgendwelchen alten Kisten seiner Eltern oder Großeltern unverhofft auf Fotos stößt, die anno dazumal im letzten Jahrtausend auf vermeintlich legendären Geburtstagen oder Familienfeten geschossen wurden, die man selbst nur noch vom Hörensagen kennt, der ist meist ziemlich verwundert über den damaligen Frisuren- und Kleidergeschmack. Aber auch darüber, wie fit Oma im Vergleich zu heute aussah, als sie noch lebte…

Ebenso seltsam wie die einst als modisch erachteten Tapeten- und Hemdenmuster, mutet heute auch das an, was Oma Ella ihren Gästen damals zu trinken anbot: Ob Persico, Edelkirschlikör, Schinkenhäger oder essigsaurer Riesling, den Uropa noch zu Kriegszeiten günstig en gros bezog, was freiwillig ausgeschenkt und auch freiwillig getrunken wurde, war in Sachen Farbe, Geschmack und Magenfreundlichkeit nicht weit weg von dem, was heute nur noch Toilettenreiniger zu bieten hat…

Lange waren wir Männer im 21. Jahrhundert auf der Suche nach einem Trendgetränk, das zu unserem Lebensstil ebenso gut passt wie Eierlikör damals zu Tante Walburga und Doppelkorn zu Onkel Ede. Es galt etwas zu finden, das im Trend liegt, farblich zu den Holzfällerhemden jedes Hipsters passt und den gestylten Männerbart nicht verklebt. Es sollte ein Getränk sein, das individueller ist als Craft-Bier, umweltfreundlicher als Biowein und exklusiver als Aperol Spritz…

Zudem sollte es natürlicher sein als Himalayawasser und auch mehr Geschmack haben als das, vor allem aber eine bessere Ökobilanz aufweisen. Das neue Trendgetränk musste mehr Alkohol haben als Mate-Tee, aber weniger als Absinth, damit man nicht bereits nach dem ersten Glas vom E-Scooter fällt oder sich auf sein Fair-Trade-Baumwollhemd übergibt. Darüber hinaus sollte es veganer sein als Milch und zu gesundem Obst und Gemüse passen. Das machte die Sache letztlich nicht ganz einfach…

Irgendwann scheint dann jedoch ein Hipster in seinem Jutebeutel statt seines Mundwassers irrtümlich den Nagellackentferner seiner Freundin gegriffen, davon getrunken und danach versucht zu haben, den stechenden Geschmack im Mund durch einen Schluck Bitterlimonade und den Biss in eine Zitrone zu mildern. Was ihm nicht nur gelang, sondern ihn auch auf den Geschmack und zur Erkenntnis brachte, dass selbst das übelste Alkoholgemisch mit etwas Tonic und Zitrone trinkbar wird…

So erlangte das Getränk, das in grauer Vorzeit von Briten nicht wegen seines Wohlschmeckens, sondern zum Schutz vor der Malaria-Krankheit erfunden wurde, von einigen Jahren zu einer wiederaufflammenden Bekanntheit und dem Höhenflug, der bis heute anhält. Es ist das Getränk, ohne das kein seriös wirkend wollender Jungunternehmer und kein jung wirkend wollender seriöser Unternehmer von heute mehr auskommen mag: Gin Tonic…

Gin fristete zuvor außerhalb Englands ein eher unbeachtetes Dasein bei Menschen unter Siebzig. Er war für jede Cocktailbar das, was ein Bösewicht für einen James-Bond-Film ist: Etwas, das niemand mag, das als Zutat für eine gute Mischung jedoch gebraucht wird. Gin war das Böse im Yin und Yang des Alkohols: Während Wodka, Rum und Co. stets lecker waren und blieben, wurde alleinig Gin die Schuld gegeben, wenn man nach dem zehnten Cocktail die Nacht über der Kloschüssel verbrachte…

Wie die pummelige Rothaarige aus der Parallelklasse während der Pubertät, war auch Gin lange Zeit das, an das man erst ran ging, wenn alles andere schon weg war. Da einem bewusst war, dass es einem am nächsten Morgen sicher bitter aufstoßen würde. Gin mochte niemand und rangierte seiner Zeit in Sachen unbeliebter Getränke noch vor Franzbranntwein und Desinfektionsmittel. Das ist inzwischen ganz anders. Gin ist Trendspirituose Nr. 1…

Beim Blick in die Supermarktregale gewinnt man den Eindruck, dass derzeit alles, was zu schlecht ist, um als Brennspiritus verwendet zu werden und zu gut, um davon zu erblinden, in einer Designflaschen mit buntem Etikett hochpreisig als Gin verkauft wird. Die Zahl verschiedener Ginsorten hat die Zahl verschiedener Nudelsorten längst übertroffen. Auch wenn sich mancher Gin vom anderen geschmacklich kaum mehr unterscheidet als Rigatoni von Penne…

Wer als Mann heutzutage angesagt sein will, braucht nicht nur eine schwarze Fensterglasbrille, einen Barbershop seines Vertrauens und ein Lastenrad mit E-Antrieb, sondern zuhause auch mindestens zwei Dutzend verschiedene Gins. War in jungen Jahren noch im Trend, wer Biere aus aller Welt oder Telefonnummern von Discobekanntschaften sammelte, ist heute eine große Auswahl an Gins für einen Deutschen ebenso wichtig wie eine große Auswahl an Schusswaffen für einen Amerikaner…

Als Mann von heute möchte man weder jeden Morgen neben derselben Frau aufwachen, noch jeden Abend neben dem gleichen Gin einschlafen. Dabei ist nicht etwa der Geschmack ausschlaggebend für einen Erfolgsgin, sondern das Image. In Kleinmengen und regional produziert muss er sein und dem Käufer den Eindruck vermitteln, alle Zutaten seien in einer Manufaktur von frisch gecremten Händen einzeln gepflückt, selektiert und nur mit ihrem Einverständnis schonend gebrannt worden…

Es gilt eine Beziehung zu dem Gin aufzubauen, den man trinkt. Schließlich investiert man schon einmal 50 Euro in eine Flasche und damit mehr als in seine Beziehung. Früher waren es Walpatenschaften, heute sorgt man dafür, dass Ginproduzenten überleben. Wenn das Eis der Pole schon schmilzt, dann zumindest in einem guten Gin mit einem Schnitz Zitrone. Dann geht die Welt zumindest mit Stil unter…

Doch Gin ist nicht gleich Gin. Längst sind nicht mehr nur Wacholder und Kopfschmerzen die essenziellen Bestandteile. Wichtiger sind mittlerweile produktindividuelle Zutaten, die im Gen-Z-Deutsch „Botanicals“ heißen. Es erinnert an den Druiden Miraculix, der wahllos irgendwelche Kräuter und Beeren in einen Topf wirft und hofft, dass etwas herauskommt, was unglaubliche Kräfte erweckt oder besser noch unglaubliche Einnahmen beschert…

War Basilikum an einem Glas einst bloß ein unliebsames Überbleibsel nach dem Spülen, ist es längst ein extravagantes Botanical für den G’n‘T. Was gut schmeckt ist das eine, was sich gut anhört das andere. Und so darf es auch gerne ein Gin mit japanischer Tee-Hortensie, grönländischem Porst oder Maniok-Bisameibisch sein. Weil sich das eben gut auf dem Flaschenetikett liest, auch wenn es nicht anders schmeckt als Rheumasalbe riecht…

Die Menge an Ginsorten wächst schneller als Unkraut im Garten. Das erfordert einprägsame Namen. Waren früher Friseure wie Haarbracadabra und Hairoin führend, wenn es um kreative Namen ging, haben Ginhersteller diesen längst den Rang abgelaufen. Neben altdeutschen Namen wie Ferdinand, Siegfried und Adolf werden gerne auch Tiere wie Affen und Elefanten als Namenspaten herangezogen. Bleibt zu hoffen, dass diese keine Botanicals für den besonderen Geschmack beisteuern…

Namen wie Gingis Khan, GinChilla und Frank Ginatra heben sich eben von der Masse ab. Auch wenn unklar bleibt, ob mongolische Massenmörder, plüschige Nagetiere und ein toter Swingsänger wirklich für guten Gin stehen. Beim Probieren des ein oder anderen Gins mit kreativem Namen und ebenso kreativem Preis muss allerdings die Frage erlaubt sein, ob nicht etwas weniger Zeit für den Namen und dafür etwas mehr Zeit für die Rezeptur besser gewesen wäre…

Was für Gin gilt, gilt übrigens ebenso für seinen kongenialen Partner Tonic. Vorbei sind die Zeiten, in denen Tonicwater einfach Tonicwater hieß und auch so schmeckte. Früher gab es nur zwei Sorten der Bitterlimonade: eine in Dosen und eine in Flaschen; beide mit gelbem Etikett. Heute existiert zu jedem individuellen Gin ein individuelles Tonicwater mit fancy Namen und dazu eine spezielle Obst-, Gemüse- oder Unkrautsorte, die nur gemeinsam und im designten Glas das Aroma richtig entfaltet…

Je aufwändiger die Verpackung, umso enttäuschender ist jedoch oft der Abgang. Das haben manche Gins mit manchen Frauen gemeinsam. Mir persönlich schmeckt Gin übrigens am besten, wenn man ihn kurz vor dem Servieren gegen ein Bier eintauscht. Gingle Bells… gruenetomaten@live-magazin.de.

Patrik Wolf

P. S. Wenn es zu jedem Gin die passende Sorte an Tonic gibt, gibt es dann zu jedem Gin auch die passende Sorte an Kopfschmerztabletten?

Fleisch ist mein Gemüse

Menschen und Pflanzen haben bei näherer Betrachtung mehr gemeinsam als man zunächst denken mag. Von beiden gibt es groß wie klein gewachsene Ableger, ebenso wie weiche und harte Typen. Manche sind hübsch anzusehen und blühen bei guter Behandlung auf, andere kommen einfach nicht in die Pötte. Einige sind tief verwurzelt und bleiben am Boden, während wiederum andere hoch hinaus wollen. Es existieren von beiden glatte, stachelige und auch solche Exemplare, die beschnitten sind. Von den einen wie den anderen gibt es außerdem giftige, reizende und sogar solche, die einen zu Tränen rühren. Und auf gewisse reagiert man bisweilen allergisch oder gar mit einem Ausschlag…

Ob menschlich oder pflanzlich, manche sind nützlich und in der Küche zu gebrauchen, andere sehen zwar gut aus, stehen jedoch bloß rum und lassen sich vollgießen. Der Umstand, aus der gleichen Familie zu stammen, heißt bei beiden nicht, dass man sich auch miteinander verträgt. Bei Menschen wie bei Pflanzen gibt es zudem solche, die man sich aussuchen kann, und solche, die bei Partys mitgebracht werden. Manche davon duften und machen sich im Schlafzimmer ganz gut, während andere so unangenehm riechen, dass man sie am liebsten vor die Tür setzen würde. Kurz gesagt: Bei den einen geht es darum, sich fortzupflanzen, bei den anderen darum, sie fort zu pflanzen…

Ob nun Mensch oder Pflanze, hier wie da gibt es fade und scharfe Arten in den verschiedensten Farben und Formen. Manche sind nur in ihrer Heimat zu finden, andere tauchen überall auf und verbreiten ihren Samen wo immer nur möglich. Im Laufe ihres Lebens entwickeln sich Vertreter der einen wie der anderen Gruppe von jungen, zarten Sprösslingen in voller Blüte hin zu alten, schrumpeligen Gewächsen, die zunehmend kahler werden und den Saft im Stängel verlieren. Nicht zuletzt gibt es unter Menschen wie unter Pflanzen Exemplare, die mit Läusen oder Pilzen zu kämpfen haben; ebenso wie solche, die berechtigterweise als Feige bezeichnet werden…

Der größte Unterschiede zwischen Mensch und Pflanze neben der Tatsache, dass ein entblätterter Ficus im Gegensatz zu einer entblätterten Vicky nicht in Tränen ausbricht, wenn er feucht vor die Tür gesetzt wird, dürfte sein, dass Wasser und Sonnenlicht uns Menschen nicht ausreichen, um unseren Energiebedarf zu decken. Auch wenn man im letzten Urlaub beweisen konnte, dass es möglich ist, drei Wochen in der Sonne zu brutzeln und sich nur flüssig zu ernähren, ist etwas Festes zwischen den Zähnen ab und an erforderlich. Vorausgesetzt das Feste ist nicht – wie in besagtem Urlaub – die Faust des Freundes des Mädels, in dessen Bikini man nach dem achten Cocktail Eiswürfel geworfen hatte, die man danach gut zum Kühlen des eigenen Gesichts hätte gebrauchen können…

Wichtig für uns Menschen ist eine ausgewogene Ernährung mit leckerem Superfood und Fasten statt superleckerem Fastfood. Vitamine ins Glas lautet die Devise. Das A und O dabei sind C und E statt „G and T“. Gesundes Essen trägt bekanntlich zu einem besonders langen, wenn vielleicht auch nicht unbedingt besonders schmackhaften Leben bei. Bei Obst und Gemüse gilt dabei wie auch bei uns Menschen: Frisch und knackig ist nur, was nicht schon ewig auf dem Markt ist, nicht bereits von unzähligen angefasst wurde und sich nicht sofort entblättert. Ob einem nun eher Äpfel, Birnen oder Melonen liegen, ist hier wie da Geschmackssache, solange man auf Plastiktüten verzichtet…

Wie im Bett so ist auch auf dem Esstisch Abwechslung das beste Rezept. Warum immer Nudeln mit Tomatensoße, wenn es auch mal Spaghetti Napoli sein kann. Wem das zu eintönig ist, der macht zwischendurch einfach einmal Teigwaren. Wichtig ist, dass man nicht bloß kocht, wenn der Partner nachts sturzbetrunken nach Hause kommt, sondern auch mittags, wenn es ums Essen geht. Diverse alte Gemüsesorten, die den jüngeren Generationen nur aus einschlägigen Internetvideos bekannt sind, sind auch zur oralen Befriedigung bei Hunger geeignet. Der Geschmack vieler Rübenarten ist nämlich nicht zwangsweise beschissen. Nicht nur, dass sie in viel stecken, in ihnen steckt auch viel…

Beim Cocktail die Obstdekoration mitzuessen und die Zitronenscheibe im Gin-Tonic auszulutschen, ist der richtige Anfang für eine gesündere Ernährung. Wer mehr Ballaststoffe zu sich nehmen mag, ist mit Weizenbier und Nüssen besser beraten als mit Wasser und Salat. Wessen Kochkünste nur bis zum Bestellschein des Lieferservices reichen, der sollte zumindest statt Pizza Salami ab und an einmal eine Hawaii bestellen, wenn das die tägliche Ration an Obst relevant erhöht. Es ist so leicht, gesund zu leben: Apfel, Korn und Birne am Morgen, Apfelkorn in der Birne am Abend…

Während Castrop-Rauxel den meisten Menschen außerhalb des Ruhrgebiets ziemlich egal ist, ist das mit Essen anders. Auch wenn der Hund der liebste Freund des Menschen sein mag, ist Essen dessen liebste Beschäftigung. Wobei wohl nur in China beide Lieblinge einfach kombiniert werden können. Für uns Männer ist Essen keine bloße Nahrungsaufnahme, sondern Erotik. Und das ganz unabhängig von dem Vorfall mit der Karotte in der Pubertät, bei dem man damals von seiner Mutter überrascht wurde, was dazu führte, dass ab diesem Tag nie wieder Wurzelgemüse auf den Tisch kam…

Bereits unmittelbar nach unserer Geburt werden wir Männer beim Anblick der mütterlichen Brust mit dem konfrontiert, was unser Leben bestimmen wird: die Vorliebe für Essen und für Brüste. Es ist daher nicht verwunderlich, dass wir unsere Freizeit nicht bloß mit Toilettengängen, Schlafen und Suchen verschwundener Socken zubringen, sondern vor allem mit Futtern. Wir machen die Nahrungsaufnahme zu unserer Passion, für die wir beim All-you-can-eat gerne den Hosenknopf aufs Spiel setzen. Essen ist Leidenschaft, auch wenn danach der Blick auf die Waage Leiden schafft…

Bei Frauen hat Essen meist einen anderen Stellenwert. Wegen des Gendefekts, der Frauen auch dazu zwingt, nur gemeinsam auf Toilette zu gehen, widmen sie dem Essen kaum mehr Zeit als ihrem Partner, wenn ein Schuhladen Schlussverkauf hat. Oft ist eine Mahlzeit schneller hinunter geschlungen, als sie über der Kloschüssel wieder hochgewürgt werden kann. Frauen bevorzugen mittags eher Tomate-Mozzarella, was zwar kaum weniger Kalorien hat als eine Dose Ravioli, dank Basilikum und Olivenöl aber gefühlt gesünder ist. Wir Männer sind da ehrlicher und stehen dazu, uns mit einer doppelten Currywurst ins Fresskoma zu befördern, das erst kurz vor Feierabend endet…

In einer Beziehung ist es daher recht einfach: Frauen essen grundsätzlich das Gesunde im Kühlschrank, Männer alles Übrige. Während Sie die Kalorien zählt, sammelt Er sie. Bringt Frauen bereits ein kleines Fettpölsterchen zur Verzweiflung, gilt bei uns Männern: Eins mehr oder weniger macht die Polstergarnitur auch nicht mehr fett. – Übrigens: Bananen, Melonen, Kiwis und ein Spritzer Saft – Obstsalat und neuseeländische Erwachsenenfilme haben irgendwie das gleiche Erfolgsrezept. Fleisch ist mein Gemüse… gruenetomaten@live-magazin.de.

Patrik Wolf

P.S. Rucola ist kein Kräuterbonbon.

Eifelsafari

Es ist immer dasselbe. Nichts hätte man dringender gebraucht als einen erholsamen Urlaub mit etwas Abstand vom Alltag und von der überfälligen Steuererklärung. Doch der Blick aufs Konto ließ wieder einmal schnell klar werden, dass es auch diesmal statt für kühlen Wein, Meeresfrüchte und neue Bekanntschaften mit Traummaßen am Strand wieder nur für lauwarmes Bier, Fischstäbchen und alte Bekanntschaften mit Alptraummassen im Freibad reichen wird. Dabei hatte man sich den Urlaub dieses Jahr endlich anders erhofft: Cocktails aus Kokosnusshälften, Bungalow am Meer mit einem Bad unter freiem Himmel und Blick aufs Wasser. Am Ende hieß es dann aber doch wieder nur Sangria aus Bechern, Zelt am Moselufer mit Toilette im Gebüsch und Blick auf eine Kläranlage…

Statt einer flotten, jungen Spanierin, die einem morgens Sekt ans Bett bringt, auch dieses Jahr wieder nur ein flohiger, alter Afghane, der einem ans Zelt pinkelt. Das ist nicht gerade etwas, was bei anderen für Neid sorgt. Offen gestanden ist Neid aber genau das, was uns von unseren Urlauben berichten lässt. Wir wollen beneidet werden. Wer hat nicht schon einmal nach einem Urlaubsziel gesucht und dann die Destination gewählt, bei der der Neidfaktor am größten ist, weil es dort die besten Fotospots für Instagram & Co. gibt? Hawaii kommt eben besser an als Hunsrück. Was also tun, um nach zwei Wochen Abwesenheit im Büro nicht wieder gestehen zu müssen, dass man die freien Tage statt wie die Made im Speck im Paradies wieder einmal wie eine Ratte im Dreck zuhause zugebracht hat…

Das geht sehr wohl und sogar ohne zu lügen. Geschickt ausgewählte Urlaubsdetails sind hier die Lösung, die durch Verzicht auf die eine oder andere Randinformation alles in ein besseres Licht rücken und so für den Neid sorgen, den Urlaubsberichte nun einmal erwecken sollen. Da sich die Bewunderung anderer in Grenzen hält, wenn man berichtet, dass das Essen im Urlaubshotel kaum zu definieren war und einen mit Brechdurchfall auf der Toilette hielt, sollte man lieber von „extravaganten Mahlzeiten“ schwärmen, deren Aroma einem noch Tage später auf der Zunge lag und die einen den ganzen Urlaub über fesselten. Eine romantische Nacht mit Wein am Strand reicht als Information übrigens völlig aus. Keiner muss wissen, dass man sturzbetrunken am Meer eingeschlafen war…

Auch sollte man stets von langen Spaziergängen reden, wenn man den Bus verpasst hatte und daher kilometerweit laufen musste. Und sollte die Urlaubskasse für einen Mietwagen nicht gereicht haben, gilt es, vom tollen Wanderurlaub zu erzählen. Eine mit Kakerlaken verseuchte Absteige wirkt übrigens deutlich netter, wenn man sie als „traditionelle Finca“ beschreibt. Und Baustellenlärm am Morgen klingt als „kostenloser Weckservice“ umschrieben gleich schon wieder beneidenswert. Man sollte auch niemals erzählen, Opfer eines Taschendiebs geworden zu sein, sondern lieber den „Austausch mit den Einheimischen“ betonen. Überteuerte Restaurants sind schlichtweg „exklusiv“, überfüllte Strände „angesagte Hotspots“ und tagelang schlechtes Wetter eine „angenehme mediterrane Frische“…

Mit Details ist also grundsätzlich vorsichtig umzugehen. Man möchte den Zuhörer ja nicht langweilen und ihm noch weniger den Eindruck vermitteln, der eigene Urlaub wäre nichts Besonderes gewesen. Es interessiert niemanden, dass man den Bike-Urlaub in Wirklichkeit auf einem klapprigen Damenrad verbracht hat oder aus dem Hotelfenster zwar auf einen endlosen Strand, aber eben auch auf eine endlose Autobahn davor blicken konnte. Auch Einzelheiten über weibliche Urlaubsbekanntschaften sind nur erwähnenswert, so lange man deren muskulösen Freund nicht anführt, der einem ein blaues Auge verpasst hatte. Die Nachfrage, ob man noch Kontakt zu besagtem Urlaubsflirt hat, kann man ruhig bejahen. Es braucht ja niemanden zu interessieren, dass der Kontakt über den Anwalt läuft…

Was aber tun, wenn man plant, seinen Urlaub zuhause zu verbringen? Von Balkonien oder Terrassien schwärmen? Das blickt doch jeder. Besser ist es da, von einer Safari zu berichten. Wer sagt denn, dass die stets nach Südafrika führen und mehrere Wochen beanspruchen muss? Auf deutschen Campingplätzen gibt es genauso viele exotische Anblicke an nur einem Wochenende zu sehen. Und das statt für einige Tausend Euro für einen Zehner pro Nacht plus 50 Cent für die Dusche. Mit Safari verbindet jeder Abenteuer und Erlebnisse fernab des Gewohnten. Nichts anderes bietet einem ein Campingplatz. Hier hat man die Möglichkeit, befremdliche wie gleichsam faszinierende Arten der Gattung Mensch zu erleben und mit dem Gefühl zu beobachten, fast unter ihnen zu leben…

Kein Zoo ermöglicht, was einem hier ohne Gitter und Käfige geboten wird: Balzrituale, Drohgebärden, Revierkämpfe und Futterneid. Es gibt kaum eine Tierart, die auf einem Campingplatz nicht ihr zweibeiniges Pendant findet. Allein die Spezies Dauercamper lässt keine Zweifel, dass Gorilla, Seekuh und Hängebauchschwein in unseren Gefilden heimisch sind. Hinzu kommen Zugtiere mit gelben Autonummernschildern, die als Einsiedlerkrebse in Schneckenhäusern wie die Heuschrecken einfallen. Sie verhalten sich solange ruhig bis es um Fußball geht und sie ihr normales Gefieder gegen ein orangefarbenes Balzkleid eintauschen. Außerhalb ihrer Behausungen sind sie dadurch zu erkennen, dass sie nüchtern sprechen wie heimische deutsche Arten erst nach einer Kiste Bier…

Trotz nilpferdähnlichem Aussehen und iltisartigem Körpergeruch bleibt der deutsche Dauercamper der Löwe im Campingreich. Er ist das übergewichtige Alphatier des Wohnwagenrudels. Während andere von Revier zu Revier ziehen, wählt er seinen Caravanstandplatz wie sein Grab nur einmal im Leben aus. Er will ungestört sein, was ihn jedoch nicht abhält, jeden anderen zu stören. Er widmet sich am liebsten seinem teppichgleichen Rasen vor dem Vorzelt und seinem Acht-Flammen-Gasgrill, sofern er nicht als selbsternannter Blockwart auf dem Platz für Ordnung sorgt. Sein Weibchen als Kreuzung aus toupiertem Ackergaul und geschminktem Schabrackentapir, löst derweil Kreuzworträtsel, klöppelt Deckchen und hält alle über die Neuigkeiten aus der C-Promi-Klatschpresse informiert…

Anders als bei Löwen in der Savanne markieren Dauercamper ihr Territorium nicht mit Urin, sondern mit Jägerzaun und Gartenzwergen. Diese Reviergrenze sollte niemals überschritten werden. Nichts wird vom Campingplatzhirsch im Feinrippunterhemd weniger gern gesehen als fehlender Respekt. Gnade dem, der sich nicht an Parzellenzuschnitte und Mittagsruhe hält oder gar unwissentlich die Stammdusche eines Dauercampers im Waschhaus belegt. Einem Revierkampf sollte mal als rangniedriger Gelegenheitscamper tunlichst aus dem Weg gehen. Schnell wird man sonst Opfer der Stammgastmeute und findet sich mit seinem Zelt neben den Mülltonnen wieder. Devote Unterwürfigkeit wird dagegen gern gesehen, sofern das Mittel der Unterwerfung kühles Bier ist…

Welchen Campingplatz man sich für seine Eifelsafari aussucht, ist im Grunde egal. Überall werden sich Dinge abspielen, die so unfassbar sind, dass Freunde und Kollegen zuhause einen für diesen Urlaub beneiden werden. Wem Camping im Mittelgebirge um die Ecke jedoch nicht exotisch genug ist, der kann als Safariziel auch einen FKK-Strand an der Ostsee wählen. Dort gesellen sich zu Hängebauchschweinen und Seekühen dann auch noch Buschvögel und Austern. Da kann Mann dann auch mal mehr als nur die Seele baumeln lassen. Eifelsafari… gruenetomaten@live-magazin.de.

Patrik Wolf

P.S. Dürfen Zebras eigentlich überall die Straße queren oder nur an offiziellen Überwegen?

Wenn der Storch zweimal klingelt

Anders als in der Pflanzenwelt, wird es bei uns Menschen als ein besonderes Ereignis empfunden, wenn ein neuer Spross das Licht der Welt erblickt. Während die Petunien im Vorgarten bei neuen Ablegern kaum größere Auswüchse an Begeisterung zeigen und sie es daher weder für erforderlich halten, hölzerne Storchfiguren aufzustellen, noch das Ereignis feierlich zu begießen oder in sozialen Netzwerken zu verbreiten, wird neuer menschlicher Nachwuchs bei den unmittelbar Beteiligten stets als einschneidend empfunden. Selbst dann, wenn auf einen Kaiserschnitt verzichtet werden konnte…

Weitaus schöner als die kurzweilige Zeugung während eines One-Night-Stands und das langweilige gegenseitige Kennenlernen der Eltern danach, ist für Mami und Papi die in die Welt hinausgetragene frohe Kunde, dass aus zwei nun drei geworden sind. Wer schon einmal vier Wochen auf seine Internet-Bestellung warten musste, kann erahnen wie groß die Freude wohl nach neun Monaten der Wartezeit sein muss und was von ihr schlussendlich übrig bleibt, wenn die Empfänger nach der lang ersehnten Auslieferung realisieren, dass es für die Zustellung im Kreißsaal kein Umtauschrecht gibt…

Akribisch wird von jungen Eltern mit Buntstiften und Klebebärchen im Küchenkalender markiert, wann der Stammhalter oder die Stammhalterin den ersten Blick aus der Vulva warf. Dazu unmittelbar nach der Geburt die obligatorische Sammelnachricht des frischen Vaters an das gesamte Smartphone-Adressbuch, die auch Pizza-Lieferservice und Automobilclub-Hotline darüber informiert, dass alle wohlauf sind und jeden erahnen lässt, dass Mutti bei dem angegebenen Geburtsgewicht in der Größenordnung einer Weltkriegsbombe zukünftig wohl größere Hosen brauchen wird…

Wenn schon nicht der Himmel mit einem Stern am Horizont die Geburt verkündet, dann muss es eben der Vater tun. Schließlich gilt es, den Paten aus dem Morgenland den Weg zur Wiege zu weisen, damit sie Gold, Weihrauch und Myrrhe oder zumindest Sparbuch und Strampler bringen. Die elterliche Überzeugung, der eigene Spross sei ein Geschenk des Himmels, hält sich oft auch dann noch, wenn Klein-Kevin mit 18 Lenzen längst zu alt für eine Neuauflage der Weihnachtsgeschichte ist. Schließlich steht er nach jedem Komasuff unbeschadet wieder auf, um beim Abendmahl das Brot zu brechen…

Egal wo, wann und wem, frischgewordene Väter zeigen jedem stolz Fotos ihres Nachwuchses. Ob in der Warteschlange an der Supermarktkasse oder am Pissoir an der Autobahnraststätte. Möglichst jeder soll erfahren, dass wegen fehlender Verhütung aus dem Lotto beim Sex nun doch ein Sechser im Lotto wurde. Dabei sehen Neugeborene irgendwie stets gleich aus und sind für jemanden, der nicht das Martyrium einer Risikoschwangerschaft mit Dauerreizbarkeit der werdenden Mutter über sich ergehen lassen musste, weder „bezaubernd“, noch „engelsgleich“ oder das „süßeste Baby der Welt“…

Jede neugeborene Katze und jedes frisch geschlüpfte Küken sind zweifellos hübscher als das, was den jungen Vater die letzten zwei Halbjahre täglich beschäftigt hat und die nächsten zwei Jahrzehnte täglich beschäftigen wird. Im Vergleich zu Tierbabys sind Menschenbabys eben einfach unansehnlich. Da kann Papi nur hoffen, dass sich wie bei einer vakuumverpackten Matratze auch die Falten des Neugeborenen nach wenigen Tagen von selbst glätten. Dann ähnelt der Junior vielleicht auch endlich mehr seinem Vater als dem verknautschten alten Ledersofa, auf dem er gezeugt wurde…

Was im Moment der elterlichen Freude, dass neun Monate des Übergebens und der Schwangerschaftsvorbereitung endlich vorüber sind, oft nicht bedacht wird, ist, dass Geburten sich wie Todesfälle und Lottogewinne im eigenen Umfeld verbreiten wie ein Lauffeuer. Alle führen sie dazu, dass plötzlich Menschen vor der Türe stehen, die man seit Jahren nicht gesehen hat, obwohl sie nur zwei Häuser entfernt wohnen. Es sind die Menschen, die nie erreichbar sind, wenn man einmal Hilfe im Garten braucht, jedoch als erstes auf der Matte stehen, wenn es Freibier und Futter gibt…

Verwandtschaft und Nachbarschaft vermerken sich eine Geburt ähnlich akribisch im Küchenkalender wie die frisch gewordenen Eltern. Nur dass hinter dem Namen des Neugeborenen keine Bärchen kleben, sondern Messer und Gabel. Wie Süßes Wespen anlockt, locken Geburten Verwandte und Bekannte an, einschließlich den Menschen, die glauben, dazu zu gehören. Faszinierend wie viele Cousins und Nachbarn, die sonst beim Bäcker nicht einmal grüßen, zur Geburt gratulieren möchten und die höfliche Einladung auf ein Glas Sekt bis um vier Uhr am nächsten Morgen annehmen…

Für Verwandte und Nachbarn wäre es fatal, von einer Geburt erst aus der Zeitung zu erfahren und damit den Moment zu verpassen, wenn der Holzstorch im Vorgarten verkündet, dass es beim übernächtigten Jungvater kostenlose Vollverpflegung für alle gibt, die sich zu einem „Glückwunsch“ überwinden. Vor allem Gratulanten, die „gerade in der Nähe waren“ sind diejenigen, die den Eindruck erwecken, ein Jahr zuvor hungernd verbracht zu haben. Sie schaffen es in Minuten das Häppchen-Buffet in Schutt und Asche zu legen, das eigentlich für ein Dutzend Gäste mehr reichen sollte…

Aber was soll’s. Schließlich wird Mann nicht alle Tage Vater. Wer will bei solch einer Gelegenheit alten Bekannten ein oder zwei Bierchen verweigern… oder zehn. Bei der dritten Fahrt zum Nachkaufen von Schnaps kommt beim angetrunkenen Gastgeber dann nicht selten die Frage auf, warum man nicht schon längst mal wieder mit all den vermeintlichen Freunden so ausgelassen gefeiert hat. Diese Frage beantwortet sich nach einer Nacht neben der Toilette am Tag darauf von selbst. Mit der Einsicht, dass Geburtsschmerzen nicht nur bei Müttern auftreten und sich bei Vätern nicht wegatmen lassen…

Eltern sollten daher vorsichtig sein, wenn es um die frohe Kunde der Geburt geht, um zu vermeiden, dass aus Kindergeburtstagen mit Wasserpistolen und Kissenschlachten später Facebook-Partys mit Wasserwerfern und Straßenschlachten werden. Das Internet vergisst nichts, Verwandte vergessen jedoch noch viel weniger. Wer sich bei Omas Beerdigung wunderte, woher all die Menschen kamen, die trauernd Blumen ins Grab hinunterwarfen und danach feiernd Schnaps in sich hinunterschütteten, sollte überlegen, ob er eine Geburt nicht erst mit der Volljährigkeit des Nachwuchses bekannt gibt…

Wer dennoch nicht umher kommt, über den Familienzuwachs informieren zu wollen, der sollte in seiner Kurznachricht an Gott und die Welt zumindest erwähnen, dass die Entbindung im Urlaub auf Hawaii stattgefunden hat. Das erspart einem die lästigen Kondolenzbesuche und die noch lästigeren Kopfschmerzen. Oder er macht einfach gar nicht erst die Türe auf: Wenn der Storch zweimal klingelt… gruenetomaten@live-magazin.de.

Patrik Wolf

P.S. Gratulanten zur Geburt sind wie Hämorrhoiden. Kaum sind die einen weg, kommen die nächsten.

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Ap(p)okalypse

Für Krankheiten gibt es Hausmittel, für alles andere eine App. Wer nicht gut küsst, kann mit der richtigen App am kalten, emotionslosen Objekt üben und sich so ideal auf die Ehe vorbereiten.

Im Laufe der letzten 200.000 Jahre, in denen wir Menschen unser Unwesen auf der Erde treiben und der irrigen Ansicht sind, dort die beherrschende Lebensform zu sein, haben wir wohl die meiste Zeit damit verbracht, uns selbst oder anderen Lebewesen den Garaus oder zumindest das Leben schwer zu machen. Kämpfe, Fehden und Kriege lasteten unser menschliches Gehirn über Jahrtausende hinweg weitgehend aus und ließen dort kaum freien Raum für Dinge, die nichts mit irgendwelchem Gemetzel zu tun hatten. Erst im 20. Jahrhundert schaffte es der Homo sapiens, Erfindungen hervor zu bringen, die keine Waffen sind, dennoch aber von vielen gerne und täglich genutzt werden…

Seitdem sind vor allem technische Errungenschaften wie Digitaluhren, sprechende Thermometer und batteriebetriebene Milchaufschäumer aus unserem vermeintlich zivilisierten Leben nicht mehr weg zu denken. Seit Erfindung von Musik-Streaming-Diensten nimmt kaum noch jemand ein Grammophon mit, um beim Joggen Musik zu hören. Auch das Kofferpacken ist einfacher, seit es Reisewecker gibt und nicht mehr der Hahn mit ins Gepäck muss. Sogar das über Generationen hinweg traditionelle Baden am Samstag ist mit Erfindung des Deodorants nahezu in Vergessenheit geraten. Und nur noch Survival-Influencer auf YouTube nutzen heute noch statt eines Feuerzeugs Zunder und Feuerstein …

Wer nun jedoch der Annahme ist, unser Gehirn besäße durch den einfacher gewordenen Alltag endlich freie Kapazitäten, um den Warp-Antrieb oder zumindest einigermaßen bissfeste Dosenravioli zu erfinden, dem dürfte entgangen sein, dass uns die allumgebenden technischen Helferlein immer unselbstständiger werden lassen. Sie führen dazu, dass wir das Denken mehr und mehr der Technik überlassen und bereits in Panik geraten, wenn der Saugroboter nicht aufgeladen ist, da wir verlernt haben, einen Besen zu benutzen, ohne ein Auge zu verlieren. Bei vielen ist das Gehirn schon ein Organ wie der Blinddarm, auf das ohne größere Einschränkungen verzichtet werden kann…

Früher musste man sich merken, wo in eine Kaffeemaschine die Bohnen und wo das Wasser hinein gehörten. Heute sprechen Kaffeevollautomaten mit ihrem Bediener. Und das sogar mehr und liebevoller, als es dessen langjähriger Partner noch tut. Längst sagt einem nicht mehr der Verstand oder das blutende Zahnfleisch, wann die Beißerchen ausreichend geputzt sind, sondern die elektrische Zahnbürste. Viele von uns sind heutzutage schon damit überfordert, sich Essen aufzuwärmen, da sie auf der Tupperdose von Oma nirgends ablesen können, wie lange man die Reste vom Vortag in die Mikrowelle lassen darf, bevor es statt Baguette Brikett gibt…

Schuld an den immer längeren Standby-Zeiten unseres Gehirns sind nicht zuletzt Smartphones mit ihren vermeintlich lebenserleichternden Apps. Mit dem Einschalten einer App schalten viele ihren Verstand aus und vertrauen blind auf das, was ihr digitales Ersatzhirn ihnen vorgibt. Früher galt es darauf zu vertrauen, was einem der gesunde Menschenverstand oder zumindest die eigenen Eltern sagen. Das hieß warm genug anziehen, nicht zu viel trinken und ein Taschentuch dabei haben. Heutzutage übernimmt eine App die Auswahl der zum Online-Wetter passenden Kleidung, während eine andere App sagt, wie viel man bis zur Promillegrenze trinken darf. Und was das Taschentuch angeht, findet sich auf jedem Smartphone mittlerweile mehr Rotz als in jedem Tempo…

Früher als der Touchscreen noch eine Wählscheibe war, der bevorzugte Messangerdienst Postkarte hieß und es Chips nicht mit Gigahertz, sondern nur mit Paprika gab, blieb einem nichts anderes übrig als das eigene Hirn zu nutzen. Man musste ohne Google Maps und Ortungsdienst sein Auto auf dem Supermarktparkplatz wiederfinden. Staus waren noch eine Überraschung und wurden nicht per App-Alarm angekündigt. Die großen Entdecker reisten nur mit Sextant und Seekarte um die Erde. Heute trauen sich viele nicht mehr ohne Navi zum Bäcker. Der Landwirtschafts-Simulator hieß früher übrigens Opas Rasenmäher und war mindestens so realistisch wie heute auf der PlayStation5…

Apps sind Fluch und Segen zugleich. Dank KI dürfte das mit unserer wachsenden Unselbständigkeit und Smartphone-Hörigkeit in Zukunft eher schlechter als besser werden. Schon heute wissen Alexa, Siri & Co. schon weit mehr als nur unseren Musikgeschmack und was wir am liebsten beim Lieferservice bestellen. Bald werden sie auch wissen, wann man zum letzten Mal die Unterhose gewechselt oder den Müll getrennt hat, und sich dann nicht scheuen, dies jedem Adressbuchkontakt per Kurznachricht mitzuteilen, wenn man nicht umgehend ein völlig überteuertes 5-Jahres-Premium-Abo für irgendeine nutzlose Waschmitteldosier- oder Mülltrenn-App bucht.

Dank verschiedenster Apps sind aus Telefonen mit Zusatzfunktionen mittlerweile Zusatzfunktionen mit Telefon geworden. Die Smartphones von heute sind wahre Alleskönner, die man laut App-Store-Angebot längst auch als Schallplattenspieler, Fliegenklatsche, Schwangerschaftstest oder Bumerang nutzen kann und auch soll. Manche Apps sind echt der Hammer. Hat man sie installiert, kann man mit dem Handy sogar Nägel in Wände schlagen. Andere Apps konfigurieren den Vibrationsalarm so, dass man sein Telefon als Sexspielzeug nutzen kann. Und das sogar bei einem Funkloch in der Netzstrumpfhose. Apps zum rektalen Fiebermessen funktionieren dagegen meist nur beschissen…

Ein echter Download-Hit sind derzeit u.a. Einkaufslisten-Apps. Kaum vorstellbar, dass man früher Stift und Zettel mit sich herumschleppen musste. Dazu noch eine Strichcode-App, die zu jedem Produkt im Supermarktregal Informationen aufs Handy liefert, an die man sonst nur käme, wenn man auf der Packung nachlesen würde. Waren das noch beschwerliche Zeiten, als jeder aufpassen musste, wie lange man Brot im Toaster lässt. Dank Toaster-Apps können heutzutage Bräunungsgrad und Knusprigkeit frei gewählt werden. Abhängig von Luftfeuchte und Eckigkeit des Brots wird so die ideale Toastzeit errechnet. Wird der Toast dennoch zu dunkel, hilft zur Not die Rauchmelder-App für 4,99 €…

Taschenlampe, Kompass, Erste Hilfe… es gibt durchaus sinnvolle Apps, die selbst MacGyver nutzen würde. Ob jedoch – und damit möchte ich keinen verAPPeln – eine Toiletten-App notwendig ist, die mit fancy Geräuschen Darmwinde übertüncht, sei einmal dahingestellt. Das ersatzweise Ertönen eines trompetenden Elefanten aus einem WC dürfte für mehr Aufsehen sorgen als ein einfacher Pups. Ich selbst wäre eher verwundert, wenn ich aus der Toilettenkabine nebenan ein vierbeiniges Tier mit Rüssel anstelle eines zweibeinigen Menschen mit Durchfall hören würde. Ähnlich sinnvoll ist da auch eine Lokus-Tagebuch-App, die den Erfolg von Toilettengängen mit Fotos ar(s)chiviert…

Die TEEmperatur-App zeigt derweil beim Eintauchen des Handys in Heißgetränke deren Temperatur. Leider aber nur einmal. An der Beta-Version wird noch gearbeitet. Die App, mit der man Apfelsaft machen kann, ist bislang nur für Apple-Geräte verfügbar. Dagegen ist die App, die aus dem Smartphone einen Fensterputzschwamm macht, für Windows optimiert. Ein Downloadhit ist übrigens die App, die mit einer Luftpolsterfolie als Hintergrundbild optimalen virtuellen Displayschutz bietet. Sollte das Display dennoch zu Bruch gehen, kann die Glückskeks-App über den Ärger hinweg täuschen. Diese gibt es kostenlos in jedem App-Store bei Bestellung von Nr. 13 süß-sauer mit Reis…

Ich nutze mein Smartphone übrigens – ziemlich altbacken und mittlerweile sogar fast ungewöhnlich – zwischendurch auch gerne zum Telefonieren. Das hat Vorteile gegenüber dem Texten. Beim Reden mache ich weniger Schreibfehler. Ap(p)okalypse … gruenetomaten@live-magazin.de.

Patrik Wolf

P.S. Die Corona-Warn-App war damals völlig unbrauchbar. Sie warnte gar nicht vor mexikanischem Import-Bier, das am Folgetag Kopfschmerzen hinterlässt.

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Denkblogade

Wer ist beim Kramen nicht auch schon einmal auf ein paar alte Schulbücher gestoßen, die man einst mit der festen Überzeugung behalten hatte, sie irgendwann sicher noch einmal brauchen zu können. Leider war in der Zeit, als bei mir Deutsch- und Erdkundebücher zuerst in Kisten und Schränken und danach aus Augen und Sinn verschwanden, nicht absehbar, dass sich wenig später sowohl die Rechtschreibung als auch die Atlaskarten derart verändern würden, dass ich mein mühsam erlerntes Wissen darüber, welche Wörter und Länder zusammengehören und welche getrennt werden, nicht mehr nutzen können würde. Ganz zu schweigen von den Schulunterlagen, die bis heute schwarz auf weiß behaupten, S und T wären nie getrennt, Berlin und Deutschland dafür aber schon…

Wer hätte Ende des letzten Jahrhunderts, als die Anzeige des Radioweckers noch so ziemlich das einzig Digitale im Alltag war, gedacht, dass bloß eine Generation später zwei Minuten im Internet mehr Informationen liefern würden als zwei Stunden in einer Bibliothek. Auch wenn Bücher gegenüber digitalen Dokumenten Vorteile haben, wenn Tischbeine zu kurz sind, hat die Schnelllebigkeit dazu geführt, dass Neuigkeiten mittlerweile so rasch altern, dass sie es gar nicht mehr aktuell aufs Papier schaffen. Wen interessiert noch das Wetter aus der Zeitung, wenn das Smartphone die Vorhersage minütlich aktualisiert? Die Welt dreht sich heutzutage so schnell, dass die Zeitung vom Morgen bereits am selben Abend nur noch so aktuell ist wie das Geschichtsbuch aus der achten Klasse…

Wer über 30 oder gar 40 ist, stellt fest, dass außer der Anzahl an Kontinenten und Weltkriegen nicht mehr viel von dem stimmt, was man einmal in der Schule gelernt hat. Es interessiert heute niemanden mehr, dass dass daß hieß und man früher Albträume nur im Schwäbischen hatte. „Bitte“ und „Danke“ stehen längst auf der Liste der Worte, die aus dem Duden gestrichen werden können, da sie niemand mehr nutzt. Selbst das Rechnen hat sich verändert. Kaufte Oma Elfriede früher 10 Kilo Äpfel für einen Euro pro Kilo, war 10 Euro die einzig richtige Antwort auf die Frage, was sie zahlen muss. Heutzutage sind 9 Euro ebenso korrekt, da selbst Oma nicht mehr auf dem Markt einkauft, sondern im Internet mit Rabatt bestellt und sie dank Versand das Kernobst nicht mehr selbst nach Hause schleppen muss…

Aus alledem kann man lernen, dass es nichts bringt, Schulsachen ewig aufzuheben, vor allem aber, dass man – wenn einem einmal Kram aus vergangenen Tagen in die Hände fällt – diesem keine allzu große Bedeutung mehr beimessen sollte. Das gilt für Uropas Deutschlandkarte von 1935 ebenso wie für eigene Liebesbriefe aus der Mittelstufe. Vor allem aber gilt es für Notizen, in denen man während langweiliger sechster Stunden seinen pubertären Weltschmerz zu Papier brachte und sich darüber beklagte, dass die süße Sandra mit dem doofen Thorsten zusammen ist. Seiner Zeit fand man es aus subjektiver Sicht eines Heranwachsenden gut, Gefühle aufzuschreiben, heutzutage aus objektiver Sicht eines Erwachsenen allerdings besser, dass diese Gefühle nie jemand zu lesen bekam…

Anders als früher, als man seine Gedanken einzig für sich selbst auf einen Block schrieb, schreibt man diese heute für die ganze Welt lesbar in einen Blog und philosophiert für die gesamte Menschheit im Internet einsehbar darüber, ob Rasenmähen nun Mord an Pflanzen ist oder warum es moralisch nicht mehr vertreten werden kann, einen Schokokuss Mohrenkopf zu nennen. War ein Tagebuch einst etwas Privates, was niemand lesen durfte, ist ein Weblog heutzutage etwas Öffentliches, was jeder lesen soll. Dieser Ansicht sind zumindest Blogger, die der festen Überzeugung sind, diese Welt besser zu machen, wenn sie über die Laune ihres Wellensittichs berichten, den Bräunungsgrad ihres Frühstückstoasts posten oder zur Diskussion anregen, welcher Toilettenreiniger am besten riecht…

Eines der größten Probleme der digitalen Zeit ist wohl die inflationäre Verbreitung von Meinungen, die für den Fortbestand der Menschheit völlig irrelevant sind, aber im Internet auf ewig verbleiben wie ein Rotweinfleck in einem weißen Hemd. Während in analoger Zeit peinliche Texte und Fotos irgendwann in Vergessenheit gerieten und in einer Kiste verschwanden, ist in digitaler Zeit an ein Vergessen und Verschwinden in der Cloud nicht zu denken. War man früher noch selbst Herr der Entscheidung, was im Papierkorb landet und was aus diesem wieder herausgeholt wird, hat man diese Kompetenz heute längst an Google und Co. abgegeben. Und die sind auch nicht besser als die eigene Mutter, die früher auch stets betonte, nichts mitzulesen, am Ende aber doch über alles Bescheid wusste…

Viele geben sich heutzutage nicht mehr damit zufrieden, eine Meinung zu haben. Sie möchten auch, dass jeder diese Meinung kennt. Wer früher halbgare Parolen auf Toilettentüren schrieb, kommt heute nicht mehr ohne Smartphone aus. War Influenza einst eine Krankheit, sind Influencer mittlerweile eine Plage. Beide sind lästig und verbreiten sich schneller als man etwas gegen sie tun kann. An die Stelle seriöser Textbeiträge in Fachzeitschriften sind reißerische Netzkolumnen und Reels getreten, die durch Clickbaiting Werbeeinnahmen generieren sollen oder Schwurbler anlocken. Mittlerweile gibt es für alles Vorstellbare und für noch viel mehr Unvorstellbares Blogs, Vlogs und Podcasts, bei denen um Likes gebettelt und sich multimedial prostituiert wird, um an das Geld der Abonnenten zu kommen…

Die Gefahr der Meinungsbildung durch gefährliches Halbwissen ist dank des Internets heute größer als früher, als Blödsinn nur unter denen verbreitet wurde, die in der Schule voneinander abschrieben. Resultat sind immer mehr „urbane Legenden“, also Unwahrheiten, von denen viele glauben, sie seien wahr. Zum Beispiel, dass Kühe ertrinken, wenn sie weiter als bis zum Euter im Wasser stehen, da sie keinen Schließmuskel besitzen. Oder dass Ostdeutschland kein Nazi-Problem hat. Verwerflich ist nicht, solche Fakes im Netz zu verfolgen, sondern diese dort weiterzuverbreiten. Wer im Internet bei der Suche nach dem nächsten Präsidenten der USA neben Joe Biden und Donald Trump auch Homer Simpson genannt bekommt, sollte zumindest skeptisch sein. Am besten bei allen drei Antworten…

Die Hoffnung, von der vermeintlich allwissenden Internetgemeinde bei einer wichtigen Frage die richtige Antwort zu bekommen, wird oft enttäuscht. Wie Religionen und Bedienungsanleitungen liefert auch das Internet nur wenig wirklich brauchbare Ratschläge. Anders als in der Schule, wo derjenige sich meldete, der eine Antwort wusste, ist es im weltweiten Netz üblich, zu kommentieren, dass „das eine gute Frage“ sei, die man sich „auch schon gestellt“ hat, deren Antwort man aber „leider auch nicht weiß“. Es mangelt dem Internet nicht an Antworten, jedoch leider an den richtigen Fragen, die zu den Antworten passen. Früher war man still, wenn man etwas nicht wusste, um nicht aufzufallen. Heute kommentiert man, wenn man etwas nicht weiß, um aufzufallen…

Letztens suchte ich bei einem Problem mit dem Web-Browser Hilfe in einem Blog. „Bibi_Blogsberg“ ließ mich wissen, dass sie lieber badet statt zu brausen und keine Ahnung über Software, dafür aber Lust auf Softeis hat. „Sun Blogger“ fragte mich, ob ich nicht doch weiblich bin und Lust auf ein Treffen hätte und „Jenny from the Blog“ bot mir günstige Markensonnenbrillen an. Die Antwort von „Blogflöte“ war da noch am hilfreichsten, die mir vorschlug, ich solle doch mal googeln. Am Ende hatte ich keine Antwort, aber eine Erkenntnis: Irgendwie ist das Internet wie meine alten Schulhefte: Voller Rechtschreibfehler und Texte, die einem im Leben nicht weiter helfen. Da muss man einfach blogger bleiben. Denkblogade…gruenetomaten@live-magazin.de.

Patrik Wolf

P.S. Gibt es im Internet eigentlich ein Forum für Schwangerschaftsverhütung mit Namen „Spiralblog“?