• Termine, News und Wissenswertes aus Saarbrücken, dem Saarland und der Welt:

Mel´s Mikrokosmos

Hilfe, wir leben noch!

Hallo Mikrokosmonauten: Hier ist ja wieder Bombenstimmung!

Also ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber ich dachte kürzlich wirklich, dass es das jetzt war mit der Menschheit. Ich glaubte fest daran, dass sie jetzt gezündet wird: Die große Atombombe. Und dass sie uns alle auf einen Schlag auslöschen würde. Ohne Wenn und Aber. Erbarmungslos. Ich informierte mich sogar über den Ablauf eines möglichen Endzeit-Szenarios in Form eines Atomschlags. Ich berechnete den Radius des Epizentrums und die Entfernung, in der die Druckwelle noch zu spüren sein würde. Ich wusste, dass es schnell gehen würde. Ich hoffte, dass man wenigstens so gnädig sein würde, eine Art Countdown laufen zu lassen, dass man noch genügend Zeit hätte, sich von seinen Liebsten standesgemäß zu verabschieden. Meine Henkersmahlzeit zelebrierte ich ganze zwei Tage und stopfte alles in mich hinein, was sonst verboten ist. Ich genehmigte mir die doppelte Dosis Aperol-Spritz, die ich normalerweise vertrage und dachte sogar kurz daran, meine gesamten Ersparnisse im Casino auf rot zu setzen, aber ließ es dann bleiben, weil ich mich geärgert hätte, wenn ich den Einsatz verdoppelt hätte. Das Geld wäre ohnehin in den verseuchten Flammen der Apokalypse verbrannt.

Und dann passierte einfach nichts.

Versteht mich nicht falsch, ich liebe das Leben, die Welt und alles, was ich als Mensch auf ihr so treiben kann, jedoch ist es bekanntlich so, dass man sich etwas verloren fühlt, wenn etwas nicht passiert, mit dem man fest gerechnet hat. Jeder, der in seinem Leben schon mal schlechten Sex hatte, versteht, was ich meine…

Also was ich eigentlich sagen will ist, dass ich völlig desillusioniert war. Ich musste am nächsten Tag sogar wieder arbeiten. Und verkatert und vollgefressen wie ich nun war, machte ich sofort einen Termin bei meiner Psychologin. Notfallsitzung! Ehrlichgesagt wusste ich nun, wo das Leben weiterging, gar nicht mehr, was ich so tun sollte. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, war ich auch ab jetzt wieder den schlimmsten Nachrichten von Krieg und Tod ausgesetzt. Und Menschen. Menschen im Supermarkt, Menschen in Autos, Menschen überall! Sogar auf einsamen Feldwegen in der tiefsten Provinz. Sie waren überall! Ich hielt inne und begann mich zu fragen: Warum singt Christian Lindner eigentlich „Hurra, wir leben noch!“, wenn es „Hilfe, wir leben noch!“ heißen müsste?“

Es ist doch nun mal so. Das Leben geht ungetrübt weiter. Routine in Reinform. Morgenkaffee und Plaudern über dies und das, Mittagsspaziergänge, wenn das Wetter mitspielt, abends Netflix.

Morgens aufwachen ruiniert einen tollen Tag

Jawohl, „Schwarzer Kaffee“ drückt es richtig aus. Und ich sehe schon die Zeilen meines möglichen Bestsellers vor meinem geistigen Auge: „Nach einem nicht stattgefundenen Atomschlag durch Satan 2 finde ich mich zwischen aufgerissenen Chipstüten und aufgelegten Hyaluron Eye-Pads wieder und staune nicht schlecht, als mir dämmert, dass die Menschheit immer noch existiert.“.

Tags darauf war ich dann bei meiner Psychologin. Zwar sind diese Leute einiges gewöhnt, aber ich ziehe es vor, nicht mit all meinen skurrilen Gedanken rauszurücken, wenn es nicht zwingend erforderlich ist. Es reicht, dass ich ihr mal erzählt habe, dass ich mich schon einige Male in meinem Leben umbringen wollte, aber immer darauf bedacht war, dabei wenigstens ein schönes Outfit und ein bisschen Rouge zu tragen. Kurioserweise schien sie fast schon Verständnis dafür aufzubringen, dass ich mit dem Ende der Welt gerechnet hatte. Und dass ich Menschen um mich herum jetzt noch weniger gerne um mich herum mag. Vielmehr ging sie auf meine regelmäßigen Fressattacken ein und verwendete in diesem Zusammenhang sogar das böse Wort „binge“. Maßlos sei ich in verschiedenen Lebenssituationen, unabhängig, ob eine Apokalypse droht oder einfach nur das Wochenende vor der Türe steht. Und dass ich wie so oft in Extremen leben würde. „Hurra!“, dachte ich nur. Und dann wurde mir plötzlich bewusst, dass ich es gar nicht schlimm gefunden hätte, wenn das mit der Bombe passiert wäre. Denn dann wären all meine Probleme gelöst. All meine Kämpfe, die ich seit nunmehr vierzig Jahren mit mir ausfechte. All meine erfolglosen Versuche, herauszufinden, wer ich wirklich bin und was ich will. Irgendwie zog mich diese Erkenntnis runter. Ich ziehe die Atombombe meinem Leben vor. Was für eine Farce!  

Hurra, wir (über)leben noch!

Andererseits habe ich es bis hierhin geschafft. Ich glaube, bei Super Mario World wären das schon etwa fünf besiegte Endgegner. Ich überlegte. Wo heute das mögliche Ende der Welt ist, war früher ein Balkongeländer. Wo ich heute den großen Knall wittere, wollte ich früher springen. Das Leben beenden. Einfach so. Herrje, was ich alles verpasst hätte! Und was in den letzten Wochen schon wieder passiert ist, was nie passiert wäre, wenn die Welt in die Luft gegangen wäre: Deutschland letzter beim ESC (man, hab‘ ich gelacht!). Der Kauf eines aufblasbaren Wellness-Lounge-Sessel inklusive Getränkehalter für den Pool. Der mit Abstand leckerste Spargel in einem Lokal in Selbach, einem Ort, den ich zuvor noch nie besucht habe. Großartige frühsommerliche Wochenenden im Garten. Ein Spiegelbild, das mir sagt: „Du hast überlebt! Be proud!“.

Wir müssen überleben. Vorerst zumindest. Ich glaube zwar an Reinkarnation, aber wo und vor allem als was, werde ich denn wiedergeboren, wenn die Welt nicht mehr existiert? Da wäre dann ja nur noch Nichts. Und das will ich irgendwie auch nicht. Ich will mich mit all meinen Macken noch ein bisschen behalten. Was ich allerdings nicht gebrauchen kann, sind all diese Meldungen über Krieg und Tod und Gasembargos. Ich möchte auch nichts über Lebensmittelknappheit oder Blackouts hören, es sei denn ich weiß, woher diese Missstände rühren, nämlich wegen einem leergefutterten Kühlschrank oder als Folge von Alkoholmissbrauch. Machen wir uns nichts vor: Die Welt wird nicht anhalten, nur weil wir aussteigen möchten. Sie dreht sich weiter und weiter und wir müssen da irgendwie mitfahren, solange wir noch leben. Einfacher wird es nicht. Es wird wahrscheinlich sogar noch viel heftiger werden, als ohnehin schon. Aber wenn wir bis hierhin überlebt haben, überleben wir auch weiterhin. Ich meine, wie viele Krisen haben wir bereits überstanden? Finanzkrise, Flüchtlingskrise, Coronakrise und jetzt halt Weltkrise! Bei Takeshis Castle hätten wir nach so vielen gemeisterten Hürden wahrscheinlich längst gewonnen.

Vielleicht ist es fast schon normal, sich gelegentlich den Weltuntergang zu wünschen. Besonders, wenn alles zu heftig wird da draußen. Wie ein Pflaster, das man sich abreißt. Kurz und schmerzlos, statt langsam und qualvoll. Ein großer Knall und gut ist.

Aber wisst ihr was? Bevor es knallt, drehe ich jetzt erstmal ne‘ Runde mit meinem Wellness-Lounge-Sessel im Pool.

Previous ArticleNext Article