Hallo Mikrokosmonauten: Zwischen Reden und Tun liegt das Meer
Ich wollte einfach nur noch weg. Seit Wochen beschlichen mich immer wieder Panikattacken. Kein Wunder, wenn man seit über einem Jahr mehr oder weniger zum Verweilen in einem Radius der Größe unseres Bundeslandes aufgefordert ist. „Immerhin 2.570 Quadratmeter.“, mögen jetzt einige Optimisten einwerfen. Ich frage mich aber, ob die es schon immer als das ultimative Highlight empfanden, im Saarland Urlaub zu machen, beim übelsten Piss-Wetter in heimischen Wäldern zu spazieren und zum x-ten-Mal als krönender Abschluss des Tages im selben Restaurant zu hocken, sofern dies – der Pandemie geschuldet – überhaupt möglich ist. Offensichtlich, denn so etwas wie Fernweh, Neugierde, Wagemut und Abenteuerlust finde ich bei diesen Menschen vergebens. Die Krise bringt allmählich zutage, was ich eh schon lange ahnte, denn viele blieben von Beginn an stoisch, abwartend und fast schon unterwürfig. Da wird mit einer Beharrlichkeit zum 125. Mal bei Wind und Wetter und mit Kind und Kegel die obligatorische Runde durchs Dorf gemacht. Und währenddessen sagt man sich ununterbrochen: „Ach, ist das so toll!“, bis man es irgendwann auch glaubt. Sorry, das war beim ersten Lockdown im März 2020 vielleicht noch ganz cool. Es hatte was von „Back to the roots“. Ein Abenteuer. Zurück zu den Anfängen. Bescheidenheit üben. Urlaub in den eigenen vier Wänden. Kreativ werden. Mallorca nachhause holen, in Form von ner‘ Palme im Topf und nem‘ Pool im Garten. Ja, so ein Lockdown lehrte uns, dass die Familie das Wichtigste ist. Und wie dankbar wir eigentlich sein müssen, weil es uns selbst in Zeiten einer todbringenden Pandemie im Grunde an nichts mangelt. Dass wir genug zu Essen haben, ein Dach über dem Kopf und funktionierendes WLAN. Aber inzwischen sind fast 14 Monate vergangen. Wenngleich wir immer noch dankbar sind, dass wir noch leben. Aber eines muss an dieser Stelle gesagt werden:
Es wird allmählich langweilig!
Ich bin dann einfach nach Mallorca geflogen. Ja, ich gehöre zu diesen bösen Menschen. Und während ich diese Zeilen hier schreibe, schaue ich aufs Meer hinaus. „Die alte Frau und das Meer.“ Und getreu Ernest Hemingways Botschaft „Man kann zerstört werden, aber man darf nie aufgeben!“ erledige ich hiermit den letzten kläglichen Rest einer aufkeimenden Depression, indem ich fliehe! Es ist nahezu faszinierend, wie schnell ein Aufenthalt am Meer zu einem Event der Superlative wird, wenn man lange Zeit nicht verreisen durfte. Obwohl „lange“ ein dehnbarer Begriff ist, denn so lange war es ja nicht. Aber sei es drum: Mir kommt es vor, als sei dies für mich der erste Urlaub überhaupt in meinem Leben. Mein Zimmer ähnelt einer Schiffskabine. Eine moderne Schiffskabine wohlgemerkt. Ich meine das nicht abwertend. Der Vorteil einer Schiffskabine ist nämlich, dass man immerzu einen frontalen Meerblick hat. Optisch und akustisch ist da immer Meer. Obwohl die Nächte noch recht frisch sind, lasse ich immer die Balkon-Türen geöffnet, weil ich das Rauschen der Wellen hören möchte. Das echte Rauschen und nicht jenes, das durch meine Headspace-App durchs Handy in verwaschenen Fetzen an mein Ohr dringt. Früh morgens, wenn die ersten Fähren in weiter Entfernung zu hören sind, wache ich auf. Ich kuschele mich in sämtliche Hoodies, die ich dabei habe und wickele mich obendrein in meine Decke. Dann fläze ich mich auf meinen winzigen Balkon und beobachte die aufgehende Sonne. Ich lausche den kreischenden Möwen, die übrigens die ganze Nacht hindurch immer mal wieder an meinem Fenster vorbeisegeln, weil sie ständig auf Achse sind. Und immerzu lachen sie. Das würde ich vermutlich auch, wenn ich ewig hier bleiben könnte.
Ich habe mir nicht nur Freunde mit meiner Entscheidung gemacht. Es gibt viele Menschen da draußen, die sich derzeit sehr fürchten. Sie haben Angst vor Krankheit und Tod und verbringen ihre Tage damit, sich natürlich auch mit entsprechenden Informationen rund um Krankheit und Tod zu füttern. Versteht mich nicht falsch, ich nehme das Thema wirklich sehr ernst und versuche, diese Menschen zu verstehen. Ich versuche es wirklich. Aber ich weiß auch, dass wir irgendwann alle sterben werden. Schon in hundert Jahren ist das Leben auf unserer Erde fast gänzlich ausgetauscht und von uns wird nur noch Asche und Staub übrig sein. Und entschuldigt, aber den Beitrag, den wir aktuell – abseits von Corona – für unsere Nachwelt leisten, ist schon beschämend genug. Schon jetzt können wir davon ausgehen, dass wir gewiss keine Abbitte leisten, wenn wir uns nun aufgrund einer Pandemie zuhause einsperren, um uns und andere irgendwie zu schützen. Wir sind nämlich Menschen. Im Kollektiv können wir nicht mal das schützen, was Mutter Erde uns einst bereitwillig schenkte. Dass das Leben endlich ist und es mein verdammtes Bestreben ist, dieses eine Leben auszukosten, mich treiben zu lassen, und Dinge zu tun, die Herz und Seele erfreuen, sollte man mir deshalb nicht verübeln. Ich mag mich nicht in ein selbst geschaffenes Gefängnis begeben, in der Hoffnung, dass die Welt dadurch eine bessere wird. Durch meinen unbändigen Freiheitsdrang, den ich übrigens mit zig anderen Menschen teile, bin ich dabei allerdings nicht gleich rücksichtslos oder Egoist. Es geht aber wie bei vielem im Leben um einen gesunden Mittelweg. Und um Himmels Willen nie um Stillstand! Wie das Meer eben, das auch stetig in Bewegung ist.
Mutation ist das Synonym für Veränderung
Neulich erzählte mir jemand, außerhalb unserer Landesgrenze gäbe es gefährliche Mutanten. Sie wären aggressiv, aber vorzugsweise in den eigenen vier Wänden wäre man relativ sicher vor ihnen. Alternativ in einem selbst gebuddelten Erdloch, sofern man Garten hat. Ich stellte mir vor, wie ängstlich er lediglich alle paar Wochen sein Haus verließ, wenn er es überhaupt verlassen würde und sah ihn in meinen Gedanken mit einem großen Laserschwert, mit dem er jene bösen Mutanten abzuhalten versuchte, damit sie nicht ihn und seine Kinder angreifen. Was für ein Schreckens-Szenario! Gleichzeitig tat er mir unendlich leid. Also als Idealist bedeutet Mutation für mich immer noch Veränderung, Fluss, Übergang, Wandel, Wende und Revolution. Alles verändert sich. Immerzu. Die Welt verändert sich und wir tun es auch. Für einen Pessimisten wird diese Tatsache unerträglich erscheinen. Für alle anderen ist das der normale Lauf des Lebens mit allem was dazu gehört. Und mehr noch: Für mich ist das Leben keineswegs voller Entbehrungen. Das mag für einige vielleicht egoistisch erscheinen, jedoch ist es angesichts der zeitlich begrenzten Lebensdauer fast schon Pflicht, auf wenig bis nichts zu verzichten. Und ich meine damit nicht Dinge wie Autos, Mc-Menüs oder Klamotten. Es geht um Essentielles. Es geht um Freiheit. Um Rechte. Um das Leben über den Tellerrand hinaus. Und ganz nebenbei ist so ein Aufenthalt am Meer auch so etwas wie Isolation. An einem nahezu menschenleeren Strand ist die Wahrscheinlichkeit höher, mit einer Möwe unfreiwillig sein Sandwich zu teilen, als die Abstandsregeln zu anderen Individuen seiner Spezies zu missachten. Weil sie schlichtweg nicht da sind. Zumindest nur in geringer Anzahl. Wer mich kennt weiß, dass ich den meisten Menschen ohnehin nicht sonderlich zugetan bin. Also doch wieder „Die alte Frau und das Meer“? Dass Meer für mich Therapie ist, weiß ich nicht erst seit gestern, aber dieses Mal heilt es mich regelrecht. Es heilt mich von Ängsten, Wut und Sorgen. Es ist erstaunlich, aber Meer und Sonne reichen oft völlig aus, um eine neue Sicht auf die Dinge zu bekommen. Süchtig nach dem Rauschen des Ozeanes. Detox für die Seele.
Es ist dein Leben. Du hast nur dieses eine.
Was ich damit sagen will, ist: Was immer passiert, warum auch immer es passiert und wie lange das, was passiert auch gehen mag: Es sollte immer Möglichkeiten zur Flucht geben aus diesen irrsinnigen Zeiten. Und da noch keine Zeitmaschine erfunden wurde, sollte diese kleine „Meer-Flucht“ erst mal ausreichen. In meinem Falle hat es das jedenfalls.
Ihr habt immer die Wahl. Immer.