• Termine, News und Wissenswertes aus Saarbrücken, dem Saarland und der Welt:

Mel´s Mikrokosmos

Amazone im Schneckenhaus

Hallo Mikrokosmonauten: Welche Mondgöttin ist eure?

Mein Sternzeichen ist Widder. Ich bin da ziemlich stolz drauf, weil Widder so unglaublich stark und taff sind. Sogar so stark, dass man sie regelmäßig mit Chuck Norris vergleicht. Oder mit einer wilden Amazone. Kein Scherz, denn neulich las ich in einer spirituellen Zeitschrift, dass – ja, ich bin so eine, die an Flughäfen noch ganz altmodisch Illustrierte für die Reise kauft – meine dem Sternzeichen zugewandte Mondgöttin Hippolyte ist, die Amazonen-Königin schlechthin! Furchtlos, echt, wild und nach Gerechtigkeit strebend. Der Beschreibung nach brauche ich kein Gefährt, um von A nach B zu kommen. Ich bin so ungezügelt, groß und genial, dass ich sogar fliegen kann.  Aus Normen ausbrechend wäre das zumindest der erste folgenrichtige Schritt! Aber trotz all dieser Agilität, des Mutes und Kampfgeistes frage ich mich:

Warum fühle ich mich so schwach?”

Es gibt Tage, da kann ich mich kaum auf den Beinen halten. Da fühle ich mich mit meinen ganzen Ein Meter Fünfundsiebzig wie ein hutzliger Hobbit inmitten von furchteinflößenden Orks. Da halte ich meinen Obsidian-Schutzstein so lange in meiner Hand, bis er ganz heiß ist, in der Hoffnung, er beschütze mich vor all dem Bösen da draußen. Manchmal wird mir ganz schwindelig, wenn ich an das Leben und die Welt da draußen denke. Und dann verkrieche ich mich in mein Schneckenhaus, will alleine sein und einfach nur Musik hören. Ich fühle mich dann wie dieser Teenager, der ich vor… ähm fünf Jahren war. Und wenngleich ich es heute besser wissen müsste, mag ich mich trotzdem in meiner dysphorischen Phase suhlen und einfach nur leiden!

Hippolyte, wo bist du?

Ach, was bin ich wieder erregt heute! Aber geht es euch nicht manchmal auch so? Wollt ihr zuweilen nicht auch alles hinschmeißen, euch in eine Ecke verdrücken und einfach losheulen? Stattdessen ist aber die Katze im Ofen und der Kuchen hat auf den Teppich gekotzt oder umgekehrt. Oder man ist halt gerade einfach auf der Arbeit und darf nicht zusammenbrechen! Wo ist diese verdammte Hippolyte in diesen Momenten? Wo hat diese Kuh sich versteckt? Ich frage mich manchmal sowieso, wann wir angefangen haben, zu glauben, wir wären frei und könnten jederzeit tun und lassen, was wir wollen. Gar nichts sind wir. Nähmen wir uns die Freiheit im Supermarkt inmitten von Einwegflaschen und Naturjoghurt einfach loszubrüllen wie eine Furie im Fegefeuer, würde man uns ganz schnell in unsere Schranken weisen. Und würden wir immerzu raushauen, was wir gerade denken und fühlen, könnte ich mir vorstellen, dass wir ziemlich einsam in einem Wald leben. Stattdessen müssen wir tagtäglich funktionieren und Schwäche, wenn überhaupt nur dann zeigen, wenn es Richtung Mittagspause geht und wir in der Schlange der Kantine ganz theatralisch ein “Ich sterbe fast vor Hunger!”, raushauen.

Aber mir reicht es jetzt! Denn mit der Exzentrik einer Nina Hagen will ich ja gar nicht angepasst sein. Im Gegenteil: Ist mir doch wurscht, ob man mein Verhalten als zu schwach, zu stark, zu verrückt oder zu verschroben empfindet. Ich bin es mir einfach wert, mich so zu zeigen, wie ich bin. Vielleicht hat sich Hippolyte das auch genauso für mich ausgedacht. Und auch wenn ich sie nicht sehe, ist sie dennoch immer da. Und ich komme nicht umhin mich zu fragen:

Kann Schwäche Stärke sein?

Machen wir uns nichts vor: Natürlich ist es viel schöner, wenn wir wie unbändige Krieger durch die Welt marschieren, den Blick immer geradeaus gerichtet. Fokussierend, visualisierend, manifestierend! Unerschütterlich und am Ende ungeachtet aller äußeren Einflüsse immer als strahlende Sieger dastehend. Aber die Wahrheit sieht leider ganz anders aus. Und dennoch bin ich der Meinung, dass wir erst durch gewaltige Tiefpunkte und den damit verbundenen schwächlichen Momenten zu jenen wilden Amazonen heranreifen, die wir schlussendlich werden. Da gibt es zum Beispiel diese eine Frau und ich will verflucht sein, wenn nicht jeder in seinem Umfeld genau diese Frau oder auch Mann hat, die/der ähnliches erlebt hat wie diese, von der ich hier erzähle. Diese Frau hatte Träume, fand die große Liebe und hatte enormes Glück, all das zu realisieren, was sie sich erhofft hatte. Sie baute sich mit ihrer großen Liebe eine Existenz auf, eine gut gehende Firma. Eine Zeitlang ging alles gut. Urplötzlich aber starb ihr Mann, ihre einzige, wahre Liebe. Weil sie es alleine nicht schaffte, ging sie mit ihrer Firma pleite und zu guter Letzt nagte sie am Existenzminimum und wusste weder ein noch aus. Mit gebrochenem Herzen und nicht wissend, wie es weitergehen sollte, schleppte sich diese Frau durch die tristen Tage und weinte sich durch die noch dunkleren Nächte. Aber da war etwas, was sie nicht vollends untergehen ließ, nämlich eine kleine Flamme in ihrem Inneren, die wie ein dünnes Stimmchen zu ihr säuselte: “Reiß dich zusammen und genehmige dir von deinen letzten 4 Euro 99 sofort einen XXL-Döner, denn du siehst verdammt hungrig aus!”. Wir wissen nicht, ob diese Frau vom Sternzeichen Widder war oder ob diese innere Stimme Hippolyte hieß, aber Fakt ist, dass sie irgendwelche Kräfte mobilisierte, von deren Existenz sie bis dato nichts gewusst hatte. So oder so ähnlich müssen sich Überlebende der Titanic gefühlt haben, die einfach so den Entschluss fassten, heute nicht zu sterben! Jedenfalls manifestierte diese Frau ihre Visionen. Und die lauteten, sich verdammt nochmal aufzuraffen, die Frisur zu richten und weiterzumachen! Scarlett o’Hara hatte es geschafft, Tina Turner und sogar Edith Piaf, wenngleich sie nach dem Tod ihrer großen Liebe noch mehr dem Alkohol zugetan war als vorher. Aber sei es drum, allesamt machten weiter und trotzten den Stürmen, die sie umzuwerfen drohten!

Und einfach so ging es wieder bergauf.

Ich meine, schlussendlich ist die größte Manifestation die, wenn die Visionen Gestalt annehmen, oder? Okay, ich spreche wieder in mikrokosmonautisch, aber wenn ich von einer Idee so dermaßen eingenommen werde, dass mir schwindelig wird, kann man mir manchmal nur schwer folgen. Was ich damit meine ist, dass man die beste Version von sich selbst erst dann werden kann, wenn man ablegt, wer man war! Und unter uns Amazonen: Der größte Kampfgeist nutzt uns nichts, wenn wir Schwäche nicht zulassen. Das ist wie beim Niesen. Unterdrückt man es, hat man das Gefühl, zu implodieren. All unsere Facetten müssen nach außen, das ist einfach ein Fakt, dem wir nicht widerstehen dürfen.

Am Ende ist es doch so: Hippolyte und ich, das ist sowas wie Doktor Jekyll und Mister Hyde. Die eine kann nicht ohne die andere und wenngleich ich oft das Gefühl habe, dass sie gerade meilenwert entfernt scheint, so versteckt sie sich gerade nur, wie die Sonne hinter einer Wolke. Wir sind allesamt stark. Stärker als wir glauben!

Previous ArticleNext Article