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Titelstory

Swing is king

Die Zwanziger sind wieder da! Mit Wirtschaftskrise, geschlossenen Bars und einer globalen Pandemie, genau wie vor hundert Jahren. Seit März befindet sich die gesamte Unterhaltungsbranche im Dornröschenschlaf. Die gesamte Unterhaltungsbranche? Nein! Die „Gramophoniacs“, eine ebenso frische, wie auch hippe Saarbrücker Band, lassen sich nicht unterkriegen und liefern jetzt mit ihrer ersten Platte das seit den 1920ern bewährte Mittel gegen Trübsal und Tristesse: Swing!

Die „Gramophoniacs“ fanden im Dunstkreis der Musikhochschule und des Landesjugendjazzorchesters zusammen und leben seither ihre Hingabe zur Swing-Musik ungebremst aus. Seit 2015, als auch Lindy-Hop zu einer festen Größe wurde, begeistern die fünf Musiker mit einem Faible für Tweed-Anzüge mehr und mehr Fans nicht nur im Südwesten der Republik, sondern freuen sich mittlerweile auch über Follower von Mexiko bis Australien. Ihr Repertoire umfasst dabei alle Facetten des Swing, von Dixieland bis Blues, von den Klassikern der goldenen Zwanziger Jahre über bekannte Jazzstandards der 40er hin zum rockigen Dirty-Swing. Wer die Gramophoniacs schon mal live erlebt hat, weiß, dass die überspringende Freude der Musiker garantiert jeden Ballsaal bis in den Morgen hinein zum Kochen bringt.

Doch wie bringt man Tanzmusik unter die Leute, wenn Social Distancing das Gebot der Stunde ist? Die „Gramophoniacs“ entwickelten kurzerhand ein  vernünftigen Hygienekonzept, das sogar den Segen des Gesundheitsamt bekommen würde: Sie nahmen kurzerhand ein Album mit einem Querschnitt durch ihr Live-Programm auf. Herausgekommen sind 20 Stücke, allesamt in frischen Bearbeitungen, mal mit Glamour, mal mit viel Dreck. Das Ergebnis „Underground Swingtapes“ – eine geballte Ladung Swing-Musik. Wir trafen die drei Gramophoniacs, Paul, Jonas und Joshua zum Frühstück.

 

Seid ihr alles Saarbrücker?

Quotenpfälzer und Posaunist Jonas: „Nicht ganz, Paul und Leo kommen aus dem St. Wendeler Land, Joshua aus Wiebelskirchen und ich bin wegen des Studiums hier gelandet. Unseren Drummer haben wir auch aus der Pfalz importiert, wobei man bedenken muss, dass wenn man als Pfälzer ins Saarland geht, macht man ja alles falsch. In der Pfalz bist Du dann unten durch und im Saarland sowieso! Und trotzdem habe ich ein paar Jungs gefunden, die mich akzeptiert haben.“

Gitarrist Paul: „Wir verstehen uns als Integrationsprojekt für Saarland-Pfälzer und leisten so echte soziale Arbeit.“

 

Habt Ihr alle Musik studiert?

Jonas: „Nein. Wir haben tatsächlich zwei in der Band, die was Gescheites gelernt haben. Diesen Umstand verschweigen wir aber gerne, weil wir alle gleichviel für die Musik brennen. Streng genommen haben wir uns also nicht übers Musik-Studium kennengelernt, sondern über das Landesjugendjazzorchester.“

 

Was zeichnet eure Art zu swingen aus?

Paul: „Es gibt überhaupt kaum Leute, die so „richtigen“ Swing spielen, wie er in den Jazzclubs gespielt wurde. So authentisch wie wir, macht das wohl keiner. Das hat auch ein bisschen was mit Dreck im positivsten Sinne zu tun. Es gibt halt den „Saubermann“ Swing und es gibt uns mit dem in der Band oft thematisierten Dreckfaktor. Uns ist wichtig, dass da eine gewisse Rohheit mit rüberkommt. Auch unsere Platte soll ja genauso klingen. Das hat auch mit Authentizität zu tun, denn ich glaube, das ist sehr nah dran an dem, wie du die Jungs früher gespielt haben.“

 

Kann man euch als Big Band bezeichnen?

Jonas: „Wir haben lange im Quintett gespielt, weil das die kleinste Besetzung ist, mit der wir alles bedienen konnten, was wir wollten. Aber irgendwann kam der Punkt, an dem wir gesagt haben, wir wollen eigentlich noch mehr. Unser Bassist ist eigentlich studierter Pianist und es ist eine ungeheure Verschwendung, wenn der Kerl nur Kontrabass spielt, denn ein Klavier gehörte unbedingt in den Sound jener Zeit mit rein. Und ein gutes Swing-Projekt braucht auch unbedingt eine Trompete – und so waren wir dann auf einmal zu siebt. Inzwischen machen wir beides zu ungefähr gleichen Anteilen je Veranstaltung. Das Quintett ist super flexibel, braucht eigentlich keine Tontechnik und ist so die unkomplizierte Variante, während das Septett eher so die Variante für die große Gala ist.“

 Paul: „Eigentlich hätten wir dieses Jahr gerne mal die Gramophoniacs Bigband auf dem VeloSwing-Festival vorgestellt, wenn es denn stattgefunden hätte… Wir haben alle Bock, einmal unseren „Dreckfaktor“  im Bigband Format zu hören. Denn Bigband steht oft für ein sehr sauberes Spiel und wir würden es halt gern mal dreckig spielen. Swing ist für meine Begriffe oft ein bisschen zu brav geworden.“

Jonas: „Wenn man heutzutage versucht wie Duke Ellington zu spielen und legt sich die Noten hin, dann ist das zwar das gleiche Stück, aber nicht die gleiche Musik! Wir haben auch bei unseren Arrangements gemerkt, das geht doch auch noch ein bisschen größer und fetter. Selbst im Septett können wir das Potential von so einem Stück trotzdem nicht ganz ausschöpfen. Dann kam immer der Gedanke: Alter, wie geil wäre das denn, dieses Stück mit dreizehn Bläsern, mit vier Trompeten und mit fünf Saxophons zu spieln.“

 

Tatsächlich seid ihr ja auch gerne und oft auf Hochzeiten zu hören. Ist das nicht schwierig für eine Band, die sich nur einem einzigen Musikstil verschrieben hat?

Jonas: „Es gibt immer mehr „Retro“ Hochzeiten, die genau diesen Style feiern. Aber selbst auf einer ganz „normalen“ Hochzeit hat man mit Swing-Musik – und das hätte ich vorher niemals gedacht – einen unfassbaren Konsens im Publikum. Es gibt, glaube ich, keine zweite Musik, die so allgemein unterhält, ohne jemand auf den Keks zu gehen. Die Einen stehen auf 80er, andere auf 90er, manche wollen Beatles oder Elvis hören, aber tatsächlich würde sich wohl niemand als Erstes Swing-Musik wünschen. Aber, wenn die dann da ist, ist es für alle voll geil, weil es niemand auf den Sack geht, aber immer brutal unterhaltsam und tanzbar ist.“

Paul: „Zumal wir zwischendrin auch mal in die alten Tunes aktuelle Popnummern, im alten Gewand, einstreuen, die die Leute dann erst beim zweiten, dritten Hinhören erkennen.“

 

Wie kam es zu dem Entschluss jetzt eine Platte aufzunehmen?

Paul: „Wir sind oft nach Konzerten nach einer Platte gefragt worden, hatten aber nie Zeit dafür. Jetzt wo wenig live ging, kam der Gedanke, unser Live-Programm aufzunehmen. Die CD hätte es ohne Corona wohl nicht gegeben.

Joshua: Eigentlich wollten wir dann am 21. März einspielen, doch während der Probe am 20., hieß es um 17.00 Uhr in der Tagesschau, dass ab dem folgenden Tag die Beschränkungen galten, das hieß Treffen nur für Personen aus zwei Haushalten. Das hat uns einen wunderbaren Strich durch die Rechnung gemacht. Wir haben dann ratsuchend auf der Corona-Hotline angerufen und bekamen zur Antwort: „Musiker ist ja kein richtiger Beruf! Die Ausnahmen gelten nur für Leute, die richtig in einem Betrieb arbeiten.“

Paul: „Ich denke, die waren auch ein Stück weit überfordert, das war ja alles ganz frisch. Wir haben dann ein paar Wochen gewartet und die Zeit dann genutzt ein Konzept zu erstellen, wie wir das in einem vertretbaren Rahmen realisieren können. Dieses Konzept haben wir uns absegnen lassen – und dann die Platte in nur zwei Tagen eingespielt.“

 

 

Dann liefen die Aufnahmen aber reibungslos?

Joshua: „Ja, wohlgemerkt bei mir im Arbeitszimmer. Alles leergeräumt was ging – und dann haben die Jungs zu sechst aufeinandergesessen und ich in so einem kleinen Durchgang, denn das Klavier stand noch im Wohnzimmer, das hat gerade so nicht durchgepasst.“

Paul: „Der Sound wurde dann im Wesentlichen durch ein einziges Bändchen-Mikrofon aufgenommen, dass in der Mitte des Raumes stand. Schlagzeug und Trompete als lauteste Instrumente haben wir dann entsprechend am weitesten vom Mikro weg positioniert, während der Kontrabass ganz nah dran stand. So haben wir die Instrumente über den Abstand „gemixt“.“

Joshua: „Wir hatten uns da vorher bei einem Techniker von der Musikhochschule schlau gemacht, aber auch ganz viele alte Fotographien von Studioaufnahmen studiert, wie die Leute positioniert waren.

Paul: „Der erste Aufnahmetag bestand eigentlich aus ganz viel Anspielen und dann Probehören, wie klingt das jetzt. Dann würden Positionen korrigiert, nochmal probiert, bis es gepasst hat. So entstand der etwas „ältere“ Sound, der sehr organisch ist und genau das ist, was wir haben wollten. Aber die Platte steht nicht im Zeichen von Corona. Wir erwähnen die Umstände nur, weil wir stolz sind, sowas in so kurzer Zeit aus dem Boden gestampft zu haben. Wir wollen einfach nur sagen, die Voraussetzungen waren nicht gut, aber wir habe es trotzdem hingekriegt.“

Jonas: „Kaum zu glauben, aber von der ersten Aufnahme bis zur fertigen CD sind gerade mal sechs Wochen vergangen. Wir haben zwei Sonntage hintereinander jeweils sechs Stunden lang alles wirklich live eingespielt. Alles sind ganze Versionen und zumeist auch nur first oder second Takes. Und dann ging es wirklich Schlag auf Schlag. Im Nachhinein schon irgendwie irre! Und wir müssen ehrlich sagen, dafür, dass es doch alles dann so schnell gehen musste, haben wir doch ganz schön viel richtig gemacht.“

 

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