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Titelstory

Jetzt auch noch Kartoffeln

Kunst schreibt sich mit „K“, genau wie Können, aber eben auch wie Kartoffeln und wie Karle, um präziser zu sein Alexander Karle. Und eben der macht jetzt mit genau denen von sich reden. Inwieweit da Kunst und Können eine Rolle spielen wollen wir im Gespräch herausfinden.

Wir treffen den mehrfach preisgekrönten und fast ebenso oft verurteilten Alexander Karle in der Pfarrer Köllner Anlage an der Breite Straße in Malstatt. Hier, wo zuvor jahrelang das Zelt eines Corona-Testzentrums auf einer wenig gepflegten Wiese stand, treibt der Künstler, HbK Absolvent und Meisterschüler seit Anfang des Jahres sein neuestes Projekt voran, wieder mit reichlich Hinguckerpotential, allerdings diesmal nur äußerst geringer Chance, deswegen wieder vor dem Kadi zu landen. Er hat in der kleinen Grünanlage eine Pflanzung angelegt – mit behördlichem Segen – und will dort Kartoffeln anbauen. In Anspielung auf seinen Nachnamen soll das also ein „Karltoffelplatz“ werden. Diese Hingabe an die Botanik verblüfft auf den ersten Blick (und auf den zweiten auch), denn bisher hat der inzwischen 45jährige eher mit urbanen Themen wie z.B. den Skulpturen vor der Europagalerie, der „Karte für junge Reisende“ und dem Nauwieser Artwalk sein Talent bewiesen, allerdings auch mit überaus kontroversen Aktionen, von Liegestützen auf dem Altar der Basilika bis zum Besprayen der Wilhelm-Heinrich-Brücke mit Schriftzügen.

L!VE: Wie um alles in der Welt kommt man auf die Idee, mitten in der Stadt einen Acker anzulegen?

Alexander Karle: „Also, die Idee dafür ist im März diesen Jahres entstanden. Ich hatte hier unweit in der Ludwigstraße über einen Monat an einem Projekt der Kunsthochschule gearbeitet, der Ausstellung „Ich hab dich lieb wie ein Computer“. Und obwohl ich täglich dort gearbeitet habe und auch hier in der Nähe, nur zwei Straßen weiter, wohne, hatte ich vorher diesen Platz gar nicht so auf dem Schirm. Man muss sagen, dieser Platz liegt einer sehr zentralen Stelle inmitten des unteren Malstatt. Hier entsteht seit einigen Jahren ein neues syrisches Viertel und gleichzeitig hat man viele Menschen, die hier schon lange wohnen. Das kollidiert gerade ein bisschen, obwohl das eigentlich eine sehr schöne Entwicklung ist. Auch diese Anlage hier wurde vor ein paar Jahren neu gemacht, aber dann stand hier fast drei Jahre ein Corona-Testzentrum drauf und hat den ganzen Platz eingenommen. Als das wieder abgebaut wurde, lag der Platz so ein bisschen brach und ich dachte, dass es eine tolle Möglichkeit sei, einen interessanten neuen Ort zu schaffen.“

L!VE: Und warum ausgerechnet Kartoffeln?

A. K.: „Die Frage höre ich öfter. Oder auch: Das kann ja jeder. Macht der jetzt auf Bauer und tut so, als wäre es Kunst. Dabei geht es ja viel mehr darum, über den Umweg des Pflanzens von Kartoffeln diesem Platz, eine neue Identität zu geben, ein neues Gesicht, so dass hier ein Ort entsteht, an dem man sich gerne trifft, an dem man vielleicht auch mal kleine Konzerte macht, Lesungen, Ausstellungen, in dem einfach ein anderer Vibe ist. Und diesen Vibe zu erzeugen, das zu gestalten und zu vermitteln, das ist für mich eine gewisse Art von Stadtforschung und Kunst. Und da ich Kartoffeln sehr mag und die mit ihrer Herkunft aus Südamerika und ihrer jetzigen Rolle in der saarländischen Kultur ein Musterbeispiel für Integration sind, kam mir dann der Gedanke, einen Platz zu entwickeln, wo man den Bürgern anbietet, gemeinsam mit mir langfristig Kartoffeln anzubauen.“

L!VE: Bisher warst Du ja durchaus auch ein wenig kontrovers bis provokant unterwegs. Ist der „Karltoffelplatz“ jetzt ein Ausdruck von Altersmilde oder der neuen Rolle als Vater?

A. K.: „Nicht ganz. Ich wurde ja zu einer relativ hohen Geldstrafe, die ich nicht bezahlen konnte. verurteilt, weil ich unter der Wilhelm-Heinrich-Brücke gesprüht hatte. Dann hatte ich die Wahl 90 Tage Gefängnis, was natürlich mit einem kleinen Kind, das ich täglich betreue, nicht in Frage kommt, oder 360 gemeinnützige Arbeitsstunden. Da ich hier in Malstatt bereits einige Bürger Kulturprojekte gemacht hatte, habe ich bei der Diakonie Saar angefragt. Ich habe gesagt, Leute, wenn ihr wollt mache bei euch Arbeitsstunden, aber ich setze mich nicht ins Büro und drehe Däumchen, ich möchte etwas Sinnvolles machen. Ich habe eine ganz konkrete Idee, die ich gerne realisieren würde. Das wird sehr viel Arbeit, ich plane das Projekt, ich führe es durch, ich dokumentiere es und begleitete es auch medial. On top mache ich hier noch zwei, drei kleinere Projekte, wie zum Beispiel in der Breiten Straße fünf Stromkästen zu bemalen, dann haben wir das mit den Stunden.“

L!VE: Woher die Verbindung nach Malstatt? Die Leute würden Dich ja wahrscheinlich eher mit dem Nauwieser Viertel oder dem Mainzer Straßen Kiez in Verbindung bringen?

A. K.: „Ja, ich wohne seit einigen Jahren hier in Malstatt und denke, dass da hier ein Geheimtipp ist, so wie das Nauwieser Viertel von vor 20, 30 Jahren. Hier ist der spannendste Ort in ganz Saarbrücken. Aber ich bin noch alle paar Tage im Viertel und fühle mich da auch sehr wohl. Aber hier ist wirklich noch mehr Freiraum. Das hier ist ein Viertel im Wandel, hier gibt es noch Vakuum, hier kann man noch was entwickeln und deswegen finde ich es sehr angenehm, hier zu leben.“

L!VE: Obwohl du inzwischen eigentlich ein vertrautes Bild hier im Viertel sein müsstest gucken einige Passanten immer noch überrascht und die Anwohner interessieren sich immer noch sehr dafür, was du da eigentlich machst.

A. K.: „Ja klar. Ich bin schon eine Weile hier. Ich musste sehr lange, konkret viereinhalb Monate warten, bis ich eine Genehmigung hatte von der Stadt. Aber in den letzten zwei Monaten bin ich täglich hier und hab den ganzen Boden umgegraben, die Steine entfernt, erst mal rausgefunden, wo welche Art von Boden ist. Hier war ganz viel Bauschutt, Betonteile, Pflastersteine, gute Stellen, nicht so gute. Dabei habe ich dann auch die Form entwickelt und die Erde ausgetauscht. Die Stadt hat uns, also meinem Projektpartner Diakonie Saar und Quartier Malstatt, dann zwei Kipper Muttererde geschenkt. Die haben wir dann aufgefüllt und das war super, super viel Arbeit. Man muss sich auch vorstellen, im August hat es teilweise fast jeden Tag geregnet, aber ich wollte unbedingt weiterkommen und das haben die Leute natürlich mitbekommen. Am Anfang die Leute alle gedacht, ich wäre ein etwas komischer Mitarbeiter der Stadt, doch als ich dann aber täglich bis so gegen 18, 19 Uhr hier war, kamen die ersten zu mir und haben gesagt, du bist ja gar nicht von der Stadt, die hören nämlich um 16.00 Uhr auf. Ich hab dann erklärt, dass es ein Kartoffelplatz wird und das schien für sie normal zu sein, zumindest gab es da relativ wenig Nachfragen. Irgendwann haben wir dann unter Absprache mit dem Grünamt im Wald Holz und Holzstöcke für die Einfriedung gesammelt. Es war mir wichtig, dass wir kein neues Holz aus dem Baumarkt benutzen, sondern dass wir Holz nehmen, was von Bäumen bereits abgefallen war. Damit und mit viel Mühe und Aufwand, auch mit Hilfe einiger Bürgern, entstand dann diese Befriedung gebaut. Die ist eher so eine symbolische Abgrenzung ist, denn wer will kann ja jederzeit auf den Platz. Da ist zwar ein Tor, aber die ist ja nicht verschlossen. Es geht natürlich auch darum, dass nicht so viele Hunde dahin kacken oder im besten Fall gar keine. Man soll halt auch sehen, dass es hier nichts perfekt ist, sondern von Leuten selbst gemacht und, dass das eine gewisse positive Aura ausstrahlt. Das soll natürlich auch dazu führen, dass der Platz mehr und mehr respektiert wird.

L!VE: Obwohl es ja schon mal vorgekommen ist, dass irgendwelche „Vandalen“ den kunstvoll verknüpften Zaum umgetreten haben?

A. K.: „Genau. Also vor ungefähr zwei Wochen, Anfang September war das. Es gab wirklich Probleme, dass einzelne Jugendliche massiv, also wiederholt bis zu einem Drittel der Befriedung rausgerissen hatten und ich das dann jedes Mal erneuern musste mit viel Mühe und Arbeit. Man muss sich vorstellen, ich stecke ja nicht die Stöcke einfach in den Boden und das war’s. Das ist ja Totholz, was heißt, ich muss gucken, wie die Stöcke angeordnet werden müssen, die wieder entfernen, die Schnüre alle abschneiden, den Boden noch mal ein bisschen verdichten und festigen, die neuen Stöcke einbringen und alles wieder miteinander verbinden. Es gab letztlich keine andere Lösung und ich habe das dann einfach für mich genutzt, habe es immer wieder neu gemacht und war damit auch wieder mehr im Dialog mit den Bürgern. Dieser Platz hat natürlich eine ganz andere Wirkung, wenn jemand hier ist, der dran arbeitet.“

L!VE: Hast du vorher schon irgendwie einen grünen Daumen gehabt?

A. K.: „Nee, gar nicht, weder beim Urban Gardening noch habe ich zu Hause besonders viele Pflanzen. Allerdings habe ja über die Jahre immer wieder mit dem Element Pflanzen gearbeitet, weil die eine gewisse Geschwindigkeit haben, und alle paar Jahre kam und kommt es immer wieder vor, dass ich Installationen mache, die dann wachsen.

L!VE: Zum Abschluss mal Hand aufs Herz: abgesehen von Kresse und Bohnen wächst hier aber noch nix, auch keine Kartoffeln, oder?

A. K.: „Nein, keine einzige, dafür haben wir zu spät beginnen können und die verbliebene Zeit zu knapp. Natürlich wachsen hier jetzt ganz viele andere spannende Dinge. Brennnessel Beifuß, Löwenzahn, alles Mögliche. Und man sieht an der Wiese nebendran, die ich nicht bearbeitet habe, dass bei mir wesentlich viel mehr wächst und viel mehr Vielfalt ist. Was natürlich auch schön ist. Der Plan war eigentlich mit Vertragsende Ende Oktober, das Totholz zu verbrennen und darauf Kartoffeln für alle zu kochen und ein Fest zu feiern. Jetzt ist aber so, dass dieser Platz so gut angenommen wird, dass es so viel Arbeit war und dass jetzt vor allem so viele Vorarbeit geleistet ist. Wir haben hier jetzt beispielsweise Buschbohnen angebaut, weil die sehr schnell wachsen, und Kresse, damit der Wall gehalten wird. Und letztlich ist das der Dünger für nächstes Jahr. Und die Idee ist jetzt natürlich, zum  Stadtplanungsamt zu gehen und sagen Leute, lass mich mindestens noch bis nächstes Jahr Herbst weitermachen. Lasst uns bitte diesmal im Frühling wirklich Kartoffeln pflanzen, früh genug und ich kümmere mich drum. Ich such mir noch zwei, drei Bürger und dann wuppen wir das Ding, bauen die Befriedung nach oben weiter, bis sie sich schließt zu einer Kuppel und dann nach und nach mit Plastiktüten zum Beispiel von arabischen Läden, mit gelben Säcken, Verpackungen, eine Art Dach hintackere, so dass über Herbst und Winter hier ein neuer Ort entsteht, in dem auch mal können kleine Konzerte sein, Lesungen oder wo die Leute bei schlechtem Wetter sich einfach aufhalten können, wo trotzdem sehr hell sein wird. Und im Frühjahr baue ich das wieder zurück bis zu einer gewissen Höhe und pflanze endlich die Kartoffeln.“

L!VE: Wir haben zu danken für Deine Zeit und wünschen viel Erfolg mit der „Ernte“. Halt‘ uns auf dem Laufenden!

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