Das bekannte Zitat des Erfolgstrainers Louis van Gaal zeigt nur eine Facette der aktuellen Diskussion, ob Homosexualität schon im bezahlten Spitzenfußball angekommen ist. Da lohnt es sich bei einem absoluten Insider nachzuhören. Unser Autor Marc Kirch traf sich mit David Fischer, dem Geschäftsführer des 1. FC Saarbrücken, um sich nach Outings in der Spielerkabine und „Spielermännern“ auf der Ehrentribüne zu erkundigen.
L!VE: Herr Fischer, steigen wir direkt in unser Thema ein: Ist Homosexualität als Selbstverständlichkeit in der Fußballwelt angekommen?
David Fischer: Ich glaube, dass es noch nicht ganz angekommen ist. Natürlich gibt es ein paar prominente Beispiele, die sich in den vergangenen Jahren im Fußball geoutet und damit sehr offen umgehen. Zum Beispiel Thomas Hitzelsperger. Aber es wird ab und an immerfort als Schwäche gesehen, leider. Da ist die Gesellschaft an sich weiter, als der Fußballbereich im Land. Aber der DFB versucht auch hier intensiv die Dinge voranzubringen, zu manifestieren, dass Man(-n) offen zu sich selbst stehen kann – auch zu seiner sexuellen Neigung und forciert in diesem Kontext auch die Wahrnehmung in der Fußballwelt, dass Homosexualität etwas Selbstverständliches und nichts Außergewöhnliches ist. Wir haben im Fußball sicher noch einen gewissen Nachholbedarf, aber die Offenheit ist jetzt wesentlich größer, als es vor 10 oder 15 Jahren noch der Fall war.
L!VE: Wenn der DFB den natürlichen Umgang mit Homosexualität im Fußball fördert, Clubs wie der FC St. Pauli auch die Regenbogenflagge auf dem Trikot tragen und sich damit offenkundig Vielfalt auf die Fahne schreiben, ist der Weg zur Selbstverständlichkeit beschritten. Gleichzeitig sagen Sie selbst, es gibt noch Nachholbedarf, weil Homosexualität noch als Schwäche gesehen wird. Können Sie das konkretisieren?
D.F.: „Mit dem Wort „Schwäche“ meinte ich nicht, dass homosexuell zu sein, die Schwäche ist. Sondern ein Outing mit der Folge assoziiert wird, danach am Rande zu stehen, statt dazuzugehören. Mit „Schwäche“ meinte ich mangelnde Integration neben dem Platz und damit auch der Präsentation auf dem Platz. Weil eine vollständige Akzeptanz von Homosexualität im Fußballbereich noch nicht gegeben ist. Ich denke da gibt es in der Fußballwelt noch einen gewissen Nachholbedarf; im Übrigen nicht nur im Fußball, sondern auch in anderen Sportarten. Meines Erachtens wird das oft zu sehr auf Fußball reduziert, sicher auch weil es mit die medienträchtigste Sportart ist. Es gibt zahlreiche Sportarten, die den gleichen Nachholbedarf haben. Wir sind aber auf einem guten Weg, dass die Akzeptanz sukzessive größer wird, gestützt von prominenten Beispielen. Das fördert, auch wenn die Akzeptanz sicher nicht nur an prominenten Beispielen festgemacht werden sollte, sondern grundsätzlich eine „Normalität“ erlangen sollte. Da gibt es in ganz vielen Sportarten Nachholbedarf. Zum Glück ist es schon heute kein Tabuthema mehr.
L!VE: Wenn Homosexualität im Sport kein Tabuthema mehr ist, warum hat sich dann noch kein Profi in der 1., 2. oder 3. Liga offiziell geoutet?
D.F.: Ich glaube, dafür kommen viele Gründe zusammen. Viele möchten ihr Privatleben – losgelöst von der sexuellen Neigung – gar nicht zur Schau stellen. Denn je mehr man von sich preisgibt, desto angreifbarer wird man. So sollte man als Person die in der Öffentlichkeit steht, immer mit Bedacht vorgehen, welche privaten Informationen man in die Öffentlichkeit trägt. Das ist sicher einer der Gründe. Denn ich gehe davon aus, dass es sicherlich den einen oder andern homosexuellen Sportler in den ersten drei Ligen geben wird. Warum diese sich nicht outen, müssen die Sportler für sich selbst begründen. Ob jetzt die wahrgenommene Angreifbarkeit in der Öffentlichkeit, mangelnde Akzeptanz oder grundsätzliche Geheimhaltung privater Informationen die Gründe dafür sind, vermag ich nicht zu beantworten. Ich gehe aber davon aus, dass unter den Profifußballern, die auf das gleiche Geschlecht stehen, und das auch privat ausleben, dies in der Öffentlichkeit einfach noch für sich behalten wollen.
L!VE: Das wäre aber schon ein bisschen schade. Bei einem Bekenntnis zur gleichgeschlechtlichen Orientierung, geht es um den selbstverständlichen Umgang und gerade nicht darum, von da an – überspitzt ausgedrückt – mit einer tätowierten Regenbogenfahne auf der Stirn unterwegs zu sein oder seine Homosexualität omnipräsent zur Schau zu stellen. Sondern vielmehr darum, mit einer Selbstverständlichkeit einen „Spielermann“, statt der „Spielerfrau“ auf der Tribüne sitzen zu haben.
D.F.: Aktuell wird das noch nicht so offenherzig gelebt. Ich glaube aber, dass in unserer Gesellschaft allgemein, jeder mit seinem Privatleben unterschiedlich umgeht. Hier gibt es viele unterschiedliche Ausprägungen, manche zeigen sich gerne mit ihrem Partner bzw. ihrer Partnerin in der Öffentlichkeit. Andere behalten das lieber als „eigene kleine heile Welt“ für sich. Ich selbst versuche auch, mein Privatleben und meine Partnerin generell vom Fußball fernzuhalten. Denn das ist mein „heiliger Kreis“, den ich mir bewahren möchte, ohne Einfluss von außen. Mein persönlicher Rückzugsort sozusagen. Ich kann nachvollziehen, wenn das andere auch so tun. Dieser Aspekt sollte in der Thematik nicht zu kurz kommen. Denn jeder ist da unterschiedlich.
L!VE: Vielleicht wäre ein Fußballer, der seine sexuelle Orientierung selbstbewusst nach Außen trägt, auch ein Stück freier, weil er keine Energie zum Verheimlichen aufwenden müsste.
D.F.: Ich denke, dass es an der Stelle gar nicht darum geht, die sexuelle Orientierung nach Außen zu tragen. Es gibt Menschen, die gar nicht die Notwendigkeit sehen, ihre sexuelle Orientierung zur Schau zu tragen – ganz unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung. Damit ist gar kein empfundenes Gefängnis gemeint, in das man sich hineinbegibt. Sondern eine bewusste persönliche Intimität, die man sich bewahren will, um gefestigt zu sein. Also eine bewusste und gewollte Entscheidung und kein Zurückhalten oder eine Verheimlichung aus Angst davor, das in der Öffentlichkeit zur Schau zu stellen. Ich sehe ich das nicht so, dass man sich dadurch beschränkt oder zwangsläufig Energie dafür verwendet, um es geheim zu halten. Denn es gibt Menschen, die bewusst ihren kleinen Kreis halten und darin aufgehen, weil sie nicht das Bedürfnis haben mit anderen teilen zu müssen – gleichzeitig auch keine Angst davor haben, dass jemand etwas davon mitbekommt. Einfach das Bedürfnis einer kleinen „heilen Welt“ als grundlegenden Teil des Lebens, in die man nur ganz bewusst ausgewählte Personen reinlässt, um sich deren Stabilität als Wohlfühloase zu bewahren.
L!VE: In den USA wurde beim Spiel San Diego gegen Phoenix, der offen schwule Spieler Collin Martin vom Gegenspieler Flemming zutiefst homophob beleidigt. Als dies keine Konsequenzen durch den Schiedsrichter nach sich zog, verließ die gesammelte Mannschaft von Collin Martin geschlossen den Platz – trotz der 3:1 Führung des eigenen Teams. Denken Sie, dass es in Deutschland männliche Spieler gibt, die ihre Homosexualität aus Angst vor solchen Anfeindungen verheimlichen?
D.F.: Das kann ich mir auch im deutschen Fußball genauso vorstellen, auch dass seine Mannschaftskameraden zu dem offenen schwulen Spieler stehen und bei einem solchen Vorfall mit ihm gemeinsam den Platz verlassen würden. Denn wir leben in einer neuen Generation, in der die Akzeptanz schon sehr viel größer ist, als es zum Beispiel vor 30 Jahren noch der Fall war. Ich persönlich habe keinerlei Berührungsängste. Einer meiner ersten Chefs damals war oder ist homosexuell. Das war ein sehr lieber und netter Kollege, mit einem sehr angenehmen Lebenspartner. Ich war damals auf deren Polterabend dabei. Ich finde es schön, wenn Menschen glücklich sind und das ausstrahlen. Das steckt ja bekanntlich auch an. Dementsprechend sind wir jetzt schon in einer Zeit angekommen, in der die Akzeptanz wesentlich größer ist. Das zeigt auch das Beispiel in der norwegischen Liga. Jüngst hatte dort auch ein Spieler einen Mitspieler bzw. Trainer der Gegenmannschaft homophob beleidigt. Im Rahmen der Kritik dieses Vorfalls nach dem Spiel outete sich der renommierte FIFA-Schiedsrichter der Partie, Tom Harald Hagen, selbst als homosexuell. Aber sie können natürlich nicht in die Köpfe der Spieler oder Menschen hineinschauen, wenn Schimpfwörter fallen – was im Einzelfall überhaupt damit gemeint ist oder ob derjenige überhaupt versteht, was er da gerade von sich gibt. Ich denke auch da haben wir noch einen Nachhol- und Aufklärungsbedarf, weil Menschen, die gewisse Aussagen tätigen, oftmals vielleicht nicht die hellsten Kerzen auf der Torte sind.
L!VE: Der ehemalige internationale Spitzenspieler und heutige Vorstandsvorsitzende des VfB Stuttgart, Thomas Hitzelsperger, meint, es sei erforderlich, dass sich Profifußballer noch während seiner aktiven Laufbahn zu seiner Homosexualität bekenne, um zur Selbstverständlichkeit von Homosexualität im Männerfußball beizutragen.
D.F.: Klar, manchmal bedarf es Vorbilder, Menschen die vorangehen. In der NFL (National Football League) gab es beispielsweise letztes Jahr das Outing von Ryan Russell, der damit ein Tabu innerhalb der NFL brach. Er erhielt dafür einen riesigen Zuspruch. Ich glaube es sind oftmals eher die Hürden im Kopf, die uns von solchen Schritten abhalten – gar nicht die Stimmen oder die befürchteten Reaktionen des Umfelds. Ich denke daran müsste man mehr arbeiten, an der eigenen Akzeptanz, am eigenen Mut. Es gibt diesen wunderbaren Spruch „das Glück ist mit den Mutigen“. Wir richten den Blick immer auf die Rolle des Umfelds, obwohl der wichtigste Schritt im eigenen Kopf gemacht wird. Aber natürlich ist auch die Akzeptanz im Umfelds wichtig. Ich denke es ist immer der Mix aus diesen zwei Paar Schuhen, der jemanden eventuell davon abhält, vollständig zu sich selbst zu stehen.
L!VE: In anderen Sportarten scheinen diese Hemmschwelle kleiner zu sein: Im Skisport hat sich der Gus Kenworthy, im Rugby haben sich Keegan Hirst oder Gareth Thomas zu ihrer Homosexualität bekannt. Im Frauenfußball scheint Homosexualität sogar bereits selbstverständlich.
D.F.: Ich glaube die mediale Wahrnehmung diesbezüglich ist bei Frauen und Männern unterschiedlich. Der Frauenfußball hat zum Glück in den letzten Jahren sehr viel mehr mediale Präsenz bekommen und Homosexualität ist im Frauenfußball schon in den letzten Jahrzehnten sehr viel mehr ausgelebt worden. So wurde die „Hürden im Kopf“ dort schon sehr viel früher bei Seite geräumt und Homosexualität ist nun durch die neu hinzugewonnene Medienpräsenz dort nun sehr viel selbstverständlich präsenter.
L!VE: Sind die Klischees über Schwule im Männerfußball eigentlich im noch präsent?
D.F.: Ich weiß auch offen gesagt, gerade nicht, was so die vordergründigen Eigenschaften eines schwulen Mannes sein sollten. Also ich hatte, wie zuvor erwähnt, das Glück im Freundes- und Bekanntenkreis schon sehr früh auch mit dem Thema in Kontakt zu kommen. Das sind Menschen wie du und ich, in verschiedenster charakterlicher Ausprägung und äußerlichem Erscheinungsbild. Eine typisierende Einkategorisierung ist mir da fremd. Da muss ich eher die Gegenfrage stellen, was einen „typischen schwulen Mann“ denn dem Klischee nach kennzeichnen soll?
L!VE: Ich freue mich sehr über diese Antwort, weil sie in sich die Selbstverständlichkeit trägt, Menschen unisono nur nach ihrem „Mensch sein“ zu beurteilen, frei von Vorurteilen oder Kategorisierung in Schubladen. Also aus ihrer Sicht die sexuelle Orientierung eines Menschen eben auch genau nur darüber Auskunft gibt, nicht mehr und nicht weniger. In der Gesellschaft hingegen, wird man als schwuler Mann leider noch immer – sei es subtil oder direkt – mit gängigen Klischees konfrontiert, dass Schwule immer gut feiern können, (zu) weiche Charaktere sind, sehr feminin sind und durch die Bank der Promiskuität frönen.
D.F.: Also, wenn es um den Faktor „Feiern“ geht, gibt es jede Menge heterosexuelle Männer und Frauen von jung bis alt, die diesem Thema auch nicht abgeneigt sind und das ausgiebig zelebrieren. Das kann ich Ihnen versichern!
L!VE: Würde ein Spieler des 1. FC Saarbrücken ihre volle Unterstützung erfahren, wenn er sich zu gleichgeschlechtlicher Liebe bekennen würde?
D.F.: Natürlich, ganz klar! Das ist ein Spieler des 1. FC Saarbrücken, der genießt auch dann die volle Rückendeckung. Auch dadurch, dass es als selbstverständlich behandelt würde und nicht als besonders herauszustellendes Ereignis dargestellt würde.
L!VE: Und das würden die FC-Fans genau so sehen?
D.F.: Ja, ganz klar!
L!VE: Wie würden Sie ein Coming Out eines aktiven Spielers unterstützen?
D.F.: Schlussendlich muss man sehr vorsichtig sein, ob es zielführend ist, daraus etwas Besonderes zu machen. Wir reden die ganze Zeit über Selbstverständlichkeit. Wenn der Spieler es tut, ist es seine Entscheidung und dann stehen wir uneingeschränkt hinter dem Spieler. Das heißt, wenn der Spieler es wünscht, unterstützt zu werden, stehen wir parat. Wenn er angefeindet würde, werden wir dagegen agieren. Gleichzeitig würden wir zum Beispiel keine Pressemitteilung über dessen Coming Out herausgeben, weil es für uns etwas Selbstverständliches wäre und nichts Besonders. Das ist meines Erachtens die beste Unterstützung.
L!VE: Der Startrainer Louis van Gaal sagte einmal: „Schwule sind die wertvolleren Fußballspieler“. Wie stehen Sie denn zu diesem Zitat?
D.F.: Mir fällt es schwer darauf unmittelbar zu antworten, weil mir der Zusammenhang des Zitats fehlt und ich nicht konkret weiß, was er damit meinte. Gibt es denn dazu nähere Erläuterungen? Grundsätzlich sage ich, jeder Spieler ist gleich wertvoll!
L!VE: Van Gaal hat es nachträglich damit erklärt, dass in seiner Laufbahn meistens die kreativeren Spieler die homosexuellen Spieler waren. Und genau solche Spieler seien im Fußball besonders wertvoll.
D.F.: Louis van Gaal ist ein hochdekorierter Trainer. Wenn er dieser Meinung ist, sehe ich darin jedoch schon fast eine Benachteiligung der heterosexuellen Spieler. Es mag sein, dass Louis van Gaal das so wahrgenommen hat, ich persönlich bin der festen Überzeugung, dass es auch schwule Fußballer gibt, die diese von van Gaal unterstellten Talente nicht haben, genauso wie es viele heterosexuelle Spieler gibt, die diese Talente mitbringen. Meines Erachtens sollte man sich auch da nicht in Schubladendenken verlieren.
L!VE: Vielen Dank für das sehr angenehme und aufschlussreiche Gespräch.