• Termine, News und Wissenswertes aus Saarbrücken, dem Saarland und der Welt:

Grüne Tomaten schlafen wütend

Weihnachtsgrippe

Ein Grund dafür Arzt zu werden, ist sicher, sich den Satz „Bitte freimachen“ leisten zu können, ohne einen Schlag ins Gesicht zu bekommen. Das dürfen außer Ärzten sonst nur noch Postangestellte Bild von Adobe Stock: Datei: # 223169235

Kürzlich hatte ich passend zur Weihnachtszeit eine schöne Grippe. Jedoch weniger mit Jesuskind, Hirten und Stern von Bethlehem als vielmehr mit Kopfschmerzen, triefender Nase und einem Husten, der beim Erkältungsbad in der Wanne einen Tsunami auslöste, bei dem anderswo Touristenorte evakuiert worden wären. Es war einer dieser heimtückischen grippalen Infekte, gegen die Frauen immun sind, die bei uns Männern jedoch unweigerlich Nahtoderlebnisse hervorrufen und mehr Taschentücher erfordern als ein einsamer Samstagabend zuhause…

Während Frauen selbst bei einer schweren Grippe eine Handvoll Salbeibonbons ausreicht, um von jetzt auf gleich gesund zu werden, hat es die Natur so vorgesehen, dass wir Männer bereits bei bloßem Schnupfen über Tage siechen und unserem Schöpfer ins Gesicht blicken. Die Auswirkungen einer Corona-Infektion lassen sich mittlerweile meist im Zaum halten, mit denen einer typischen Männergrippe ist jedoch nach wie vor nicht zu spaßen. Schließlich hat diese über die Jahrhunderte mehr Opfer gefordert als alle Weltkriege, Pestausbrüche und Dschungelcamp-Staffeln zusammen…

Für uns Männer ist es ratsam, bereits beim Einsetzen des ersten Halskratzens in der Apotheke das komplette Erkältungssortiment forschender Pharmaunternehmen zu ordern und das Testament aufzusetzen. Man(n) weiß schließlich nie, welche tückischen Nebenwirkungen Omas Wadenwickel und Tee ohne Rum bei einem geschwächten Männerorganismus haben. Vorsorglich sollte man sich zudem mit einer letzten Videobotschaft schon einmal von seinen Freunden verabschieden, solange dies das unaufhörlich steigende Fieber noch zulässt, das schnell einmal 38 Grad erreichen kann…

Man(n) sollte hier nicht bis zum letzten Moment warten und dann alleinig durch seine Rotznase in einem verwackelten Video in Erinnerung bleiben wie damals die Protagonisten im Film „Blair Witch Project“. Wegen der höllischen Schmerzen einer wunden Nase und eines rauen Halses, die sicher größer als jeder Geburtsschmerz sind, und der panischen Angst vor einem nächtlichen Erstickungstod kann man einer Männergrippe nichts Gutes abgewinnen. Nicht einmal aus evolutionärer Sicht. Es trifft schließlich nicht nur dumme, hässliche und überhebliche Männer, sondern auch solche wie mich…

Wenn uns Männern nicht einmal mehr Couch und Netflix Spaß machen, dann sollten Frauen wissen, dass es Zeit ist, eine Kerze anzuzünden und zu beten. Das einzig Positive für einen Todgeweihten sind in diesem Moment noch die vielen bunten verschreibungspflichtigen Medikamente, die das Leben mit Glied(er)schmerzen und ohne Geruchs- und Geschmackssinn erträglicher machen. Zusammen mit Energydrinks haben diese übrigens erstaunliche Effekte. Ohne sie hätte man nie erfahren, dass kleine grüne Männchen hinter den Heizkörpern wohnen und die eigene Katze Polnisch spricht…

Andererseits kommen einem nach der Weihnachtsvöllerei ein paar Tage ohne Appetit ganz gelegen. Schließlich würde man es diesen Sommer gerne vermeiden, dass einen beim Standurlaub wieder Aktivisten einer Walschutzorganisation ins Meer ziehen. Bei einem Infekt nimmt man schließlich ab, ohne dass hierfür das Telefon klingeln muss. Man erspart sich auch das lästige Einkaufen, da endlich weg kommt, was schon längst hätte weg müssen. Was können einem Monate alter Joghurt oder Schimmelkäse, der eigentlich einmal Gouda war, schon anhaben, wenn man voller Antibiotika ist…

Was ich bei Erkältungen weit weniger fürchte als Fieberzäpfchen ist der obligatorische Besuch beim Hausarzt. Anders als bei richtigen Medizinern geht von Hausärzten ja keine Gefahr aus, da sie nicht wie Urologen ihre Finger in Körperöffnungen stecken und auch nicht wie Dermatologen verkünden, dass das süße Muttermal gar nicht so süß ist und Zukunftsplanungen weitgehend unnötig macht. Hausärzte wollen sich nicht wie Chirurgen erst einmal alles von innen ansehen und haben auch anders als Zahnärzte keine Gerätschaften, die Löcher und furchterregende Geräusche machen…

Einem Hausarzt reicht Blutdruckmessen, einmal Husten lassen und die Krankenversicherungskarte jedes Quartal und schon ist die gewünschte Diagnose samt Krankenschein attestiert. Als Kind verstand ich es allerdings nicht, warum ich mich beim Onkel Doktor ausziehen sollte und dafür einen Lutscher annehmen durfte, bei Onkel Heinz jedoch nicht. Ich mochte meinen Hausarzt damals auch nicht, da er meinen Eltern immer etwas vom starken Übergewicht ihres Sohnes erzählte und ich erst in der Pubertät schmerzlich feststellte, dass er damit nicht meinen Bruder meinte…

Dennoch waren Ärzte für mich als Kind Götter. Götter in Weiß, die Golf spielen. Es sollte einige Jahre und Partys mit Medizinstudentinnen dauern, bis mir klar wurde, dass es sich eher um Teufel in Weiß handelt, die zwar gerne einlochen, dass das mit Golf aber nur insofern zu tun hat, als dass es dessen Rücksitze beansprucht. Damals lernte ich, dass Ärzte nie kommen, wenn man schreit, sondern schreien, wenn sie kommen. Mein Verhältnis zu Medizinern hat sich erst verbessert, seitdem sich das „Bitte freimachen“ auf Untersuchungen beschränkt, die von der Krankenkasse bezahlt werden…

Mittlerweile freue ich mich sogar auf Besuche beim Hausarzt, um live und in Farbe miterleben zu dürfen, was Reality-Soaps und Pseudo-Dokus im Trash-TV nicht einmal annähernd wahrheitsgetreu wiedergeben. Wie viele Rentner mögen wohl diesmal bereits Stunden vor Sprechstundenbeginn vor der Praxistür herumlungern und darauf warten, sich den tagesaktuellen Zustand ihrer Hühneraugen begutachten oder bescheinigen zu lassen, dass an ihrem Armstumpf, den sie aus dem Krieg mit nach Hause gebracht haben, noch immer keine neue Hand gewachsen ist…

Auf dem morgendlichen Weg zum Arzt sehe ich gebückte Schatten mit Stock, die wie Zombies zur Praxis wanken, um als Erstes Urin abgeben zu können. Es erinnert an Rudelbildungen vor Apple-Stores, wenn es ein neues iPhone gibt; nur mit Rollator. Hätten Rentner nicht Rheuma, sie würden auch Nächte im Schlafsack vor Arztpraxen verbringen, nur um tags darauf Erster zu sein. Für Rentner nicht auszudenken, wenn ihr Lieblingsstuhl im Wartezimmer neben der Plastikpalme schon besetzt wäre oder bereits ein Fremder sich dem Rätsel der neuen Apothekenumschau angenommen hätte…

Ich möchte indessen gar nicht Erster sein. Entginge mir dann doch der Charme der Praxishelferinnen, die nach dem zehnten Rentner, der vor dem ersten Berufstätigen an die Reihe kommen will, dem von Metzgereifachverkäuferinnen gleicht. Ich selbst bleibe stets freundlich, was die Chancen erhöht, dass bei der Blutentnahme nicht die dicke Nadel genommen wird, mit man sonst Pudding in Krapfen füllt. Auch wenn ich, wenn eine Helferin wieder ungläubig auf das „Dr. Wolf“ auf meiner Versicherungskarte blickt, gerne sagen würde, dass auch Doktoren krank werden. So wie Köche auch Hunger haben…

Meine Freundlichkeit wird meist belohnt. Ich komme dann ohne einen Fuß auf den Linoleumboden des nach Schweiß und Auswurf riechenden Wartezimmers setzen zu müssen an mein Rezept. Sogar noch vor dem pensionierten Beamten mit den Krücken, der sich lautstark darüber beschwert, dass er als Privatpatient nicht mit einer Sänfte in die Praxis getragen wird. Zu Besänftigung wird ihm eine völlig unnütze, aber von seiner privaten Kasse in vollem Umfang getragene Untersuchung angeboten, die er gerne annimmt, so lange daraus keine Diagnose resultiert, die ihm nicht gefällt…

Zuhause werfe ich mir dann alles an Pillen ein, was das Rezept hergibt, und mich auf die Couch. Falls davon nichts hilft, blieben nur noch Globuli oder meine Nachbarin Andrea. Die ist Jägerin. Ich schicke ihr mal mein Abschiedsvideo. Weihnachtsgrippe… gruenetomaten@live-magazin.de.

Patrik Wolf

P.S. Trinkt eigentlich wirklich jemand freiwillig aus den stets halbleeren Wasserflaschen, die in Wartezimmern von Arztpraxen bereitstehen?

Previous ArticleNext Article