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Grüne Tomaten schlafen wütend

Alter-na(t)iv-los!

Anders als Peter Pan in meinem Märchenbuch war ich als Kind schon früh der Überzeugung, dass es Sinn macht, erwachsen zu werden. Erwachsene hatten schließlich damals wie heute uneingeschränkt Zugang zu Süßigkeiten, Limonade und Fernseher und obendrein auch noch die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, ob ein Zimmer aufzuräumen, ein Teller leerzuessen oder ein Vorgarten ungeeignet ist, um dort ein Schaf zu halten. Derartige Vorzüge ließen mich als kleiner, dicklicher Junge völlig außer Acht lassen, dass erwachsen zu werden wohl auch zwangsläufig heißt, langweilig zu werden…

Irgendwie hatte ich mir das mit dem Älterwerden damals anders vorgestellt als es schlussendlich kam. Nicht unbedingt wie bei hässlichen Raupen, die sich verpuppen und als schöne Schmetterlinge neu geboren werden, aber auch nicht viel anders. Während der Pubertät hatte ich täglich die Hoffnung, aus meinem kindlichen Dornröschenschlaf erweckt zu werden. Wenn auch nicht unbedingt durch den Kuss eines Prinzen. Dass es länger dauerte als gehofft, bis ich als Erwachsener erwachte, mag daran gelegen haben, dass ich weniger wie Dornröschen als vielmehr wie Rumpelstilzchen aussah…

Bedenkt man, dass ich als Kind noch der Ansicht war, dass nur Großmütter und Dinosaurier älter als Vierzig sind, muss ich mittlerweile feststellen, dass auch ich dieses Alter längst erreicht habe. Allerdings ohne selbst Oma oder ein T-Rex zu sein. Dass Vierzig heutzutage das neue Dreißig sein soll, tröstet nicht, wenn man sich daran erinnert, dass Jesus schon mit knapp über Dreißig Probleme mit dem Kreuz hatte. Wenn man es genauer betrachtet – und Spiegel lügen nicht – ist Vierzig wohl eher das neue Fünfzig. Zumindest morgens, wenn man abends zuvor mit Kumpels unterwegs war…

Der Übergang vom juvenilen zum adulten Homo sapiens war bei mir schleichend und dennoch überraschend. Es war nicht etwa so, dass ich eines Abends als flaumiges Kind mit Hühnerbrust im Disney-Schlafanzug ins Bett ging und morgens als vollbärtiger Erwachsener mit Männerbrust in Hemd und Krawatte wieder aufstand. Irgendwie scheine ich den Moment verpasst zu haben, an dem mein Körper von Jung auf Alt und damit leider auch von Elan auf Elend umstellte. Und da sitze ich nun heute, im Kopf nicht älter als Mitte Zwanzig, gefangen im Körper eines Typen Mitte Vierzig…

Ehrlich gesagt gab es schon vor vielen Jahren deutliche Anzeichen, dass ich erwachsen geworden bin und damit so, wie ich nie sein wollte: wie meine Eltern! Bestand zur Studentenzeit der überwiegende Teil meiner Mahlzeiten noch bewusst aus Döner, Pizza und Dosenravioli, ernähre ich mich heutzutage als Erwachsener unbewusst bio, regional und fair-trade. Das Salz in der Küche stammt nicht mehr aus dem Discounter, sondern aus dem Himalaja und kostet pro Gramm mehr als anständiges Koks. Statt Maggi würze ich mit Koriander und esse Salatsorten, die früher noch als Unkraut galten…

Insbesondere beim Thema Wein wird der Unterschiede zwischen Jung und Alt deutlich. Mit Zwanzig unterschied ich wie die Meisten nur Flasche von Pappkarton und vielleicht auch noch Weiß von Rot. Meine Kaufentscheidung richtete sich nach dem billigsten Preis oder dem hübschesten Etikett. Mit über Vierzig kennt man Rebsorten, Anbaugebiete und Tannine und weiß, was ein Dekanter ist. Alles ist unnötig kompliziert, seitdem Weine atmen müssen, nicht mehr mit Cola gemischt werden und nur noch aus bauchigen Kristallgläsern statt aus alten Senfgläsern getrunken werden dürfen…

Als Erwachsener hat Mann nicht nur graue Haare und ein gestörtes Verhältnis zur Körperwaage, man gibt auch ohne Scham offen zu, auf Tupperpartys zu gehen, sich im Fernsehen den Bergdoktor anzuschauen und ganze Urlaubstage in Möbelhäusern zu verbringen, um Sofakissen zu finden. Man besitzt nicht nur Geräte wie Nasenhaarschneider, Heizluftfritteuse und Ultraschallbad für Brillen, sondern man benutzt diese auch. Was waren das früher für schöne Zeiten, als man noch Eiskrem im Supermarkt kaufen durfte und nicht wie heute Sorbet im Thermomix selbst machen muss…

In jungen Jahren war man genügsamer. Damals gab es nur drei Arten von Schmerzen: Solche nach Alkohol, solche nach Schlägereien und solche nach Trennungen. Als Erwachsener von heute kennt man allein 37 Arten von Kopfschmerzen. Vor allem aber glaubt man, dass man einen Backofen mit 18 Grill-Stufen und ein Fleischthermometer mit Smartphone-App braucht. Wo früher ein Zweiplattenherd genügte, muss es heute eine individuell geplante Küche mit Dampfgarer, A+++-Kühlschrank und sprechender Spülmaschine für 20.000 Euro sein, obwohl man weder kochen mag noch kann…

Dass man im Alter wie die eigenen Verwandten wird, die man als Kind immer so spießig fand, merkt man vor allem beim Feiern. Früher erschien man erst spätabends auf einer Fete, drückte dem Gastgeber wortlos eine Flasche Wein mit hübschem Etikett in die Hand und suchte nach einem freien Platz, einem kaltem Bier und einem heißen Mädel. Zu essen gab es Schinkennudeln von Mutti auf einem Plastikteller und für Vegetarier nichts. Veganer waren noch nicht erfunden. Man unterhielt sich mit guten Freunden über Studium, Freizeitparkbesuche, Fußball oder die dicken Brüste der Freundin des besten Kumpels und endete nach zu viel billigem Wodka kotzend auf der Toilette…

Mittlerweile beginnen Feiern um 19 Uhr. Statt Geschenk wird eine Spende ans Tierheim erwartet. Man bringt dem Gastgeber dennoch eine Flasche Bordeaux mit, die man mit vielen Worten über samtige Tannine überreicht. Es gilt Tischkarten, wohltemperierten Rosé und das einzige heiße Mädel ist eine Achtjährige mit Fieber. Die handgemachte Pasta des Partyservices wird auf teurem Porzellan serviert, ist glutenfrei und für alle geeignet, die Allergien haben oder Dörte heißen und Veganer*in sind. Man unterhält sich mit flüchtigen Bekannten über Job, Arztbesuche, Golf oder den dicken Babybauch der Frau des einst besten Kumpels und endet nach zu viel teurem Wasser mit Durchfall auf der Toilette…

Im Alter muss halt alles perfekt sein. Erst recht Feiern, da ungewiss ist, ob die nächste nicht vielleicht schon die letzte ist. Es kann doch aber nicht normal sein, dass man heutzutage Mitte der Vierziger körperlich und geistig schon so in Schutt und Asche liegt wie Deutschland damals zur gleichen Zeit. Vielleicht doch Sport machen? Bewegung ist im Alter wichtig. Laufen zum Beispiel oder sogar noch einmal Fußball? E-Sport zählt ja mittlerweile auch als vollwertiger Sport. Ich fange einfach mal mit FIFA 23 auf der PlayStation an. Alter-na(t)iv-los… gruenetomaten@live-magazin.de.

Patrik Wolf

P.S. Man ist spätestens dann erwachsen geworden, wenn man Müll nicht mehr macht, sondern trennt.

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