• Termine, News und Wissenswertes aus Saarbrücken, dem Saarland und der Welt:

L!VE-Redaktion

Tanzabstand mit Buntstiften

oder Die unleichte Erträglichkeit des Seins

Sandra Feit macht den Menschen Mut. Im Rahmen ihres Facebook-Projekts „Mutmalerin“ schreibt die Dudweilerin individuelle Briefe aus dem Land der Fantasie für Kinder und auch für Erwachsene, die etwas Mut und Zuversicht im Leben brauchen.

 

Hättet ihr gedacht, dass sich unser Leben einmal so schnell so massiv verändern würde? Wir erfahren im Moment durch ungewohnte Einschränkungen und Abstand, der uns schützen soll, die wohl radikalste Umstellung unseres Lebens. Der Wocheneinkauf erinnert mittlerweile an einen Eiertanz. Ein Schritt vorwärts, ein Schritt seitwärts und immer bemüht den richtigen Tanzabstand einzuhalten. Ich möchte aber nicht über all die Merkwürdigkeiten schreiben, die uns in den letzten Wochen verfolgen und teilweise ungläubig aus der Wäsche schauen lassen, denn für viele Menschen ist diese Zeit eine enorme Herausforderung und Zerreißprobe. Ungewissheit, Ängste und Unsicherheiten ploppen unkontrolliert wie heißgewordener Popcorn-Mais in uns auf. Da ist plötzlich nicht nur der räumliche Abstand zu Menschen, sondern vor allem eine enorme Distanz zu unserem bisherigen Leben.

Doch was bleibt eigentlich, wenn uns das Leben aufs Wesentliche zurückwirft? Wenn da scheinbar nichts mehr ist, außer uns selbst? Im ersten Moment mag es sich leer, ungewohnt und seltsam anfühlen. Wir blicken auf unbeschriebene und ungenutzte Seiten in unserem Buch. Etwas, das wir von unserem Alltag so gar nicht kennen. Ein leeres Blatt ist aber nicht einfach nur ein leeres Blatt. Es bietet Platz für Neues! In diesen leeren Räumen entstehen unendlich viele Möglichkeiten, Chancen, kreative und innovative Ideen. Sogar Träume können wahr werden. Ihr glaubt mir nicht? Nun einen Beweis dafür haltet ihr schwarz auf weiß in euren Händen. Ich habe nicht damit gerechnet, hier für euch schreiben zu dürfen. Doch seit ein paar Wochen ist nichts mehr normal oder gewöhnlich. Und so befindet ihr euch gerade mitten in meinem wahr gewordenen Traum, nämlich ein paar Zeilen Mut für euch. Schreiben war schon immer ein Teil von mir. Trotzdem habe ich Menschen immer beneidet, die malen konnten. So ticken wir Menschen nun mal. Wir schauen immer auf die anderen und was sie können, anstatt auf uns selbst. Es hat über vier Jahrzehnte gebraucht, bis ich verstand, dass auch ich male. Zwar nicht mit Farben aber mit Worten. So entstand vor einiger Zeit mein Projekt „Mutmalerin“. Ich schreibe Briefe für Menschen, die etwas Mut und Zuspruch in Ihrem Leben brauchen. Mich selbst habe ich nie für besonders wichtig gehalten. Was kann ich schon groß verändern in der Welt? Meine Worte sind schließlich nur Worte! Doch im Laufe der Zeit habe ich gemerkt, wie wichtig und wertvoll meine Arbeit ist. Was für mich ganz selbstverständlich auf dem Papier landet, nährt andere Menschen und schenkt ihnen Kraft. Man könnte sagen, ich koche so was wie eine sehr gute Gemütsbuchstabensuppe.

 

Das Rezept dafür entstand übrigens in meiner eigenen Existenzapokalypse. Ich kann daher sehr gut nachfühlen, was in den meisten Menschen gerade vorgeht. Und was so einfach daher gesagt ist, ist eigentlich, eine harte Vertrauensprobe ins Leben – aber haltet durch! Greift zu den „Buntstiften“ und werdet zu einem echten Trotzkopf! Kippt etwas Farbe in diese ganze Schwarzmalerei und haltet trotz Krise den Blick nach vorne gerichtet. Ich kann euch nämlich hingegen der apokalyptischen Gerüchteküche versprechen: es geht weiter. Kein Moment und keine Situation hält ewig. Weder die guten, noch die schlechten. Unser Leben verläuft nicht linear. Es hält sehr viele Überraschungen für uns bereit, die furchteinflößend, überwältigend, ungewiss aber auch aufregend, schön und voller Freude stecken. Ich sehe das Leben als Abenteuerreise und jeder Mensch ist der Held seiner eigenen, ganz individuellen Geschichte.

 

Im Moment stehen wir allerdings alle im Stau auf der C19. Um hier gut durchzukommen, brauchen wir eine enorme Kraft, die weit über Optimismus hinausgeht. Wir brauchen Hoffnung! Sie ist dieser eine entscheidende Schritt, den wir zwischen unserem Abenteuer und dem Game-Over setzen. In schwierigen Phasen fällt es uns schwer, die Hoffnung zu aktivieren, doch sie ist immer da. Sie treibt uns voran, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Hoffnung ist diese kleine feine Stimme in uns, die uns zuflüstert, dass unser Tun einen Sinn ergibt, auch ohne das Ergebnis zu kennen. Schaut doch mal zurück, was ihr bereits alles im Leben geschafft und angepackt haben. Wie viele große und kleine Hürden ihr schon erfolgreich genommen haben. Was ihr alles gelernt, euch angeeignet oder erschaffen habt. Ich rede hier nicht nur von eurem Schulabschluss und eurer Arbeit als Ingenieur oder Bäcker. Ich meine vor allem die scheinbar kleinen Dinge in unserem Alltag wie zum Beispiel ein gelungener Kuchen, der gewechselte Reifen, das selbst gebaute Hochbeet, das aufgeräumte Wohnzimmer, die überwundene Flugangst, das Lächeln des eigenen Kindes, die getrockneten Tränen der besten Freundin. Zieht mal Bilanz, was ihr wirklich alles könnt – da ist so viel mehr! Und dann seid einfach mal verdammt stolz auf euch, denn das ist euer Werk!

 

Vielleicht hat der Superstau auf der C19 für immer unsere Reiseroute verändert, vielleicht kommen wir auch einfach nur langsamer ans Ziel. Das weiß im Moment keiner. Doch ich bin sicher, dass unsere zukünftige Reise sehr viel wertvoller und bewusster sein wird, da wir uns in diesem Stillstand wieder auf das Wesentliche besinnen können. Auf uns und unsere Werke! Auf all die leeren Seiten, die wir wieder mit mehr Aufmerksamkeit, einer helfenden Hand, einem Lächeln, einem guten Wort oder ein paar Zeilen Mut ausfüllen können, einfach so, von Mensch zu Mensch!

 

Passt gut auf euch auf und bleibt gesund!

Auf die Bücher – fertig – los

Die Saarbrücker Stadtbibliothek ist wieder da! Ihre Räume sind unter Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregeln für Leseratten jeden Alters wieder geöffnet. Die Nutzung der Bibliothek ist ausschließlich für die Ausleihe gedacht. Folgende Schutzmaßnahmen gibt es einstweilen zu beachten:

maximal dürfen sich 50 Personen in der Bibliothek aufhalten, es dürfen maximal zwei Personen zusammen eintreten, Kinder bis 12 Jahre nur in Begleitung eines Erwachsenen. Die Nutzung der Bibliothek ist ausschließlich für die Ausleihe gedacht. Die Aufenthaltszeit in den Bibliotheksräumen ist daher auf das Nötigste zu begrenzen. Lesen&Lernen, die Nutzung von Tages- und Wochenzeitungen, Kopieren oder am Computer surfen ist in den Bibliotheksräumen vorerst leider nicht möglich. Es wird darum gebeten, beim Betreten der Bibliotheksräume einen Mundschutz anzulegen und die Besucher sind angehalten, die entsprechenden Abstandsmarkierungen einzuhalten. Die Rückgabe von Medien erfolgt bis auf weiteres nur am Rückgabeautomat. Veranstaltungen können bis auf weiteres leider nicht stattfinden. Vorläufige Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag, 11-17 Uhr, und Samstag, 10-14 Uhr.

Stadtbibliothek Saarbrücken –  Gustav-Regler-Platz 1, 66111 Saarbrücken, Telefon: 0681-9052200, www.stadtbibliothek.saarbruecken.de

Gesicht des Monats: Cliff Hämmerle

Auch diesen Monat steht unser Gesicht des Monats wieder stellvertretend für viele #CoronaHelden. Der Blieskasteler Sternekoch Cliff Hämmerle und seine Lehrlinge, Leon Holzapfel, Alexander Weber, Florian Michaeli und Joshua Petry haben an gleich drei Tagen Mitte April für die nächtlichen Ausfahrten der Initiative Kältebus gekocht. Hämmerle‘s Restaurant ist zur Zeit natürlich auch geschlossen und so haben die Köche sich entschieden, am Standort des Kältebus zu helfen, weil sie etwas Sinnvolles in dieser schwierigen Zeit machen wollten. Sinnvoll bedeutete in diesem Zusammenhang auch lecker, denn Bibbelsches Bohnesupp, Geheiraade und Lyoner-Pfanne kamen sehr gut an. Solcher Einsatz stellt sicher, dass die Menschen auf der Straße in diesen Nächten der Corona-Krise, eine warme Mahlzeit oder auch belegte Brötchen, Getränke, Schlafsäcke, Isomatten, Süßigkeiten usw. bekommen. Bitte nachmachen!

Desinfektion – eine Frage von Kompetenz und Erfahrung.

Mit dem ersten saarländischen Masken-Drive-In hat die CPS Pharma Ende April für reichlich Schlagzeilen gesorgt. Denn hier gab es sie auf einmal, die begehrten Schutzmasken, für jedermann, in ausreichenden Stückzahlen – und vor allem in garantierter Qualität. Das ist für CPS Pharma selbstverständlich, denn die Firma kann auf langjährige, enge Geschäftsbeziehungen mit Kliniken, Arztpraxen, Krankenhäusern, Seniorenheimen, Apotheken, Praxis- und Sprechstundenbedarfshändlern und anderen Fachhändlern zurückgreifen. Schließlich wurden auch die drei Millionen Masken, die die saarländische Landesregierung verteilen ließ, von der CPS Pharma bereit gestellt. Auch aktuell hat das Unternehmen im Schnitt rund 1,2 Millionen Masken auf Lager und sieht sich für kommende Anforderungen gerüstet. Praktischerweise konnte das Masken-Drive-Inn gleich auf dem Betriebsgelände errichtet werden. Platz genug war vorhanden und ein kleine Holzhütte als Verkaufsschalter mit EC-Gerät zur kontaktlosen Bezahlung war schnell aufgebaut. Seitdem kann sich jeder „im Vorbeifahren“ von Montag bis Freitag von 10.00 bis 18.00 Uhr mit Einweg- oder FFP2-Masken versorgen. Doch die Firma CPS Pharma stellt ihre Kompetenz nicht nur mit Masken unter Beweis. Gegründet wurde die Firma bereits 2002 durch Stephan Schommer in Dresden. Seit der Firmensitz 2006 ins saarländische Beckingen verlegt wurde, ist das Unternehmen stetig gewachsen und ist mittlerweile ein Mittelständler mit mehr als 30 hochmotivierten Mitarbeiter/innen. Der teilsortimentierte Pharmagroßhandel handelt ausschließlich mit deutschen Originalprodukten. Dazu gehört die Eigenentwicklung BactoAttaQ, das nicht nur anhaltend antibakteriellern Schutz bietet, sondern auch Wirksamkeit gegen den TGEV-Coronavirus.

CPS Pharma – Rehlinger Str. 20, 66701 Beckingen, Tel: 06835-6058830, www.cps-pharma.con und www.bactoattaq.de

 

 

 

Freie Fahrt für Lego-Oma

Selbst ist die Frau! Eine 63jährige Rollstuhlfahrerin aus Hanau erlangte mit ihrem Beitrag zur Barrierefreiheit große Bekanntheit: mit selbstgebauten Rampen aus Legosteinen! Bereits 14 ihrer Rampen hat sie an Geschäftsleute übergeben, damit Gehbehinderte in Ladenlokale hinein rollen können. Das Interesse im In- und Ausland ist so groß, dass sie bereits Bauanleitungen in fünf Sprachen verfasst und verschickt hat und sie weiter in Social-Media-Kanälen als Lego-Oma auf das Projekt aufmerksam macht.

 

Livestreams: Mittendrin und nicht dabei

Zugegeben, so ein bisschen was vom Berg, der zum Propheten kommt, haben sie schon, die ungezählten Live-Streams von DJs verschiedenster Couleur. Aber in dieser anstrengende Zeit sind sie mehr als nur ein kleiner Lichtblick – und so manches Tanzbein setzt sich in der heimischen Quarantäne durch. Da ist wirklich alles dabei, vom angesagten DJ aus dem In-Club deiner Stadt bis hin zum Laptop-Unterhalter, der aus dem heimischen Schlafzimmer heraus seine Viertelstunde Ruhm sucht. Einen riesengroßen Vorteil haben alle gemein: anders als im Club im richtigen Leben, kann man dem Angebot in Nullkommanix den Rücken kehren, um nur Sekundenbruchteile später dem nächsten Kandidaten zu lauschen. Der Clubkontext ist dennoch gegeben, den die meisten der wirklich guten Streams kommen aus den wirklich hippen Locations, wobei Ausnahmen natürlich auch diese Regel bestätigen. Den unterhaltsamsten fast täglichen Live-Stream produziert der Pariser House-Gott Bob Sinclar. Seine „Funk Session“ beweist zudem, dass es keines technischen Overkills bedarf. Er streamt ganz einfach von zuhause aus nur mit seinen iPhone – und das Ganze geht richtig nach vorne. Massiv aufwendiger sind natürlich die regelmäßigen Ausgaben des Virtual Festivals des House Labels Defected, die freitags aus dem Londoner Kult-Club „Ministry“. Hier geben sich die Götter des HouseOlymps gleich im Dutzend vor die Kameras treten. Mehr Party geht via Live-Stream nicht! Aber auch im Saarland kann man Plattenlegern beim Mixen satter Beats via Twitch, Insta und Facebook zugucken und natürlich auch zuhören. Mit als Erstes am Start der Mauerpfeiffer mit seinem „Fuck Corona TV“, das die angesagtesten Techno-DJs der Region präsentiert. Gleichzeitig gibt es hier über die angeschlossene Crowdfunding-Kampagne die Möglichkeit den Club am Kreisel zu unterstützen. Aber natürlich lassen sich fast alle anderen Club von Apartment über Blau bis SoHo auch nicht lumpen. Einfach öfter mal das Internet befragen und gute Laune mit Musik in Clubqualität ist garantiert. Enjoy!

Mein Lieblingsding: Der Brexit

Ein gutes Vierteljahr vorgezogen hat Cäcilia Dragonat ihren ganz eigenen Brexit. Nicht etwa, dass sie an irgendeine Form der Aus- oder Umsiedlung gedacht hat. Nein, seit Oktober letzten Jahres ist sie auf den Hund gekommen – und der heißt Brexit. Der inzwischen acht Monate alte Boxer-Rüde wurde schnell zum absoluten Liebling der Familie. Cäcilia weiß auch, warum er so geliebt wird: „Er ist knuffig, motzt nicht, freut sich immer, wenn man heim kommt, hört gut und stundenlang zu und bringt uns zum Lachen. Außerdem darf er Schmusen und Kontakt aufnehmen mit wem er will. Kurz, er bereichert unser Leben. Das Gassi-Gehen wird zum Tages-Highlight – manchmal sogar off-Lein.“ Und wie kommt der Name? „Weil Brexit so gerne raus geht.“

Die Middle-Age-Krise

Hallo Mikrokosmonauten: Ab durch die Lebensmitte!

Ich liebe den frühen Morgen. Wenn man außer Vogelgezwitscher nichts hört und die Straßen noch menschenleer sind. Wenn die Sonne am Horizont langsam aus dem Schlaf erwacht und die Landschaft in dieses einzigartige Licht taucht, in dessen Glanz wir wie neu erstrahlen. Manchmal streifen wir mit Beginn des Tages aber auch die Sünden der Vergangenheit ab, wie ein schmutziges Kleid. Oder wir breiten den Schleier des Vergessens über unsere Fehler aus und hoffen, dass der neue Tag uns die Chance gibt, ein neues Kapitel zu beginnen. Früh morgens bin ich gerne in der Natur unterwegs und denke nach. Und nicht selten wird mir auf meinen Streifzügen bewusst, wie gut es mir eigentlich geht. Eine einfache Tatsache, die von solch großer Bedeutung ist. Ich mache mir total oft klar, dass ich eine zufriedene Frau bin. Ich bin gesund, fit, gutaussehend, habe kaum Schulden und keine Altlasten. Aber als ich  neulich ganz früh morgens so durch den Wald „spazierjoggte“ – das ist eine eigens kreierte Sportart zwischen spazieren und joggen – traf es mich wie ein Blitz: Ich hatte urplötzlich Todesängste. Ganz unvermittelt und ohne Vorwarnung. Und ich erschrak mich zutiefst darüber, weil ich zuerst gar nicht wusste, woher diese plötzliche Angst rührte. Und leider wurde mir in diesem Augenblick auch klar, dass ich diese Panikattacken schon häufiger hatte.

Warum liegen Lebenslust und Todesangst so nah beieinander?

Ich glaube, alles begann im Laufe des letzten Jahres. Vermehrt bekamen Freundinnen und Bekannte Kinder und heirateten. Es kam mir so vor, als wollten sie kurz vor Vierzig nochmal sämtliche konventionellen Raketen zünden, bevor es zu spät ist. Für mich war jeder Hochzeits- und Baby-Post bei Facebook ein Schlag ins Gesicht und ein bittersüßer indirekter Gruß an meine Person, dass mit mir etwas nicht stimmen kann, weil ich kinderlos und unverheiratet bin. Spätestens, wenn alle anderen Wege einschlagen, die dir selbst fremd erscheinen, hinterfragst du dein eigenes Dasein. Und mit dem Hinterfragen kamen die Panikattacken. Komischerweise immer gerade dann, wenn ich besonders enthusiastisch und gut drauf war. Wenn ich glaubte, alles liefe gerade besonders gut. Da kamen dann plötzlich Gedanken, dass mein Leben endlich ist und dass es nicht mehr vor, sondern hinter mir liegt. Und dass ich mich beeilen muss, wenn jetzt noch irgendwas auf meiner To-Do-Liste steht.  Es war eine Erkenntnis, die ich bisher nicht kannte. Es war, als stünde ich nach langem Wandern auf einem Hügel, um mich plötzlich umzudrehen und ins Tal zu schauen. Dorthin, wo sich mein Leben befunden hatte, das nun fast zu Ende gelebt war. Bis dahin hatte ich in dem Glauben gelebt, dass ich noch so viel Zeit habe! Andere, die mit dem Älterwerden nicht klarkamen und zu ihren Geburtstagen traurig wurden, habe ich nicht verstanden. Ich erwiderte denen immer nur: „Wir sind doch noch jung!“ Doch plötzlich war alles anders.

Midlife-Crisis?

Ich gebe zu, es sind  turbulente Gefühle, die mich gerade heimsuchen. Deshalb suche ich nach einem Wegweiser, einem Orientierungspunkt, der mir irgendwie Halt gibt in diesen doch sehr aufwühlenden Zeiten. Laut diversen Psychologen und Evolutionsbiologen sind wir Frauen Ende 30 ja auch bereits in unserer Lebensmitte angelangt. Wie sich das anhört! Allerdings weiß ich das auch schon, wenn ich den Spiegel schaue und Eins und Eins zusammenzähle. Der Psychologe C. G. Jung, der sich mit der zweiten Lebenshälfte intensiv beschäftigte, sagte über die Lebensmitte: „Dann, in der geheimen Stunde am Mittag des Lebens, wird der Tod geboren.“ Vielen Enddreißigern, so wie mir,  wird jetzt plötzlich bewusst, dass sie nicht ewig leben werden. Und mit dem Bewusstsein kommen die Fragen. Ich frage mich immer häufiger, was mir wirklich wichtig ist? Und ob ich meine Zeit damit vertrödeln will, Dinge zu tun, die ich nicht mag? Die Antwort lautet immer öfter: „Nein, dazu ist meine Zeit zu wertvoll!“ Die Lebensmitte ist der Höhepunkt unseres Daseins. Jetzt findet ein Wechsel, eine Veränderung statt. Und wir fangen an, vieles zu lassen, was uns überholt und unwichtig erscheint. „Herausfinden, was wirklich zählt“, heißt der zentrale Satz in diesem Lebensabschnitt.

Wenn ich ehrlich bin, spüre ich nichts von alldem, was in diesen schlauen Ratgebern steht, in denen es um die sogenannten „Middle Ager“ geht. In einem Buch des Wissenschaftsjournalist David Bainbridge steht beispielsweise, in seinem Mittel-Alter sei der Mensch dermaßen ausbalanciert zwischen Schöpfung und Zerstörung, Gefühl und Verstand, dass ich mich eigentlich glücklich schätzen müsste, endlich am kognitiven Höhepunkt im Leben angelangt zu sein. What? Also von Balance kann hier nicht die Rede sein. Eher ein Laufen über Glasscherben. Und ich komme nicht dran vorbei, mir die Frage zu stellen: „Wie bekomme ich die Kontrolle über mein Leben zurück?“. Irgendwann im Laufe des letzten Jahres dämmerte es mir: Ich konnte nicht komplett nachholen, was ich in der ersten Hälfte meines Lebens versäumt hatte.  Aber ich konnte dafür sorgen, zufriedener zu werden. Das mit der erfolgreichen Pianistin und Eiskunstläuferin konnte ich mir aus dem Kopf schlagen. Aber ein Keyboard kaufen und Schlittschuhlaufen konnte ich durchaus. Es gelang mir immerhin in kürzester Zeit, zweihändig zu spielen und auf dem Eis Pirouetten zu drehen. Mir wurde bewusst, dass es darum ging, sich angemessen um Defizite zu kümmern und herauszufinden, was ich für mich selbst tun kann. Und bis vor einigen Wochen wusste ich noch nicht mal, dass das Wort „Krisis“ eigentlich „Entscheidung“ bedeutet. Eine Midlife crisis ist demnach eine Transformation. Bis dato dachte ich immer, es sei einfach eine scharfzüngige Bemerkung für alternde Playboys in schnittigen Sportwagen. Aber wir dürfen die Krise weder belächeln, noch mittendrin abbrechen. Denn wir hängen alle mit drin. Nicht nur ich habe eine Krise, auch die anderen bekommen sie. Manchmal sogar wegen mir? Ich gebe zu, es ist nicht leicht mit mir. Und in dieser Zeit erst recht nicht. Freunde, Kollegen, Partner, Familie kommen gewiss manchmal an Grenzen, wenn es mir wieder stinkt. Wenn ich „Nein“ sage und meine Ruhe haben möchte. Mich selbst verwirklichen will. Ich befinde mich in einem Lernprozess. Ich möchte erfüllt leben. In diesem Buch „Wir Middle-Ager“ von Bainbridge steht übrigens auch, plötzliche Veränderungen seien typisch für diese Lebensphase. Plötzlich wird die Haut trocken, plötzlich nehme ich an den Hüften schneller zu, plötzlich bin ich mittel-alt. Und, wie er meint, auf dem Höhepunkt der mentalen Stabilität. Die mag kommen. Doch in jene Middle-Agerin muss ich mich erst noch verwandeln. Im Moment schwanke ich immer noch zwischen Panik und Begeisterung.

Was bleibt ist dieser unbändige Überlebensinstinkt, der sich Lebenslust nennt. Ich fordere mehr Selbstbewusstsein von mir selbst und belohne mich dafür immer häufiger mit gutem Essen, einem tollen Wein oder materiellen Dingen. Ich möchte unabhängig bleiben und dennoch lieben. Ich möchte frei sein in meinen Entscheidungen und noch so viel wie möglich von der Welt sehen. Ich möchte, dass es meiner Seele gut geht und will mich frei machen von sämtlichen Konventionen. Ich will einfach glücklich sein!

Letztendlich ist es doch so: Diese Panikattacken werden mir immer wieder passieren. Ich kann sie nicht eliminieren. Ebenso auch nicht dieses Hin- und Hergerissen sein, ob ich jetzt himmelhochjauchzend oder zu Tode betrübt sein soll. Aber ich sage es mal so: Das Alter, in dem ich jetzt bin, ist so ein bisschen wie die Pubertät. Unberechenbar, schräg, merkwürdig, aber auch verdammt spannend. Also Anker los und raus auf die hohe, tobende, stürmische See. Zur Lebenslust gehört nämlich auch ein bisschen Übermut.

Ich höre was, das du nicht siehst

Zu den ganz wenigen positiven Dingen, die wir dem Corona-Virus verdanken, gehört mit Sicherheit der aktuelle Hype um Podcasts. Allein bei iTunes und Spotify finden sich weit mehr als eine halbe Million deutschsprachiger Produktionen. Da haben mal genau hingehört und versucht, uns einen Überblick zu verschaffen. Read more

Rettet die Omas

Über Jahrzehnte hinweg waren diejenigen unter uns, die aufgrund ihrer späten Geburt irgendwann in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts nicht mehr das Glück hatten, einen Weltkrieg, die Straßenkämpfe der 68er-Bewegung oder die RAF miterleben zu dürfen, in einem ziemlichen Dilemma: Auf die Frage, von welchen prägenden Lebensereignissen sie später einmal ihren Enkeln berichten können und sollen, gab es keine valide Antwort. Was würde die eigenen Kindeskinder bloß einmal so fesseln können, wie einen selbst damals Omas Geschichten, als sie erzählte, wie Opa in den 1940ern seine Stiefel irgendwo in Stalingrad verlor und seine Füße gleich mit…

Wer wie ich als jemand in den Vierzigern nach Lebenserfahrungen sucht, die er seinen Nachfahren einmal mit auf den Weg geben möchte, ist unsicher, ob Erlebnisse wie Maradonas Tor mit der „Hand Gottes“ bei der Fußball-WM 1986 oder das dreitägige Warten auf ein iPhone 4 vor einem Apple-Shop 2010 ausreichend wichtig sind, um an die nächsten Generationen weitergegeben zu werden. Auch wenn es seiner Zeit für mich selbst unfassbar traurig und bedeutend war, als das Yps-Heft eingestellt wurde, war das Verschwinden der Urzeitkrebse vom Zeitschriftenmarkt historisch gesehen wohl doch nicht so bedeutend wie das Verschwinden der Dinosaurier von der Erde…

Seit einigen Wochen können sich jedoch nun alle, die Hitler, Dutschke, Ensslin oder Dragonat nur noch aus Büchern, einer Guido-Knopp-Reportage oder daher kennen, weil sie deren Namen gerade gegoogelt haben, glücklich schätzen: Dank SARS-CoV-2 haben auch wir Prä- und Post-Millennials endlich etwas, von dem wir im Rentenalter Spannendes berichten können. Vorausgesetzt wir haben das Virus bis dahin überstanden und liegen dann nicht gerade zur Beatmung auf einer Intensivstation. „Corona“ klingt nicht nur wie der Titel eines neuen Dan-Brown-Romans, die Story um das Virus aus Wuhan ist auch genauso spannend, was ihr noch unbekanntes Ende angeht: Wer steckt dahinter? Wie viele Tote wird es geben? Gibt es eine baldige Fortsetzung? Spoiler Fehlanzeige…

Der Mensch ist bekanntlich nicht das intelligenteste Lebewesen auf der Erde, auch wenn er das gerne von sich glaubt. Im Gegensatz zu Tieren ist er weder beim Fortbewegen an Land noch im Fliegen, Schwimmern oder Sex ohne technische Hilfsmittel besonders gut. Während tierischer Nachwuchs oft bereits nach Stunden auf eigenen Beinen steht, schafft menschlicher Nachwuchs das meist nicht einmal nach 25 Jahren und einem abgeschlossenen Studium. Bestes Beispiel für die Überlegenheit der Tiere ist die Meeresschildkröte, die ihre Eier nachts am Strand ablegt und danach für immer verschwindet. Etwas, was Menschen fremd ist, sieht man einmal von alleinerziehenden Müttern ab, die seiner Zeit nach einem One-Night-Stand schwanger aus dem Ibiza-Urlaub kamen…

Bislang war die Wissenschaft davon überzeugt, dass es die Evolution war, die dazu geführt hat, dass der Mensch die Bäume verließ und begann, aufrecht zu gehen. Mit blickt auf unser archaisches Verhalten in den letzten Wochen beschleicht sich die Vermutung, dass unsere Vorfahren eher aus Dummheit von den Bäumen fielen und danach nur deshalb auf zwei Beinen weiterliefen, damit ihre Fingernägel länger halten. Die Annahme, dass sich unsere Intelligenz und soziale Kompetenz seit dem Neandertal weiterentwickelt haben, muss jetzt, wo wir wissen, dass es zum Leben nicht nur Wasser und Nahrung, sondern insbesondere Toilettenpapier braucht, als falsch angesehen werden…

Wer hätte bis vor kurzem gedacht, dass es nicht nur ethnische Konflikte in Asien oder der Kampf um Bodenschätze in Afrika sein können, die zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen führen, sondern auch der Kampf um Nudeln und Mehl mitten in Deutschland. Und das in einer Zeit, in der eigentlich kaum jemand mehr selbst backt, da er Brötchen lieber beim Discounter kauft, und Pasta üblicherweise beim Lieferservice bestellt. Wer momentan glaubt, dass gemahlener Weizen, geformter Hartweizengries und aufgerollter Zellstoff derart lebenswichtig sind, dass sie Ringkämpfe vor Supermarktregalen erfordern, der sollte zum Schutz vor Covid-19 auch über einen Hut aus Alufolie nachdenken…

Dass Corona nur so mittelgeil ist und uns einmal ziemliche Kopfschmerzen bereiten wird, war mir bereits klar, als ich zum ersten Mal eine Kiste davon getrunken hatte. Man muss kein Epidemiologe oder besonders intelligent sein, um zu verstehen, dass bei Ansteckungskrankheiten Maßnahmen wie Abstand halten, zuhause bleiben und Hygiene viel dazu beitragen, Ausbreitungen zu verlangsamen. Alternativ könnte man auch wie im Mittelalter Erkrankte einfach aus der Stadt jagen und durchseuchte Ländereien mit einer Schutzmauer umziehen, damit sich das Problem von selbst löst. Zumindest Letzteres funktioniert heutzutage nicht mehr, wie die Erfahrungen mit der DDR gezeigt haben…

Herdenimmunität funktioniert bei Menschen wohl nur bei der Immunität gegen Fakten. Geschlossene Lokale haben dazu geführt, dass sich Verschwörungstherorien und zweifelhafte Neuigkeiten aus dem Internet nach dem zehnten Pils nun nicht länger nur in der Stammkneipe, sondern auch in sozialen Netzwerken verbreiten: Dass schon die Simpsons das Coronavirus vorausgesagt haben, Luftanhalten als Schnelltest geeignet ist oder Alkoholgenuss und Oralverkehr – gerne auch kombiniert – als Prophylaxe ungeeignet sind. Man sollte nicht alles glauben, was man hört! Elvis starb keineswegs an Covid-19, sondern an einem vergifteten Mettbrötchen 2013 in einer Jugendherberge bei Bottrop …

Auch wenn Jüngere es oft nicht wahrhaben möchten, haben die letzten Wochen doch gezeigt, dass es im Leben ab und an größere Herausforderungen gibt als bei FIFA 20. Manchmal sollte man gerade in jungen Jahren froh sein, dass es bindende Regeln gibt: Sowohl nach ungeschütztem Sex wie auch wenn es darum geht, einen Virus im Zaum zu halten. Um schweigend aufs Smartphone zu starren und Freunden Textnachrichten zu schicken, braucht man nicht neben ihnen im Park zu sitzen. Mein Großonkel fühlte sich damals mit zwanzig auch unsterblich, wurde an der Front dann aber eines besseren belehrt. Soll heißen: Zuhause wäre das nicht passiert. Bei Bombenwetter daheim bleiben…

Mit der ungewohnt vielen freien Zeit geht jeder anders um. Die einen räumen auf und trennen sich zuerst vom langweiligen Bettbezug und danach von der langweiligen Bettbeziehung, die anderen flüchten vor der Einsamkeit und kommen mit dem zusammen, mit dem sie zuvor nur zusammen kamen. Wer handwerklich begabt ist, frönt dem nun reichlich vorhandenen Toilettenpapier und dem Internetangebot für Erwachsene, um sich seelisch wie auch anderweit zu entspannen, oder bastelt aus seinen alten Unterhosen Gesichtsmasken, um sie für den Preis eines Kleinwagens zu verkaufen. Viele holen auch längst benötigten Schlaf nach und zwar morgens im Home-Office…

Aus „Wir lagen vor Madagaskar und hatten die Pest an Bord“ soll kein „Wir lagen auf der Parkwiese und hatten Corona für alle“ werden. Was sich letzten Sommer noch wie eine spaßige Freibierparty angehört hätte, ist derzeit alles anders als Spaß. Ob sich junge Dinosaurier damals auch gut gelaunt zu Meteoriteneinschlags-Partys auf kreidezeitlichen Grünflächen getroffen haben? Wir können sie leider nicht mehr fragen. – Wer nächstes Weihnachten mit Oma und Opa zuhause statt auf dem Friedhof feiern möchte, sollte daher schlau sein: Abstand halten, Hände waschen, Maske auf und wenn es geht, zuhause bleiben. Rettet die Omas… gruenetomaten@live-magazin.de.


Patrik Wolf

P.S. Keep calm and wash your hands.