Jeder verbringt seinen Samstag anders. Die einen nutzen ihn für den allwöchentlichen Jahresputz der Wohnung und jagen dabei dem nicht wahrnehmbaren, aber wegwischbaren Staub hinterher. Andere halten es für eine gute Idee, Einkäufe, die sie auch gut die Woche über machen könnten, zur samstäglichen Stoßzeit zu erledigen, wenn die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass es beim Kampf um den letzten freien Parkplatz vor dem Supermarkt oder um die letzte Packung Desinfektionsmittel zu Handgreiflichkeiten kommt, bei denen niemand mehr an Smart-Distancing denkt. Wiederum andere verbringen den halben Tag damit, sich an die vergangene Partynacht zu erinnern und danach den übrigen Tag damit, die wiedererlangten Erinnerungen noch einmal zu vergessen…
All diese Menschen haben gemeinsam, dass sie ihr Wochenende mit Stress verbringen, von dem sie sich eigentlich erholen wollten. Auch ich war lange der Meinung, Samstage wären zum Badputzen und Leergutwegbringen da. Mittlerweile bin ich der Ansicht, dass man auf Dinge, ohne die man fünf Tage in der Woche gut auskommt, auch noch einen weiteren Tag verzichten kann. Man nutzt den ersten Tag des Urlaubs ja auch nicht für die Steuererklärung, warum dann den ersten Tag des Wochenendes für die Hausarbeit? Ich entspanne samstags lieber. Und das am liebsten beim Friseur. Nicht weil mein Haar noch so voll wäre, dass ich dauernd einen Haarschnitt bräuchte, sondern einfach weil es amüsanter ist als Kacheln zu schrubben oder vor einem piepsenden Leergutautomaten zu warten…
Wenn wir alle in der Zeit der Corona-Pandemie etwas gelernt haben, dann, dass nicht nur Polizisten, Ärzte und Angestellte der Toilettenpapierindustrie systemrelevant sind, sondern auch Friseure. Nach drei Monaten ohne Haarschnitt sah ich letztens nicht viel anders aus als Reinhold Messner nach mehrmonatiger Yeti-Suche und ehrlich gesagt auch nicht viel anders als der Yeti selbst. Die Wochen des Lock-Downs hatten zwar auch ihr Gutes: Man(n) verbrachte mehr Zeit mit Familie, Kochen und einem guten Wein. Sie hatten aber auch weniger Gutes: Man(n) verbrachte mehr Zeit mit Familie, Kochen und einem guten Wein zu viel. Dazu bei jedem Blick in den Spiegel die Erkenntnis, dass ich mehr Haare auf dem Kopf hatte als ein Schlagersänger in den 1980ern …
Also auf zum Friseur! Nichts gegen Innenstadt-Hairstylisten, die einem für ein halbes Monatsgehalt Himalaja-Wasser und Trüffel-Shampoo statt Leitungswasser und Haarwaschmittel aufs Resthaar tun, aber was das Haareschneiden angeht, bin ich konservativ. Technobeschallte Filialkettenfriseure mit drei Festpreisen und im Akkord schnippelnden Cutterinnen mit oder ohne Ausbildung als Friseurin oder Landschaftsgärtnerin, die ihre Arbeitsstelle so schnell wechseln wie ihre Sexualpartner und mehr Metall im Körper als in der Schere haben, mögen zwar im Trend liegen. Ich bevorzuge jedoch seit jeher den Laden um die Ecke, der sich noch „Damen- und Herren-Salon“ nennt und in dem bereits mein Opa mit der gleichen Schere wie ich Scheitel und Bärtchen gestutzt bekam…
Man mag mich für altmodisch halten, aber wenn es darum geht, mir mit einer messerscharfen Klinge den Haaransatz rasieren zu lassen, vertraue ich einer 61-jährigen Friseurmeisterin, die auf eigene Rechnung arbeitet, mehr als einer 16-jährigen Friseurauszubildenden, die pro Kopf bezahlt wird. Ich schätze das traditionelle Friseurhandwerk, bei dem man sich noch die Zeit nimmt, zu schauen, wo das Haar endet und das Ohr beginnt. Zum Friseur gehört für mich der Geruch von Dauerwellenwasser und kein Mangoduft in der Klimaanlage. Ich brauche keine Lounge-Sessel im Wartebereich, mir reicht es, nicht warten zu müssen. Es interessiert mich auch nicht, ob man mir einen Haarschnitt wie Brat Pitt oder Zac Efron verpassen kann, so lange es deren Körper zur Frisur nicht mit dazu gibt…
Ich brauche auch kein WLAN und keinen Latte Macchiato, mir genügen Zeitschriften und Filterkaffee, wenn ich dafür beim Ponyschneiden das Augenlicht nicht verliere. Ich kann gut damit leben, wenn Haarshampoo nicht nach Rosen duftet, sondern nur so zwickt. Und das Gesichtspeeling, für das ich beim Modefriseur draufzahle, bekomme ich beim Dorffriseur dank alter Frotteehandtücher kostenlos dazu. Auch wenn alteingesessene Friseure im Stil der 1970er als so ästhetisch gelten wie Pornos aus dieser Zeit, kann ich nun einmal besser entspannen, wenn mich durch den Spiegel nicht aus dem Dekolletee quellende Push-up-Brüste anstarren, sondern ich weiß, dass die Brust meiner Friseurin dort ist, wo sich auch meine abgeschnittenen Haarsträhnen befinden: irgendwo am Boden…
Ein Mann in den Vierzigern wie ich gibt zwar gerne seinen Körper in die Hände junger Frauen, nicht aber sein Haar. Ein Friseur braucht für mich keinen pseudokreativen Namen wie „Haarbracadabra“, „SaHaara“, „Hairoin“ oder „Vier Haareszeiten“. Ich möchte keine nach zu viel Dauerwellenwasser selbstkreierte Slogans auf Schaufenstern lesen wie „Kamm-in und Hair-Reinspaziert ins Hair-Zstück unserer ver-Locke-end Hair-Berge voller Haar-Monie“. Ein Friseur muss für mich „Salon Gabi“ heißen, montags geschlossen haben und samstags vollbesetzt mit in Kölnisch Wasser getränkter, weiblicher Stammkundschaft Ü65 sein, die seit Jahrzehnten jede Woche die gleiche Fönwelle bekommt, um für Samstagseinkauf und Sonntagsbraten gerichtet zu sein…
Wer glaubt, Twitter sei der schnellste Weg, um Neues zu erfahren, unterschätzt Frauen mit Stützstrümpfen, Lockenwicklern und graublauem Haar, die aussehen wie ihr Hund unter dem Friseurstuhl, sich unter Trockenhauben den neusten Klatsch und Tratsch aus Stadt und Land zuschreien und für jedes Problem die Lösung kennen. Wieso hören Geheimdienste eigentlich noch Telefone ab, wenn man beim Friseur ohne großen Aufwand alles erfährt. Nach meiner halben Stunde beim Friseur weiß ich, was unsere Regierung und der Bäcker um die Ecke bei Corona falsch gemacht haben und was nicht richtig, dass alles sowieso nur „hochsterilisiert“ ist und ein Gläschen Mariacron jeden Morgen zum Desinfizieren des Rachens mehr hilft als jegliches Händewaschen…
Dazu erfahre ich, welche meiner Schulkameradinnen zum dritten Mal vom vierten Mann schwanger ist, noch bevor diese es selbst ahnt. Es ist einfach herzallerliebst, wenn Geheimnisse und Verschwörungstheorien in Flüsterlautstärke eines startenden Düsenjets an jeden weitergegeben werden, den es nichts angeht, aber interessiert. Hätte Guido Knopp in seinen Reportagen nicht immer nur über Hitlers Helfer, sondern auch einmal über Hitlers Friseure berichtet, wir wüssten heute, warum damals um 5:45 Uhr und nicht erst nach dem Frühstück zurückgeschossen wurde. Ich rechne es meiner Friseurin hoch an, dass sie das, was ich erleben darf, sie aber erleiden muss, nicht mit einem Scherenstich in die Halsschlagader beendet. Ich wäre in ihrem Job längst zum Hairkiller geworden…
Da ist Technomusik vielleicht dann doch ganz ratsam, um überhören zu können, was man überhören mag, und das siebte Lippenpiercing eine gute Ersatzhandlung, die einem 15 Jahre Gefängnis erspart. Aber was bleibt einem Friseur statt guter Miene zum bösen Spiel, wenn er vermeiden will, dass beim Bäcker über ihn genauso gelästert wird, wie bei ihm über den Bäcker. – Die Berufsbezeichnung „Friseuse“ wird übrigens als abwertend empfunden und wurde durch „Friseurin“ ersetzt. Laden Sie ihre Friseurin zum Dank für ihren schweren Job doch einmal zum Essen ein und machen ihr was aus der Friteurin. Gut abgeschnitten… gruenetomaten@live-magazin.de.
Patrik Wolf
P.S. Manche kommen mit geschnittenem Pony vom Friseur, andere vom Pferdemetzger.