Dick & durstig
Für Männer sind sie umso faszinierender, je dicker sie sind. Frauen dagegen empfinden sie oft als störend, wenn sie zu groß ausfallen und geben sich daher auch mit Kleinen zufrieden. Manche sind mit Plastik oder Metall getunt, andere kunstvoll bemalt. Während Männer sie in Weiß oder Schwarz bevorzugen, nehmen Frauen sie so, wie sie eben sind. Männer fühlen sich in ihnen geborgen und lieben es, in ihnen zu kommen. Frauen derweil schätzen es allenfalls, dass viel Milch in sie passt und neben den eigenen auch noch die Kinder der Nachbarn Platz haben. Asche auf das Haupt derer, die gerade an etwas anderes denken als an Sport Utility Vehicles oder kurz SUVs…
Was früher dem einen das Wikingerschiff und dem anderen der Führerbunker ist dem Mann von heute der Geländewagen: Eine vermeintlich uneinnehmbare Festung und letzter Rückzugsort, an dem nur die eigenen Regeln gelten, aber keine Verkehrsregeln. In einer Zeit, in der Frauen gleichberechtigt sind und sogar über das abendliche Fernsehprogramm entscheiden dürfen, verbleiben im Alltag eines Mannes kaum Momente, in denen er sich noch als echter Mann fühlen darf, bevor er zuhause den Müll trennen muss. Männer haben heutzutage nur selten noch die Möglichkeit zu zeigen, wer den Größten und Dicksten hat. Sieht man einmal vom eigenen Bauch und vom eigenen Wagen ab…
Ist es bei Männern in der Zwanzigern noch der Suff, für den das Gehalt draufgeht, ist es bei Männern in den Vierzigern der SUV, das Statussymbol für alle, die ein Statussymbol brauchen. Hat ein Mann das Alter erreicht, ab dem er überall gesiezt wird, werden für ihn Gelegenheiten rar, sich jung zu fühlen. Sieht man mal vom Besuch bei den Großeltern ab. Wenn sich schon keiner mehr nach einem als Mann umdreht, dann doch zumindest nach dem Auto, das Mann fährt. Frauen Ü40 finden selbst mit einem Kinderwagen, aus dem ein dicker Säugling röhrt, noch neue Kontakte. Männer Ü40 haben es da viel schwerer, selbst wenn aus ihrem Geländewagen ein dicker Motor röhrt…
Entgegen der irrigen Meinung vieler sind es nicht etwa ignorante Yuppies, die mit ihren SUVs dicht auffahren, sondern bloß hilflose Männer im mittleren Alter auf der plumpen Suche nach Anschluss. Wenn schon kein Rat mehr im Leben, dann zumindest Allrad im Auto. Wer Freiheit in Beruf und Beziehung vermisst, möchte diese wenigstens auf der Fahrt vom Büro nachhause. Selbst wenn es nur Bodenfreiheit ist. Wer sich täglich für den Job krumm macht, will zumindest erhobenen Hauptes und mit geradem Rücken aus seinem Auto steigen. In einem SUV ist es außerdem einfacher, über Alltagsprobleme hinwegzusehen, egal ob Stress, rote Ampeln und Fahrräder mit Vorfahrt…
Im SUV mit 100 Sachen durch verkehrsberuhigte Zonen an Kindergärten vorbei zu heizen, bleibt für Business-Männer heutzutage oft die einzige Möglichkeit, um nach einem harten Arbeitstag im Kopf einen Gang runter und im Auto einen Gang hoch zu schalten. Zur Seite hechtende Kinder und umher fliegende Plüschtiere erinnern an längst vergangene Jugendtage vor der Spielkonsole, als man bei Super-Mario-Kart versuchte, ohne Kollateralschäden ins Ziel zu kommen. Was einem damals im Spielzimmer jedoch ebenso wenig gelang wie heute in der Spielstraße. Wer mit 14 keine Angst vor Dinosauriern auf Go-Karts hatte, wird mit Vierzig kaum Angst vor Kindern auf Bobby-Cars haben…
Wer im Leben hoch hinaus will, der muss eben schnell voran. Ruhig und besonnen fahren kann Mann auch noch nach dem zweiten Herzinfarkt. SUV ist jedoch nicht gleich SUV. Kein Mann möchte wie damals Mehmet Scholl in der Dacia-Werbung das gleiche Auto fahren wie die eigene Frisöse. Man möchte ein besonderer Papa sein, der Verständnis erntet, wenn er Alimente nicht zahlt, da er den exklusiven Geländewagen abbezahlen muss, der so viel wie ein Reihenhaus kostet und so viel Sprit wie ein Panzer frisst. Da verzichtet Sohnemann von sich aus lieber auf warmes Essen, statt vor seinen Freunden mit einem mickrigen Kleinwagen vom Fußballtraining abgeholt zu werden…
Ähnlich wie bei einem Karnevalskostüm gilt auch bei einem SUV: Es muss nicht schön sein, aber auffallen und bei Frauen gut ankommen. Bei beiden interessiert es erst einmal niemanden, ob es das eigene ist oder bloß geliehen. Ein stattlicher Geländewagen hinterlässt nun mal Eindrücke und das nicht nur auf Katzen. Die breite Masse an Menschen bestaunt insgeheim die breite Masse an Auto, die so ein SUV darstellt, in dessen Kofferraum nicht nur der Wocheneinkauf passt, für den andere mit ihrem Kleinwagen zweimal fahren müssen, sondern gleich noch der Kleinwagen mit dazu…
SUVs haben im Alltag viele Vorteile. Bei den unzähligen Schlaglöchern in Bürgersteigen braucht es schon ein Auto mit großer Wattiefe, um auch bei Regen auf dem Weg zum Bäcker keine nassen Füße zu bekommen. Zig Geländesensoren ermöglichen es, auch auf dem engsten Behindertenparkplatz so zu parken, dass einem jeder abnimmt, behindert zu sein. SUVs sind zudem oft so hoch gebaut, dass kleingewachsene Politessen gar nicht bis an die Scheibe reichen, um dort Strafzettel festzumachen. Neueste Geländewagenmodelle verfügen sogar über extra leicht zu bedienende Lichthupen, aber auch über Ausstattungen, die kein SUV-Fahrer braucht, wie Blinker zur Spurwechselanzeige…
Kritiker von SUVs sind meist diejenigen, bei denen es nur zum Mittelklasse-Kombi gereicht hat, da sie unbedingt Lehrer werden wollten, und mit Mitte Vierzig nun auf ein Einfamilienhaus ohne Tennisplatz blicken, das weniger gekostet hat als ein SUV mit Stern. Immer diese Ökos in ihren TÜV-geprüften Fahrradhelmen, die ihre Kinder die 500 Meter zur Schule laufen lassen, statt sie zu fahren. Selbst wenn der 400 PS-Turbodiesel auf hundert Kilometern mehr schluckt als die Ölheizung einer Sporthalle im Monat, sind Geländewagenbesitzer nicht alleine Schuld, wenn aus Deutschland langsam Rußland wird. Die Feinstaubbelastung durch Reifen- und Bremsenabrieb von Fahrrädern ist auch nicht ohne…
Der Vorwurf, SUV-Fahrer würden nicht an die Zukunft denken, ist höchst unfair. Was werden die Archäologen in ein paar Tausend Jahren wohl lieber ausgraben? Ein Oberklasse-SUV aus München oder ein Lastenfahrrad aus Verbundmaterial? Wollen wir unseren Nachfahren in Erinnerung bleiben, weil sie majestätische Kolosse der Autoindustrie des 21. Jahrhunderts ausgraben oder bloß eine Fahrradklingel? Machen wir uns mit Vollgas aus dem Feinstaub. Dank E auf dem Nummernschild sogar 30 km elektrisch. Dick und durstig… gruenetomaten@live-magazin.de.
Patrik Wolf
P.S. Um scharf zu machen, gilt beim Kochen wie beim Date: Es braucht Cayenne.