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Grüne Tomaten schlafen wütend

Schweigen ist Silber, Ausreden sind Gold

Guter Rat ist bekanntlich teuer. Größeren Wert als ein guter Rat hat jedoch eine gute Entschuldigung oder besser gesagt: eine gute Ausrede. Gut ist eine solche immer dann, wenn sie nicht gleich von jedem durchschaut oder durch skeptische Nachfragen auf ihre Echtheit überprüft wird. Um einem lästigen Termin fernbleiben zu können, führt man da schon gerne einmal den unerwarteten Tod seiner Großmutter als Grund an. Wohl wissend, dass niemand einen Totenschein als Beleg fordern wird oder ahnt, dass Omas Ableben zwar durchaus plötzlich, aber eben bereits im Jahr 2001 war…

Eigentlich wurde einem als Kind beigebracht, dass man nicht lügen darf. Lügen hätten kurze Beine, hieß es im Kindergarten. Weswegen mein Freund Christian, der groß und stark werden wollte und lange Beine hierfür als nützlich ansah, immer grundehrlich zu jedem war. Was ihm wenig Freunde und viel Prügel einbrachte. Trotz seiner damaligen Ehrlichkeit ist Christian heute nur 1,65 Meter, während ich, der ich damals log, dass sich die Balken bogen, 1,82 m bin. Ob das mit dem Balkenbiegen bei mir seiner Zeit jedoch vom Lügen oder eher von meinem Gewicht kam, sei einmal dahingestellt…

Ehrlich währt vielleicht am längsten, macht aber alles schwieriger. Vor allem, wenn man dem Gegenüber nicht ins Gesicht sagen will, dass man keine Lust auf seine langweilige Geburtstagsfete hat, bei der das Bier – anders als die Stimmung – noch nie kühl war. Was also tun, wenn man keine Lust hat, auf einer öden Feier zu erscheinen, Überstunden zu machen oder sich mit Nachbarn zu unterhalten, aber noch weniger Lust hat, dies offen zuzugeben? Auch in den besten Familien gehen schließlich irgendwann die Omas aus, die man bei Bedarf sterben lassen kann…

Stress wird heutzutage von keinem mehr als Absagegrund akzeptiert, da jeder Stress zu haben glaubt, selbst Beamte und Rentner. Nur Lehrer schaffen es noch, einen rasch korrigierten Vokabeltest als Mammutprojekt zu verkaufen, das einer Doktorarbeit gleichkommt und es unmöglich zulässt, diesen, nächsten oder übernächsten Monat mit in die Kneipe zu gehen. Und so eine Migräne wie die, mit der sich die hübsche Kollegin immer bei gutem Wetter aus dem Büro abmeldet, nimmt einem als Mann auch niemand ab. Selbst wenn man noch mehr Knöpfe am Hemd auf hätte als die Kollegin…

Im Grunde gibt es nur eins, was als Ausrede ähnlich geeignet ist wie tote Verwandtschaft: Nachwuchs! Sieht man einmal von einem Backstage-Pass für ein David-Hasselhoff-Konzert ab, sind Kinder das größte Geschenk der Welt. Das ist zumindest die Ansicht derer, die sich, wenn auch nicht immer freiwillig, jedoch zumindest erfolgreich vermehrt haben. Nachwuchs eröffnet Eltern ganz neue Möglichkeiten, was Ausflüchte angeht. Jungen Kindern verzeiht man bekanntlich alles, da sie noch nicht wissen, was sie tun; jungen Eltern aber auch, da sie noch nicht wissen, was sie getan haben…

Kleinkinder sind ein perfekter Absagegrund und haben im Vergleich zu verstorbenen Großmüttern den Vorteil, dass man sie problemlos mehrfach als Grund vorschieben kann, um nicht tun zu müssen, was von einem erwartet wird. Keine Lust auf eine Teambesprechung? Das Bedürfnis, später zu kommen, früher zu gehen oder gleich ganz zuhause zu bleiben? Keine Lust auf Duschen, Aufräumen oder Mülltrennung? Eltern mit jungem Nachwuchs haben Narrenfreiheit, sind Babys doch unberechenbarer als die Lottozahlen und daher eine windeltragende Universalentschuldigung…

Insbesondere Eltern, die im Freundeskreis zu den ersten mit Nachwuchs gehören, können aus dem Vollen schöpfen, was Verständnis angeht. Wenn der frische Papi zu spät auf der Arbeit erscheint und aussieht, als hätte er das Wochenende durchgesoffen, weil er das Wochenende durchgesoffen hat, nimmt es ihm jeder ab, wenn er als Grund für seinen Zustand den nachts angeblich schreienden Nachwuchs anführt. Auch wenn dieser längst durchschläft. Junge Mütter vermitteln derweil absolut glaubhaft, dass jemand, der stillt, keine Zeit für ein Leben außerhalb von Jogginghosen hat…

Der angeblich so anstrengende Spross übernimmt, ohne sich wehren zu können, die Aufgabe des Schuldigen, dem niemand böse sein kann, weil er ja nichts dafür kann, dass er gerade Zähne bekommt, Bauchschmerzen hat, eine Impfung nicht verträgt, fremdelt, Hunger hat oder vom Babysitter im Stich gelassen wurde. Während es in der Tierwelt selten ist, dass ein Wolf seinem Rudel eine lange geplante Jagd nach Frischfleisch kurzfristig absagt, weil sein Welpe plötzlich allergisch auf Gluten reagiert, ist das beim Homo sapiens derweil fast zur Regel geworden…

Jungväter genießen völlig zu Unrecht die gesellschaftliche Anerkennung eines MacGyvers, der es täglich aus Neue schafft, eine Zeitbombe zu entschärfen, bevor ihre Windel explodiert. Eltern mit Kleinkindern werden zu Volkshelden stilisiert, denen es zu verdanken ist, dass die Menschheit weiter bestehen kann. Kolumbus hat Amerika entdeckt, Becquerel die Radioaktivität und König Artus das Eukalyptusbonbon am Stil. All das ist jedoch nichts wert gegen die Leistung derer, die dank ihrer Kevins, Marlons und Romys dazu beitragen, die Welt am Abgrund einen Schritt weiter zu bringen…

Geburtstag des Chefs verschwitzt? Nudeln verkocht? TÜV abgelaufen? Der Nachwuchs ist schuld! Beim zu schnell Fahren erwischt worden? Das Töchterchen musste dringend Pipi! Strafzettel wegen Falschparkens? Der Sohnemann brauchte etwas aus der Apotheke! Zu viel getrunken? Nur den Hustensaft des Nachwuchses probiert! Das Erstaunliche dabei: Es funktioniert! Hätten Adolf Hitler und Eva Braun Kinder gehabt, sie hätten ohne Weiteres ihnen die Schuld für den Zweiten Weltkrieg in die Schuhe schieben können und wären mit einem Freispruch aus Nürnberg nachhause gefahren…

Auch wenn ich meines Wissens keine Kinder habe, habe ich es mir angewöhnt, beim Einkauf stets ein Glas Babybrei im Wagen zu haben, um an der Kasse bitten zu können, vor zu dürfen, da Klein-Philipp im Auto doch so einen Hunger hat. Außerdem wird man als Ü40er dann nicht so seltsam angesehen, wenn man Waldmeisterbrause und ein Micky-Maus-Heft aufs Band legt. „Sind die Boxershorts mit den Schafen in Größe XL nicht zu groß für ihren Kleinen?“ „Nein. Hinterteilmäßig kommt er nach seiner Mutter!“. Schweigen ist Silber, Ausreden sind Gold…  gruenetomaten@live-magazin.de.

Patrik Wolf

P.S. Wer ohne Scham einen Dildo kaufen möchte, sollte einfach vorgeben, das Schaukelpferd seines Töchterchens in ein Einhorn umwandeln zu wollen.

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